| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 9.11.1994 (I R 96/94) BStBl. 1995 II S. 204

Gesetzliche Vertreter einer juristischen Person bedürfen auch dann keiner Prozeßvollmacht i. S. des § 62 Abs. 3 FGO, wenn ihnen vom Gericht eine Ausschlußfrist gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO gesetzt worden ist.

FGO § 62 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Steuerberatungs-GmbH. Gesellschafter sind Steuerberater A und seine Ehefrau je zur Hälfte. Alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer ist A.

1. Die Klägerin, vertreten durch A, erhob nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen die auf einer Schätzung beruhenden Körperschaftsteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermeßbescheide 1989 vom 5./11. Juni 1991 Klage. In der Klageschrift vom 26. November 1991 bezeichnete sich A als "Prozeßbevollmächtigter" der Klägerin. Das Finanzgericht (FG) forderte die Klägerin mit Verfügung vom 5. Dezember 1991 auf, innerhalb von drei Wochen eine Prozeßvollmacht für A vorzulegen. Als die Klägerin keine Vollmacht vorlegte, erging am 10. Januar 1992 eine zweite Aufforderung zur Vorlage der Vollmacht innerhalb von zwei Wochen. In dieser Verfügung wurde die Klägerin darauf hingewiesen, daß die nicht fristgerechte Vorlage der Vollmacht den Verlust des Rechtsbehelfs zur Folge haben werde (Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit - VGFGEntlG - vom 31. März 1978, BGBl I 1978, 446, jetzt: § 62 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Nach ergebnislosem Ablauf der zweiten Frist trug A vor, er sei alleiniger und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Klägerin und bedürfe deshalb keiner Vollmacht. In der mündlichen Verhandlung legte er die Kopie eines Handelsregisterauszugs vom 7. September 1988 vor. Danach war er ab 15. Juli 1987 alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Klägerin.

2. Das FG wies die Klage als unzulässig ab (Entscheidungen der Finanzgerichte 1993, 730). Es begründete seine Entscheidung mit dem Fehlen einer Prozeßvollmacht. Die Vollmacht eines Prozeßbevollmächtigten sei dem Gericht gemäß Art. 3 § 1 VGFGEntlG (§ 62 Abs. 3 FGO) nachzuweisen. Werde die Vollmacht nicht innerhalb der vom Gericht nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG gesetzten Frist vorgelegt, sei die Klage unzulässig. Selbst wenn dem Gericht aus anderen Verfahren die Eigenschaft des Prozeßvertreters als Geschäftsführer der Klägerin bekannt sei, bedeute das nicht zwangsläufig, daß er diese Funktion auch zur Zeit der Klageerhebung innegehabt habe. Aus dem von der Klägerin vorgelegten Handelsregisterauszug ergebe sich nichts anderes, da er erst nach Ablauf der Ausschlußfrist vorgelegt worden sei.

3. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Revision gegen das Urteil des FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Im Revisionsverfahren trägt die Klägerin vor, A sei als gesetzlicher Vertreter der Klägerin nicht zur Vorlage einer Prozeßvollmacht verpflichtet.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

a) die Körperschaftsteuer 1989 auf 0 DM festzusetzen,

b) den Gewerbesteuermeßbetrag 1989 auf 0 DM festzusetzen und

c) die Umsatzsteuer 1989 auf 6.345,50 DM festzusetzen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Gemäß § 62 Abs. 3 FGO ist die Bevollmächtigung eines Prozeßbevollmächtigten durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen. Bevollmächtigte sind rechtsgeschäftlich bestellte (gewillkürte) Vertreter des Verfahrensbeteiligten (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, § 62 Rz. 4). Gesetzliche Vertreter, geschäftsführende Gesellschafter (§ 705 des Bürgerlichen Gesetzbuches) und solche Personen, die kraft Gesetzes behördlicher oder gerichtlicher Anordnung fremdes Vermögen verwalten, bedürfen keiner Prozeßvollmacht (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 62 FGO Tz. 8; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 52. Aufl., § 80 Anm. 1 E; Zöller/Vollkommer, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., § 80 Tz. 9). Hier ergibt sich das Vertretungsrecht aus der sachlich-rechtlichen Vertretungsmacht, die die gerichtliche Vertretung umfaßt (BFH-Urteil vom 4. Oktober 1984 IV R 16/82, BFHE 142, 106, BStBl II 1985, 60). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an.

Da der Geschäftsführer der Klägerin zur Zeit der Klageerhebung unstreitig ihr alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer war, bedurfte er keiner Prozeßvollmacht. Eine GmbH wird durch ihren Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung).

2. An dieser Rechtslage änderte sich im Streitfall nichts durch die Fristsetzung des FG gemäß Art. 3 § 1 VGFGEntlG (§ 62 Abs. 3 Satz 3 FGO). Zwar kann das FG nach dieser Bestimmung zur Vorlage einer Prozeßvollmacht eine Ausschlußfrist mit der Wirkung setzen, daß die Vollmacht nach fruchtlosem Ablauf der Ausschlußfrist vom Gericht nur noch berücksichtigt werden kann, wenn Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegeben sind (Art. 3 § 1 Satz 2 VGFGEntlG, jetzt: § 62 Abs. 3 Satz 4 FGO). Die Aufforderung kann ihre Wirkung jedoch nur entfalten, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 62 FGO gegeben sind (BFH in BFHE 142, 106, BStBl II 1985, 60). Nur wenn eine Prozeßvollmacht überhaupt erforderlich war, kann das Gericht die Vollmacht - ggf. mit Ausschlußfrist - anfordern. Art. 3 Nr. 1 VGFGEntlG (§ 62 Abs. 3 Satz 3 FGO) sieht eine Ausschlußfrist nur für das Einreichen der Prozeßvollmacht, nicht aber für den Nachweis der sachlich-rechtlichen Vertretungsmacht vor. Die letztere ist vom Gericht von Amts wegen zu prüfen (§ 155 FGO, § 56 der Zivilprozeßordnung; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 56 Anm. 1, 3).

3. Der Rechtsstreit ist nicht entscheidungsreif. Das FG hat, auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung zutreffend, keine Feststellungen zur Besteuerungsgrundlage der angefochtenen Schätzungsbescheide getroffen. Es wird diese Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachholen müssen.