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  BFH-Urteil vom 15.9.1994 (V R 34/93) BStBl. 1995 II S. 214

Ein Arzt verwirklicht mit seinen nach § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG nicht abziehbaren Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. c UStG 1980 steuerbaren, aber in entsprechender Anwendung des § 4 Nr. 28 Buchst. b UStG 1980 steuerfreien Eigenverbrauch.

UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. c, § 4 Nr. 14, § 4 Nr. 28; EStG § 4 Abs. 5 Nr. 6.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren (1982 bis 1987) als Arzt selbständig tätig. Die Arztumsätze behandelte er als umsatzsteuerfrei. Daneben führte er seit 1984 Vermietungsumsätze aus, die er der Umsatzsteuer unterwarf und für die er bereits seit 1982 Vorsteuer geltend machte.

Der Kläger fuhr mit seinem Kraftfahrzeug von seiner Wohnung zu seinen Praxisräumen. Vorsteuer für die Anschaffung des PKW und die laufenden Betriebskosten nahm er nicht in Anspruch.

Bei einer Außenprüfung ermittelte der Prüfer die nach § 4 Abs. 5 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht abzugsfähigen Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte in folgender Höhe:

 

1982:

1.800 DM

1983:

2.400 DM

1984:

2.100 DM

1985:

2.600 DM

1986:

3.600 DM

1987:

1.400 DM

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah insoweit den Eigenverbrauchstatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. c des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 für erfüllt an und zog den Kläger deshalb zur Umsatzsteuer heran (geänderte Umsatzsteuerbescheide vom 10. Oktober 1988).

Einspruch und Klage gegen die Steuerbescheide hatten im wesentlichen keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) berichtigte lediglich für die Jahre 1982 und 1983 den vom FA angewandten Steuersatz und gewährte für die Anschaffung eines PKW im Jahre 1983 und für eine Elektroinstallation im Jahre 1984 den auf den streitbefangenen Eigenverbrauch entfallenden Vorsteuerabzug (1983: 32 DM; 1984: 0,66 DM).

Gegen das Urteil wendet sich der Kläger mit der Revision. Er ist der Ansicht, der Eigenverbrauch sei nach § 4 Nr. 28 UStG 1980 steuerfrei. Im übrigen bezweifelt er, daß die Besteuerung des Eigenverbrauchs im Einklang mit Art. 5 Abs. 6 und Art. 6 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) stehe.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur antragsgemäßen Festsetzung der Umsatzsteuer (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der mit den Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte bewirkte Eigenverbrauch ist steuerfrei.

1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchst. c UStG 1980 liegt Eigenverbrauch vor, wenn ein Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens Aufwendungen macht, die unter das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG fallen. Diese Voraussetzungen sind bezüglich der streitbefangenen Aufwendungen des Klägers für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte unstreitig und unzweifelhaft erfüllt.

2. Der damit verwirklichte Eigenverbrauch ist nicht nach § 4 Nr. 14 UStG 1980 steuerfrei.

Nach dieser Vorschrift sind von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG 1980 fallenden Umsätzen die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt steuerfrei. Die Steuerbefreiung ist - anders als z. B. die Befreiung der Umsätze der Blinden in § 4 Nr. 19 UStG 1980 - nicht personen-, sondern tätigkeitsbezogen. Die Vorschrift begünstigt nur Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, nicht jedoch die Umsätze eines Arztes schlechthin (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. April 1957 V 46/56 U, BFHE 64, 594, BStBl III 1957, 222 betreffend Ausschluß der Hilfsgeschäfte eines Handelsvertreters von der Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 17 UStG 1951, und vom 12. August 1971 V R 49/71, BFHE 103, 276, BStBl II 1971, 789 sowie vom 2. Oktober 1986 V R 68/78, BFHE 147, 544, BStBl II 1987, 42 betreffend Ausschluß des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG 1967 für Eigenverbrauch eines Freiberuflers durch Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte sowie private Telefongespräche). Die Steuerbefreiung betrifft deshalb nur die Umsätze aus der heilberuflichen Tätigkeit als Arzt und nicht aus den Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte.

3. Der Eigenverbrauch ist jedoch in entsprechender Anwendung des die Vorschriften des § 4 Nr. 7 bis 27 UStG 1980 ergänzenden § 4 Nr. 28 UStG 1980 steuerfrei. Nach § 4 Nr. 28 UStG 1980 ist die Lieferung und Entnahme sowie die Verwendung von Gegenständen für unternehmensfremde Zwecke steuerfrei, wenn der Unternehmer die Gegenstände ausschließlich für die im Gesetz näher bezeichnete steuerfreie Tätigkeit verwendet hat. Bei einem Arzt, der seinen PKW für seine Arztpraxis (und nicht auch für sonstige unternehmerische Aktivitäten) verwendet, sind deshalb nicht nur die von § 4 Nr. 14 UStG 1980 erfaßten Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt steuerfrei, sondern auch die entgeltliche Weiterlieferung oder Entnahme des PKW aus dem Unternehmen (§ 4 Nr. 28 Buchst. a UStG 1980) sowie die Verwendung des PKW für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen (§ 4 Nr. 28 Buchst. b i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG 1980). § 4 Nr. 28 Buchst. b UStG 1980 befreit zwar unmittelbar nur die unter den Eigenverbrauchstatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG 1980 fallenden Privatfahrten des Arztes und nicht die unter den Eigenverbrauchstatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c UStG 1980 fallenden Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte. Die Vorschrift enthält jedoch insoweit eine Gesetzeslücke, die im Wege der Vervollständigung des Gesetzes zu schließen ist.

Die Steuerbefreiung des Eigenverbrauchs durch Privatfahrten gemäß § 4 Nr. 28 Buchst. b i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG 1980 wäre planwidrig unvollständig, wenn sie sich nicht auch auf die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte bezöge. Die Beschränkung des Betriebsausgabenabzugs für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte in § 4 Abs. 5 Nr. 6 EStG ist unter anderem deshalb gerechtfertigt, weil diese Fahrten nicht nur durch den Betrieb bzw. den Beruf allein veranlaßt sind, sondern weil ihr Platz im Grenzgebiet zwischen betrieblicher bzw. beruflicher Veranlassung einerseits und privater Lebensführung andererseits liegt (BFH-Urteil vom 17. Februar 1977 IV R 87/72, BFHE 122, 55, BStBl II 1977, 543). Der Eigenverbrauch durch Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten PKW für Privatfahrten (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG 1980) und der für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c UStG 1980) sind so eng miteinander verquickt, daß es ausgeschlossen werden kann, die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 28 Buchst. b UStG 1980 habe nur die Privatfahrten und nicht auch die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte erfassen sollen.

Mit der Vorschrift des § 4 Nr. 28 Buchst. b UStG 1980 wollte der Gesetzgeber dem Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG Rechnung tragen (vgl. Husmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 28 Anm. 3). Nach der zuletzt bezeichneten Vorschrift dürfen die Fahrten des Klägers zwischen Wohnung und Betriebsstätte nicht besteuert werden. Bei den Fahrtaufwendungen handelt es sich um Ausgaben i. S. des Art. 17 Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG. Da sie für Zwecke der steuerfreien Arztumsätze getätigt wurden, ist der Vorsteuerabzug bereits nach Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG ausgeschlossen. Eine Verwendung eines von der Vorsteuer entlasteten Gegenstands (hier: Kraftfahrzeugs) i. S. des Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG liegt nicht vor. Da der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 4 Nr. 28 Buchst. b UStG 1980 (auch) die Regelung in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG in nationales Recht umsetzen wollte, muß davon ausgegangen werden, daß er den Eigenverbrauch durch die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte unter denselben Voraussetzungen befreien wollte wie den in § 4 Nr. 28 Buchst. b UStG 1980 ausdrücklich geregelten Eigenverbrauch nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG 1980.