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  BFH-Urteil vom 29.6.1994 (I R 102/93) BStBl. 1995 II S. 249

Die Sonderabschreibungen nach § 75 EStDV a. F. (heute: § 7 f EStG) können auch dann in vollem Umfang in Anspruch genommen werden, wenn das abzuschreibende Wirtschaftsgut im Rahmen ambulanter Leistungen des Krankenhauses zum Einsatz kommt.

EStDV a. F. § 75; EStG § 7 f.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Facharzt für Chirurgie. Er praktizierte in den Streitjahren in einer von ihm gegründeten Klinik. Die überwiegende Mehrzahl der Patienten verläßt die Klinik bereits wieder am Tag der Aufnahme. Eine längere Verweildauer ergibt sich nur in verhältnismäßig wenigen Fällen. Die Einnahmen der Streitjahre ermittelte der Kläger einheitlich, d. h. er trennte die Vergütungen für die ärztliche Tätigkeit einerseits und für die Beherbergung und Verpflegung von Patienten in der Klinik andererseits nicht.

Für die in den Streitjahren angeschafften Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens (Geräte, Kfz usw.), die sowohl dem stationären als auch dem ambulanten Bereich dienten, machte der Kläger Sonderabschreibungen nach § 75 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) 1955 geltend, die vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) nicht anerkannt wurden.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Der Bundesfinanzhof (BFH) hob das Urteil des Finanzgerichts (FG) aus den im Urteil vom 2. März 1989 IV R 83/86 (BFHE 156, 183, BStBl II 1989, 506) genannten Gründen auf und verwies die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurück.

Das FG hat in tatsächlicher Hinsicht nunmehr festgestellt, daß die vom Kläger betriebene Klinik in den Streitjahren die Merkmale eines Krankenhauses i. S. des § 2 Nr. 1 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze - Krankenhausfinanzierungsgesetz - (KHG) vom 29. Juni 1972 (BGBl I, 1009) aufwies und die dort erbrachten stationären (einschließlich der teilstationären) Leistungen ca. 1/3 der Gesamtleistung betrugen. Nach den Angaben des Klägers konnten die einzelnen Gegenstände aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr dem stationären oder ambulanten Bereich zugeordnet werden. Das FG hat aufgrund dieser Feststellungen der Klage wiederum in vollem Umfang stattgegeben.

Das FA beantragt unter Berufung auf Abschn. 82 Abs. 2 Nr. 4 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1990, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Gemäß § 75 EStDV 1955 können Steuerpflichtige, die eine im besonderen Maße (Abs. 3) der minderbemittelten Bevölkerung dienende private Krankenanstalt betreiben und die den Gewinn aus dem Betrieb dieser Anstalt aufgrund ordnungsgemäßer Buchführung (vgl. § 12 Abs. 2 EStDV 1971) ermitteln, von den Aufwendungen für abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens im Jahr der Anschaffung oder Herstellung und in dem folgenden Jahr neben den nach § 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bemessenden Absetzungen für Abnutzung (AfA) Abschreibungen bis zur Höhe von insgesamt 50 v. H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten vornehmen.

1. Das FG hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die vom Kläger betriebene Klinik die Voraussetzungen des § 2 Nr. 1 KHG erfüllt. An diese Feststellung ist der Senat gebunden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

2. Das vom Kläger betriebene Krankenhaus erbringt nach den Feststellungen des FG stationäre und ambulante Leistungen. Nach dem Urteil des IV. Senats des BFH, das im ersten Rechtsgang ergangen ist (BFHE 156, 183, BStBl II 1989, 506), können Sonderabschreibungen in einem solchen Fall in Anspruch genommen werden, wenn auf die stationären Leistungen (einschließlich der teilstationären) ein wesentlicher Teil der Gesamtleistung des Unternehmens entfällt. An diese Rechtsansicht ist der nunmehr zuständig gewordene erkennende Senat gebunden (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1988 VII R 97/87, BFHE 153, 490, BStBl II 1988, 865 m. w. N.).

Was unter einem wesentlichen Teil der Gesamtleistung zu verstehen ist, hat der IV. Senat unter Nr. 3 seiner Entscheidung a. E. in einer den erkennenden Senat gleichermaßen bindenden Weise selbst dahin definiert, daß es sich bei den stationären Leistungen nicht um "einen unerheblichen Anteil" handeln darf. Zumindest aufgrund dieses in der Entscheidung zum Ausdruck gelangten Begriffsverständnisses kann ein wesentlicher Teil nicht im Sinne eines Überwiegens verstanden werden. Dies wird auch durch den zwischen den Beteiligten ergangenen, durch Antrag auf mündliche Verhandlung allerdings gegenstandslos gewordenen Vorbescheid bestätigt, in dem der IV. Senat noch entscheidungserheblich darauf abgestellt hatte, ob die betrieblichen Leistungen "ganz überwiegend" auf die stationäre Heilbehandlung entfielen. Da das auf die mündliche Verhandlung hin ergangene Urteil von entsprechenden Formulierungen absieht und anstelle dessen darauf abstellt, ob der Teil der stationären Behandlung und Versorgung einen wesentlichen Teil der Gesamtleistung ausmacht, muß davon ausgegangen werden, daß der IV. Senat von der Notwendigkeit des Überwiegens der stationären Leistungen bewußt abgerückt ist.

3. a) Nicht entschieden hat der IV. Senat die Streitfrage, ob die Sonderabschreibung nach § 75 EStDV (heute: § 7 f EStG) in vollem Umfang zu gewähren ist, wenn die angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter teilweise im privaten oder in einem anderen nicht begünstigten Bereich tatsächlich eingesetzt werden (verneinend Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, § 7 f Anm. 3; Lambrecht in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 7 f B 16; Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 7 f Anm. 16; App, Die steuerliche Betriebsprüfung - StBp - 1991, 90; bejahend Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 7 f EStG Rdnr. 24; Laengsfeld in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 7 f Rdnr. 13; Handzik in Littmann/Bitz/Hellwig, Einkommensteuerrecht, § 7 f EStG Rdnr. 9). Die Ausführungen des IV. Senats, wonach bei gemischtem Einsatz des Wirtschaftsguts eine Einteilung der Wirtschaftsgüter in nach § 75 EStDV begünstigte und nichtbegünstigte nicht erforderlich sei, wenn im ambulanten und stationären Bereich gleichartige Leiden behandelt würden und nur von der Schwere der Erkrankung oder Verletzung die ambulante oder stationäre Behandlung abhänge, besagen (noch) nicht, daß für die danach dem Krankenhausbereich zuzurechnenden Wirtschaftsgüter die volle Sonderabschreibung in Anspruch genommen werden kann, wenn diese überwiegend in der ambulanten Praxis eingesetzt werden. Auch die Ausführungen des IV. Senats (Nr. 3 a), wonach im 2. Rechtsgang noch tatsächliche Feststellungen dazu notwendig seien, ob und in welchem Umfang dem Kläger die Sonderabschreibungen zustehen, sprechen nicht dafür, daß die Sonderabschreibung nach § 75 EStDV in jedem Fall in vollem Umfang geltend gemacht werden kann. Für eine Selbstbindung des BFH in dieser Rechtsfrage ist daher kein Raum.

b) Der Senat ist der Auffassung, daß in Konsequenz der Rechtsprechung des IV. Senats nach dem Wortlaut des § 75 EStDV bei gemischter Nutzung nur eine volle Sonderabschreibung in Betracht kommt.

Voraussetzung für die Sonderabschreibung nach § 75 EStDV in der in den Streitjahren geltenden Fassung ist insoweit nur, daß das abzuschreibende Wirtschaftsgut zum Anlagevermögen einer Krankenanstalt gehört. Da nach der für den Senat bindenden Rechtsprechung des IV. Senats eine Krankenanstalt bereits dann vorliegt, wenn nur ein wesentlicher Teil der Leistungen im (teil-)stationären Bereich erbracht wurden, gehören die dort zum Einsatz gelangten Wirtschaftsgüter konsequenterweise zum Anlagevermögen einer Krankenanstalt i. S. des § 75 EStDV.

Die Möglichkeit, Sonderabschreibungen nach § 75 EStDV geltend zu machen, hängt nicht davon ab, daß die streitigen Wirtschaftsgüter ausschließlich im stationären Behandlungsbereich der Klinik eingesetzt werden (herrschende Meinung; Lambrecht, a. a. O., § 7 f B 16; Handzik, a. a. O., § 7 f EStG Rdnr. 9; Herrmann/Heuer/Raupach, a. a. O., § 7 f EStG Rdnr. 24; Schmidt/Drenseck, a. a. O., 12. Aufl., § 7 f Anm. 3; Laengsfeld, a. a. O., § 7 f Rdnr. 13). Dies folgt aus dem Umkehrschluß vergleichbarer Regelungen, die nach ausdrücklichem Wortlaut entweder eine ausschließliche oder zumindest überwiegende Nutzung im begünstigten Bereich voraussetzen (vgl. z. B. § 7 b Abs. 2 Satz 2, § 7 e Abs. 1 Nr. 2 d, § 7 g Abs. 2 Nr. 2 b EStG).

Auch sieht § 75 EStDV eine anteilige Kürzung der Sonderabschreibung bei einer Nutzung in einem begünstigten und einem nicht begünstigten Bereich nicht vor, obgleich seit jeher Krankenhäuser ambulante Patienten betreuen.