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  BFH-Urteil vom 9.11.1994 (XI R 11/94) BStBl. 1995 II S. 267

Art. 3 § 1 VGFGEntlG i. V. m. § 62 Abs. 3 FGO a. F. berechtigt nur, eine Frist mit ausschließender Wirkung für das Einreichen der Vollmacht zu setzen, nicht aber für den Nachweis der sachlich-rechtlichen Vertretungsbefugnis des gesetzlichen Vertreters.

FGO a. F. § 62 Abs. 3; VGFGEntlG Art. 3 § 1.

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten über den Vorsteuerabzug aus Gutschriften über den Verkauf von Sicherungsgut. Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH & Co. KG, hatten nach Einlegung der Klage beim Finanzgericht (FG) zunächst eine (undatierte) Prozeßvollmacht vorgelegt, die von X, einem der beiden alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der Klägerin unterzeichnet worden war. Weil sich diese Vertretungsbefugnis aus der vorgelegten Vollmacht nicht ergab, setzte der Berichterstatter den Prozeßbevollmächtigten durch Verfügung vom 27. August 1990 für die Vorlage des Nachweises der Vertretungsbefugnis des Vollmachtgebers gemäß Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) eine Ausschlußfrist bis zum 10. September 1990. Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin legten daraufhin am 5. September 1990 eine auf den 30. August 1990 datierte Vollmacht vor, die von X und Y, dem zweiten alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der Klägerin, unterzeichnet worden war. Entsprechende Handelsregisterauszüge, aus denen sich diese Vertretungsverhältnisse ergaben, reichte die Klägerin am 16. Dezember 1993 nach.

Das FG hielt die Klage für unzulässig. Die Prozeßbevollmächtigten hätten innerhalb der ihnen gesetzten Ausschlußfrist die Vertretungsbefugnis von X und Y nicht (durch Vorlage eines Handelsregisterauszuges, des Gesellschaftsvertrages oder eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung) nachgewiesen. Dies aber wäre erforderlich gewesen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) a. F. i. V. m. Art. 3 § 1 VGFGEntlG.

Sie beantragt, den Gerichtsbescheid des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Die Klage war nicht wegen mangelnden Nachweises der Vertretungsbefugnisse von X und Y als unzulässig abzuweisen.

Die Klägerin hat im Klageverfahren vor dem FG die Prozeßbevollmächtigten als ihre Prozeßvertreter bestellt und diese entsprechend schriftlich bevollmächtigt. Die Prozeßvollmacht ist von X und Y eigenhändig unterzeichnet worden, die hierzu als alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der Klägerin berechtigt waren. Die sachlich-rechtliche Vertretungsmacht von X und Y umfaßt die gerichtliche Vertretung des gesetzlich Vertretenen (vgl. § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -; § 34 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -; § 58 Abs. 2 Satz 1 FGO) und damit auch die Befugnis, eine entsprechende Prozeßvollmacht zu erteilen.

Die hiernach wirksame Prozeßvollmacht lag dem FG rechtzeitig vor. Daß die Vertretungsbefugnisse von X und Y erst nach Ablauf der Ausschlußfrist bestätigt wurden, führt nicht zur Unzulässigkeit der Klage. § 62 Abs. 3 FGO a. F. i. V. m. Art. 3 § 1 Satz 1 VGFGEntlG berechtigt das FG seinem Wortlaut nach nur, eine Ausschlußfrist für die Einreichung der (gewillkürten) Prozeßvollmacht zu setzen, nicht aber für den Nachweis der sachlich-rechtlichen Vertretungsmacht (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Oktober 1984 IV R 16/82, BFHE 142, 106, BStBl II 1985, 60; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 62 Rdnr. 59; Spindler in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 62 FGO Rdnr. 147; anders Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 62 FGO Rdnr. 12 a. E.; Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rz. 12104; offengelassen in BFH-Urteil vom 30. November 1988 I R 168/84, BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514; vgl. auch BFH-Urteile vom 11. November 1993 V R 4/91 und vom 19. Mai 1994 V R 126/93, beide nicht veröffentlicht). Ob es sich anders verhält, wenn die Prozeßvollmacht nicht von dem Verfahrensbeteiligten oder seinem gesetzlichen Vertreter, sondern einem Dritten erteilt worden ist (s. dazu BFH-Urteil vom 16. Februar 1990 III R 81/87, BFHE 160, 387, BStBl II 1990, 746), braucht der Senat nicht zu entscheiden; X und Y sind als alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Klägerin deren gesetzliche Vertreter. Ihre sachlich-rechtliche Vertretungsmacht ist lediglich im Rahmen der Prüfung, ob der durch die vorgelegte Vollmacht Bevollmächtigte auch wirksam bevollmächtigt worden ist, von Amts wegen als Sachurteilsvoraussetzung zu prüfen (BFH-Urteil in BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514).

Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG hat den angefochtenen Bescheid nicht auf seine formelle und materielle Rechtmäßigkeit hin überprüft (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 17. Oktober 1990 I R 118/88, BFHE 162, 534, BStBl II 1991, 242 unter 5.).