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  BFH-Urteil vom 18.10.1994 (IX R 128/92) BStBl. 1995 II S. 291

Eine Außenprüfung nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 kann mehr als drei Besteuerungszeiträume umfassen. § 4 Abs. 3 BpO(St) ist auf solche Außenprüfungen nicht anwendbar.

AO 1977 § 193 Abs. 2 Nr. 2, § 194 Abs. 1 Satz 2.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), erzielt Einnahmen aus dem Vermieten von Grundvermögen. Soweit möglich, hat sie auf die Umsatzsteuerfreiheit der Vermietungsumsätze verzichtet (§ 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a i. V. m. § 9 des Umsatzsteuergesetzes - UStG -).

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) stellte die Werbungskostenüberschüsse bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung für 1986 bis 1989 und das Vermögen zu den Hauptfeststellungszeitpunkten 1. Januar 1986 und 1989 erklärungsgemäß gesondert und einheitlich fest.

Das FA ordnete unter dem 9. August 1991 gegenüber der GbR gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) eine Außenprüfung betreffend die Umsatzsteuer sowie die Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung für 1986 bis 1989 und ferner die Feststellung des Vermögens auf den 1. Januar 1986 bis 1. Januar 1990 an. Die Prüfungsanordnung gab es einem Gesellschafter als Empfangsbevollmächtigtem der Klägerin bekannt.

Mit der Beschwerde machte die Klägerin zum einen geltend, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Außenprüfung seien nicht erfüllt; darüber hinaus sei es nicht zulässig, die Prüfung über die letzten drei Besteuerungszeiträume hinaus auszudehnen. Die Beschwerde blieb erfolglos. Die Oberfinanzdirektion (OFD) führte in der Beschwerdeentscheidung aus, die Prüfungsanordnung richte sich zu Recht an die Klägerin, obwohl sie als Personengesellschaft selbst nicht der Einkommen- und Vermögensteuer unterliege, und sei wirksam bekanntgegeben worden. Die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Klägerin bedürften der Aufklärung.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob die Prüfungsanordnung auf, soweit sie die Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie die Umsatzsteuer jeweils für 1986 und 1987 und die Feststellung des Vermögens auf den 1. Januar 1986 und 1987 betrifft. Zur Begründung führte es aus, das FA habe ermessensfehlerhaft einen Prüfungszeitraum von vier Jahren bestimmt und nicht die letzten drei Besteuerungszeiträume, für die die Klägerin bis zur Unterzeichnung der Prüfungsanordnung Feststellungs- und Steuererklärungen abgegeben habe, nämlich 1988 bis 1990, für die Außenprüfung ausgewählt. Jedenfalls habe das FA insoweit seine Ermessensentscheidung nicht begründet. Ermessensgerecht sei eine Prüfung der Feststellung des Vermögens lediglich auf den 1. Januar 1988 bis zum 1. Januar 1991.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 193 Abs. 2 Nr. 2, § 194 Abs. 1 Satz 2 AO 1977.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Nach ihrer Ansicht ist die Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) - BpO(St) - bei der Anordnung einer Außenprüfung gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 entsprechend anzuwenden.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Der Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Vorentscheidung verletzt § 194 Abs. 1 Satz 2 AO 1977, soweit das FG die Prüfungsanordnung betreffend die Umsatzsteuer teilweise aufgehoben hat. Im Ergebnis zutreffend (vgl. § 126 Abs. 4 FGO) hat das FG dagegen die Prüfungsanordnung aufgehoben, soweit sie sich auf die Feststellung der Einkünfte für 1986 und 1987 und des Vermögens auf den 1. Januar 1986 und 1987 bezieht.

1. Das FA hat die Prüfungsanordnung nur insoweit zutreffend an die Klägerin gerichtet, als jene die Prüfung der Umsatzsteuer betrifft. Im übrigen hätte es die Anordnung nicht an die Klägerin, sondern an deren Gesellschafter richten müssen.

a) Wie der Senat im Urteil vom 25. September 1990 IX R 84/88 (BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120) entschieden hat (unter B III. 3.), kann eine GbR in bezug auf die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nicht Subjekt einer Außenprüfung sein.

Entsprechendes gilt in bezug auf die Vermögensteuer. Eine GbR ist nicht vermögensteuerpflichtig (§ 1 des Vermögensteuergesetzes).

b) Die Prüfungsanordnung richtet sich an die Klägerin. Sie kann nicht dahin ausgelegt werden, daß sie sich an deren Gesellschafter richtet, soweit sie die Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und des Vermögens betrifft. Eine derartige Auslegung widerspräche sowohl dem klaren Wortlaut der Anordnung als auch den Ausführungen in der Beschwerdeentscheidung der OFD, die bei der Entscheidung, an wen sich eine Prüfungsanordnung richtet, ebenfalls heranzuziehen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. März 1988 VIII R 220/85, unter 1. a, BFH/NV 1988, 758; BFH-Beschluß vom 27. November 1991 V B 161/91, unter 2. a, BFH/NV 1992, 437).

c) Soweit die Prüfungsanordnung die Umsatzsteuer betrifft, hat das FA sie zu Recht an die Klägerin gerichtet. Führt eine GbR - wie die Klägerin - als Unternehmerin Umsätze aus, schuldet sie selbst ggf. die Umsatzsteuer (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 UStG) und unterliegt mithin auch der Außenprüfung (vgl. BFH-Urteil vom 16. November 1989 IV R 29/89, unter 1. a, BFHE 159, 28, BStBl II 1990, 272).

Auf die unterschiedliche Beurteilung der Frage, ob die Prüfungsanordnung (je nach dem Gegenstand der Prüfung) an den zutreffenden Inhaltsadressaten gerichtet ist, hat es keinen Einfluß, daß die Prüfungsanordnungen in einem einzigen Schriftstück zusammengefaßt sind. Eine Prüfungsanordnung, die mehrere Steuerarten betrifft, enthält mehrere selbständige Regelungen i. S. des § 118 AO 1977. Deshalb ist für jede Steuerart gesondert zu prüfen, ob die Prüfungsanordnung den Inhaltsadressaten ausreichend bestimmt und zutreffend bezeichnet (Senatsurteil in BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120, unter B III. 4.).

Die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung an einen Gesellschafter als Empfangsbevollmächtigten der Klägerin ist ausreichend. Eine Bekanntgabe auch an den anderen Gesellschafter war nicht erforderlich (vgl. BFH-Urteile vom 23. Juni 1988 IV R 33/86, BFHE 154, 203, BStBl II 1988, 979; in BFHE 159, 28, BStBl II 1990, 272, unter 1. b).

2. Das FA hat die Prüfungsanordnung, soweit sie die Umsatzsteuer betrifft, zutreffend auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 gestützt.

Nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 ist eine Außenprüfung zulässig, wenn die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist. Beide Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.

a) Ob die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen (§ 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977), kann das Gericht überprüfen (BFH-Urteil vom 17. November 1992 VIII R 25/89, BFHE 169, 305, BStBl II 1993, 146, m. w. N.).

b) Im Streitfall hat jedenfalls die OFD das Aufklärungsbedürfnis hinreichend begründet. Dies war Rechtens, weil die Begründung noch in der Beschwerdeentscheidung nachgeholt werden kann (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977; BFH-Urteil in BFHE 169, 305, BStBl II 1993, 146, unter 2. a, bb).

Die OFD verweist in der Beschwerdeentscheidung auf verschiedene Umstände, u. a. auf die Zahl der Mietobjekte und die Notwendigkeit, die Aufteilung der gesamten Mieteinnahmen in umsatzsteuerpflichtige und -freie Umsätze und die umsatzsteuerliche Erfassung der Nebenkosten und Mietausfälle zu überprüfen.

c) Auch die Begründung der OFD für die Notwendigkeit einer Außenprüfung anstelle von Einzelaufklärungsmaßnahmen ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

Ob eine Prüfung an Amtsstelle nicht zweckmäßig, vielmehr eine Außenprüfung angezeigt ist, entscheidet die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen; sie muß dabei Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts berücksichtigen. Die Gerichte können diese Entscheidung nur daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO; BFH-Urteil in BFHE 169, 305, BStBl II 1993, 146, unter 2. b). Eine solche Prüfung ergibt, daß die Finanzbehörden im Streitfall das Ermessen sachgerecht ausgeübt haben.

Die Anordnung einer Außenprüfung ist insbesondere dann zweckmäßig, wenn zu erwarten ist, daß eine größere Anzahl von Lebensvorgängen mit einem größeren Zeitaufwand zu prüfen ist (BFH-Urteil in BFHE 169, 305, BStBl II 1993, 146, unter 2. b). Diese Voraussetzung hat die OFD ausreichend dargetan, indem sie insbesondere auf die Vielzahl der zu berücksichtigenden Unterlagen, die sich auf zahlreiche Objekte beziehen, und die sich voraussichtlich ergebenden wiederholten Rückfragen hingewiesen hat.

Unmaßgeblich ist der gegen die Prüfungsanordnung gerichtete Einwand der Kläger, die Prüfung werde in den Räumen des FA stattfinden müssen; denn die Regelung, an welchem Ort die Prüfung durchgeführt wird, wird in einem gegenüber der Prüfungsanordnung selbständigen Verwaltungsakt getroffen (BFH-Urteil vom 21. April 1993 X R 112/91, BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649, unter B I. 1., m. w. N.), der im Streitfall noch nicht ergangen ist.

3. Ohne Ermessensfehler hat das FA den Prüfungszeitraum für die Umsatzsteuer auf die Besteuerungszeiträume 1986 bis 1989 festgelegt.

a) Nach § 194 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 kann die Außenprüfung einen oder mehrere Besteuerungszeiträume umfassen. Die Bestimmung des zeitlichen Umfangs einer Außenprüfung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde (BFH-Urteil vom 10. Juni 1992 I R 142/90, BFHE 168, 226, BStBl II 1992, 784, unter II. 2. a, m. w. N.). Auch diese Ermessensentscheidung unterliegt nur der gerichtlichen Prüfung auf fehlerfreie Ermessensausübung (§ 102 FGO; BFH-Urteil in BFHE 168, 226, BStBl II 1992, 784, unter II. 2. a).

b) Bei der Festlegung des Prüfungszeitraums hat das FA von dem ihm zustehenden Ermessen nicht in fehlerhafter Weise Gebrauch gemacht.

Die Finanzverwaltung hat zwar ermessensregelnde Verwaltungsanweisungen grundsätzlich zu beachten (sog. Selbstbindung der Verwaltung). Die Gerichte haben solche Verwaltungsanweisungen bei der Überprüfung von behördlichen Ermessensentscheidungen grundsätzlich ebenfalls zu berücksichtigen (BFH-Urteile in BFHE 168, 226, BStBl II 1992, 784, unter II. 2.; vom 21. Juni 1994 VIII R 54/92, BFHE 174, 397, BStBl II 1994, 678, unter II. 1. b).

Der im Streitfall allein in Betracht kommende § 4 Abs. 3 BpO(St), wonach der Prüfungszeitraum nicht über die letzten drei Besteuerungszeiträume, für die bis zur Unterzeichnung der Prüfungsanordnung Steuererklärungen für die Ertragsteuern abgegeben wurden, zurückreichen soll, ist nicht einschlägig. Er gilt nur für Betriebe, die nicht Großbetriebe sind. Es ist nicht zulässig, im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der Ermessensentscheidung der Verwaltung diese Verwaltungsanweisung auch auf den von ihr nicht erfaßten Sachverhalt einer Außenprüfung, die sich nicht auf einen Betrieb bezieht, anzuwenden (BFH-Urteil in BFHE 168, 226, BStBl II 1992, 784, unter II. 2. c); denn die zur Ermessensausübung bei der Festlegung des Prüfungszeitraums in § 4 Abs. 3 BpO(St) getroffene Regelung enthält insoweit keine mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes unvereinbare, willkürliche Differenzierung, als sie nur für Außenprüfungen bei Betrieben und nicht auch für andere Außenprüfungen den regelmäßigen Prüfungszeitraum auf die drei letzten Besteuerungszeiträume festlegt. Die BpO(St) hat als "Allgemeine Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung" die Funktion, für den Normalfall einer Betriebsprüfung ermessensleitende Regelungen aufzustellen. Die Prüfung eines Betriebes ist nach § 193 Abs. 1 AO 1977 jederzeit ohne weitere Voraussetzungen zulässig. Im Hinblick auf die begrenzte Prüfungskapazität der Finanzverwaltung einerseits und zum Schutze der Interessen des durch eine Betriebsprüfung beeinträchtigten Steuerpflichtigen andererseits soll der Zeitraum einer solchen, ohne besonderen Anlaß angeordneten Prüfung bei Betrieben, soweit sie keine Großbetriebe darstellen, im Regelfall auf die letzten drei Besteuerungszeiträume beschränkt werden (vgl. BFH-Urteil vom 1. August 1984 I R 138/80, BFHE 142, 198, BStBl II 1985, 350). Hingegen wird die Prüfungsbedürftigkeit für andere Prüfungszeiträume durch die BpO(St) dann nicht generell verneint, wenn eine besondere Prüfungsbedürftigkeit erkennbar wird (vgl. Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 194 AO 1977, Rz. 190). Dies wird auch durch die in § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO(St) aufgeführten Ausnahmen deutlich, bei deren Vorliegen der übliche Prüfungszeitraum überschritten werden kann. Da aber eine auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 gestützte Außenprüfung stets nur dann zulässig ist, wenn ausnahmsweise einer der dort vorgesehenen Fälle einer besonderen Prüfungswürdigkeit gegeben ist, war es nicht geboten, die Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 BpO(St) auch auf solche Steuerpflichtige auszudehnen, die nicht regelmäßig, sondern nur ausnahmsweise einer Außenprüfung unterliegen.

c) Da § 4 Abs. 3 BpO(St) nicht anwendbar ist, brauchten die Finanzbehörden nicht gesondert zu begründen, warum sich die Prüfungsanordnung nicht auf die letzten drei Besteuerungszeiträume beschränkt hat; es genügte, den für den gesamten Prüfungszeitraum bestehenden Aufklärungsbedarf darzulegen.

4. Eine vollständige Aufhebung der Prüfungsanordnung, soweit sie die Feststellung der Einkünfte und des Vermögens betrifft, ist nicht zulässig, weil nur das FA Revision eingelegt hat (Verböserungsverbot).