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  BFH-Urteil vom 2.2.1994 (II R 7/91) BStBl. 1995 II S. 300

Die Haftung des Gesellschafters einer GbR für Steuerschulden der Gesellschaft erfordert eine Mitwirkung des Gesellschafters an der Gestaltung, die den Steuertatbestand ausgelöst hat. War der Gesellschafter an rechtsgeschäftlichem Handeln der Gesellschaft, das steuerliche Folgen nach sich zieht, beteiligt, haftet er auch der Finanzbehörde gegenüber für die sich hieraus ergebende Steuerschuld.

AO 1977 § 37, § 38, § 39 Abs. 2, § 44 Abs. 1 Satz 2, § 191 Abs. 1; BGB § 421, § 427; GrEStG NW § 15 Nr. 1 (= § 13 Nr. 1 GrEStG 1983); GrEStWoBauG NW § 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1, 4 und 6.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb durch notariell beurkundeten Übertragungsvertrag vom 11. September 1981 einen Anteil an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) von E, der aus der GbR ausschied. Die übrigen Mitgesellschafter waren A, B, C und D.

Die GbR, bestehend aus den Gesellschaftern A, B, C, D und E, hatte mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 9. Oktober 1980 Grundstücke zu einem Kaufpreis von 4.447.200 DM erworben. Antragsgemäß hatte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den Erwerbsvorgang vorläufig nach § 1 Nr. 1 des früheren Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (GrEStWoBauG) vom 20. Juli 1970 des Landes Nordrhein-Westfalen (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen - GVBl NW - 1970, 620 - GrEStWoBauG NW -) von der Grunderwerbsteuer ausgenommen und am 14. November 1980 die Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt.

Mit notariell beurkundeten Verträgen vom 19. September 1983 und vom 7. September 1984 veräußerte die GbR, die nach dem Ausscheiden des Gesellschafters D noch aus dem Kläger und den Gesellschaftern A, B und C bestand, die Grundstücke in unbebautem Zustand. Die Weiterveräußerung wurde dem FA nicht angezeigt. Erst nachdem das FA durch eine Kontrollmitteilung der Großbetriebsprüfungsstelle Aachen vom 8. Oktober 1985 Kenntnis davon erlangte, setzte es wegen Aufgabe des steuerbegünstigten Zwecks durch Bescheid vom 17. Januar 1986 Grunderwerbsteuer in Höhe von 311.304 DM (7 v. H. von 4.447.200 DM) nebst einem Zuschlag von 36 v. H. (6 x 6 v. H. aus 311.304 DM = 112.069 DM) fest. Der Bescheid erging hinsichtlich der Höhe des Kaufpreises nach § 165 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig.

Die Steuer konnte bei der GbR wegen deren Überschuldung nicht erhoben werden. Das FA erließ deshalb gegen den Kläger und die Gesellschafter B und C am 26. August 1986 auf § 191 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. §§ 421, 427 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gestützte Haftungsbescheide über jeweils 423.373 DM. Der Gesellschafter A wurde wegen Vermögensverfalls nicht in Anspruch genommen. Im Haftungsbescheid wurde die GbR bestehend aus dem Kläger sowie A, B und C als Steuerschuldner bezeichnet; außerdem war zur Erläuterung der Besteuerungsgrundlagen eine Kopie des an die GbR gerichteten Steuerbescheids beigefügt.

Der Einspruch blieb erfolglos.

Mit der Klage machte der Kläger geltend, daß er den Gesellschaftsanteil nur treuhänderisch für E gehalten habe. Seine Inanspruchnahme scheide aber auch deshalb aus, weil der Steueranspruch einen Erwerbsvorgang der GbR betreffe, der zeitlich vor seinem Beitritt zur GbR verwirklicht worden sei. Im übrigen sei seine Inhaftungnahme ermessensfehlerhaft.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den Haftungsbescheid vom 26. August 1986 sowie die Einspruchsentscheidung vom 25. September 1987 aufgehoben. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1991, 169 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben.

Der Senat vermag der Rechtsauffassung des FG nicht zu folgen, soweit es die Haftung des Klägers für die Steuerschulden der GbR mit der Begründung verneint hat, die von der GbR geschuldete, im Haftungswege gegen den Kläger festgesetzte (nachzuerhebende) Grunderwerbsteuer beruhe auf einem vor dem Beitritt des Klägers zur GbR verwirklichten Erwerbsvorgang.

Nach § 191 Abs. 1 AO 1977 kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Diese Vorschrift umfaßt auch die Haftungsansprüche nach zivilem Recht. Bei einer GbR ergibt sich, soweit die Gesellschaft als solche der Besteuerung unterliegt, die persönliche, gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafter aus dem Rechtsgedanken der §§ 421, 427 BGB (vgl. Urteile vom 23. Oktober 1985 VII R 187/82, BFHE 145, 13, BStBl II 1986, 156; vom 27. Juni 1989 VII R 100/86, BFHE 158, 1, BStBl II 1989, 952, und vom 27. März 1990 VII R 26/89, BFHE 161, 390, BStBl II 1990, 939 m. w. N.). Die Haftung der Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen für Verbindlichkeiten der Gesellschaft folgt zivilrechtlich aus dem gemeinschaftlichen Handeln der Gesellschafter, d. h. aus gemeinsamer Tatbestandsverwirklichung, insbesondere aus dem gemeinsam gewollten Eingehen rechtsgeschäftlicher Verpflichtungen oder dem Handeln durch berechtigte Vertreter (vgl. Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 6. Juli 1971 VI ZR 94/69, BGHZ 56, 355; vom 8. November 1978 VIII ZR 190/77, BGHZ 72, 267; vom 30. April 1979 II ZR 137/78, BGHZ 74, 240, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1979, 1821, und vom 15. Dezember 1980 II ZR 52/80, NJW 1981, 1213). Der erkennende Senat teilt diese, auch vom FG vertretene Auffassung; sie trifft auch auf die Haftung der Gesellschafter für Grunderwerbsteuerschulden der Gesellschaft zu (vgl. Senatsurteil vom 6. September 1989 II R 61/86, BFH/NV 1990, 594, und Senatsbeschluß vom 31. Juli 1991 II B 38/91, BFH/NV 1992, 56). Der Haftung für Steuerschulden der GbR steht nicht entgegen, daß der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis aufgrund Gesetzes entsteht (§§ 37, 38 AO 1977), denn der Steueranspruch entsteht als zwingende gesetzliche Folge des (rechtsgeschäftlichen) Handelns der Gesellschafter im Rahmen ihrer Gesellschafterstellung, das den Tatbestand verwirklicht, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO 1977; vgl. Senatsentscheidung in BFH/NV 1992, 56 m. w. N.). Bei der Grunderwerbsteuer geschieht dies regelmäßig durch den (unbedingten) Abschluß des auf einen Grunderwerb abzielenden obligatorischen Vertrages.

Aus der gemeinsamen Tatbestandsverwirklichung als haftungsauslösendem Element folgt jedoch, daß derjenige, der in eine GbR eintritt, nicht für deren "vorher begründete Verbindlichkeiten" haftet (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 74, 240, NJW 1979, 1821). Eine Haftung des Gesellschafters für rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten kommt danach nur in Betracht, wenn das Rechtsgeschäft auch im Namen und zu Lasten des in Anspruch genommenen Gesellschafters abgeschlossen wurde (Theorie der sog. "Doppelverpflichtung"). Die auf demselben Rechtsgedanken beruhende Haftung des Gesellschafters für kraft Gesetzes entstehende Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erfordert dementsprechend eine Mitwirkung des Gesellschafters an der (vertraglichen oder tatsächlichen) Gestaltung, die den Steuertatbestand ausgelöst hat. War der Gesellschafter an rechtsgeschäftlichem Handeln der Gesellschaft, welches steuerliche Folgen nach sich zieht, beteiligt, haftet er auch der Finanzbehörde gegenüber für die sich hieraus ergebende Steuerschuld.

Im Streitfall war der Kläger - entgegen der Auffassung des FG - in diesem Sinne an dem rechtsgeschäftlichen Handeln beteiligt, das den Nachversteuerungstatbestand ausgelöst hat. Denn die Steuer entstand nicht durch den Abschluß des Grundstückskaufvertrages vom 9. Oktober 1980, sondern erst durch die Aufgabe des steuerbegünstigten Zwecks infolge der Weiterveräußerung der Grundstücke in unbebautem Zustand durch die Verträge vom 19. September 1983 und 7. September 1984. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats bewirkte die materiell vorläufige Freistellung des Grunderwerbs der GbR u. a., daß die Grunderwerbsteuer erst mit der Verwirklichung des Nachversteuerungstatbestandes gemäß § 3 GrEStWoBauG NW entstand (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Mai 1983 II R 6/82, BFHE 138, 480, BStBl II 1983, 609; vom 13. Februar 1985 II R 74/82, BFHE 143, 163, BStBl II 1985, 374; vom 11. Juli 1985 II R 106/82, BFHE 144, 169, BStBl II 1985, 593; vom 10. September 1986 II R 9/84, BFH/NV 1987, 737, und vom 22. Juli 1987 II R 92/85, BFH/NV 1988, 664), d. h. nach § 3 Abs. 1 GrEStWoBauG NW wegen Nichterfüllung des steuerbegünstigten Zwecks innerhalb der Frist von 5 bzw. 10 Jahren oder nach § 3 Abs. 4 GrEStWoBauG NW wegen vorzeitiger Aufgabe desselben.

Im Streitfall hat die GbR unter gesamthänderischer Mitbeteiligung auch des Klägers durch die Weiterveräußerung der Grundstücke (Kaufverträge vom 19. September 1983 und vom 7. September 1984) die ursprünglich erklärte Bebauungsabsicht aufgegeben. Damit haben die Gesellschafter gemeinschaftlich den Nachversteuerungstatbestand des § 3 Abs. 4 GrEStWoBauG NW verwirklicht und die nachzuerhebende Steuer ausgelöst. Sie haften deshalb auch persönlich.

Auf den Zeitpunkt des ursprünglichen Grundstückserwerbs (9. Oktober 1980) kommt es insoweit nicht an. Denn dieser Erwerbsvorgang hat keine Grunderwerbsteuer ausgelöst. Es ist entgegen der Auffassung des FG auch nicht richtig, daß die Steuer bereits 1980 "begründet" wurde. Denn durch den Abschluß des Grundstückskaufvertrages vom 9. Oktober 1980 ist infolge der vorläufigen materiellen Steuerbefreiung keine Steuer entstanden. Dem Erwerbsvorgang vom 9. Oktober 1980 kommt im Rahmen der Nachversteuerung lediglich insoweit Bedeutung zu, als hinsichtlich der Frage nach dem Gegenstand des Erwerbs eine Rückanknüpfung stattfindet.

2. Die Sache ist spruchreif.

Die Klage ist abzuweisen. Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt, an den der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, haftet der Kläger als Gesellschafter für die nachzuerhebende, von der GbR geschuldete Steuer persönlich. Dies gilt entsprechend auch für den vom FA zusätzlich zur Steuer erhobenen Zuschlag nach § 3 Abs. 6 GrEStWoBauG NW. Denn genauso wie die nachzuerhebende Steuer wird der auf diese Steuer zu erhebende Zuschlag durch die Erfüllung des Nachversteuerungstatbestandes ausgelöst. Da der Kläger an dem Rechtsgeschäft, welches die Nachversteuerung bewirkt hat, als Gesellschafter beteiligt war, haftet er auch für den Zuschlag auf die Steuer, und zwar auch insoweit dieser für einen Zeitraum erhoben wird, in dem der Kläger der GbR noch nicht angehörte.

Die vom Kläger vorgebrachten Einwendungen greifen nicht durch.

Die Inanspruchnahme des Klägers ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil er den Gesellschaftsanteil lediglich treuhänderisch für E hielt. Da zwischen den Gläubigern der GbR und dem Treugeber keinerlei Rechtsbeziehungen bestehen, ist der Treuhänder bürgerlich-rechtlich und handelsrechtlich Gesellschafter und nicht der Treugeber (vgl. BFH-Urteil vom 23. Oktober 1974 II R 87/73, BFHE 114, 124, BStBl II 1975, 152). § 39 Abs. 2 AO 1977 gilt hier nicht (vgl. BFH-Beschluß vom 14. Dezember 1988 II B 134/88, BFH/NV 1990, 59).

Ohne Bedeutung ist auch, ob der Steuerbescheid vom 17. Januar 1986 der GbR wirksam bekanntgegeben wurde. Denn die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners setzt nicht voraus, daß die Steuerschuld gegen den "Erstschuldner" (wirksam) festgesetzt wurde (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 191 AO 1977 Tz. 3; BFH-Urteile vom 28. Februar 1973 II R 57/71, BFHE 109, 164, BStBl II 1973, 573, und vom 1. Dezember 1987 VII R 206/85, BFH/NV 1988, 477, sowie Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Februar 1987 8 C 25.85, BStBl II 1987, 475). Ausreichend ist, daß der Primäranspruch (gegen die GbR) bei Erlaß des Haftungsbescheids noch besteht bzw. bestanden hat (vgl. BFH-Urteil vom 5. November 1992 I R 41/92, BFHE 170, 204, BStBl II 1993, 407 m. w. N.). Dies ist im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids der Fall gewesen; insbesondere ist der Steueranspruch unstreitig nicht verjährt gewesen. Demzufolge kann offenbleiben, ob der Steuerbescheid - wie der Kläger meint - infolge einer falschen Adressierung unwirksam ist.

Die Entscheidung des FA ist auch nicht ermessensfehlerhaft. Insbesondere hat das FA von seinem Auswahlermessen pflichtgemäß Gebrauch gemacht. Da die Vollstreckung gegen die GbR erfolglos verlaufen war, war das FA grundsätzlich gehalten, die Gesellschafter, die den Nacherhebungstatbestand in ihrer gesamthänderischen Bindung verwirklicht haben, zur Haftung heranzuziehen. Als Gesamtschuldner haften der Kläger und die übrigen Gesellschafter jeweils für die gesamte Schuld (vgl. § 421 BGB, § 44 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Dem Steuergläubiger steht es grundsätzlich frei, die Leistung ganz oder nur zum Teil von einem oder mehreren oder von allen Gesamtschuldnern zu fordern. Dies folgt daraus, daß die Gesamtschuldnerschaft dem FA grundsätzlich eine möglichst rasche und sichere Erhebung der Steuerschuld ermöglichen soll. Die Inanspruchnahme eines Gesamtschuldners ist nur dann ermessensfehlerhaft, wenn besondere Umstände vorliegen. Solche hat das FG jedoch nicht festgestellt. Insbesondere steht der Umstand, daß neben dem Erwerber auch der Veräußerer die Grunderwerbsteuer gemäß § 15 Nr. 1 des früheren nordrhein-westfälischen Grunderwerbsteuergesetzes (als Steuerschuldner) schuldet, einer Haftung des Klägers nicht entgegen. Zwar ist die Finanzbehörde im Rahmen des ihr zustehenden Auswahlermessens regelmäßig gehalten, zunächst beim Steuerschuldner den Steueranspruch geltend zu machen. Dies gilt aber bei der Nachversteuerung nach vorangegangener vorläufiger Freistellung des Erwerbs von der Grunderwerbsteuer insoweit nicht, als eine Inanspruchnahme des Veräußerers im Rahmen der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens nicht mehr in Betracht kommt. Dies ist zumal dann der Fall, wenn der Veräußerer von der Nacherhebung der Steuer nach vielen Jahren überrascht wird und sich nicht mehr auf eine erfolgversprechende Geltendmachung eines Rückgriffsrechts einrichten kann (vgl. BFH-Urteil vom 11. Mai 1966 II 171/63, BFHE 86, 252, BStBl III 1966, 400). Soweit deshalb das FA die Nichtinanspruchnahme des Veräußerers damit begründet, dieser habe keine Möglichkeit gehabt, die Erfüllung des Steuerbefreiungstatbestandes sicherzustellen, läßt diese Entscheidung keinen Ermessensfehler erkennen.