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  BFH-Urteil vom 13.1.1995 (VI R 82/94) BStBl. 1995 II S. 324

Es besteht in § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 EStG sowie § 4 Abs. 5 Nr. 5 EStG eine ausreichende gesetzliche Grundlage für den Abzug von Mehraufwendungen für Verpflegung als Werbungskosten oder Betriebsausgaben bei einer Auswärtstätigkeit.

EStG 1987 § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, § 3 Nr. 16, § 4 Abs. 5 Nr. 5, § 12 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. Die GmbH beschäftigte im Streitjahr 1988 zehn Monteure, die auf Großbaustellen eingesetzt waren. Der Kläger machte in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 8.330 DM als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Nach einer Bescheinigung der GmbH war der Kläger an 238 Tagen mehr als zwölf Stunden auf Baustellen beruflich unterwegs.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte in der Einspruchsentscheidung keine Mehraufwendungen des Klägers für Verpflegung.

Das Finanzgericht (FG) hob den angefochtenen Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete das FA, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in einem gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufigen Bescheid erneut zu bescheiden. Es vertrat die Auffassung, Verpflegungsmehraufwand sei ebenso wie Verpflegungsaufwand grundsätzlich privat veranlaßt und gemäß § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerlich nicht abziehbar. Es gebe keine gesetzliche Spezialvorschrift, die allein einen Werbungskosten- oder Betriebsausgabenabzug ermöglichen könnte. Entgegen der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ermöglichten Verwaltungsrichtlinien die steuerliche Abziehbarkeit nicht. Die vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) beabsichtigte Neuregelung der Abziehbarkeit von Verpflegungsmehraufwand könne nicht durch das BMF im Verwaltungsweg erfolgen, sondern bedürfe eines Gesetzes. Bis zu einer Neuregelung sei die Verwaltung gehalten, vorläufige Bescheide zu erteilen, die in § 165 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 eine ausreichende rechtliche Grundlage hätten. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 1033 veröffentlicht.

Das FA stützt seine Revision auf eine Verletzung des § 9 Abs. 1 EStG und eine Divergenz zu der Rechtsprechung des BFH, beispielsweise in den Urteilen vom 16. Dezember 1981 VI R 227/80 (BFHE 135, 57, BStBl II 1982, 302), vom 25. Oktober 1985 VI R 15/81 (BFHE 145, 181, BStBl II 1986, 200) und vom 26. Januar 1994 VI R 118/89 (BFHE 173, 174, BStBl II 1994, 529).

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Das vom FG erlassene Bescheidungsurteil ist rechtsfehlerhaft. Das FG hat es zu Unrecht unterlassen, eine abschließende Entscheidung darüber zu treffen, ob dem Kläger ein beruflich veranlaßter Mehraufwand für Verpflegung entstanden ist.

1. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz können grundsätzlich für das Streitjahr 1988 Mehraufwendungen für Verpflegung als Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 EStG) anerkannt werden, ohne daß es dazu einer weiteren gesetzlichen Regelung bedarf. Das Aufteilungsverbot des § 12 Nr. 1 EStG steht dem Abzug von Mehraufwendungen für Verpflegung als Werbungskosten oder Betriebsausgaben nicht entgegen. Dies entspricht nicht nur der ständigen Auffassung der Rechtsprechung des BFH und der Finanzverwaltung, sondern ist auch dem EStG in seiner für das Streitjahr 1988 gültigen Fassung zu entnehmen.

Bereits für das EStG 1934 vom 16. Oktober 1934 (RGBl I 1934, 1005, RStBl 1934, 1261) war anerkannt, daß § 12 Nr. 1 EStG einer Aufteilung der gesamten Aufwendungen für Verpflegung nicht entgegensteht. Nach § 19 Abs. 2 EStG gehörten nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Beträge, die den im privaten Dienst angestellten Personen für Reisekosten ausgezahlt werden, soweit sie die tatsächlichen Aufwendungen nicht übersteigen. Dazu hatte der Reichsfinanzhof - RFH - (Urteil vom 23. September 1937 IV A 6/37, RStBl 1937, 1203, Nr. 947) die Auffassung vertreten, von den vom Arbeitgeber gezahlten Reisekosten sei zum Ausgleich der im Haushalt gemachten Ersparnisse für Verpflegung ein angemessener Abschlag zu machen, soweit sie die Reisekostensätze der vergleichbaren Reichsbeamten überschritten. Denn soweit durch die Reisekostenentschädigung Ausgaben für die Lebenshaltung des Steuerpflichtigen ersetzt würden, die ihn auch ohne die Reise treffen würden, handele es sich um Einkünfte aus unselbständiger Arbeit, die dem Steuerabzug unterlägen. Damit hat der RFH unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß er den Gesamtaufwand für Verpflegung für aufteilbar gehalten hat in einen von § 12 Nr. 1 EStG erfaßten Normalaufwand und in einen beruflich (betrieblich) veranlaßten Mehraufwand, der gemäß § 19 Abs. 2 EStG nicht als Arbeitslohn zu erfassen war.

Auf diesem Gesetzesverständnis des § 12 Nr. 1 EStG beruht auch die Verwaltungsanordnung über die steuerliche Behandlung der Reisekosten vom 20. Dezember 1950 (BStBl I 1951, 59, BA Nr. 247), die die Bundesregierung unter ausdrücklichem Hinweis auf Art. 108 Abs. 6 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland mit Zustimmung des Bundesrates erlassen hat. Darin ist unter Absatz 4 bestimmt, daß Reisekosten Werbungskosten sein können, wenn sie ausschließlich der Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen dienten. Gemäß Absatz 7 i. V. m. Absatz 5 Nr. 3 sind als Werbungskosten abziehbar die ausschließlich für berufliche Zwecke entstandenen Mehraufwendungen für Verpflegung. Abziehbar sind jedoch nur die durch die Reise bedingten Mehraufwendungen. Ein Teil der gesamten Aufwendungen für Verpflegung während einer Geschäftsreise bzw. beruflich veranlaßten Reise gehört zu den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung.

Dementsprechend werden in den Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) seit 1951 als Reisekosten, die im Falle der Erstattung durch den Arbeitgeber nicht zum Arbeitslohn gehören (§ 3 Nr. 8, § 19 Abs. 2 EStG i. V. m. § 4 Abs. 1 und 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV - 1949) oder als Werbungskosten (vgl. Abschn. 21 Abs. 3 LStR 1951) abziehbar sind, stets nur die Mehraufwendungen für Verpflegung anerkannt.

Von einem derartigen Verständnis des Reisekostenbegriffes - und damit auch des Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenbegriffes - ist auch der Gesetzgeber ausgegangen, als er § 3 EStG durch Gesetz vom 18. Juli 1958 (BGBl I 1958, 473, BStBl I 1958, 412) dahin gehend änderte, daß gemäß Nr. 16 steuerfrei sind:

"die Beträge, die den im privaten Dienst angestellten Personen für Reisekosten und für dienstlich veranlaßte Umzugskosten gezahlt werden, soweit sie die durch die Reise oder den Umzug entstandenen Mehraufwendungen nicht übersteigen."

Durch das Änderungsgesetz vom 18. Juli 1958 sollten der besseren Übersicht wegen die bisher in anderen Gesetzen als Steuergesetzen sowie in Rechtsverordnungen und Verwaltungsanordnungen festgelegten Steuerbefreiungstatbestände in § 3 EStG zusammengefaßt (vgl. BTDrucks III/448, S. 9) und der Inhalt des § 19 Abs. 2 EStG nach § 3 EStG übernommen werden (vgl. BTDrucks III/260, S. 50). Der Wortlaut des neu eingefügten § 3 Nr. 16 EStG entsprach weitgehend demjenigen des bisherigen § 4 Nr. 3 LStDV 1957 (vom 13. Mai 1958, BGBl I 1958, 343, BStBl I 1958, 352). Spätestens mit dieser neu in das Gesetz aufgenommenen Steuerbefreiung hat sich der Gesetzgeber die Vorstellung sowohl des RFH als auch der Finanzverwaltung zu eigen gemacht, daß § 12 Nr. 1 EStG einer Aufteilung der Gesamtaufwendungen für Verpflegung in einen Normalaufwand (Haushaltsersparnis) und einen beruflich oder betrieblich bedingten Mehraufwand, der als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abziehbar ist, nicht verbietet.

An dieser Rechtslage hat sich auch nichts durch die Rechtsprechung des Großen Senats des BFH zur Abgrenzung der Aufwendungen für die Lebensführung zu den Erwerbsaufwendungen geändert. Der Große Senat hat in seinen Beschlüssen vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70 (BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17) und GrS 3/70 (BFHE 100, 317, BStBl II 1971, 21) und vom 27. November 1978 GrS 8/77 (BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213) erklärt, aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit an der bisherigen Rechtsprechung festhalten zu wollen, soweit diese bisher Ausnahmen von dem Aufteilungs- und Abzugsverbot zugelassen habe (Großer Senat in BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17, 20, zu Nr. 6, rechte Spalte, oben). Er hat in dem Beschluß in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213, 219 unter C IV. 2. b der Entscheidungsgründe bei einer betrieblich veranlaßten Besichtigungsreise ausdrücklich Mehraufwendungen für Verpflegung mit den in den Richtlinien für Auslandsgeschäftsreisen anerkannten Beträgen für abziehbar gehalten.

Auch in der Folgezeit ist der Gesetzgeber von einer Aufteilbarkeit der gesamten Verpflegungsaufwendungen ausgegangen. Durch das Einkommensteuerreformgesetz (EStRG) vom 5. August 1974 (BGBl I 1974, 1769, BStBl I 1974, 530) wurde in § 4 Abs. 5 Nr. 5 EStG angeordnet, daß Mehraufwendungen für Verpflegung den Gewinn nicht mindern dürfen, soweit sie die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmten Höchstbeträge übersteigen. In dem durch dasselbe Gesetz eingefügten Absatz 4 des § 9 EStG ist geregelt, daß für die Anerkennung von Mehraufwendungen für Verpflegung als Werbungskosten durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates Höchstbeträge bestimmt werden dürfen und daß diese Höchstbeträge 140 v. H. der pauschalen Tagegeldbeträge des Bundesreisekostengesetzes nicht überschreiten dürfen.

Daran, daß der Gesetzgeber die gesamten Verpflegungsaufwendungen für aufteilbar und die Mehraufwendungen für abziehbar hält, hat sich auch nichts durch die Änderung des § 4 Abs. 5 Nr. 5 EStG sowie des § 9 Abs. 4 EStG durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224) geändert. Denn danach bleiben Mehraufwendungen für Verpflegung abziehbar. Es wird lediglich eine Begrenzung auf 140 v. H. der höchsten Tagegeldbeträge des Bundesreisekostengesetzes vorgenommen.

2. Nach alledem können entgegen der Auffassung des FG Mehraufwendungen für Verpflegung als Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abgezogen werden, wenn sie beruflich veranlaßt sind. Bei der beruflichen Veranlassung eines Aufwands i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der konkretisierungsbedürftig ist. Für die Verpflegungsmehraufwendungen hat die Rechtsprechung des BFH in der Vergangenheit anerkannt, daß die in den Richtlinien der Verwaltung getroffenen Regelungen insoweit eine grundsätzlich auch von den Gerichten zu beachtende Konkretisierung des Werbungskostenbegriffs darstellen (vgl. BFH in BFHE 145, 181, BStBl II 1986, 200). Soweit der Senat nunmehr die Verwaltung zu einer Überprüfung der bisherigen Regelungen aufgefordert hat, hat er gleichzeitig betont, daß für eine angemessene Übergangszeit aus Gründen der Kontinuität grundsätzlich an den bisherigen Regelungen festzuhalten ist; davon ist lediglich dann eine Ausnahme zu machen, wenn dies unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verpflegungssituation am Arbeitsort aus Gründen der Gleichbehandlung der Arbeitnehmer untereinander geboten erscheint (vgl. Senatsurteil in BFHE 173, 174, BStBl II 1994, 529, 531).

3. Die Vorentscheidung ist von anderen Grundsätzen ausgegangen und deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird zunächst in tatsächlicher Hinsicht gemäß § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzuklären haben, wie die einzelnen Arbeitstage des Klägers abgelaufen sind. Es wird für den Fall, daß es sich bei den Fahrten des Klägers zu den einzelnen Baustellen um Dienstreisen im herkömmlichen Sinne gehandelt hat, die in dem Senatsurteil in BFHE 173, 174, BStBl II 1994, 529, 531 aufgestellten Grundsätze zu beachten haben. Danach entspricht es dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, daß ein auf Baustellen eingesetzter Arbeitnehmer, der auch am Sitz des Arbeitgebers tätig ist, grundsätzlich keinen höheren Verpflegungsmehraufwand als Werbungskosten abziehen kann als die ausschließlich auf Baustellen eingesetzten Arbeitnehmer.