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  BFH-Urteil vom 14.12.1994 (XI R 37/94) BStBl. 1995 II S. 329

Natürlichen Personen und Personengesellschaften, die im Beitrittsgebiet einen Gewerbebetrieb unterhalten, steht im 2. Halbjahr 1990 kein Freibetrag nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG zu.

GewStG DDR § 8 Nr. 6, § 11 Abs. 2; GewStG § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Leipzig (nunmehr Sächsisches FG)

Sachverhalt

I.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte gegen den Kläger und Revisionskläger (Kläger), der als Bezirksschornsteinfegermeister im Beitrittsgebiet selbständig tätig ist, die zusammengefaßte Steuerrate 1990 auf 7.875 M/DM fest. Er bezog dabei den vom Kläger im 2. Halbjahr 1990 erwirtschafteten Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 18.947 DM als Gewerbeertrag ein und setzte hiernach die Gewerbesteuer auf 3.060 DM fest.

Einspruch und Klage, mit denen sich der Kläger gegen die Gewerbesteuerpflicht wandte, blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß Handwerker in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) bis zum 30. Juni 1990 nicht der Gewerbesteuer unterlegen hätten. Das Gesetz über die Besteuerung der Handwerker vom 16. März 1966 - HdwStG DDR - (Sonderdruck Nr. 537) habe als spezielle Regelung die Anwendung des Gewerbesteuergesetzes - GewStG DDR - i. d. F. vom 18. September 1970 (Sonderdruck Nr. 672) ausgeschlossen. Mit Aufhebung des Gesetzes über die Besteuerung der Handwerker zum 1. Juli 1990 durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung steuerlicher Rechtsvorschriften bei Einführung der Währungsunion mit der Bundesrepublik Deutschland - Steueranpassungsgesetz (StAnpG DDR) - vom 22. Juni 1990 (Sonderdruck Nr. 1427) sei das Gewerbesteuergesetz und mit ihm die Gewerbesteuerpflicht der Handwerker jedoch wieder uneingeschränkt an dessen Stelle getreten. Dabei verstoße es nicht gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), wenn den hiernach gewerbesteuerpflichtigen Handwerksbetrieben - anders als vergleichbaren Betrieben in den alten Bundesländern nach Maßgabe von § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes i. d. F. bis zur Änderung durch das Steueränderungsgesetz 1992 vom 25. Februar 1992 (BStBl I 1992, 297, BStBl I 1992, 146 - GewStG -) - kein Freibetrag eingeräumt würde. Die (begrenzte) Weitergeltung des Steuerrechts der bisherigen DDR im 2. Halbjahr 1990 beruhe auf sachlichen Gründen. Es sei auch nicht gleichheitswidrig, wenn Einzelunternehmen anders als Kapitalgesellschaften behandelt würden, die nach § 4 b des Einkommensteuergesetzes (EStG DDR) vom 18. September 1970 (GBl-Sonderdruck Nr. 670) i. d. F. des Steueranpassungsgesetzes Vergütungen an ihre Aktionäre oder Gesellschafter bei der Ermittlung des Einkommens als Betriebsausgaben abziehen könnten. Zum einen bestimme § 8 Nr. 6 GewStG DDR, daß derartige Vergütungen dem Gewinn aus Gewerbebetrieb bei der Ermittlung des Gewerbeertrages wieder hinzuzurechnen seien. Zum anderen seien Einzelunternehmen und Kapitalgesellschaften aufgrund ihrer unterschiedlichen Rechtsform nicht vergleichbar, so daß ein Verfassungsverstoß auch dann nicht gegeben sei, wenn § 8 Nr. 6 GewStG DDR wegen dessen Verfassungswidrigkeit nicht angewendet werden könne.

Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.

Er beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Steuerrate für 1990 ohne Berücksichtigung der Gewerbesteuer festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

1. Art. 8 des Einigungsvertrages i. V. m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 bestimmt, daß das Recht der Besitz- und Verkehrsteuern der ehemaligen DDR und damit auch das Gewerbesteuergesetz der DDR auf den Veranlagungszeitraum 1990 weiter anzuwenden ist. Nach Satz 1 der genannten Vorschrift im Einigungsvertrag trat das Recht der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) u. a. auf dem Gebiet des Rechts der Besitz- und Verkehrsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer (erst) am 1. Januar 1991 in Kraft. Für die Steuern, die vor dem 1. Januar 1991 entstanden, war nach Satz 2 der Regelung das bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet geltende Recht weiter anzuwenden. Diese bundesgesetzliche Anordnung der (befristeten) Weiteranwendung des Steuerrechts der DDR ist als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. B. I. 1. des Senatsurteils vom 15. März 1994 XI R 10/93, BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813, m. w. N.).

Das danach im Streitfall maßgebliche Steuerrecht der DDR ist revisibles Recht i. S. des § 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), das vom erkennenden Senat überprüft werden kann. Es handelt sich um partielles (partikulares) Bundesrecht. Die (befristete) Weiteranwendung des Steuerrechts der DDR beruht auf einer Anordnung des Gesetzgebers des Bundes. Die entsprechenden Regelungen der DDR sind ihm daher zuzurechnen. Sie sind revisionsrechtlich nicht - wie vor dem Beitritt - analog ausländischem Recht zu behandeln, sondern wie partielles Bundesrecht. Als solches sind die Regelungen auf Inhalt und Anwendbarkeit und auch auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu überprüfen, unabhängig davon, ob der Besteuerungstatbestand vor oder nach dem Beitritt erfüllt worden ist. Der erkennende Senat verweist auch insoweit auf sein Urteil in BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813, m. w. N.).

2. Wie sich aus dem zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehenen Senatsurteil vom 15. September 1994 XI R 20/93 ergibt, unterliegen im Beitrittsgebiet unterhaltene Handwerksbetriebe im 2. Halbjahr des Jahres 1990 der Gewerbesteuer. Die Steuer ist vom 1. Juli 1990 an zu erheben. Auf das vorgenannte Urteil wird Bezug genommen (s. auch zur gleichgelagerten Problematik bei Kommissionshandelsbetrieben Senatsurteil in BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813).

3. Es verstößt nicht gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, daß Kapitalgesellschaften - anders als natürliche Personen und Personengesellschaften - ihren Gewinn zum Zwecke der Gewerbesteuerberechnung nach § 4 b EStG DDR 1990 um die Vergütungen an Aktionäre und Gesellschafter kürzen können. Von einem solchen Verstoß ist auch dann nicht auszugehen, wenn die Vorschrift des § 8 Nr. 6 GewStG DDR, wonach die genannten Vergütungen dem Gewinn hinzuzurechnen sind und damit der Abzug der Vergütungen bei der Ermittlung des Gewerbeertrages im Ergebnis rückgängig gemacht wird, ihrerseits gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen sollte (s. - zu § 8 Nr. 6 GewStG 1936 - Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Urteil vom 24. Januar 1962 1 BvR 845/58, BVerfGE 13, 331, BStBl I 1962, 500); § 8 Nr. 6 GewStG DDR wäre dann nicht anzuwenden (so die Finanzverwaltung, vgl. Erlaß vom 9. September 1991, Steuererlasse in Karteiform, Gewerbesteuergesetz, Vor § 1 Nr. 4; zur Verfassungswidrigkeit von Regelungen des Gewerbesteuergesetzes 1936 i. d. F. der Bekanntmachung des Gewerbesteuergesetzes der DDR s. das zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehene Senatsurteil vom 15. September 1994 XI R 20/93 sowie das Senatsurteil vom 15. September 1994 XI R 44/93, nicht veröffentlicht). Einzelunternehmen (ebenso wie Personengesellschaften) und Kapitalgesellschaften sind aufgrund ihrer Rechtsform und den sich daraus ergebenden rechtlichen Unterschieden nicht vergleichbar. Der Gesetzgeber ist auch bei der Gewerbesteuer nicht zu einer Gleichbehandlung dieser Gesellschaftsformen verpflichtet (BVerfG-Urteil in BVerfGE 13, 331, 339; Beschluß vom 18. Juni 1975 1 BvR 528/72, BVerfGE 40, 109, 117). Es ist deshalb nicht zu beanstanden, daß Personengesellschaften und natürlichen Personen nach dem Gewerbesteuergesetz der DDR - abweichend von § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG - kein Freibetrag zum Ausgleich für die Nichtabzugsfähigkeit der Geschäftsführergehälter und des "Unternehmerlohns" eingeräumt wird (vgl. auch BVerfG-Beschluß vom 25. Oktober 1977 1 BvR 15/75, BVerfGE 46, 224, 237; zu den gesetzgeberischen Motiven für die Gewährung des Freibetrages nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG vgl. z. B. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., § 21 II 6 b dd und § 21 III 2; Rendels, Deutsches Steuerrecht 1988, 234, sowie BTDrucks 8/3243, S. 8). Im übrigen stehen bei der Berechnung der Gewerbesteuer nur natürlichen Personen und Personengesellschaften, nicht aber Kapitalgesellschaften die nach der Höhe des Gewerbeertrages gestaffelten Steuermeßzahlen nach Maßgabe von § 11 Abs. 2 Nr. 1 GewStG DDR anstelle der Regelsteuermeßzahl gemäß Abs. 2 Nr. 2 der Vorschrift zu. Umgekehrt standen natürlichen Personen und Personengesellschaften im alten Bundesgebiet, denen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG der Freibetrag gewährt wird, im Erhebungszeitraum 1990 anders als natürlichen Personen und Personengesellschaften im Beitrittsgebiet keine gestaffelten Steuermeßzahlen zu (vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 1 GewStG). Die gewerbesteuerlichen Vergünstigungen und Benachteiligungen der verschiedenen Gesellschaftsformen gleichen sich in gewisser Weise hier wie dort also aus (s. insoweit auch BVerfG-Beschluß in BVerfGE 40, 109, 117). Eine entsprechende Anwendung des § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG auf Gewerbebetriebe, die von natürlichen Personen und Personengesellschaften im Beitrittsgebiet unterhalten werden, ist für den Erhebungszeitraum 1990 nicht geboten (ebenso FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 9. März 1993 1 K 111/92 SR, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1993, 396; Thüringer FG, Urteil vom 7. April 1993 II K 32/92, EFG 1993, 684; Lenski/Steinberg, Kommentar zum Gewerbesteuergesetz, 7. Aufl., § 11 Rdnr. 4; Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, 3. Aufl., § 11 Rdnr. 3 a; Blümich/Gosch, Gewerbesteuergesetz, 14. Aufl., § 11 Rdnr. 18 a; Anmerkung in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1994, 613).