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  BFH-Urteil vom 7.2.1995 (X R 3/93) BStBl. 1995 II S. 357

Die Bekanntgabe eines Feststellungsbescheides an einen Empfangsbevollmächtigten i. S. des § 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung zu § 180 Abs. 2 AO 1977 ist auch gegenüber einem aus der Bauherrengemeinschaft ausgeschiedenen Feststellungsbeteiligten wirksam, solange dieser die Vollmacht nicht gegenüber der für die Feststellung zuständigen Finanzbehörde widerrufen hat.

AO 1977 §§ 180 Abs. 2, 183; Verordnung zu § 180 Abs. 2 AO 1977 § 6.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte im Rahmen seiner Beteiligung an einer Bauherrengemeinschaft im November 1983 einen Treuhandvertrag mit einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft (im folgenden: Treuhänderin) geschlossen, wonach diese ihn u. a. gegenüber den Finanzbehörden bei der Entgegennahme von Verwaltungsakten, insbesondere auch von Feststellungsbescheiden zu vertreten hatte, und zwar auch nach Beendigung des Treuhandvertrages. Im Jahre 1984 schied der Kläger aus der Bauherrengemeinschaft aus und kündigte den Treuhandvertrag.

Nachdem das für die Bauherrengemeinschaft zuständige Finanzamt K für das Jahr 1984 (Streitjahr) im Dezember 1985 zunächst einen unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellten Feststellungsbescheid mit einem auf den Kläger entfallenden Werbungskostenüberschuß von 10.835,43 DM erlassen hatte, stellte es nach einer bei der Bauherrengemeinschaft durchgeführten Außenprüfung im April 1990 die Einkünfte des Klägers aus seiner Beteiligung im Streitjahr gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung zu § 180 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 - (im folgenden: Verordnung) in Höhe eines Überschusses von 14.593 DM fest. Der Feststellungsbescheid wurde der Treuhänderin als Empfangsbevollmächtigten bekanntgegeben.

Aufgrund des geänderten Feststellungsbescheides änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage, mit der der Kläger geltend machte, der geänderte Feststellungsbescheid sei ihm gegenüber infolge erloschener Vollmacht der Treuhänderin nicht wirksam bekanntgegeben worden, wies das Finanzgericht (FG) ab. Da der Kläger die der Treuhänderin erteilte Empfangsvollmacht dem Finanzamt K gegenüber nicht widerrufen habe, sei der geänderte Feststellungsbescheid wirksam bekanntgegeben worden.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von Bundesrecht. Der geänderte Feststellungsbescheid sei nicht wirksam bekanntgegeben worden, da die Empfangsvollmacht der Treuhänderin infolge der Kündigung des Treuhandvertrages erloschen und dieser Umstand dem Finanzamt K auch bekannt gewesen sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung den geänderten Einkommensteuerbescheid 1984 vom 16. Juli 1990 und die Einspruchsentscheidung vom 21. Februar 1991 insoweit aufzuheben, soweit sie das Streitjahr 1984 betrifft.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß der der Treuhänderin bekanntgegebene, geänderte Feststellungsbescheid dem Kläger gegenüber wirksam geworden ist.

1. Die Bekanntgabe einer gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 2 AO 1977 in Verbindung mit der hierzu erlassenen Verordnung richtet sich nach den besonderen Bekanntgaberegelungen in § 6 der Verordnung (Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 183 AO, Rz. 14), die auf das noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren zur Feststellung der Einkünfte des Klägers aus dem Streitjahr anzuwenden ist (vgl. Senatsurteil vom 1. Dezember 1987 IX R 90/86, BFHE 152, 17, BStBl II 1988, 319).

§ 6 der Verordnung ist § 183 AO 1977 nachgebildet (vgl. BRDrucks 493/86, S. 10). Nach § 183 Abs. 3 AO 1977, der durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735) eingefügt worden ist, können Feststellungsbescheide an einen von den Beteiligten bestellten Empfangsbevollmächtigten wirksam bekanntgegeben werden, soweit und solange ein Beteiligter oder der Empfangsbevollmächtigte nicht widersprochen hat. Dies gilt nach Satz 1 der Vorschrift ausdrücklich auch dann, wenn die Finanzbehörde Kenntnis davon hat, daß ein Beteiligter aus der Gesellschaft oder Gemeinschaft ausgeschieden ist, oder daß zwischen den Beteiligten ernstliche Meinungsverschiedenheiten bestehen (Söhn, a. a. O., § 183 AO Rz. 90; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 183 AO Tz. 17). Ein Widerruf der Empfangsvollmacht wird der Finanzbehörde gegenüber erst wirksam, wenn er dieser zugeht (§ 183 Abs. 3 Satz 2 AO 1977).

Dasselbe gilt für eine Bekanntgabe nach § 6 der Verordnung. Auch hier wird das Fortbestehen einer rechtsgeschäftlich begründeten Empfangsvollmacht bis zu ihrem Widerruf gegenüber der Behörde fingiert; entsprechend der gleichlautenden Regelung in § 183 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 wird nämlich auch gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung der Widerruf einer Empfangsvollmacht der Finanzbehörde gegenüber erst wirksam, wenn er ihr zugeht. Dementsprechend ist anerkannt, daß auch im Anwendungsbereich der Verordnung eine Bekanntgabe an den Empfangsbevollmächtigten gegenüber einem inzwischen ausgeschiedenen Feststellungsbeteiligten grundsätzlich wirksam ist, soweit und solange der Beteiligte oder der Empfangsbevollmächtigte nicht widersprochen hat (Söhn, a. a. O., § 180 AO Rz. 391; Tipke/Kruse, a. a. O., § 180 AO Tz. 49; vgl. auch Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 5. Dezember 1990, BStBl I 1990, 764, Tz. 7.5).

Der Widerruf einer Empfangsvollmacht gegenüber der Finanzbehörde ist nicht an eine bestimmte Form gebunden, er kann schriftlich oder auch mündlich erfolgen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Oktober 1960 IV 302/59 U, BFHE 71, 745, BStBl III 1960, 526). Widerrufen werden kann sowohl ausdrücklich als auch durch schlüssiges Handeln; so kann in der Mitteilung des Ausscheidens aus einer Gesellschaft ein inzidenter Widerruf einer Empfangsvollmacht liegen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1978 IV R 221/75, BFHE 127, 126, BStBl II 1979, 503). Allerdings muß aus Gründen der Rechtssicherheit ein Widerruf gegenüber der Finanzbehörde hinreichend bestimmt und erkennbar zum Ausdruck gebracht werden.

2. Nach diesen Grundsätzen ist mangels einer entsprechenden Mitteilung des Klägers an das zuständige Finanzamt K von einem Fortbestehen der Empfangsvollmacht der Treuhänderin auszugehen, so daß die Bekanntgabe des geänderten Feststellungsbescheides an diese dem Kläger gegenüber wirksam war.

Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es nicht darauf an, ob der Finanzbehörde bekannt war, daß er aus der Bauherrengemeinschaft ausgeschieden war und den Treuhandvertrag gekündigt hatte. § 6 Abs. 1 der Verordnung geht - ebenso wie § 183 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 - selbst im Falle eines der Finanzbehörde bekanntgewordenen Ausscheidens eines Feststellungsbeteiligten aus der Gemeinschaft von dem Fortbestehen einer Empfangsvollmacht aus, solange diese nicht gegenüber der Behörde widerrufen worden ist. Im Streitfall kommt noch die Besonderheit dazu, daß das Finanzamt K nicht ohne weiteres annehmen konnte, mit der Kündigung des Treuhandvertrages sei zugleich auch die Empfangsvollmacht der Treuhänderin erloschen; denn nach § 1 Nr. 2 Buchst. j des Treuhandvertrages sollte die Treuhänderin den Kläger bei der Entgegennahme von Verwaltungsakten der Finanzbehörden auch nach der Beendigung des Treuhandvertrages vertreten, ohne daß darauf abgestellt wurde, aus welchem Grunde das Treuhandverhältnis beendet werden würde. Bei dieser Sachlage hätte der Kläger aus Gründen der Rechtssicherheit die der Treuhänderin erteilte Empfangsvollmacht gegenüber dem Finanzamt K widerrufen müssen.