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  BFH-Urteil vom 25.1.1995 (X R 76-77/92) BStBl. 1995 II S. 388

Veräußert ein gewerblicher Grundstückshändler seinen gesamten Grundstücksbestand (Umlaufvermögen) an einen oder zwei Erwerber, ist ein laufender Gewinn - kein Veräußerungs- oder Aufgabegewinn - gegeben. Ein solcher Gewinn ist weder einkommensteuerrechtlich nach den §§ 16, 34 EStG begünstigt noch gewerbesteuerrechtlich von der Gewerbeertragsteuer freigestellt (Anschluß an BFH-Urteil vom 9. September 1993 IV R 30/92, BFHE 172, 344, BStBl II 1994, 105).

EStG § 16, § 34; GewStG § 7.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer 1983 zusammenveranlagt werden. Die Klägerin betrieb bis zum Streitjahr 1983 einen gewerblichen Grundstückshandel in Z. Zu ihrem Betriebsvermögen gehörten zuletzt 5 Grundstücke, darunter die Grundstücke L-Weg, B-Platz und R-Straße.

Mit notariellem Vertrag vom 31. August 1983 veräußerte sie diese Grundstücke an die G-GmbH. Von dem Kaufpreis von insgesamt 8.530.000 DM entfielen anteilig auf das Grundstück L-Weg 100.000 DM, auf das Grundstück B-Platz 4.500.000 DM und auf das Grundstück R-Straße 3.500.000 DM. Von dem Grundstück L-Weg war eine Parzelle von der Veräußerung ausgenommen, die die Klägerin - ebenfalls am 31. August 1983 - in das Privatvermögen überführte (Wert 41.000 DM). Die Geschäftsräume gab die Klägerin auf. Die Büroeinrichtung, die im wesentlichen aus einer Schrankwand bestand, veräußerte sie am 31. August 1983 ebenfalls an die G-GmbH für 5.000 DM.

Die G-GmbH veräußerte die Schrankwand noch am 31. August 1983 an den Kläger (wiederum für 5.000 DM) und das Grundstück B-Platz am 1. September 1983 für 4.517.000 DM an die BGB-Gesellschaft B-Platz (GbR). An der G-GmbH waren zu je 25% beteiligt: der Kläger, die Klägerin, der minderjährige Sohn der Kläger und der Bruder des Klägers. Gesellschafter der GbR waren der Kläger zu 25% und im übrigen 3 familienfremde Gesellschafter.

Der Gewinn aus der Veräußerung der Grundstücke und der Schrankwand an die G-GmbH betrug 2.719.441 DM. Die Kläger sind der Auffassung, dieser Gewinn sei tarifbegünstigt nach §§ 16, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und unterliege nicht der Gewerbesteuer.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm hingegen nach einer Betriebsprüfung an, daß ein laufender Gewinn gegeben sei, der auch von der Gewerbesteuer erfaßt werde. Es ergingen auf dieser Grundlage Änderungsbescheide. Nicht berücksichtigt wurde eine während der Betriebsprüfung geltend gemachte Kaufpreisminderung. Die Einsprüche hatten im Streitpunkt nur insoweit Erfolg, als der Gewinn aus der Veräußerung der Büroeinrichtung (5.000 DM) als steuerfreier Veräußerungsgewinn gemäß § 16 Abs. 4 EStG, § 7 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) angesehen wurde.

Das Finanzgericht (FG) gab den Klagen im wesentlichen statt. Es hielt die Kaufpreisminderung für ungerechtfertigt, nahm aber einen Veräußerungsgewinn nach § 16 EStG an. Es legte dar: Die Voraussetzungen der §§ 16, 34 EStG seien gegeben. Die Klägerin habe mit dem Vertrag vom 31. August 1983 ihr Einzelunternehmen als Ganzes an die G-GmbH veräußert (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Selbst wenn man als die nach § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) angemessene Gestaltung eine unmittelbare Veräußerung des Grundstücks B-Platz an die GbR sehe, bleibe § 16 EStG anwendbar; es sei dann eine Betriebsaufgabe anzunehmen (§ 16 Abs. 3 EStG). Der Vertrag vom 31. August 1983 sei im übrigen nicht zu beanstanden. Die Grundstückskaufpreise entsprächen den Verkehrswerten. Daß die Veräußerung Umlaufvermögen betreffe, sei unerheblich. § 16 EStG schließe die Veräußerung von Umlaufvermögen nicht von der Begünstigung aus. Die Vorschrift greife nur dann nicht ein, wenn die Umlaufgüter noch im laufenden Betrieb an den bisherigen Kundenkreis abgegeben würden. Die Abnehmer - die G-GmbH und ggf. die GbR - hätten jedoch auf "der gleichen Handelsstufe wie die Klägerin gestanden, da sie im gewerblichen Grundstückshandel und damit als Konkurrenten tätig" gewesen seien.

Das FA rügt mit den Revisionen die Verletzung der §§ 15, 16 EStG und des § 7 GewStG: Die Veräußerung von Umlaufvermögen sei, auch wenn sie im Zusammenhang mit einer Betriebsveräußerung oder -aufgabe stehe, nach der Rechtsprechung nicht begünstigt, wenn sie im laufenden Betrieb im Rahmen normaler Geschäftstätigkeit stattfinde. Die normale Tätigkeit eines Grundstückshändlers bestehe darin, Grundstücke mit oder ohne aufstehende Baulichkeiten anzukaufen und zu veräußern. So sei die Klägerin verfahren. Eine Veräußerung an "Letztverbraucher" (endgültige Nutzer der Grundstücke) sei nicht erforderlich. Dies gelte um so mehr, wenn wie im Streitfall die Grundstücke für Bauherrenprojekte vorgesehen seien. Auf dem Grundstück B-Platz seien anschließend 145 Wohneinheiten und auf dem Grundstück R-Straße 42 Wohneinheiten erstellt worden.

Das FA beantragt, die Vorentscheidungen aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revisionen, die der Senat zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat (§ 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Abweisung der Klagen.

Die Gewinne aus der Veräußerung der Grundstücke an die G-GmbH sind laufende Gewinne i. S. des § 15 EStG und des § 7 GewStG. Entgegen der Annahme des FG lassen sie sich selbst dann nicht zu einem Veräußerungsgewinn i. S. des § 16 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG zusammenfassen, wenn unterstellt wird, daß die Klägerin sämtliche wesentlichen Betriebsgrundlagen mit dem Vertrag vom 31. August 1983 an nur einen Erwerber, die G-GmbH, veräußert hat. Gleiches gilt, wenn man davon ausgeht, daß das Grundstück B-Platz nach dem wirklichen rechtsgeschäftlichen Willen der Vertragschließenden unmittelbar an die GbR veräußert wurde. Auch die Veräußerung der Grundstücke an zwei Erwerber könnte nicht zu einem Aufgabevorgang i. S. des § 16 Abs. 3 Satz 2, Abs. 2 EStG zusammengefaßt werden. Eine tarifbegünstigte Besteuerung nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG scheidet aus. Auch können die Gewinne nicht nach den Grundsätzen zur Ermittlung des Gewerbeertrags (u. a. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Februar 1990 I R 92/86, BFHE 160, 262, 264, BStBl II 1990, 699) außer Ansatz gelassen werden.

Die Klägerin hat allerdings - soweit ersichtlich - ihre Tätigkeit als gewerbliche Grundstückshändlerin am 31. August 1983 eingestellt. Sie gab ihr Büro auf und veräußerte die wenigen Anlagegegenstände ihres Betriebs (Büroeinrichtung). Den aus der Veräußerung der Schrankwand realisierten Gewinn von 5.000 DM hat das FA zu Recht als Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn gemäß § 16 Abs. 2 EStG beurteilt und ihn gemäß § 16 Abs. 4 EStG von der Einkommensteuer und gemäß § 7 GewStG von der Gewerbesteuer freigestellt. Die weiteren Veräußerungen sind nicht dem Betriebsveräußerungs- bzw. Betriebsaufgabevorgang zuzurechnen.

Veräußerungsgeschäfte im Zusammenhang mit der Betriebsveräußerung bzw. -aufgabe sind nicht in jedem Fall dem § 16 EStG zuzuordnen. Die Begünstigung setzt voraus, daß die weiteren Veräußerungen - wie § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG aussagt - "im Rahmen" der Betriebsveräußerung bzw. -aufgabe stattfinden (Reiß in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 16 Rdnr. E 65; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 16 EStG Anm. 262, 438). Es muß nach den objektiven Gegebenheiten eine Abgrenzung von den laufenden Geschäftsvorfällen möglich sein. Nur dann ist die Tarifvergünstigung gerechtfertigt.

So ist der Gewinn aus einem Räumungsverkauf von Waren und Erzeugnissen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Betriebsaufgabe als nichtbegünstigter laufender Gewinn anzusehen; die Umlaufgüter werden noch im Zuge der normalen Geschäftstätigkeit an den bisherigen Abnehmerkreis veräußert (BFH-Urteile vom 25. Juni 1970 IV 350/64, BFHE 99, 479, BStBl II 1970, 719; vom 29. November 1988 VIII R 316/82, BFHE 156, 408, BStBl II 1989, 602; vom 14. November 1990 X R 145/87, BFH/NV 1991, 373). Insbesondere für die Veräußerung von dem Umlaufvermögen zuzuordnendem Grundbesitz anläßlich der Aufgabe eines gewerblichen Grundstückshandels werden laufende Gewinne angenommen, wenn mit dem Grundbesitz noch entsprechend dem bisherigen Geschäftszweck verfahren wird - Betriebsaufgabe erst nach der Veräußerung des letzten Grundstücks - (BFH-Urteile vom 15. Dezember 1971 I R 49/70, BFHE 104, 178, 181, BStBl II 1972, 291; vom 29. September 1976 I R 170/74, BFHE 120, 220, BStBl II 1977, 71; vom 23. Juni 1977 IV R 81/73, BFHE 122, 505, 509, BStBl II 1977, 721; vom 20. August 1986 I R 148/83, BFH/NV 1987, 646, 648; vom 30. April 1987 IV R 72-73/84, BFH/NV 1988, 28, 29; vom 28. Januar 1988 IV R 2/85, BFH/NV 1989, 580, 584; vom 3. März 1988 IV R 212/85, BFH/NV 1988, 558; vom 18. August 1992 VIII R 22/91, BFH/NV 1993, 225). Schließlich hat der IV. Senat des BFH in einem dem Streitfall vergleichbaren Fall ausgesprochen, daß regelmäßig selbst dann kein begünstigter Betriebsveräußerungsgewinn vorliegt, wenn im zeitlichen Zusammenhang mit der Aufgabe eines gewerblichen Grundstückshandels die bisher nicht verkauften Eigentumswohnungen insgesamt an einen Abnehmer veräußert werden (Urteil vom 9. September 1993 IV R 30/92, BFHE 172, 344, BStBl II 1994, 105).

Die Kläger weisen freilich zutreffend darauf hin, daß die Veräußerung von Umlaufvermögen nicht schlechthin von der Begünstigung des § 16 EStG ausgeschlossen ist. Werden z. B. anläßlich einer Betriebsaufgabe Waren und Erzeugnisbestände nicht an die Kunden des bisherigen Abnehmerkreises, sondern an Abnehmer der gleichen Handelsstufe oder an die bisherigen Handelsvertreter veräußert, kann § 16 EStG eingreifen (BFH-Urteile vom 2. Juli 1981 IV R 136/79, BFHE 134, 23, BStBl II 1981, 798; vom 1. Dezember 1988 IV R 140/86, BFHE 155, 341, BStBl II 1989, 368; s. bereits BFHE 99, 479, 481, BStBl II 1970, 719). Diese Abgrenzungsmerkmale lassen sich jedoch nicht auf den gewerblichen Grundstückshandel übertragen, weil hier im Regelfall kein bestimmter Abnehmerkreis vorhanden ist. Die Abnehmer der wenigen, verhältnismäßig teuren Vorratsgüter müssen individuell gesucht und geworben werden. Zu Recht hat daher der IV. Senat die Unterscheidung zwischen dem Verkauf von Grundstücken an Wiederverkäufer einerseits und Endabnehmer andererseits als "nicht signifikant" bezeichnet (BFHE 172, 344, BStBl II 1994, 105 unter 2. e). Anders als bei einer Veräußerung beweglicher Waren und Erzeugnisse sind Handelsstufen nicht ersichtlich. Es gibt gewerbliche Grundstückshändler, die von dem Erwerb der Grundstücke, deren Baureifmachung und Bebauung (Modernisierung) bis hin zur Veräußerung der Grundstücke im ganzen oder in Teilflächen oder Wohneinheiten an Endabnehmer sämtliche Phasen in ihrer Person vereinigen. Nicht selten ist andererseits auch die Zwischenschaltung von Großabnehmern in unterschiedlichen Stadien. Bei Bauherrengemeinschaften treten sogar die Endabnehmer wie Großabnehmer auf.

Im Streitfall ist danach unerheblich, daß die Gewinne aus der Veräußerung der am 31. August 1983 vorhandenen Grundstücke an einen oder zwei Erwerber stammen. Entgegen der Auffassung der Kläger läßt sich der Grundstückshandel der Klägerin keiner Handelsstufe zuordnen. Der gewerbliche Grundstückshandel kennt keine Handelsstufen und Abnehmer unterschiedlicher Qualität. Dies zeigt im Streitfall sinnfällig auch der Umstand, daß die Klägerin gegenüber der GmbH eine Vergütung nach Verkehrswerten durchsetzen konnte. Wäre die GmbH bzw. die GbR entsprechend der Vorstellung des FG als Gesamterwerber des auf gleicher Handelsstufe konkurrierenden Unternehmens der Klägerin aufzufassen, wären der Klägerin nach Teilwertgesichtspunkten allenfalls die Wiederbeschaffungskosten bewilligt worden.

Der IV. Senat hat allerdings in dem Urteil in BFHE 172, 344, BStBl II 1994, 105 auch ausgeführt, daß der Gesamterwerber der restlichen Wohnungen als Wiederverkäufer nicht auf derselben Handelsstufe wie der veräußernde Grundstückshändler gestanden habe; dieser sei infolge umfangreicher Baumaßnahmen "Hersteller", jener hingegen nur Wiederverkäufer gewesen. Der Senat faßt diese Äußerungen des IV. Senats als eine zusätzliche Erwägung auf, die die Entscheidung auch bei Unterstellung einer Marktstufenthese im Bereich des gewerblichen Grundstückshandels tragen würde. Die Haupterwägung des IV. Senats, daß eine Unterscheidung zwischen Wiederverkäufern und Endabnehmern nicht signifikant ist, wird hiervon nicht berührt. Eine Abweichung von dem Urteil des IV. Senats ist sonach zu verneinen.

Der Senat weicht ferner nicht von dem BFH-Urteil vom 21. November 1989 VIII R 19/85 (BFH/NV 1990, 625) ab. Der VIII. Senat hat in diesem Urteil die Veräußerung eines einzelnen Grundstücks (Umlaufvermögen) durch eine KG der Betriebsaufgabe der KG zugerechnet, weil der Gesellschaftszweck eine Weiterveräußerung nur nach Bebauung vorsah und das aufstehende Gebäude entgegen der ursprünglichen Planung weder renoviert noch in Wohnungseigentum aufgeteilt worden war. Der VIII. Senat selbst hat diesen Sachverhalt in einer späteren Entscheidung als atypisch bezeichnet (BFH/NV 1993, 225). Eine Vergleichbarkeit mit dem Sachverhalt des Streitfalls ist nicht gegeben.

Die Kläger sind im Revisionsverfahren nicht mehr auf ihr Vorbringen zurückgekommen, daß sich der Kaufpreis für das Grundstück R-Straße nachträglich gemindert habe und insoweit der Veräußerungsgewinn schon im Streitjahr herabzusetzen sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob die eine solche Herabsetzung ablehnende Entscheidung des FG mit den Beschlüssen des Großen Senats vom 19. Juli 1993 GrS 1/92 und GrS 2/92 (BFHE 172, 80 und 66, BStBl II 1993, 894 und 897) vereinbar ist. Der Große Senat hat eine Rückwirkung von nachträglichen kaufpreismindernden Ereignissen lediglich für die Fälle eines Veräußerungsgewinns i. S. des § 16 Abs. 1 und 2 EStG bejaht. Im Streitfall ist jedoch entgegen der Annahme des FG kein Veräußerungsgewinn, sondern laufender Gewinn angefallen. Die geltend gemachte Kaufpreisminderung könnte daher erst im Jahr der Kaufpreisminderung berücksichtigt werden.

Die Vorentscheidungen sind aufzuheben. Die Sachen sind spruchreif. Der Senat weist die Klagen ab.