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  BFH-Urteil vom 7.3.1995 (XI R 69/93) BStBl. 1995 II S. 521

Personengesellschaften, die im Beitrittsgebiet eine Land- und Forstwirtschaft betreiben, unterfallen im 2. Halbjahr 1990 der Umsatzbesteuerung nach Durchschnittsätzen nach Maßgabe des § 24 UStG DDR 1990. Der Umsatzbesteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des Gesetzes unterfallen sie nur dann, wenn sie einen Gewerbebetrieb unterhalten (§ 24 Abs. 2 Satz 3 UStG DDR 1990).

UStG DDR 1990 § 24 Abs. 2 Satz 3; UStG 1980 § 24 Abs. 2 Satz 3.

Vorinstanz: BezG Erfurt (nunmehr Thüringer FG)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) - eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) - betreibt seit dem 1. August 1990 eine Landwirtschaft in den neuen Bundesländern. Mit ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung III/1990 erklärte sie einen Vorsteuerüberschuß von ... DM. Sie war der Auffassung, im 2. Halbjahr 1990 als Personengesellschaft nach § 24 Abs. 2 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes der Deutschen Demokratischen Republik (UStG DDR 1990) vom 22. Juni 1990 (Gesetzblatt - GBl - Sonderdruck Nr. 1432) der Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften dieses Gesetzes zu unterfallen, nicht aber den Sonderregelungen für die Umsätze der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe (§ 24 Abs. 1 bis 3 UStG DDR 1990). Eines Verzichts auf die Durchschnittsbesteuerung nach § 24 Abs. 4 UStG DDR 1990 habe es deshalb nicht bedurft; ein solcher sei auch nicht erklärt worden. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folgte dem nicht. Er vertrat die Ansicht, § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG DDR 1990 sei trotz seines abweichenden Wortlautes ebenso zu verstehen wie § 24 Abs. 2 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG 1980). Der Regelbesteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes der DDR unterfielen folglich nur Gewerbebetriebe kraft Rechtsform, nicht aber Personengesellschaften, die eine land- und forstwirtschaftliche Tätigkeit ausübten. Dementsprechend setzte das FA die Umsatzsteuer-Vorauszahlung III/1990 auf 0 DM fest.

Der hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das seinerzeit zuständige Bezirksgericht (BezG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 616 wiedergegebenen Gründen statt.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG DDR 1990.

Es beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Vorinstanz ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß Personengesellschaften, die ausschließlich eine land- und forstwirtschaftliche Tätigkeit ausüben, im 2. Halbjahr 1990 der Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes 1990 der DDR unterfallen.

1. Art. 8 des Vertrages vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) i.V.m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 bestimmt, daß das Recht der Besitz- und Verkehrsteuern der ehemaligen DDR und damit auch das Umsatzsteuergesetz der DDR auf den Veranlagungszeitraum 1990 weiter anzuwenden ist. Nach Satz 1 der genannten Vorschrift im Einigungsvertrag trat das Recht der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) u.a. auf dem Gebiet des Rechts der Besitz- und Verkehrsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer (erst) am 1. Januar 1991 in Kraft. Für die Steuern, die vor dem 1. Januar 1991 entstanden, war nach Satz 2 der Regelung das bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet geltende Recht weiter anzuwenden. Diese bundesgesetzliche Anordnung der (befristeten) Weiteranwendung des Steuerrechts der DDR ist als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. zur insoweit gleichgelagerten Rechtslage bei der Grunderwerbsteuer Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Mai 1993 II R 29/92, BFHE 171, 351, BStBl II 1993, 630, und II R 71/92, BFHE 171, 361, BStBl II 1993, 633; vom 9. Juni 1993 II R 69/92, BFHE 171, 365, BStBl II 1993, 682, und bei der Gewerbesteuer Senatsurteil vom 15. März 1994 XI R 10/93, BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813; s. auch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 19. Dezember 1991 2 BvR 1591/90, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz 1990 Allg., Rechtsspruch 130; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 14. Oktober 1992 VIII ZR 91/91 (KG), Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1993, 259). Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vorgenannten Entscheidungen Bezug.

2. Das danach im Streitfall maßgebliche Steuerrecht der DDR ist revisibles Recht i.S. des § 118 Abs. 1 FGO, das vom erkennenden Senat überprüft werden kann. Es handelt sich um partielles (partikulares) Bundesrecht. Die (befristete) Weiteranwendung des Steuerrechts der DDR beruht auf einer Anordnung des Gesetzgebers des Bundes. Die entsprechenden Regelungen der DDR sind ihm daher zuzurechnen. Sie sind revisionsrechtlich nicht - wie vor dem Beitritt - analog ausländischem Recht zu behandeln, sondern wie partielles Bundesrecht. Als solches sind die Regelungen auch auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz inhaltlich zu überprüfen. Der erkennende Senat verweist auch insoweit auf die vorerwähnten Urteile des BFH in BFHE 171, 351, BStBl II 1993, 630; BFHE 171, 361, BStBl II 1993, 633; BFHE 171, 365, BStBl II 1993, 682 und in BFHE 174, 241, BStBl II 1994, 813.

3. Umsätze land- und forstwirtschaftlicher Betriebe im Beitrittsgebiet sind damit im 2. Halbjahr 1990 nach Maßgabe des § 24 Abs. 1 bis 3 UStG DDR 1990 nach Durchschnittsätzen und nicht nach den allgemeinen Vorschriften dieses Gesetzes zu besteuern. Hiervon ausgenommen sind nach § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG DDR 1990 Personen- und Kapitalgesellschaften sowie Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Diese gelten nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift "auch dann nicht als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb, wenn im übrigen die Merkmale eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs vorliegen". Dieser erweiternde Zusatz im letzten Halbsatz der Regelung verdeutlicht in letztlich unmißverständlicher Weise, daß nur Personen- und Kapitalgesellschaften sowie Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, die Einkünfte aus einer gemischten und nicht allein land- und forstwirtschaftlichen Betätigung erzielen, der Regelbesteuerung unterfallen sollen. Anderenfalls wäre der Zusatz überflüssig und ergäbe keinen Sinn. Unternehmen in den erwähnten Rechtsformen, die - wie die Klägerin - ausschließlich und nicht nur "im übrigen" einer land- und forstwirtschaftlichen Betätigung nachgehen, sind demgegenüber der Durchschnitts- und nicht der Regelbesteuerung zu unterwerfen. Soll dies verhindert werden, bedarf es eines Verzichts nach Maßgabe von § 24 Abs. 4 UStG DDR 1990.

Dieses dem Wortlaut entnommene Verständnis des § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG DDR 1990 steht im Einklang mit § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG 1980. Zwar gilt danach - insoweit abweichend von § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG DDR 1990 - (nur) "ein Gewerbebetrieb kraft Rechtsform" auch dann nicht als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb, wenn im übrigen die Merkmale eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs vorliegen. Die begriffliche Übernahme dieser Regelung auch in § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG DDR 1990 verbot sich aber nur deshalb, weil der "Gewerbebetrieb kraft Rechtsform" (nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 des Gewerbesteuergesetzes bzw. des § 15 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes) im Steuerrecht der DDR nicht bekannt war. Anlaß für eine Abweichung aus sachlichen Gründen bestand indes nicht und ist nach der Gesetzesfassung des § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG DDR 1990 auch nicht erkennbar. Nach Art. 31 Abs. 1 des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 bestand vielmehr die Verpflichtung der DDR, die Besitz- und Verkehrsteuern nach Maßgabe der Anlage IV zu regeln. Danach hatte die Deutsche Demokratische Republik Rechtsvorschriften entsprechend den Gesetzen und Verordnungen der Bundesrepublik Deutschland zu erlassen (vgl. III. Nr. 4 Satz 1 der Anlage IV). Zu Abweichungen konnte es im Einvernehmen mit der Regierung der Bundesrepublik Deutschland nur kommen, soweit dies sachlich geboten war (vgl. III. Nr. 4 Satz 2 der Anlage IV). Hierfür ist bezogen auf § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG DDR 1990 nichts ersichtlich oder den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Daß nach der besonderen Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe in der Deutschen Demokratischen Republik im Hinblick auf ihre Chancengleichheit Rechnung zu tragen war (vgl. III. Nr. 4 Satz 5 der Anlage IV), bedingt nichts anderes.

4. Die Vorinstanz ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Ihr Urteil ist deshalb aufzuheben. Da die Sache spruchreif ist, ist die Klage abzuweisen.