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  BFH-Urteil vom 15.3.1995 (I R 85/94) BStBl. 1995 II S. 547

Der für konfessionsverschiedene Eheleute gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KiStG NW geltende Halbteilungsgrundsatz ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

KiStG NW § 3, § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; GG Art. 3, 6.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war im Streitjahr 1990 Mitglied der römisch-katholischen (rk) Kirche. Sie war verheiratet und wurde mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer 1990 veranlagt. Der Ehemann war damals Mitglied der evangelischen (ev) Kirche. Das Einkommen 1990 der Eheleute betrug 331.412 DM. Es bestand nur aus vom Ehemann der Klägerin erzielten Einkünften. Die festgesetzte Einkommensteuerschuld 1990 betrug 129.928 DM. Das zuständige Finanzamt (FA) setzte durch Bescheid vom 12. März 1992 gegenüber der Klägerin die rk Kirchensteuer 1990 mit 5.833,26 DM fest. Dieser Betrag ergibt sich, wenn man die Einkommensteuerschuld gemäß § 51 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) um 300 DM mindert und von dem halbierten Saldo 9 v. H. berechnet (129.928 DM . /. 300 DM = 129.628 DM; 129.628 DM : 2 = 64.814 DM; 9 v. H. von 64.814 DM = 5.833,26 DM).

Gegen den Bescheid legte zunächst nur der Ehemann der Klägerin mit Schreiben vom 15. April 1992 gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Beklagter), dem Bischöflichen Generalvikariat, Einspruch ein. Er machte u. a. geltend, gegenüber der Klägerin dürfe keine rk Kirchensteuer festgesetzt werden, weil sie kein eigenes Einkommen erzielt habe. Der Beklagte richtete am 5. Mai 1992 ein Schreiben an beide Eheleute, in dem er beide als Einspruchsführer bezeichnete. Beide Eheleute beantworteten das Schreiben am 11. Mai 1992. Der Beklagte erließ deshalb gegenüber beiden Eheleuten am 19. Mai 1992 eine zusammengefaßte Einspruchsentscheidung.

Beide Eheleute erhoben Klage, die das Finanzgericht (FG) als unbegründet zurückwies, nachdem das FA am 23. Juli 1992 einen geänderten rk Kirchensteuerbescheid 1990 erlassen und die Eheleute denselben in das Klageverfahren übergeleitet hatten.

Beide Eheleute hatten Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der Senat hat durch Beschluß vom 6. April 1994 I B 192/93 nur die Revision der Klägerin zugelassen. Sie hat Revision eingelegt und rügt die Verletzung der §§ 3 und 6 des Kirchensteuergesetzes Nordrhein-Westfalen (KiStG NW).

Sie beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Anfechtungsklage stattzugeben.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 3 Abs. 1 KiStG NW sind - vorbehaltlich des im Streitfall nicht einschlägigen § 15 Abs. 1 KiStG NW - nur alle Angehörigen der Katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche kirchensteuerpflichtig, wenn sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt i. S. der §§ 8 und 9 der Abgabenordnung (AO 1977) im Land Nordrhein-Westfalen haben. § 3 Abs. 1 KiStG NW ist dahin zu verstehen, daß keiner der beiden Kirchen ein Besteuerungsrecht gegenüber Nichtmitgliedern zusteht (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Juni 1994 I R 132/93, BFHE 175, 189; Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 14. Dezember 1965 1 BvR 606/60 u. a., BVerfGE 19, 268, BStBl I 1966, 196; vom 8. Februar 1977 1 BvR 329/71 u. a., BVerfGE 44, 37; v. Mangold/Klein/v. Campenhausen, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 140, Rdnr. 201; Leibholz/Rinck/Hesselsberger u. a., Grundgesetz, Art. 140, Rdnr. 336). Aus der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität des Staates folgt, daß einer Religionsgesellschaft Hoheitsbefugnisse nur über Personen verliehen werden dürfen, die ihr mitgliedschaftlich angehören. In diesem Sinne ist auch Art. 140 des Grundgesetzes (GG) auszulegen. Der Grundsatz gilt für alle Arten der Kirchensteuererhebung. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der erkennende Senat in Ermangelung durchgreifender Verfahrensrügen gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, war die Klägerin im Streitjahr 1990 Mitglied der rk Kirche. Sie hatte ihren Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Damit war sie gemäß § 3 KiStG NW kirchensteuerpflichtig.

2. a) Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 KiStG NW ist es der rk Kirche freigestellt, die rk Kirchensteuer nach Maßgabe des Einkommens als Zuschlag zur Einkommen- bzw. Lohnsteuer oder nach einem kircheneigenen Tarif zu erheben. In Nordrhein-Westfalen hat die rk Kirche von ersterer Möglichkeit Gebrauch gemacht. Dies bedeutet, daß die rk Kirchensteuer jedenfalls im Verhältnis zu solchen Personen als Zuschlag zur Einkommen- oder Lohnsteuer erhoben werden darf, die Mitglied der rk Kirche sind. Die Klägerin schuldete für 1990 Einkommensteuer. Sie wurde nämlich mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer 1990 veranlagt. Ihre Einkommensteuerschuld betrug 129.928 DM. Dabei handelt es sich allerdings um die Gesamtschuld beider Eheleute. Deshalb sieht § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KiStG NW die Reduzierung der Bemessungsgrundlage für die Erhebung der rk Kirchensteuer in einer konfessionsverschiedenen Ehe auf die Hälfte der Einkommensteuer nach Abzug der in § 51 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG genannten Beträge vor. Im Streitfall bemißt sich deshalb die rk Kirchensteuer von 50 v. H. von 129.928 DM ./. 300 DM = 50 v. H. von 129.628 DM = 64.814 DM. Sie beträgt 9 v. H. der Bemessungsgrundlage. Der Beklagte ist in der Einspruchsentscheidung von diesen Zahlen ausgegangen. Der angefochtene Kirchensteuerbescheid ist deshalb rechtmäßig.

b) Der Senat folgt nicht der Klägerin in deren Auffassung, daß ihre Zusammenveranlagung mit dem Ehemann keine eigene Einkommensteuerschuld der Klägerin entstehen lasse. Das Gegenteil ist der Fall. Die Zusammenveranlagung von Ehegatten gemäß §§ 26, 26 b EStG begründet auch für den Ehegatten eine Einkommensteuerschuld, der selbst keine Einkünfte erzielt hat. Dies entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung und der ganz herrschenden Meinung (vgl. Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 13. Aufl., § 26 b Anm. 3 m. w. N.).

3. Der Senat hat auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den angefochtenen Kirchensteuerbescheid.

a) Zwar hat das BVerfG in seinem Urteil in BVerfGE 19, 268, BStBl I 1966, 196 für zusammenveranlagte Eheleute, die in einer glaubensverschiedenen Ehe leben, entschieden, daß es mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG unvereinbar sei, wenn die Kirchensteuer des einer steuerberechtigten Religionsgesellschaft angehörenden Ehegatten nach der Hälfte der zusammengerechneten Einkommensteuer beider Ehegatten erhoben werde. Diese Entscheidung ist jedoch zur Kirchensteuerordnung der Evangelisch-lutherischen Kirche im Hamburgischen Staate vom 18. März 1947 i. d. F. vom 12. März 1959 (Gesetze, Verordnungen und Mitteilungen der Evangelisch-lutherischen Kirche im Hamburgischen Staate 1959, 28) ergangen, die im Streitfall nicht anzuwenden ist. Der Senat hält eine Übertragung der Entscheidung auf § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KiStG NW nicht für richtig, weil sie auf einem die Ehegatten isolierenden Verständnis der Ehe beruht und das BVerfG inzwischen diese Rechtsprechung - wenn auch nur bezogen auf das staatliche Einkommensteuerrecht - zugunsten einer Interpretation der Ehe als Leistungsfähigkeitsgemeinschaft aufgegeben hat (vgl. BVerfG-Urteil vom 3. November 1982 1 BvR 620/78 u. a., BVerfGE 61, 319, 345, BStBl II 1982, 717; vgl. auch BVerfG-Beschluß vom 20. April 1966 1 BvR 16/66, BStBl I 1966, 694; ebenso: Kirchhof, Der Schutz von Ehe und Familie, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Heft 21 S. 33, 42). Nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG beruht der Splittingtarif auf der Vorstellung, daß zusammenlebende Ehegatten eine Gemeinschaft des Erwerbs und des Verbrauchs bilden, in der jeder Ehegatte an dem Einkommen des anderen zur Hälfte teilhat, auch wenn die Einkünfte als solche von dem anderen Ehegatten i. S. des § 2 Abs. 1 EStG erzielt werden (vgl. BTDrucks. III/260 S. 34). Dieser Grundgedanke des Splittingtarifs steht nicht nur im Einklang mit den Grundwertungen des Familienrechts, sondern er respektiert zugleich die Aufgabe der Ehefrau als Hausfrau, die Gleichwertigkeit der Arbeit von Mann und Frau sowie die freie Entscheidung der Eheleute über die Aufgabenverteilung innerhalb der Ehe. Zusätzlich begegnet er der Gefahr, daß Eheleute nur durch Übertragung von Einkunftsquellen oder durch die Begründung wechselseitiger Dienstleistungspflichten ihr jeweiliges Einkommen untereinander willkürlich verlagern. In diesem Sinne ist der Splittingtarif nicht nur verfassungsrechtlich unbedenklich, sondern er orientiert sich ausgesprochen an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG und an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zusammenlebender Eheleute als einer Gemeinschaft des Erwerbs und des Verbrauchs (Art. 3 Abs. 1 GG).

b) Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es, wenn § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KiStG NW an die Vorgaben des Splittingtarifs anknüpfen. Der rk Kirche ist in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 6 der Weimarer Verfassung das Recht eingeräumt, Kirchensteuer von den eigenen Mitgliedern zu erheben. § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KiStG NW knüpfen die Bemessungsgrundlage der rk Kirchensteuer an die Einkommensteuerschuld, wobei für zusammenveranlagte Eheleute jeweils nur die Hälfte der Einkommensteuerschuld angesetzt wird. Dies ist ein persönliches Merkmal, das das einzelne Kirchenmitglied in eigener Person verwirklicht. Mag der persönlichen Einkommensteuerschuld nicht immer das persönliche Erzielen von Einkünften zugrunde liegen, so steht dies der Verfassungsmäßigkeit der Kirchensteuererhebung nicht entgegen. Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz, wonach eine Ertragsteuer stets nur von den persönlich erzielten Einkünften erhoben werden dürfte. Die §§ 26, 26 b EStG, 39 und 42 AO 1977, 7 ff. des Außensteuergesetzes belegen das Gegenteil. Die Steuererhebung muß sich lediglich an der Leistungsfähigkeit des einzelnen orientieren. Ihr dürfen deshalb nur solche Tatbestände zugrunde gelegt werden, die Ausdruck einer Steigerung von Leistungsfähigkeit sind. Die Leistungsfähigkeit jedes der zusammenlebenden Ehegatten wird aber durch das gemeinsam erzielte Einkommen gesteigert. Dies ist kein willkürlicher Ansatz, zumal die Klägerin die Möglichkeit hatte, durch einen Antrag auf getrennte Einkommensteuerveranlagung 1990 ihre Heranziehung zur rk Kirchensteuer zu vermeiden. Dann hätte allerdings der Ehemann der Klägerin eine um so höhere ev Kirchensteuer geschuldet. Es darf deshalb angenommen werden, daß beide Ehegatten die für sie insgesamt finanziell günstigere Entscheidung getroffen haben. Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich.