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  BFH-Urteil vom 16.3.1995 (V R 96/93) BStBl. 1995 II S. 569

Lieferungen in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis 31. Dezember 1990 an Unternehmer im Beitrittsgebiet sind nicht nach § 1 Abs. 1 BerlinFG 1990 begünstigt.

BerlinFG 1990 § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 2; UStG 1980 § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) begehrt für Lieferungen in der Zeit vom 3. Oktober bis 31. Dezember 1990 von in Berlin (West) hergestellten Gegenständen an Abnehmer im Beitrittsgebiet (neue Bundesländer und Berlin-Ost) Kürzung der Umsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 des Berlinförderungsgesetzes in der für das Streitjahr geltenden Neufassung vom 2. Februar 1990 - BerlinFG 1990 - (BGBl I 1990, 173, BStBl I 1990, 83). Sie vertritt die Ansicht, daß die bezeichneten Lieferungen nach dem BerlinFG 1990 begünstigt seien. Dagegen versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) in dem angegriffenen, zum Gegenstand des Verfahrens erklärten Umsatzsteuerbescheid für 1990 eine Kürzung der Umsatzsteuer für die bezeichneten Lieferungen, weil diese nicht an westdeutsche Unternehmer in den übrigen Geltungsbereich des BerlinFG 1990 gelangt seien.

Einspruch und Klage - ursprünglich gegen die Umsatzsteuervoranmeldungen für Oktober bis Dezember 1990 gerichtet - hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung u. a. aus, nur Lieferungen in den "übrigen Geltungsbereich dieses Gesetzes" nach § 1 Abs. 1 BerlinFG 1990 berechtigten zur Kürzung der Umsatzsteuer. Das Beitrittsgebiet sei nicht "übriger Geltungsbereich" des BerlinFG 1990. Dies sei nur das Gebiet, in dem das Grundgesetz (GG) vor der Vereinigung gegolten habe. Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 - EinigVtr - (BGBl II 1990, 889, BStBl I 1990, 656) habe den Geltungsbereich des BerlinFG 1990 für den streitigen Zeitraum nicht erweitert.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 2 BerlinFG 1990. Sie meint, sie habe an westdeutsche Abnehmer (i. S. von § 5 Abs. 2 BerlinFG 1990) in den übrigen Geltungsbereich des BerlinFG 1990 (§ 1 Abs. 1 BerlinFG 1990) geliefert. Da das GG mit der Vereinigung auch im Beitrittsgebiet gelte und der EinigVtr den Geltungsbereich des BerlinFG 1990 nicht eingeschränkt habe, seien Lieferungen aus Berlin (West) an Abnehmer im Beitrittsgebiet ab 3. Oktober 1990 nach § 1 Abs. 1 BerlinFG 1990 begünstigt.

Die Klägerin begehrt, die Umsatzsteuer für 1990 abweichend von der Steuerfestsetzung in dem Umsatzsteuerbescheid 1990 vom 24. November 1993 um 83.285 DM zu vermindern.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat zu Recht entschieden, daß der Klägerin keine Kürzungsbeträge nach §§ 1, 11 Abs. 1 BerlinFG 1990 für Lieferungen vom 3. Oktober bis 31. Dezember 1990 an Abnehmer im Beitrittsgebiet zustehen.

1. Nach § 1 Abs. 1 BerlinFG 1990 ist ein Berliner Unternehmer berechtigt, die von ihm geschuldete Umsatzsteuer um 2 v. H. des für die Lieferungen von Gegenständen an einen westdeutschen Unternehmer vereinbarten Entgelts zu kürzen, wenn die Gegenstände in Berlin (West) hergestellt worden sind und aus Berlin (West) in den übrigen Geltungsbereich dieses Gesetzes gelangt sind. Westdeutscher Unternehmer im Sinne des BerlinFG 1990 ist gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 BerlinFG 1990 ein Unternehmer, der seine Geschäftsleitung im übrigen Geltungsbereich dieses Gesetzes hat, mit seinen im übrigen Geltungsbereich dieses Gesetzes belegenen Betriebsstätten.

Die Klägerin erfüllt diese Anforderungen mit ihren streitbefangenen Lieferungen nicht. Sie hat nicht an westdeutsche Unternehmer in den übrigen Geltungsbereich des BerlinFG 1990 geliefert. Das Beitrittsgebiet gehörte ab 3. Oktober 1990 nicht zum übrigen Geltungsbereich des BerlinFG 1990.

a) Das BerlinFG 1990 enthält keine ausdrückliche Bestimmung, welches Gebiet mit dem "übrigen Geltungsbereich dieses Gesetzes" bezeichnet wird. Die Berlin-Klausel in § 33 BerlinFG 1990 gibt über die hier zu entscheidende Frage keinen Aufschluß.

b) Der Geltungsbereich des BerlinFG 1990 umfaßt nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes nur das Gebiet von Westdeutschland und Berlin (West), d. h. die alten Bundesländer und nicht das Beitrittsgebiet. Durch Art. 2 Satz 2 des Gesetzes zur Änderung des Berlinhilfegesetzes und anderer Vorschriften vom 23. Juni 1970 (BGBl I 1970, 826, BStBl I 1970, 788) ist der Bundesminister der Finanzen ermächtigt worden, in der Neufassung des Berlinförderungsgesetzes die Bezeichnung "das Bundesgebiet" durch die Bezeichnung "der Geltungsbereich dieses Gesetzes" und die Bezeichnung "das übrige Bundesgebiet" durch die Bezeichnung "der übrige Geltungsbereich dieses Gesetzes" zu ersetzen. Unbestritten war der "übrige Geltungsbereich" des BerlinFG 1990 danach das Gebiet der alten Bundesländer ohne das Gebiet von Berlin (West).

c) Die Vereinigung am 3. Oktober 1990 hat den übrigen Geltungsbereich des BerlinFG 1990 nicht erweitert. Das BerlinFG 1990 ist für die hier entscheidungserheblichen Vorschriften mit Wirkung ab 3. Oktober 1990 nicht - auch nicht rückwirkend - geändert worden. Eine rückwirkend veränderte räumliche Geltung des BerlinFG 1990 ist nur durch Art. 4 Nr. 22 des Steueränderungsgesetzes 1991 - StÄndG 1991 - (vom 24. Juni 1991, BGBl I 1991, 1322, BStBl I 1991, 665) für die Vergünstigung in § 23 Nr. 4 Buchst. a BerlinFG 1990 (Arbeitnehmerzulage) gesetzlich angeordnet worden (vgl. dazu Senatsverwaltung für Finanzen Berlin vom 11. März 1991, BStBl I 1991, 421). Daß dies nicht auch für Umsatzsteuerkürzungsansprüche geschehen ist, weist darauf hin, daß sich der Geltungsbereich des BerlinFG 1990 insoweit nicht verändern sollte. Wegen der veränderten politischen Verhältnisse sind die Voraussetzungen für Umsatzsteuerkürzungsansprüche in Art. 4 StÄndG 1991 nur für den Berliner Unternehmer (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BerlinFG 1990 i. d. F. des StÄndG 1991) geändert worden. In den Übergangsregelungen (§ 31 Abs. 2 BerlinFG 1990 i. d. F. des StÄndG 1991) und Härteklauseln (§ 31 Abs. 2 a BerlinFG 1990 i. d. F. des StÄndG 1991), die auf Verhältnisse, Umsätze und Umsatzgeschäfte in der hier rechtserheblichen Zeit abstellen, ist der Geltungsbereich des BerlinFG 1990 für begünstigte Lieferungen nach § 1 Abs. 1 BerlinFG 1990 ab 3. Oktober 1990 nicht erweitert worden. Dies entspricht auch der überwiegenden Meinung in der Literatur (vgl. dazu Mößlang in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, 5. Aufl., Vorbem. 1 vor § 1 BerlinFG, § 1 BerlinFG Bem. 6; Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, K vor § 1; Birkenfeld, Berlinförderung ab 1991, Rz. 42 ff.; Widmann, Betriebs-Berater - BB - 1990, 2307, Rondorf, Deutsches Steuerrecht 1991, 110; Kottke, BB 1990, 2459).

d) Auch der EinigVtr hat den übrigen Geltungsbereich des BerlinFG 1990 weder ausdrücklich noch dem Sinne nach auf das Beitrittsgebiet erweitert. Für die Umsatzsteuer, eine Verkehrsteuer, und für die Kürzungsbeträge nach dem BerlinFG 1990, die als Besteuerungsgrundlagen bei der Festsetzung der Umsatzsteuer zu beurteilen sind, ist Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 für Besitz- und Verkehrsteuern maßgebend. Darin wird bestimmt:

"- Inkrafttreten und allgemeine Anwendungsvorschriften -

(1) Das Recht der Bundesrepublik Deutschland auf folgenden Gebieten tritt in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet am 1. Januar 1991 in Kraft:

1. das Recht der Besitz- und Verkehrsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer."

Danach galt das Umsatzsteuerrecht beider deutscher Staaten mit zwei Erhebungsgebieten noch bis zum 31. Dezember 1990 weiter.

In dem folgenden Abs. (2) von Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 EinigVtr wird für die Anwendung des in Absatz 1 genannten Rechts für die Zeit vor dem 1. Januar 1991 bestimmt, daß im einzelnen aufgezählte Begriffe wie z. B. "Erhebungsgebiet" und "Geltungsbereich des Grundgesetzes" die Bedeutung behalten, die sie vor der Herstellung der Einheit Deutschlands in dem Staat hatten, in dessen Recht sie enthalten waren.

Das gilt auch für den Begriff "übriger Geltungsbereich" des BerlinFG 1990. Rückwirkende Änderungen der Bedeutung dieses Begriffs für die Zeit vor dem 1. Januar 1991 hätten ausdrücklich geregelt werden müssen.