| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 20.12.1994 (IX R 124/92) BStBl. 1995 II S. 628

Der Adressat eines Einkommensteuerbescheids ist trotz einer auf 0 DM lautenden Steuerfestsetzung beschwert, wenn in dem Bescheid positive Einkünfte i. S. des § 2 Abs. 1 und 2 EStG angesetzt sind und deshalb der Antrag eines Angehörigen auf Gewährung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz abgelehnt wird.

AO 1977 § 350; FGO § 40 Abs. 2, § 100 Abs. 2 Satz 2 a. F.; BAföG § 21 Abs. 1, § 24 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten zu 1 und 2 (Kläger zu 1 und 2) sind Ehegatten; der Kläger und Revisionsbeklagte zu 3 (Kläger zu 3) ist ihr Sohn. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) setzte die Einkommensteuer der Kläger zu 1 und 2 für das Streitjahr (1989) durch Bescheid vom 23. Mai 1991 auf 0 DM fest. In dem Bescheid sind positive Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 57.451 DM ausgewiesen, die durch darüber hinausgehende negative Einkünfte der Klägerin zu 2 aus Gewerbebetrieb ausgeglichen werden. Wegen der positiven Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wurde dem Kläger zu 3 Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) versagt; der Ablehnungsbescheid steht unter dem Vorbehalt einer Änderung des maßgeblichen Einkommensteuerbescheids 1989 für die Kläger zu 1 und 2.

Die Kläger zu 1 und 2 legten gegen den Einkommensteuerbescheid Einspruch ein. Sie machten geltend, die Vermietungseinkünfte seien zu hoch angesetzt. Das FA verwarf den Rechtsbehelf als unzulässig. Hiergegen richten sich die Klagen der Kläger zu 1 und 2. Im Laufe des Klageverfahrens hat auch der Kläger zu 3, der selbst keinen Einspruch eingelegt hatte, Klage erhoben.

Die Klagen hatten Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bejahte eine Rechtsverletzung der Kläger zu 1 bis 3 trotz der auf 0 DM lautenden Steuerfestsetzung; für die Ermittlung der nach dem BAföG zu gewährenden Leistungen sei u. a. die Summe der positiven Einkünfte der Eltern maßgeblich und diese Einkünfte seien im Einkommensteuerbescheid fehlerhaft berücksichtigt worden. Die für Ausbildungsförderung zuständigen Verwaltungsbehörden seien an die Höhe der im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte gebunden. Die Kläger zu 1 und 2 seien beschwert, da sie wegen der Versagung von Ausbildungsförderung erhöhten Unterhaltsansprüchen des Klägers zu 3 ausgesetzt seien. Die Klagebefugnis des Klägers zu 3 folge daraus, daß sich der Ansatz positiver Vermietungseinkünfte nachteilig auf seinen Anspruch auf Ausbildungsförderung auswirke. Die Klagen seien auch begründet. Die Kläger zu 1 und 2 hätten Aufwendungen, die als Werbungskosten zu berücksichtigen seien, glaubhaft gemacht. Das FG entschied gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 a. F. der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht in der Sache selbst, da nach seiner Auffassung ein wesentlicher Verfahrensmangel vorlag und noch erhebliche Ermittlungen anzustellen waren.

Gegen die Entscheidung des FG richtet sich die Revision des FA, mit der dieses Verletzung der §§ 118, 350 der Abgabenordnung (AO 1977), des § 40 Abs. 2 FGO sowie des § 24 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BAföG rügt.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger zu 1 bis 3 beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, soweit die Kläger zu 1 und 2 betroffen sind (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Bezüglich des Klägers zu 3 wird das Urteil mit der Maßgabe aufgehoben, daß die Klage als unzulässig abgewiesen wird (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

Das FG hat zu Recht eine Beschwer der Kläger zu 1 und 2 durch den angefochtenen Einkommensteuerbescheid bejaht. Es hat jedoch rechtsfehlerhaft nach § 100 Abs. 2 Satz 2 a. F. FGO nicht selbst in der Sache entschieden; den Feststellungen des FG ist nicht zu entnehmen, daß die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschrift gegeben sind. Hinsichtlich des Klägers zu 3 hat das FG zu Unrecht eine Verletzung seiner Rechte angenommen.

1. Die Klage der Kläger zu 1 und 2 ist zulässig.

a) Nach § 40 Abs. 2 FGO ist die Klage zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes oder einer anderen Leistung in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Beschwer durch einen Steuerbescheid ergibt sich grundsätzlich aus der Steuerfestsetzung und nicht aus den einzelnen Besteuerungsgrundlagen. In der Regel ist daher auf den unmittelbar umstrittenen Steuerbetrag abzustellen, nicht auf das geldwerte Interesse des Steuerpflichtigen schlechthin (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. November 1987 VIII R 17-19/84, BFH/NV 1989, 278; vom 8. November 1989 I R 174/86, BFHE 158, 540, BStBl II 1990, 91).

Eine auf 0 DM lautende Steuerfestsetzung belastet den Steuerpflichtigen regelmäßig nicht. Ausnahmsweise kann eine Beschwer im unzutreffenden Ansatz einzelner Besteuerungsgrundlagen liegen, wenn diese für andere Verfahren bindend sind (BFH-Urteile vom 24. Januar 1975 VI R 148/72, BFHE 115, 9, BStBl II 1975, 382, und in BFHE 158, 540, BStBl II 1990, 91).

Die Summe der im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen positiven Einkünfte i. S. des § 2 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gelten gemäß § 21 Abs. 1 BAföG als Einkommen, das gemäß § 11 Abs. 2 BAföG auf den Bedarf des Auszubildenden (§ 11 Abs. 1 BAföG) anzurechnen ist. Ihr Ansatz im Steuerbescheid ist für das Verfahren zur Bewilligung von Ausbildungsförderung des Auszubildenden bindend. Diese Bindungswirkung ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), der sich der Senat anschließt, aus § 24 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BAföG (s. BGBl I 1983, 645, BStBl I 1983, 316). Danach wird über einen zunächst unter dem Vorbehalt der Rückforderung beschiedenen Antrag auf Ausbildungsförderung abschließend entschieden, sobald der Steuerbescheid dem Amt für Ausbildungsförderung vorliegt (BVerwG-Beschlüsse vom 18. Februar 1986 5 B 84.85, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 436.36, § 24 BAföG Nr. 8; vom 9. November 1988 5 B 143.87, Buchholz, a. a. O., 436.36, § 24 BAföG Nr. 12; vom 9. Juli 1992 5 B 113.92, Buchholz, a. a. O., 436.36, § 21 BAföG Nr. 18; Urteil vom 12. Mai 1993 11 C 9.92, Buchholz, a. a. O., 436.36, § 22 BAföG Nr. 5; a. A. FG Düsseldorf vom 26. Oktober 1988 15 K 233/88, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1989, 92). Eine Bindungswirkung besteht auch dann, wenn die im Steuerbescheid berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen - wie im Streitfall - zu einer Steuerfestsetzung von 0 DM geführt haben (BVerwG-Beschluß vom 11. Juli 1990 5 B 143.89, Buchholz, a. a. O., 436.36, § 24 BAföG Nr. 14).

b) Die Kläger zu 1 und 2 sind durch den Ansatz der positiven Vermietungseinkünfte im angefochtenen Einkommensteuerbescheid beschwert. Sie sind im Hinblick auf den nach § 37 BAföG möglichen Übergang von Unterhaltungsansprüchen sowie wegen ihrer Verpflichtung zum Erteilen von Auskünften über ihr Einkommen und Vermögen (vgl. § 47 Abs. 4 BAföG i. V. m. § 60 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) in das Verfahren zur Gewährung von Ausbildungsförderung rechtlich eingebunden, so daß sie unter diesem Gesichtspunkt eine Verletzung eigener Rechte geltend machen können.

c) Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil sich das FG darauf beschränkt hat, den Einkommensteuerbescheid und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben. Nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO in der bis einschließlich 1992 geltenden Fassung kann das Gericht den angefochtenen Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn es wesentliche Verfahrensmängel feststellt und eine weitere, einen erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit erforderliche Aufklärung für nötig hält. Der Senat kann offenlassen, ob die Verwerfung des Einspruchs der Kläger zu 1 und 2 als unzulässig als wesentlicher Verfahrensmangel zu beurteilen ist. Jedenfalls fehlen tatsächliche Feststellungen des FG darüber, weshalb eine notwendige weitere Aufklärung des Sachverhalts einen erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit erforderte. Das FG hat in den Entscheidungsgründen lediglich ausgeführt, es seien noch erhebliche Ermittlungen anzustellen, ohne die Gründe hierfür näher darzulegen. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung (BFH-Urteil vom 10. November 1966 V 74/64, BFHE 87, 128, BStBl III 1967, 54). Das FG wird die umstrittenen Vermietungseinkünfte selbst zu ermitteln haben, da es nach § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO i. d. F. des FGO-Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) den angefochtenen Steuerbescheid sowie die Einspruchsentscheidung ohne Entscheidung in der Sache selbst nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht aufheben darf.

2. Die Klage des Klägers zu 3 ist unzulässig. Dieser ist nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 40 Abs. 2 FGO). Er ist durch die in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Vermietungseinkünfte nur mittelbar betroffen, nämlich im Hinblick auf das Verfahren zur Gewährung von Ausbildungsförderung. Für dieses Verfahren haben die im Einkommensteuerbescheid der Kläger zu 1 und 2 angesetzten oder möglicherweise vom FG herabzusetzenden Vermietungseinkünfte Tatbestandswirkung. Insoweit besteht keine eigene Rechtsbehelfsmöglichkeit des Klägers zu 3.