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  BFH-Urteil vom 16.3.1995 (V R 128/92) BStBl. 1995 II S. 651

1. Bei Reiseleistungen ist den zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen grundsätzlich auch umsatzsteuerrechtlich zu folgen, wenn sie erfüllt worden sind und wenn die für das Umsatzsteuerrecht maßgebende tatsächliche Leistungshandlung keine eigenständige Beurteilung erfordert. Der Empfänger von Reiseleistungen braucht die Reise nicht selbst anzutreten.

2. Wendet ein Hersteller bei einem Verkaufswettbewerb ausgelobte Reiseleistungen seinen Vertragshändlern unter der Auflage zu, die Reisen bestimmten Arbeitnehmern zu gewähren, so kann der Händler steuerbare Reiseleistungen an seine Arbeitnehmer ausführen.

3. Wendet der Hersteller Reiseleistungen unmittelbar Arbeitnehmern seiner Vertragshändler zu, so erbringt der Vertragshändler insoweit keine steuerbaren Leistungen an seine Arbeitnehmer.

UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b, § 25.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Haupthändlerin der X-AG (AG). Diese führte für Neuwagenverkäufer und Verkaufsleiter, die in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis zu einem Haupthändler standen, einen Verkaufswettbewerb durch, bei dem Reisen zu gewinnen waren. Der Haupthändler mußte der Teilnahme seiner Arbeitnehmer zustimmen und einverstanden sein, daß die Verkaufs- und Zulassungsunterlagen überprüft wurden. Bei Verletzung der Wettbewerbsbedingungen mußte er den Reisepreis zurückerstatten. Hinsichtlich des Einganges der für die Wertung des Wettbewerbs verwendeten Verkaufsmeldekarten war der Haupthändler verantwortlich. Vier Verkäufer der Klägerin nahmen an einer der ausgelobten Reisen mit einem Wert von jeweils 2.502 DM einschließlich Umsatzsteuer teil. Die Klägerin behandelte die Reisen als lohnsteuerpflichtigen Sachbezug, unterwarf sie jedoch nicht der Umsatzsteuer.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) beurteilte die Bereitstellung von Verkaufseinrichtungen für die Teilnahme am Wettbewerb und die Weitergabe der Reisen durch die Klägerin an ihre Arbeitnehmer im angefochtenen Umsatzsteuerbescheid 1982 als nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 steuerbare und steuerpflichtige Leistungen gegen eine vermehrte, mit dem gemeinen Wert der Reisen bemessene Arbeitsleistung der Arbeitnehmer (8.857 DM + 13 v. H. Umsatzsteuer - 1.151 DM - = brutto 10.008 DM). Den Einspruch der Klägerin, die die Ansicht vertrat, sie habe keine steuerbaren Leistungen an ihre Arbeitnehmer ausgeführt, wies das FA zurück.

Die Klage der Klägerin hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung u. a. aus, die AG habe den Arbeitnehmern der Klägerin die jeweilige Reise zugewendet. Die Klägerin habe dadurch, daß sie die Verkaufseinrichtungen für eine erfolgreiche Teilnahme ihrer Arbeitnehmer zur Verfügung gestellt habe, keine steuerbare Leistung an die Arbeitnehmer ausgeführt.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b und § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1980. Zur Begründung macht das FA u. a. geltend, Gewinnerin der von der AG ausgelobten Reisen sei die Klägerin gewesen, allerdings mit der Auflage, diese an ihre Arbeitnehmer, die sich im Wettbewerb qualifiziert hätten, weiterzugeben. Dies lasse sich den unstreitigen zivilrechtlichen Beziehungen entnehmen. Dementsprechend habe die Klägerin die Reisen ihren Arbeitnehmern - wie in einem Reihengeschäft - zugewendet. Dadurch habe sie eine nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980 steuerbare Leistung ausgeführt. Die dabei entstandenen, als Bemessungsgrundlage zu behandelnden Kosten (§ 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1980) bestünden in dem Reisepreis.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG hat die Leistungsbeziehungen, abweichend von der zivilrechtlichen Rechtslage, "aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise bestimmt". Hierfür hat es jedoch keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Deshalb ist nicht nachvollziehbar, ob die umsatzsteuerrechtlichen Leistungsbeziehungen von den zivilrechtlichen Vereinbarungen abweichend, beurteilt werden durften. Dem Senat ist demzufolge mangels ausreichender Feststellungen eine abschließende Entscheidung nicht möglich.

1. Wenn die AG die Reisen aus zivilrechtlicher Sicht ihren Vertragshändlern unter der Auflage zugewendet hat, diese einem oder mehreren ihrer Arbeitnehmer zuzuwenden, hat das FG die Leistungsbeziehungen umsatzsteuerrechtlich fehlerhaft beurteilt. Denn grundsätzlich ist umsatzsteuerrechtlich den zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen zu folgen, wenn diese erfüllt worden sind und wenn die für das Umsatzsteuerrecht maßgebende tatsächliche Leistungshandlung keine eigenständige Beurteilung erfordert (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -; vgl. Urteile vom 9. März 1995 V R 102/89, zur Veröffentlichung bestimmt, ein retuschierter Abdruck liegt bei; vom 7. Mai 1987 V R 56/79, BFHE 150, 85, BStBl II 1987, 582; vom 20. Februar 1986 V R 133/75, BFH/NV 1986, 311). Das gilt auch für (vermittelte) Reiseleistungen, unabhängig von der Besteuerungsform (Regelbesteuerung oder Differenzbesteuerung nach § 25 UStG 1980).

Falls zivilrechtlich die Klägerin den Anspruch auf die Reiseleistungen erwarb und diese ihr unter der Auflage zugewendet wurden, die Leistungen ihren zu den Siegern im Wettbewerb gehörenden Arbeitnehmern zu überlassen, ist die Klägerin im Verhältnis zur AG als Leistungsempfängerin anzusehen. Diese Beurteilung ist nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin die Reiseleistungen nicht selbst in Anspruch genommen, sondern ihren Arbeitnehmern zur Verfügung gestellt hat. Der Empfänger von Reiseleistungen braucht die Reise nicht selbst anzutreten (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Januar 1993 V B 95/92, BFH/NV 1994, 346). Zivil- und umsatzsteuerrechtlich reicht es aus, daß die Reiseleistungen in seinem Auftrag einem von ihm bestimmten Reiseteilnehmer zugewendet werden. Für den Reiseunternehmer ist es regelmäßig ohne Bedeutung, welche Person an der Reise teilnimmt (vgl. hinsichtlich des Reiseveranstalters Palandt/Thomas, Bürgerliches Gesetzbuch, 54. Aufl., § 651 b Rz. 1).

Das Umsatzsteuerrecht folgt bei der Bestimmung des Empfängers von Reiseleistungen grundsätzlich dem Zivilrecht. Das Zivilrecht ist - wie bei einem Reihengeschäft - insbesondere für die Klärung der umsatzsteuerrechtlichen Leistungsbeziehungen erheblich, wenn derjenige, der vom Reiseveranstalter die Reiseleistungen verlangen kann, diese nicht selbst in Anspruch nimmt, sondern - etwa aufgrund von entsprechenden eigenen Verpflichtungen - an einen dem Reiseveranstalter benannten Dritten erbringen läßt. Durch die unmittelbare Leistungsbewirkung des Reiseveranstalters an den ihm benannten Dritten ist umsatzsteuerrechtlich nicht bloß das Vorliegen eines einzigen Umsatzes in Betracht zu ziehen. Vielmehr kann davon auszugehen sein, daß der Reiseveranstalter die Reiseleistungen an den vorrangigen Anspruchserwerber (hier: die Klägerin) erbringt, von dem der Dritte benannt worden ist, und daß dieser vorrangige Anspruchserwerber einen entsprechenden Umsatz an den benannten Dritten ausführt. Nur für die Frage, ob Leistungen Dritter dem Reisenden unmittelbar zugute kommen (vgl. § 25 Abs. 1 Satz 5 UStG 1980), sind nicht die zivilrechtlichen, sondern die tatsächlichen Umstände maßgebend (vgl. BFH in BFH/NV 1994, 346).

Daraus folgt für den Streitfall:

Hat die AG der Klägerin die Reiseleistungen zugewendet, ist die Klägerin Leistungsempfängerin. Der Senat läßt dahingestellt, ob die Gewährung der Reisen eine unentgeltliche Leistung ohne umsatzsteuerrechtlich erheblichen Zusammenhang mit der Lieferung von Kraftfahrzeugen ist (so Oberfinanzdirektion Hamburg, Verfügung vom 24. Januar 1984 S 7330-1/83-St 341, Der Betrieb - DB - 1984, 538; Husmann in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, § 1 Anm. 263; allgemein zur Zugabe Husmann, a. a. O., Anm. 125; Weiß in Steuerkongreßreport 1976, 249, 260) oder ob insoweit ein Preisnachlaß für die gelieferten Kraftfahrzeuge vorliegt (vgl. BFH-Urteile vom 9. November 1994 XI R 81/92, BFHE 176, 283, BStBl II 1995, 277 und XI R 93/92). In beiden Fällen hat die Klägerin an ihre Arbeitnehmer, die an der Reise teilnahmen, eine steuerpflichtige Zuwendung erbracht (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b, § 10 Abs. 4 Nr. 2 UStG 1980). § 25 UStG 1980 hindert die Besteuerung dieser Zuwendung (Reiseleistung) nicht, da die Vorschrift Reiseaufwendungen des Leistungsempfängers (hier: der reisenden Arbeitnehmer) voraussetzt (vgl. § 25 Abs. 3 UStG 1980, Abschn. 274 Abs. 5 Nr. 2 der Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR -; im Ergebnis a. A. FG Nürnberg, Urteil vom 17. Dezember 1991 II 126/86, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht - UVR - 1992, 210).

2. Falls zivilrechtlich die Klägerin keinen Anspruch auf die Reiseleistungen erlangt hat, sondern die AG die Reisen den Arbeitnehmern der Klägerin unmittelbar zugewendet hat, ist eine steuerbare Leistung der Klägerin nach den bisher vom FG getroffenen Feststellungen nicht vorhanden. Unter diesen Voraussetzungen hat das FG zu Recht entschieden, daß seitens der Klägerin keine steuerbaren Umsätze durch Zuwendung von Reisen an ihre Arbeitnehmer ausgeführt worden sind.

a) Falls die AG sich zivilrechtlich - verbindlich oder unverbindlich - verpflichtet hatte, Reisen zuzuwenden, wenn Arbeitnehmer der Haupthändler bestimmte Bedingungen eines Verkaufswettbewerbs erfüllen, und die AG dieser Zusage dadurch nachkam, daß sie den Arbeitnehmern der Klägerin die Teilnahme an der jeweiligen Reise ermöglichte, sind die Arbeitnehmer der Klägerin als Leistungsempfänger zu betrachten. Die Grundsätze der Rechtsprechung des BFH zur Beurteilung sog. Incentive-Reisen, die ein Unternehmer (Vermittler von Lieferungen) vom Lieferer erhält (BFH-Urteil vom 28. Juli 1994 V R 16/92, BFHE 175, 291, BStBl II 1995, 274, Umsatzsteuer-Rundschau 1995, 59) oder die der Abnehmer von Lieferungen vom Lieferer als Preisnachlaß empfängt (BFH-Urteil in BFHE 176, 283, BStBl II 1995, 277), sind im Streitfall nicht anwendbar.

b) Die Klägerin hat unter den erörterten Voraussetzungen keine steuerbare Leistungen an ihre Arbeitnehmer im Zusammenhang mit den Reisen ausgeführt.

Sie hat ihren Arbeitnehmern die mit der Reise verbundenen Lieferungen und sonstigen Leistungen, wie dargelegt, nicht zugewendet. Sie hat den Arbeitnehmern lediglich die Teilnahme am Verkaufswettbewerb, bei dem die Reisen von der AG ausgelobt worden waren, ermöglicht. Dadurch, daß sie ihre Arbeitnehmer während des Wettbewerbs in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis beschäftigte, erbrachte sie keine steuerbaren Leistungen an die Arbeitnehmer. Das gilt auch hinsichtlich ihres Einverständnisses mit der Teilnahme ihrer Arbeitnehmer am Verkaufswettbewerb und in Beziehung auf die Kontrolle der Einhaltung der Wettbewerbsbedingungen sowie insoweit, als die Klägerin die Anmeldekarten ausfüllte und abschickte.

Die Beschäftigung ihrer Arbeitnehmer sowie die Schaffung und Förderung der Rahmenbedingungen für die Teilnahme der Arbeitnehmer am Verkaufswettbewerb war auf deren arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung - Verkauf von Kraftfahrzeugen - gerichtet. Tätigkeiten, die die Erfüllung des Dienstverhältnisses ermöglichten und die den Arbeitserfolg, der zugleich Voraussetzung für eine aussichtsreiche Wettbewerbsteilnahme war, kontrollierten, führte die Klägerin in ihrem eigenen unternehmerischen Interesse aus. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Senats, daß Leistungen des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer, die die Arbeitsbedingungen gestalten, nicht durch Leistungsaustausch gegen eine bewertbare Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 und auch nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b UStG 1980 auf Grund des Dienstverhältnisses steuerbar zugewendet werden (vgl. BFH-Urteile vom 21. Juli 1994 V R 21/92, BFHE 175, 169, BStBl II 1994, 881 - Gestellung von Übernachtungsmöglichkeiten -; vom 11. März 1988 V R 30/84, BFHE 153, 155, BStBl II 1988, 643 - Personalbeförderung -). Durch die im überwiegenden Interesse des Arbeitgebers ausgeführten Leistungen zur Ausgestaltung der Arbeitsleistung wird kein zusätzlicher (persönlicher) "Bedarf seines Personals" - vgl. Art. 5 Abs. 6, Art. 6 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG - gedeckt.