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  BFH-Urteil vom 10.5.1995 (IX R 73/91) BStBl. 1995 II S. 713

Errichtet der Steuerpflichtige ein Gebäude teilweise in Eigenleistung, sind die ihm hierbei entstehenden Kosten für Fahrten zur Baustelle nicht mit den Pauschbeträgen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, sondern in tatsächlicher Höhe den Herstellungskosten zuzurechnen.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 und 7; HGB § 255 Abs. 2 Satz 1.

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin zu 1 (Klägerin zu 1) errichtete zusammen mit ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann in S ein selbstgenutztes Einfamilienhaus teilweise in Eigenleistung. Während der Bauzeit lebte sie mit ihrem Ehemann und den Klägern zu 2 und 3 in M und fuhr ab dem Frühjahr 1983 bis zur Fertigstellung des Hauses im September 1986 an 125 Wochenenden zur Baustelle, um dort mitzuarbeiten. Die Aufwendungen für diese Fahrten machten die Klägerin zu 1 und ihr damals mit ihr zur Einkommensteuer zusammen veranlagter Ehemann in ihrer Einkommensteuererklärung 1986 (Streitjahr) als Herstellungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. Sie errechneten insoweit auf der Grundlage von 0,42 DM je gefahrenem Kilometer bei einer Entfernung von 203 km Herstellungskosten in Höhe von 21.315 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte die Fahrten zur Baustelle nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nur mit der Pauschale von 0,18 DM je gefahrenem Kilometer.

Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage mit der Begründung ab, die Kosten seien nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in der tatsächlich entstandenen Höhe zu berücksichtigen; § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 i. V. m. § 9 Abs. 3 EStG sei als Spezialregelung vorrangig. Bei der von den Klägern aufgesuchten Baustelle handele es sich um eine der Arbeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG vergleichbare Tätigkeitsstätte.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 9 EStG.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer 1986 unter Berücksichtigung eines um 610 DM höheren AfA-Betrages als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Ein während des Revisionsverfahrens ergangener geänderter Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr wurde auf Antrag der Kläger Gegenstand des Verfahrens.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Entscheidung in der Sache (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Zu Unrecht hat das FG die Kosten für die Fahrten von der Wohnung zur Baustelle nicht in vollem Umfang als Herstellungskosten berücksichtigt.

a) Zutreffend hat das FG die Fahrtkosten dem Grunde nach als Herstellungskosten beurteilt.

Herstellungskosten sind Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen (§ 255 Abs. 2 Satz 1 des Handelsgesetzbuches - HGB -). Nach der Entscheidung des Großen Senats vom 4. Juli 1990 Gr S 1/89 (BFHE 160, 466, 476, BStBl II 1990, 830) gilt dieser Herstellungskostenbegriff auch für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.

Zu den Herstellungskosten zählt zwar nicht die eigene Arbeitsleistung. Dagegen sind Aufwendungen zur Herstellung eines Gebäudes, die der Steuerpflichtige im Zusammenhang mit seiner eigenen Arbeit trägt, Herstellungskosten (vgl. auch Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 6 EStG Anm. 715). Dazu gehören auch Fahrtkosten für den Weg zur Baustelle, wenn der Steuerpflichtige - wie im Streitfall die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann - dort Arbeiten zur Errichtung des Gebäudes ausführen.

b) Zu Unrecht ist das FG aber davon ausgegangen, daß diese Aufwendungen nur in Höhe der Pauschbeträge des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG zu den Herstellungskosten zu rechnen sind. Diese Regelung gilt zwar bei der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung entsprechend (§ 9 Abs. 3 i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 EStG). Sie ist jedoch auf Fahrtkosten, die zu den Herstellungskosten gehören, nicht anwendbar. Die Herstellungskosten als Grundlage für die Bemessung der Absetzung für Abnutzung und der erhöhten Absetzungen sind bei den Überschußeinkünften in gleicher Weise wie bei den Gewinneinkünften zu ermitteln (Beschluß des Großen Senats in BFHE 160, 466, 476, BStBl II 1990, 830). Die Höhe der nach § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB zu beurteilenden Aufwendungen wird durch die den Umfang der für die Herstellung entstandenen Aufwendungen bestimmt. Maßgeblich sind dabei die tatsächlich aufgewendeten Kosten, d. h. - bezogen auf den Streitfall - die Fahrtkosten in der tatsächlich entstandenen Höhe. Da das FA gegen die von den Klägern pauschal geltend gemachten Fahrtkosten von 0,42 DM pro gefahrenem Kilometer keine Einwendungen erhoben hat, ist für das Revisionsverfahren davon auszugehen, daß dieser Betrag den tatsächlich entstandenen Aufwendungen entspricht.

2. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung ist daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Unstreitig sind für die Fahrten tatsächliche Kosten in Höhe von 21.315 DM entstanden. Die Herstellungskosten belaufen sich mithin auf 182.841,02 DM. Das zu versteuernde Einkommen vermindert sich damit auf 20.438 DM. Die Einkommensteuer ist mit Progressionsvorbehalt nach der Splittingtabelle auf 2.819 DM festzusetzen.