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BFH-Urteil
vom 26.4.1995 (II R 6/94) BStBl. 1995 II S. 738
1. Das frühere GrEStG NW ist seit Aufhebung des § 160 Abs. 2 FGO durch das FGOÄndG vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109) ab 1. Januar 1993 kein revisibles Recht mehr, das der Überprüfung durch den BFH unterliegt. 2. Kann der BFH mangels Revisibilität nicht überprüfen, ob ein Tatbestand eines landesrechtlichen Steuergesetzes erfüllt ist, so kann er auch nicht überprüfen, ob der Steueranspruch nach dieser landesrechtlichen Vorschrift über § 42 AO 1977 entstanden ist. FGO § 118 Abs. 1, § 160 Abs. 2; AO 1977 § 42; GrEStG NW § 1 Abs. 1 Nr. 1. Vorinstanz: FG Köln Sachverhalt I. Streitig ist, ob die Abtretung von Gesellschaftsanteilen an einer grundbesitzenden Gesellschaft des bürgerlichen Rechts der Grunderwerbsteuer unterliegt. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) A ist Eigentümerin mehrerer Grundstücke, die in Wohnungseigentum aufgeteilt sind. Nach § 3 des Gesellschaftsvertrags der GbR waren die Beteiligungen in einzelne Anteile gestückelt, wobei jedem so gebildeten Anteil das Wohnungseigentum an einer bestimmten, zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Wohnung zugewiesen war. Das Verhältnis der einzelnen Gesellschaftsanteile untereinander sollte dem Verhältnis der Werte der den einzelnen Anteilen zugeordneten Wohnungen entsprechen. Diese Regelung erfolgte mit Rücksicht auf die vertraglichen Bestimmungen über die Auseinandersetzung beim Ausscheiden eines Gesellschafters oder der Liquidation der Gesellschaft. Nach § 13 des Gesellschaftsvertrags führte das Ausscheiden eines Gesellschafters nicht zur Auflösung der Gesellschaft, vielmehr war die Gesellschaft verpflichtet, dem ausscheidenden Gesellschafter mit Wirkung vom Tage seines Ausscheidens das Wohnungseigentum zu Alleineigentum zu übertragen, das seiner Gesellschaftsbeteiligung zugeordnet war. Dem jeweiligen Geschäftsführer wurde entsprechende Vollmacht erteilt. Nach dem Gesellschaftsvertrag konnten die Gesellschafter Darlehen, die sie zur Finanzierung des Erwerbs in Anspruch nahmen, auf demjenigen Wohnungseigentum absichern, welches ihrer Beteiligung zugeordnet war. Am Gewinn und Verlust waren die Gesellschafter entsprechend ihrem jeweiligen Anteil beteiligt. Darüber hinaus konnte jeder Gesellschafter seine Beteiligung auf einen Dritten übertragen, wodurch dieser alle Rechte und Pflichten des abtretenden Gesellschafters erwarb. Teilabtretungen waren mit der Maßgabe zulässig, daß der abgetretene Teil der Beteiligung dem Wert einer oder mehrerer der Beteiligung zugeordneten Wohnungen entsprechen mußte. Einer der Gesellschafter der GbR war Frau S. Durch notariell beurkundeten Kauf- und Abtretungsvertrag vom .... 1982 erwarb die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) von Frau S Gesellschaftsanteile an der GbR. Diesen waren die Wohnungen mit den Nrn. 3, 5, 6, 1, 11 und 18 zugeordnet. Der Gesamtkaufpreis betrug .... DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) war der Auffassung, daß dieser Erwerb der Gesellschaftsanteile grunderwerbsteuerpflichtig sei. Durch Bescheid vom 11. Mai 1983 setzte es hierfür gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer in Höhe von .... DM fest. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Nach Abschluß eines Musterverfahrens vor dem Bundesfinanzhof (BFH) wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Mit der dagegen gerichteten Klage wurde geltend gemacht, daß die Entscheidung des BFH, mit der dieser die Übertragung der Gesellschaftsanteile an der GbR als Umgehungsgeschäft i. S. des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) ansehe, unzutreffend sei. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Der Kauf- und Abtretungsvertrag unterliege nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des früheren Nordrhein-Westfälischen Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG NW) der Grunderwerbsteuer. Das FG folge insoweit den Urteilen des BFH vom 24. Januar 1990 II R 138/87 (BFH/NV 1991, 119) und vom 25. März 1992 II R 46/89 (BFHE 167, 448, BStBl II 1992, 680) darin, daß der Erwerb einer Beteiligung an einer GbR einen grunderwerbsteuerpflichtigen Vorgang darstelle, wenn die Beteiligung in einzelne Anteile gestückelt sei, die untrennbar mit einem Grundstücksmiteigentumsanteil verbunden mit dem Sondereigentum an einer Wohnung verknüpft seien (vgl. auch BFH-Urteil vom 10. Mai 1989 II R 86/86, BFHE 156, 523, BStBl II 1989, 628). Bei dieser Fallgestaltung liege in dem Erwerb eines Gesellschaftsanteils anstelle der Eigentumswohnung ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i. S. von § 42 AO 1977 vor. Die von der Klägerin gegen die Rechtsprechung des BFH vorgetragenen Gründe überzeugten das FG nicht. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Zumindest sinngemäß wird die Verletzung von § 1 Abs. 1 GrEStG NW und von § 42 AO 1977 gerügt. Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den angefochtenen Steuerbescheid aufzuheben. Das FA beantragte zunächst, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Durch Verfügung der Vorsitzenden vom 29. Juli 1994 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, daß sich in dem Rechtsstreit möglicherweise die Frage stellt, ob die Vorschriften des früheren GrEStG NW revisibles Recht seien. Hierzu hat das FA mit Schriftsätzen vom 7. September 1994 und vom 19. Dezember 1994 Stellung genommen. Das FA ist der Auffassung, daß das GrEStG NW kein revisibles Recht mehr sei. Es beantragt nunmehr, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
II. Die Revision der Klägerin ist zulässig. Die Zulässigkeit der Revision setzt nicht die Revisibilität der gerügten Rechtsnorm voraus. Die Begrenzung der Revisibilität durch § 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beschränkt nicht die Zulässigkeit der Revision. Die Revisibilität der verletzten Norm ist nur eine Voraussetzung für die sachliche Begründetheit der Revision (vgl. Senatsurteil vom 22. Oktober 1971 II R 104/70, BFHE 103, 541, BStBl II 1972, 183 m. w. N.). Die Revision ist jedoch unbegründet. Nach Auffassung des FG unterliegt der in Frage stehende Vertrag nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG NW der Grunderwerbsteuer, weil in dem zwischen den Vertragsparteien abgeschlossenen Rechtsgeschäft ein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i. S. des § 42 AO 1977 zu sehen sei. Die Richtigkeit dieser Auffassung ist vom Senat im Revisionsverfahren nicht zu überprüfen, da das GrEStG NW kein revisibles Recht i. S. des § 118 Abs. 1 FGO ist. 1. Das GrEStG NW ist Landesrecht. Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO kann die Revision nur auf die Verletzung von Bundesrecht gestützt werden. Zwar kann dem BFH als einem obersten Gerichtshof des Bundes (Art. 95 des Grundgesetzes - GG -) auch die Entscheidung in solchen Sachen zugewiesen werden, bei denen es sich um die Anwendung von Landesrecht handelt; eine derartige Zuweisung - die durch den Bundes- oder Landesgesetzgeber erfolgen könnte - besteht für das GrEStG NW jedoch nicht (mehr). Nach § 23 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG 1983) sind auf vor dem 1. Januar 1983 verwirklichte Erwerbsvorgänge grundsätzlich die bis zum Inkrafttreten des GrEStG 1983 geltenden Vorschriften anzuwenden. Dies gilt insbesondere, wenn für einen vor dem 1. Januar 1983 verwirklichten Erwerbsvorgang Steuerbefreiung in Anspruch genommen und nach dem 31. Dezember 1982 ein Nacherhebungstatbestand verwirklicht wurde. Diese weiter anwendbaren grunderwerbsteuerrechtlichen Vorschriften gehörten überwiegend dem Landesrecht an. Die Revisibilität dieser landesrechtlichen Vorschriften des Grunderwerbsteuerrechts ergab sich bisher aus § 160 Abs. 2 FGO in der bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung. Nach dieser Vorschrift konnte die Revision auch auf die Verletzung von Landesrecht gestützt werden, soweit das Recht der Grunderwerbsteuer und der Feuerschutzsteuer nicht bundesrechtlich geregelt ist. Diese Vorschrift wurde jedoch durch Art. 1 Nr. 37 des Gesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) mit Wirkung vom 1. Januar 1993 aufgehoben. Zwar ist es nach Auffassung des Senats für die Revisibilität von landesrechtlichen Vorschriften ausreichend, wenn diese wenigstens noch zum Zeitpunkt der Einlegung der Revision besteht (vgl. Senatsentscheidungen vom 13. April 1994 II R 93/90, BFHE 174, 380, BStBl II 1994, 817, und vom 18. Mai 1994 II R 119/90, BFH/NV 1995, 267). Auch diese Voraussetzung ist jedoch im Streitfall nicht erfüllt. Auch eine landesrechtliche Regelung, die die Revisibilität des GrEStG NW anordnet, besteht nicht. Zwar ist nach § 5 Satz 1 des Nordrhein-Westfälischen Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung vom 6. Oktober 1965 (BGBl I S. 1477) im Lande Nordrhein-Westfalen vom 1. Februar 1966 (Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Nordrhein-Westfalen - GVBl NW - S. 23) - AGFGO - der Finanzrechtsweg auch gegeben in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, die der Gesetzgebung des Bundes nicht unterliegen und durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Nach der Rechtsprechung des BFH reicht jedoch allein die Eröffnung des Finanzrechtswegs nicht aus, um die Revisibilität von Landesrecht zu begründen. Erforderlich, aber auch ausreichend ist es vielmehr, wenn insgesamt die FGO bzw. die Vorschriften des Unterabschnitts der FGO über die Revision (§§ 115 ff. FGO) für anwendbar erklärt worden sind (vgl. BFH-Urteil vom 7. August 1985 I R 309/82, BFHE 145, 7, BStBl II 1986, 42 m. w. N.). Da für das GrEStG NW lediglich der Finanzrechtsweg eröffnet, nicht aber die FGO im bezeichneten Sinn durch Landesrecht für anwendbar erklärt worden ist, handelt es sich bei dem GrEStG NW um irrevisibles Recht, dessen Anwendung durch das FG vom Senat nicht überprüft werden kann. Die Voraussetzungen für eine Revisibilität dieses Landesrechts nach § 118 Abs. 1 Satz 2 FGO sind damit nicht erfüllt. 2. Das Fehlen bzw. der Wegfall der Revisibilität des GrEStG NW führt zu keinem Verfassungsverstoß. Art. 99 GG geht bereits davon aus, daß die Anwendung von Landesrecht nicht notwendigerweise der Überprüfung durch einen obersten Gerichtshof des Bundes unterliegen muß. Aus Art. 19 Abs. 4 und aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich auch kein Anspruch auf einen mehrstufigen Rechtsweg. Auch das Rechtsstaatsprinzip gebietet nicht, daß der Rechtsweg in allen Zweigen einen Instanzenzug hat, insbesondere stets das Rechtsmittel der Revision ermöglicht (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 24. Oktober 1989 1 BvR 576/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1990, 447 m. w. N.). Die sich aus der fehlenden Revisibilität des GrEStG NW ergebende Einschränkung der sonst bestehenden Revisionsmöglichkeit - die Überprüfung der FG-Entscheidung auf Übereinstimmung mit höherrangigem Bundesrecht und die Verfahrensrevision bleiben grundsätzlich erhalten - verstößt daher als solche nicht gegen das GG. Ein Verfassungsverstoß ergibt sich auch nicht daraus, daß für früheres landesrechtliches Grunderwerbsteuerrecht anderer Länder die Revisibilität noch besteht (vgl. z. B. für Bayern Art. 5 Satz 2 AGFGO, zuletzt geändert durch Gesetz vom 1. Dezember 1985, GVBl S. 760). Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist darin nicht zu sehen, da dieser den jeweiligen Landesgesetzgeber nur für seinen Bereich bindet. Auch die Tatsache, daß früher (aufgrund bundesrechtlicher bzw. landesrechtlicher Grundlage) eine Revisibilität des GrEStG NW bestand, begründet keinen Verfassungsverstoß. Es besteht keine verfassungsrechtliche Bindung, die einmal eingeführte Revisibilität einer landesrechtlichen Norm auf Dauer beizubehalten. 3. Die Auffassung des FG, daß im Streitfall der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG NW erfüllt ist, unterliegt daher nicht der Überprüfung durch den Senat. Auch wenn das FG den Steueranspruch nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG NW nur über § 42 AO 1977 als entstanden ansieht, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Auch diese Auffassung des FG unterliegt insgesamt nicht der Überprüfung durch den Senat. Nach § 42 AO 1977 kann das Steuergesetz nicht durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Die Frage, ob "ein Steuergesetz" umgangen wird, läßt sich notwendigerweise nur aufgrund einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem betreffenden Steuergesetz beantworten. Ein Mißbrauch i. S. von § 42 AO 1977 liegt nach der Rechtsprechung dann vor, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen, also ungewöhnlich, ist und nicht durch sachgerechte erwerbswirtschaftliche oder andere beachtliche Gründe zu rechtfertigen ist (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 16. März 1988 X R 27/86, BFHE 153, 46, BStBl II 1988, 629 m. w. N.). Die Entscheidung, ob nach diesen Grundsätzen im Einzelfall ein Gestaltungsmißbrauch zur Steuerumgehung vorliegt, läßt sich demgemäß nicht allein aus dem Inhalt der einzelnen in Frage stehenden Steuerrechtsnorm ableiten, sondern erfordert ggf. einen Rekurs auf die in einem gesamten Steuergesetz zum Ausdruck kommenden Wertungen des Gesetzgebers. Daraus aber folgt, daß die Frage nach dem Gestaltungsmißbrauch i. S. von § 42 AO 1977 dann nicht beantwortbar ist, wenn dem Revisionsgericht eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem betreffenden irrevisiblen Landesrecht verwehrt ist. Kann das Revisionsgericht daher mangels Revisibilität der betreffenden Rechtsnorm nicht überprüfen, ob ein bestimmter Tatbestand eines landesrechtlichen Steuergesetzes erfüllt ist, so kann es auch nicht überprüfen, ob der Steueranspruch nach dieser landesrechtlichen Vorschrift über § 42 AO 1977 entstanden ist.
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