| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 30.6.1995 (VI R 26/95) BStBl. 1995 II S. 744

1. Werden einem Arbeitnehmer während einer Dienstreise Gegenstände seines für die Durchführung der Reise notwendigen persönlichen Gepäcks gestohlen, obwohl er die nach den Umständen des Einzelfalles zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz seines Reisegepäcks getroffen hat, so kann er den Verlust dem Grunde nach als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehen (Anschluß an die Rechtsprechung in dem Urteil vom 30. November 1993 VI R 21/92, BFHE 173, 73, BStBl II 1994, 256).

2. Der Höhe nach darf nur der Teil der Anschaffungskosten des jeweiligen Gegenstandes des notwendigen persönlichen Reisegepäcks als Werbungskosten abgezogen werden, der bei einer Verteilung der Anschaffungskosten auf die geschätzte Gesamtnutzungsdauer des Gegenstands auf die Zeit nach dem Diebstahl entfällt (Bestätigung der Rechtsprechung in dem Urteil in BFHE 173, 73, BStBl II 1994, 256, 258, unter Nr. 2 b der Entscheidungsgründe).

EStG § 3 Nr. 13 und 16, § 9 Abs. 1 Satz 1, § 12 Nr. 1, § 19 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr 1989 als Geschäftsführer einer GmbH nichtselbständig tätig. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte keine Einkünfte.

Im Oktober 1989 fuhr der Kläger nach A (Frankreich) zu einer Messe, auf der die GmbH als Ausstellerin vertreten war. Die Klägerin, die als Fremdsprachensekretärin ausgebildet ist, begleitete ihn als Dolmetscherin. Im Verlauf der Reise wurde das auf einem bewachten Parkplatz stehende Kraftfahrzeug des Klägers aufgebrochen. Es wurden hieraus verschiedene Gegenstände entwendet, für die der Kläger weder von seiner Arbeitgeberin noch von einer Versicherung Ersatz erhielt. Der Kläger bezifferte ausweislich des Protokolls der französischen Polizei dieser gegenüber den Wert der entwendeten Gegenstände auf 10.000 FF (ca. 2.900 DM). Er gab an, es seien eine Aktentasche sowie ein Herrenmantel und ein Damenmantel entwendet worden.

Im Laufe des Verwaltungsverfahrens machte der Kläger den Diebstahlsschaden, den er auf 5.000 DM bezifferte, als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte mit der Begründung keine Werbungskosten an, daß die gestohlenen Gegenstände keine Arbeitsmittel gewesen seien und der Verlust von Gegenständen des Privatvermögens nicht zu Werbungskosten führe.

In der Klagebegründung trug der Kläger vor, ihm seien ein Diplomatenkoffer, eine Aktentasche, ein Taschenrechner, Füllhalter sowie ein Damenmantel und ein Herrenmantel entwendet worden. Den Herrenmantel hatte der Kläger ausweislich eines im Klageverfahren vorgelegten Belegs am 4. Januar 1989 zum Preis von 1.400 DM erworben. Hinsichtlich der übrigen Gegenstände einigten sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung darauf, daß diese zum Zeitpunkt des Diebstahls einen Wert von insgesamt 1.600 DM besaßen. Ferner wurde unstreitig, daß der Kläger diese Gegenstände in den Vorjahren selbst angeschafft hatte und die dafür angefallenen Aufwendungen weder von seiner Arbeitgeberin erstattet bekommen noch als Werbungskosten geltend gemacht hatte.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage entsprechend dem Antrag des FA insoweit statt, als es wegen des Diebstahlsschadens Werbungskosten in Höhe von 1.600 DM anerkannte. Es führte aus, über die insoweit anzusetzenden Werte hätten sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung verständigt; diese Verständigung sei für den Senat bindend, da weder die tatsächlichen (Zeit-)Werte noch etwa anzusetzende "fiktive Buchwerte" der entwendeten Arbeitsmittel aufgeklärt werden könnten.

Wegen des Verlusts der beiden Mäntel wies es die Klage mit folgender Begründung ab: Zwar habe der Bundesfinanzhof (BFH) in dem Urteil vom 30. November 1993 VI R 21/92 (BFHE 173, 73, BStBl II 1994, 256) die Erstattung des Arbeitgebers für konkrete Diebstahlsverluste nicht als Arbeitslohn betrachtet. Er habe auch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß nur diejenigen Verluste steuerfrei ersetzt werden könnten, die der Arbeitnehmer selbst als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehen könne. Soweit diese Entscheidung und das Urteil vom 25. Mai 1992 VI R 171/88 (BFHE 168, 542, BStBl II 1993, 44), das den Diebstahl eines für eine Dienstreise verwendeten PKW eines Arbeitnehmers betreffe, deutliche Hinweise darauf enthielten, daß der BFH geneigt sein könnte, den Diebstahl von Kleidungsstücken auf einer Dienstreise grundsätzlich als werbungskostenbegründend anzuerkennen, halte der Senat es nicht für sachgerecht, diesen Weg zu beschreiten. Es würde in diesem Bereich einer sachlich nicht gerechtfertigten Ausuferung der steuerlichen Abziehbarkeit Vorschub geleistet, die zudem in der praktischen Anwendung zu erheblichen Schwierigkeiten führen könnte. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 428 veröffentlicht.

Die Kläger stützten ihre Revision sinngemäß auf eine Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen worden ist, und weitere Werbungskosten in Höhe von 3.100 DM anzuerkennen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist teilweise begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, soweit die Klage den Diebstahl des Mantels des Klägers betrifft. Die Revision hat keinen Erfolg, soweit das FG die Klage wegen des Verlusts des Mantels der Klägerin abgewiesen hat.

1. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um abschließend darüber entscheiden zu können, ob der Kläger entgegen der Rechtsauffassung des FG den Schaden als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) abziehen kann, der ihm durch den Diebstahl seines Mantels während seiner Dienstreise entstanden ist.

a) Nach dem Senatsurteil vom 19. Februar 1993 VI R 42/92 (BFHE 170, 560, BStBl II 1993, 519) sind die vom Arbeitgeber gezahlten Prämien für eine Reisegepäckversicherung nach § 3 Nr. 16 EStG steuerbefreiter Arbeitslohn, wenn sich der Versicherungsschutz auf Dienstreisen beschränkt. Der Senat hat in diesem Urteil die Prämien für eine Reisegepäckversicherung als Nebenkosten der Reise gewertet, die dann als Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abziehbar und dementsprechend gemäß § 3 Nr. 16 EStG steuerbefreit sind, wenn der Versicherungsschutz ausschließlich für das auf Dienstreisen mitgeführte notwendige eigene Gepäck des Arbeitnehmers erlangt wird. Als Folge dieser Rechtsauffassung wurde durch Urteil in BFHE 173, 73, BStBl II 1994, 256 entschieden, daß dann, wenn ein Arbeitnehmer auf einer Dienstreise einen Schaden an solchen Gegenständen erleidet, die er mitgenommen hat, weil er sie auf der Dienstreise verwenden mußte, der dafür vom Arbeitgeber geleistete Ersatz dem Grunde nach als steuerbefreiter Reisekostenersatz zu beurteilen ist, wenn der Schaden sich als Konkretisierung einer reisespezifischen Gefährdung (z. B. Diebstahls-, Transport- oder Unfallschaden) erweist und nicht nur gelegentlich der Reise eingetreten ist. Die Grundsätze, die in diesem Urteil zu dem Vorliegen eines nach § 3 Nr. 16 EStG steuerbefreiten Arbeitslohns aufgestellt worden sind, gelten entsprechend für die Annahme von Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Der Senat hat in jüngerer Zeit mehrfach entschieden, daß mit der Steuerbefreiung gemäß § 3 Nrn. 13 oder 16 EStG auf der Einnahmeseite die Abziehbarkeit gemäß § 9 EStG auf der Ausgabenseite korrespondiert (vgl. Urteile vom 27. Mai 1994 VI R 67/92, BFHE 175, 57, BStBl II 1995, 17, 20; vom 6. November 1986 VI R 135/85, BFHE 148, 283, BStBl II 1987, 188; vom 15. November 1991 VI R 36/89, BFHE 166, 454, BStBl II 1992, 492). Er hält an dieser Rechtsprechung fest.

Soweit das FG die Richtigkeit der Rechtsprechung des Senats der letzten Jahre zu den auf Dienstreisen eingetretenen Diebstahlsverlusten generell in Frage stellt und das Risiko des Bestohlenwerdens uneingeschränkt der allgemeinen Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG zuordnen will, verkennt der Senat nicht, daß die vom FG bevorzugte Zuordnung der Steuervereinfachung dienen würde. Es würde dadurch Verwaltungsarbeit entfallen, die aufgrund der Rechtsprechung des Senats erforderlich ist. Bei der Abwägung, ob ein Vorgang der beruflichen (betrieblichen) oder privaten Sphäre eines Steuerpflichtigen zuzuordnen ist, können zwar auch Gesichtspunkte der Verwaltungsökonomie berücksichtigt werden; diese mögen in Grenzfällen möglicherweise sogar den Ausschlag geben. Doch erscheint es unter Berücksichtigung des objektiven Nettoprinzips nicht gerechtfertigt, selbst solche erheblichen Nachteile des Arbeitnehmers seiner Privatsphäre zuzuweisen, die er ohne seinen Beruf mit Sicherheit nicht gehabt hätte und bei denen ausgeschlossen werden kann, daß mit den Nachteilen irgendwelche Vorteile zusammenhängen, die in die Privatsphäre fallen. Dies trifft aber dem Grunde nach bei den Aufwendungen für eine auf Dienstreisen beschränkte Reisegepäckversicherung, dem Diebstahl des für die Dienstreise verwendeten privaten PKW oder dem Diebstahl des notwendigen Reisegepäcks zu, wenn letzteres trotz der nach den Umständen des Einzelfalles zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen entwendet wird. In diesen Fällen stellt sich der eingetretene Schaden am Privatvermögen des Arbeitnehmers als eine Konkretisierung der spezifischen Gefahr einer Reise dar, die der Arbeitnehmer ausschließlich aus beruflichen Gründen auf sich genommen hat. Es ist nicht erkennbar, daß dem Arbeitnehmer aus dem Schaden irgendwelche privaten Vorteile erwachsen könnten. Der Senat hält deshalb auch nach erneuter Überprüfung an seiner Wertung fest, daß insoweit eine Vergleichbarkeit mit solchen Mehraufwendungen während einer Dienstreise besteht, die der Befriedigung des menschlichen Nahrungs-, Schlaf- und Reinigungsbedürfnisses dienen. Es ist anerkannt, daß die Aufwendungen zur Befriedigung dieser Bedürfnisse zwar grundsätzlich der Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG zuzuordnen sind, aber etwas anderes für beruflich veranlaßte Mehraufwendungen aus Anlaß von Dienstreisen gilt.

Die aus dieser rechtlichen Wertung folgenden Schwierigkeiten für die praktische Rechtsanwendung, die das FG angesprochen hat, sind dem Senat bewußt. Er hält es jedoch nicht für geboten, ihnen dadurch zu begegnen, daß der Werbungskostenabzug generell und damit selbst demjenigen Steuerpflichtigen versagt wird, der zur vollen Überzeugung der Verwaltung oder des FG alle Nachweise dafür erbracht hat, daß der Schaden an notwendigem Reisegepäck auf der Dienstreise eingetreten ist und daß die nach den Umständen des Einzelfalles zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen getroffen waren. Vielmehr sind die praktischen Schwierigkeiten dadurch zu bewältigen, daß die Verwaltung und die Finanzgerichte beachten, daß der Steuerpflichtige die genannten Voraussetzungen durch geeignete Beweismittel nachweisen muß. Einer gewissen Mißbrauchsanfälligkeit des Werbungskostenabzugs in diesem Bereich ist durch ein entsprechendes Beweismaß Rechnung zu tragen. Zweifel, die auch nach Ausschöpfung der vorhandenen Beweismöglichkeiten bestehen bleiben, gehen zu Lasten des Steuerpflichtigen. Dieser trägt die objektive Feststellungslast für den behaupteten Schadenseintritt auf einer Dienstreise.

b) Zur Höhe der vom Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für Schäden auf Dienstreisen steuerfrei erstattbaren Beträge hat der Senat in dem Urteil in BFHE 173, 73, BStBl II 1994, 256, 258 ausgeführt, daß nichts anderes gelten könne als für den Fall, daß ein Arbeitnehmer Gegenstände seines Privatvermögens für berufliche Zwecke verwenden wolle und umwidme. Dazu hat der IX. Senat des BFH (Urteil vom 14. Februar 1989 IX R 109/84, BFHE 156, 417, BStBl II 1989, 922) entschieden, daß die Anschaffungs- oder Herstellungskosten auf die Gesamtnutzungsdauer einschließlich der Zeit vor der Umwidmung zu verteilen sind und als Werbungskosten (Absetzungen für Abnutzung) nur der Teil abziehbar ist, der auf die Zeit nach der Umwidmung entfällt. Dieser Auffassung hat sich der erkennende Senat mit Urteil vom 2. Februar 1990 VI R 22/86 (BFHE 160, 162, BStBl II 1990, 684) angeschlossen. Dementsprechend kann als Werbungskosten nur der Teil der auf die Gesamtnutzungsdauer verteilten Anschaffungskosten abgezogen werden, der auf die Zeit nach dem Diebstahl entfällt.

c) Die Vorentscheidung ist von anderen Voraussetzungen ausgegangen und aufzuheben, soweit die Klage wegen des Diebstahls des Mantels des Klägers abgewiesen worden ist. Die Sache ist nicht spruchreif und deshalb an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG hat festgestellt, daß der Mantel während einer Dienstreise aus dem PKW des Klägers gestohlen wurde. Es handelt sich bei dem Mantel um einen für die Dienstreise erforderlichen Gegenstand des persönlichen Reisegepäcks des Klägers. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG lassen aber keine Entscheidung darüber zu, ob der Schaden sich in der Weise als Konkretisierung einer reisespezifischen Gefährdung erweist, daß er trotz der nach den Umständen des Einzelfalles zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz des Reisegepäcks nicht zu vermeiden war. Das FG wird die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.

2. Die Revision der Kläger hat keinen Erfolg, soweit das FG die Klage wegen des Verlustes des Mantels der Klägerin abgewiesen hat. Insoweit ist das Urteil im Ergebnis zutreffend. Denn nur der Verlust des eigenen notwendigen Reisegepäcks des Arbeitnehmers auf einer Dienstreise kann zu Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit führen. Läßt sich ein Arbeitnehmer auf einer Dienstreise von seinem Ehepartner begleiten, so ist dies seiner privaten Sphäre zuzuordnen. Die durch die Mitnahme des Ehepartners entstandenen Aufwendungen oder Schäden sind solche der Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG. Die private Mitveranlassung der Begleitung durch den Ehepartner auf einer Dienstreise kann selbst dann nicht als untergeordnet gewertet werden, wenn dieser den Arbeitnehmer bei seiner beruflichen Tätigkeit unterstützt. Da der Arbeitnehmer auf seiner Dienstreise im Interesse seines Arbeitgebers tätig wird, könnte die private Mitveranlassung der Mitnahme des Ehepartners erst dann als gänzlich untergeordnet erscheinen, wenn die Tätigkeit des Ehepartners auf der Dienstreise für den Arbeitgeber so wichtig ist, daß dieser auch den Ehepartner für seine Dienstleistungen bezahlt. Dies ist im Streitfall nicht geschehen.