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  BFH-Urteil vom 26.4.1995 (XI R 75/94) BStBl. 1995 II S. 746

§ 4 Nr. 28 UStG 1980 ist weder unmittelbar noch entsprechend auf sonstige Leistungen anwendbar.

UStG 1980 § 4 Nr. 28.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war Eigentümerin des Grundstücks A. Es lag in einem Sanierungsgebiet und war mit einem Fachwerkhaus sowie mit Lagerhallen bebaut. Die Lagerhallen waren steuerfrei an eine Gebäudereinigungsfirma vermietet. Die Klägerin verpflichtete sich gegenüber der Stadt zum Abbruch der Lagerhallen (Vertrag vom 7. September 1982). Im Anschluß an diese Vereinbarung verpflichtete sich die Deutsche Stadtentwicklungsgesellschaft als Entschädigung für den Abriß 195.000 DM zu zahlen (Vertrag vom 10. Dezember 1982). Die Lagerhallen wurden im Juli 1983 abgerissen, die Entschädigung wurde am 29. Juli 1983 überwiesen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erfaßte die Zahlung als Entgelt für eine steuerbare und steuerpflichtige sonstige Leistung der Klägerin in Form des Hallenabbruchs. Die Klägerin war dagegen der Auffassung, daß die Leistung steuerfrei sei.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1994, 720) und führte im wesentlichen aus: Die Leistung sei steuerbar; es handele sich nicht um nichtsteuerbaren Schadensersatz. § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 greife nicht ein, da dieser Tatbestand nur Vermietungs- und Verpachtungsumsätze erfasse.

Der Hallenabbruch sei auch keine Nebenleistung zur Vermietungshauptleistung. Dahinstehen könne, ob ein Hilfsgeschäft vorliege, da dieses nicht das Schicksal des Hauptgeschäfts teile. Für diese Gesetzesauslegung spreche vor allem § 4 Nr. 28 UStG 1980, der nur bestimmte Hilfsgeschäfte von der Steuerpflicht ausnehme, nicht aber sonstige Leistungen. Würden Hilfsgeschäfte generell das Schicksal des Hauptgeschäfts teilen, wäre § 4 Nr. 28 UStG 1980 obsolet.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend: Der Begriff der Lieferung in § 4 Nr. 28 UStG 1980 sei auf wirtschaftlich vergleichbare Sachverhalte anzuwenden. Die Zahlung für den Abriß als einzige Gegenleistung stelle wirtschaftlich eine Verfügung dar, mit der über den betroffenen Leistungsgegenstand "ultimativ" verfügt worden sei. Insoweit sei der Abriß als Gegenleistung für die Zahlung wirtschaftlich eine Lieferung der abgerissenen Hallen.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Umsatzsteuer auf ./. 66.967,62 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Eine analoge Anwendung des § 4 Nr. 28 UStG 1980 auf Fälle sonstiger Leistungen sei auszuschließen. Es bestehe keine Regelungslücke.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Dem FG ist in der Auffassung zu folgen, daß die Klägerin eine steuerbare sonstige Leistung i. S. des § 3 Abs. 9 UStG 1980 erbracht hat. Ihre Leistung bestand darin, daß sie sich gegenüber der Stadt bereit erklärte, die Lagerhallen abzureißen (vgl. auch Abschn. 1 Abs. 10 Satz 1 der Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - 1992). Ein nichtsteuerbarer Schadensersatz ist nicht gegeben, da der Entschädigung ein Leistungsaustausch (Leistung gegen Zahlung) zugrunde liegt (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1987 V B 91/86, BFH/NV 1987, 405; BFH-Urteile vom 13. März 1987 V R 129/75, BFHE 149, 284, BStBl II 1987, 465, und vom 1. Februar 1990 V R 102/85, BFH/NV 1990, 464, jeweils m. w. N.).

2. Steuerbefreiungsvorschriften greifen nicht ein.

a) § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 kommt nicht zum Zuge. Die (entgeltliche) Verpflichtung zum Abbruch eines Gebäudes ist keine Vermietung eines Grundstücks. Die Vermietung ist auf die Überlassung einer Sache an einen anderen zum Zwecke des Gebrauchs gerichtet. Das FG weist zu Recht darauf hin, daß die Abbruchverpflichtung auch nicht als Nebenleistung zur bisherigen Vermietung beurteilt werden kann und daß ein etwa in Betracht kommendes Hilfsgeschäft nicht das rechtliche Schicksal des Hauptgeschäfts teilt (BFH-Urteile vom 11. April 1957 V 46/56 U, BFHE 64, 594, BStBl III 1957, 222, und vom 14. Juli 1977 V R 20/74, BFHE 123, 203, BStBl II 1977, 881; BFH-Beschluß vom 18. Dezember 1980 V B 24/80, BFHE 132, 147, BStBl II 1981, 197, unter 4; Giesberts, in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz (Mehrwertsteuer), Kommentar, § 2 Abs. 1 und 2 Rz. 169 ff.; Bunjes/Geist, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 4. Aufl. 1993, § 3 Anm. 4, § 4 Nr. 11 Anm. 3).

b) Auch eine Anwendung des § 4 Nr. 28 UStG 1980 kommt nicht in Betracht. Diese Vorschrift befreit in erster Linie Umsätze gebrauchter Anlagegüter (vgl. Klenk in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 28 Bem. 1). Der Sinn dieser (Vereinfachungs-)Regelung liegt darin, daß bei Erwerb der Gegenstände der Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 versagt wurde und eine Veräußerung bzw. ein Eigenverbrauch durch Entnahme ohne die in § 4 Nr. 28 UStG 1980 vorgesehene Steuerbefreiung entweder zu einer doppelten Belastung mit Umsatzsteuer oder zu einer Vorsteuerkorrektur nach § 15 a UStG 1980 führen müßte (vgl. Begründung zu § 4 Nr. 28 des Entwurfs eines UStG 1979, BTDrucks8/1779, S. 35; Kraeusel in Schwarze/Reiß/Kraeusel, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 28 Rz. 8; Birkenfeld, Das Große Umsatzsteuer-Handbuch, 1992, II Rz. 578; Bunjes/Geist, a. a. O., § 4 Nr. 28 Anm. 2; zur Steuerneutralität des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems vgl. auch Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 27. Juni 1989 - Rs. 50/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung (HFR) 1989, 518, unter 10, und BFH-Beschluß vom 29. August 1991 V B 113/91, BFHE 165, 109, BStBl II 1992, 267). Eine unmittelbare Anwendung des § 4 Nr. 28 UStG 1980 scheidet aus, da nur die Lieferung von Gegenständen und der Eigenverbrauch erfaßt werden (vgl. Abschn. 122 Abs. 1 UStR). Für die Auslegung des Begriffs der Lieferung in § 4 Nr. 28 UStG 1980 ist der allgemeine Lieferungsbegriff i. S. von § 1 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 UStG 1980 maßgeblich (BFH-Urteil vom 21. Dezember 1988 V R 24/87, BFHE 156, 273, BStBl II 1989, 430). Danach verlangt eine Lieferung die Verschaffung der Verfügungsmacht, was bei der Verpflichtung des Leistenden zum Abbruch gerade nicht der Fall ist.

Aber auch eine Erstreckung der Regelung im Wege analoger Rechtsanwendung auf sonstige Leistungen ist nicht möglich. § 4 Nr. 28 UStG 1980 enthält insoweit keine "gesetzesplanwidrige Unvollständigkeit". Diese Regelung hat - wie dargelegt - die Aufgabe, Doppelbelastungen zu verhindern. Bei vorsteuerbelastetem Erwerb soll eine weitere Veräußerung nicht zu einer erneuten Umsatzsteuerbelastung führen. Diesem Regelungszweck widerspricht die Steuerbelastung der sonstigen Leistung "Verpflichtung zum Abbruch" nicht; denn sie führt nicht zu einer erneuten Belastung der Veräußerung bzw. des Erwerbs. Vielmehr ist die Verpflichtung zum Abbruch von der früheren entgeltlichen Veräußerung zu trennen. Durch die umsatzsteuerrechtliche Belastung der Leistung "Verpflichtung zum Abbruch" wird nicht derselbe Vorgang (Veräußerung eines bestimmten Gegenstandes) ein zweites Mal besteuert, sondern diese (sonstige) Leistung, die ihrer Art nach von einer erneuten Lieferung zu unterscheiden ist und die gerade nicht zu einer erneuten Verschaffung der Verfügungsmacht führt, wird umsatzsteuerlich erstmals erfaßt. Auch der Zusammenhang mit § 15 a UStG 1980 (s. oben) läßt erkennen, daß der Anwendungsbereich des § 4 Nr. 28 UStG 1980 nicht auf sonstige Leistungen zu erstrecken ist. Für ihre Befreiung nach Maßgabe des § 4 Nr. 28 UStG 1980 besteht daher kein Anlaß.

3. Art. 13 Teil B Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG steht dieser Beurteilung nicht entgegen; diese Regelung sieht Steuerbefreiungen ebenfalls nur für die Lieferung von Gegenständen vor.