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BFH-Urteil
vom 26.4.1995 (XI R 81/93) BStBl. 1995 II S. 754
Auf der Grundlage der im Veranlagungszeitraum 1986 maßgeblichen Verwaltungsregelungen zur Behandlung von Zahlungen des Eigentümers im Hinblick auf das Zwischenmietverhältnis kommt eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nicht in Betracht. AO 1977 §§ 42, 163; UStG 1980 §§ 9, 15. Vorinstanz: FG Nürnberg Sachverhalt I. Die Bauherrengemeinschaft H-N (BHG) errichtete 1984 eine Wohnanlage. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb mit Kaufvertrag vom 6. März 1986 von der Firma C Treuhand Steuerberatungsgesellschaft (C) das Eigentum an der Wohnung Nr. 3 zu einem Kaufpreis von 312.248 DM zuzüglich 44.152 DM Umsatzsteuer. Nutzen und Lasten gingen zum 1. Juni 1986 auf den Kläger über. Die Wohnung war seit dem 1. September 1984 an einen Endmieter vermietet. Lt. Kaufvertrag hatte der Kläger an die Fa. A einen Betrag von 12.600 DM incl. 1.547,37 DM Umsatzsteuer als Bearbeitungs-Beratungshonorar zu entrichten. Mit dem Kaufvertrag verpflichtete sich C, ab 1. Juni 1986 einen gewerblichen Zwischenmieter zu besorgen. Sie beauftragte ab dem auf die Zahlung des Kaufpreises folgenden Monatsersten die Firma F Baubetreuungs- und Verwaltungsgesellschaft mbH (F), das Vertragsobjekt auf drei Jahre zu einem monatlichen Mietzins (kalt) von 1.165,50 DM zuzüglich 15 DM für den Stellplatz sowie 148,75 DM als Vorauszahlung auf die Nebenkosten an die Firma D Hausverwaltungs- und Vermietungsgesellschaft (D) zu vermieten. Der Mietvertrag trat am 1. Juni 1986 in Kraft. Für die Vermietungsgarantie zahlte der Kläger einen Betrag von 3.600 DM an F. Der Kläger verzichtete gemäß § 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 auf die Steuerbefreiung und erklärte im Streitjahr 1986 einen Vorsteuerüberschuß in Höhe von 43.137,28 DM (1.270,50 DM Umsatzsteuer und 44.407,78 DM Vorsteuer). Das für den Kläger damals zuständige Finanzamt X folgte dem nicht und setzte die Umsatzsteuer auf 0 DM fest. Der Kläger erhob Einspruch, über den der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) noch nicht entschieden hat. Mit Schreiben vom 18. September 1989 beantragte der Kläger, die Vorsteuer gemäß § 163 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zu erstatten. Das FA wies den Antrag zurück. Die Beschwerde blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der auf Neubescheidung gerichteten Klage statt. Sofern die Finanzbehörden von einer schädlichen Höhe der Zuzahlungen im Sinne des Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 27. Juni 1983 IV A 3 - S 7198 - 21/83 (BStBl I 1983, 347) ausgegangen seien, hätten sie aufgrund des Erlasses des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 27. Juni 1984 36 - S 7198 - 14/20 - 27528 (Deutsches Steuerrecht - DStR - 1984, 688) weiter prüfen müssen, ob diese Zahlung überhaupt im Hinblick auf das Zwischenmietverhältnis geleistet worden sei. Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts: Nach der Auffassung des FG könnten sich "erhebliche Zahlungen" im Hinblick auf das Zwischenmietverhältnis nicht ergeben. Diese Auffassung hätte zur Folge, daß steuerschädliche Zahlungen im Zusammenhang mit der Zwischenvermietung überhaupt nicht entstehen könnten; das BMF-Schreiben in BStBl I 1983, 347 ginge stets ins Leere. Die vom FG aufgehobene Beschwerdeentscheidung habe darauf abgestellt, daß die Frage "erheblicher Zuzahlungen" nur im Steuerfestsetzungsverfahren, nicht aber im Billigkeitsverfahren geprüft werden könne. Die angefochtene Entscheidung weiche von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. Oktober 1990 I R 3/86 (BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610, 613) ab. Zudem könnten andere Bauherren trotz eingetretener Bestandskraft im Billigkeitswege die nachträgliche Gewährung des Vorsteuerabzugs verlangen. Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen und trägt im wesentlichen vor: Es gehe allein um die vom FA beabsichtigte widersprüchliche Auslegung von Verwaltungsvorschriften und damit um die Verletzung des Selbstbindungsgrundsatzes, die nur auf dem Billigkeitsweg gerügt werden könne. Durch die Verfügungen der Oberfinanzdirektion (OFD) Münster vom 12. Juni 1984 S 2253 - 14 - St 11 - 31 (Betriebs-Berater - BB - 1984, 1343) und der OFD Köln vom 27. Juni 1984 S 7300 - 29 - St 141 (Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1985, 102) sollten überhöhte Mietgarantiegebühren nicht mehr den Anschaffungs- oder Herstellungskosten zugerechnet werden, um auf diese Weise umsatzsteuerlich das Zwischenmietverhältnis wegen überhöhter Zuzahlungen zu Fall bringen zu können. Diese Anweisungen ständen im Widerspruch zum sog. Bauherrenerlaß und zu einem Erlaß der Bayerischen Staatsregierung, nach dem Zahlungen im Hinblick auf das Zwischenmietverhältnis nicht vorlägen, soweit diese Zahlungen Anschaffungs- oder Herstellungskosten seien.
II. Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. FA und OFD haben eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu Recht abgelehnt. 1. Gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die abweichende Festsetzung von Steuern ist ebenso wie der Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen dazu bestimmt, ungewollten Überhängen des gesetzlichen Tatbestandes entgegenzuwirken (z. B. BFH-Urteile vom 24. September 1987 V R 76/78, BFHE 151, 221, BStBl II 1988, 561; vom 20. Februar 1991 II R 63/88, BFHE 164, 114, BStBl II 1991, 541; vom 9. September 1993 V R 45/91, BFHE 172, 237, BStBl II 1994, 131; vom 24. Februar 1994 V R 43/92, nicht veröffentlicht - NV -). Darüber hinaus kann die Festsetzung einer Steuer sachlich unbillig sein, wenn sie den Geboten der Gleichheit und des Vertrauensschutzes, den Grundsätzen von Treu und Glauben, dem Erfordernis der Zumutbarkeit oder dem der gesetzlichen Regelung zugrundeliegenden Zweck widerspricht (BFH-Urteil in BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610). 2. Im Streitfall, in dem der Senat berechtigt ist, die Verwaltungsentscheidungen auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Billigkeit zu überprüfen (vgl. Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603), kann der Kläger Billigkeit allenfalls unter dem Aspekt der Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben begehren (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juni 1975 VIII R 50/72, BFHE 116, 103, BStBl II 1975, 789). Die Verdrängung gesetzten Rechts durch den Grundsatz von Treu und Glauben kann nur in besonderen Fällen in Betracht kommen, in denen das Vertrauen des Steuerpflichtigen in ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in einem so hohen Maße schutzwürdig ist, daß demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zurücktreten (BFH-Urteil in BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610). 3. Der Kläger kann die Vorsteuergewährung im Billigkeitswege nicht mit der Berufung auf die Mitteilung des BMF, veröffentlicht durch den Erlaß des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen in DStR 1984, 688 erwirken. Zwar heißt es dort, daß "Zahlungen im Hinblick auf das Zwischenmietverhältnis" von vornherein nicht vorliegen, soweit diese Zahlungen nach Nr. 2 des BMF-Schreibens vom 13. August 1981 IV B 1 - S 2253 a - 3/81 (BStBl I 1981, 604) Anschaffungskosten oder Herstellungskosten sind. Norminterpretierende Verwaltungsanweisungen, die die gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Rechts sichern sollen, können jedoch im allgemeinen weder eine einer Rechtsverordnung vergleichbare Bindung aller Rechtsanwender noch eine Bindung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben herbeiführen (BFH-Urteil in BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610). Der Vorbehalt einer späteren anderen Auslegung durch die Rechtsprechung gilt vor allem dann, wenn die behandelte Frage zuvor höchstrichterlich noch nicht entschieden war. 4. Eine von den Gerichten zu beachtende Selbstbindung der Verwaltung besteht allerdings ausnahmsweise in dem Bereich der ihr vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsfreiheit, also im Bereich des Ermessens, der Billigkeit (z. B. bei Änderung der Rechtsprechung) und der Typisierung oder Pauschalierung (BFH-Urteil in BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610). Diese Voraussetzungen sind in bezug auf die zitierte BMF-Mitteilung nicht gegeben. Diese Mitteilung ist nicht den genannten Bereichen zuzuordnen; sie sollte vielmehr eine zutreffende Auslegung des geltenden Rechts wiedergeben. 5. Schließlich war das FA nicht verpflichtet, wegen einer Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Einzelfall die Steuer aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen (dazu BFH-Urteil in BFHE 163, 478, BStBl II 1991, 610). a) In diesem Zusammenhang verlangt der Tatbestand von Treu und Glauben einen Vertrauenstatbestand, aufgrund dessen der Steuerpflichtige disponiert hat (BFH-Urteil vom 10. April 1991 XI R 25/89, BFH/NV 1991, 720; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., Stand März 1992, § 4 AO 1977 Tz. 57 f.). Der Vertrauenstatbestand besteht in einer bestimmten Position oder einem bestimmten Verhalten des einen Teils, aufgrund dessen der andere bei objektiver Beurteilung annehmen konnte, jener werde an seiner Position oder seinem Verhalten konsequent und auf Dauer festhalten. Daran fehlt es. b) Zum Zeitpunkt des Erwerbs der Eigentumswohnung im März 1986 waren in der Frage, wie sich die Höhe der gezahlten Mietgarantiegebühr auf die umsatzsteuerrechtliche Anerkennung des Zwischenmietverhältnisses auswirkt, folgende Verwaltungsregelungen bekanntgeworden: Das BMF-Schreiben in BStBl I 1981, 604 (sog. 3. Bauherrenerlaß), Tz. 2 Buchst. i, dd, das BMF-Schreiben in BStBl I 1983, 347, der Erlaß des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen in DStR 1984, 688, die Verfügungen der OFD Münster in BB 1984, 1343 und der OFD Köln in UR 1985, 102. Das BMF-Schreiben vom 8. August 1988 IV A 3 - S 7198 - 25/88 (BStBl I 1988, 322) lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Auf der Grundlage dieser Verwaltungsregelungen konnte sich der Kläger nicht darauf verlassen, daß die Höhe der Zahlungen im Hinblick auf das Zwischenmietverhältnis für dessen umsatzsteuerrechtliche Beurteilung letztendlich irrelevant sein würde, auch wenn nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 1983, 347, und nach der durch Erlaß des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen in DStR 1984, 688 wiedergegebenen Mitteilung des BMF die Zahlungen entweder wegen ihrer unerheblichen Höhe oder wegen ihrer Natur als Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten in jedem Fall nicht als im Hinblick auf das Zwischenmietverhältnis schädliche Zahlungen zu bewerten waren. Denn bereits das BMF-Schreiben in BStBl I 1983, 347 enthält den Hinweis darauf, daß die Einschaltung gewerblicher Zwischenmieter umsatzsteuerrechtlich nicht anerkannt werden könne, wenn in ihr ein Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu sehen sei. Überdies bestimmt die Finanzverwaltung darin die Voraussetzungen für die Annahme nicht erheblicher Zahlungen nur für den Regelfall ("in der Regel"). Auch hätten dem Kläger bei seiner Auslegung des BMF-Schreibens in BStBl I 1983, 347 und des Erlasses des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen in DStR 1984, 688 insofern Bedenken kommen müssen, als schädliche Zuzahlungen nicht mehr vorliegen konnten und die Regelung - wie das FA zu Recht hervorhebt - daher stets ins Leere gehen mußte. c) Schließlich ist auch zu beachten, daß die im Erlaß des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 27. Juni 1984 wiedergegebene Rechtsansicht des BMF nicht zu einem das BMF-Schreiben vom 27. Juni 1983 abändernden BMF-Schreiben geführt hat. Vor allem aber hatte bereits vor dem Erwerb der Wohnung durch den Kläger der BFH in einer Reihe von Entscheidungen Zwischenmietverhältnisse als rechtsmißbräuchliche Gestaltungen beurteilt (vgl. Urteile vom 15. Dezember 1983 V R 131/75, BFHE 140, 363, BStBl II 1984, 388; V R 169/75, BFHE 140, 354, BStBl II 1984, 388; V R 112/76, BFHE 140, 375, BStBl II 1984, 388; V R 133/76, BFHE 140, 369, BStBl II 1984, 388; vom 22. Dezember 1983 V R 35/73, BFHE 140, 379, BStBl II 1984, 400; V R 173/75, BFHE 140, 387, BStBl II 1984, 400, und vom 29. November 1984 V R 38/78, BFHE 142, 519, BStBl II 1985, 269). Schon das BFH-Urteil vom 17. Mai 1984 V R 118/82 (BFHE 141, 339, BStBl II 1984, 678) enthält den Hinweis, daß aus der Anfügung des Satzes 2 in den § 9 UStG 1980 nicht auf eine Billigung der bis zum Inkrafttreten dieser Vorschrift gewählten Gestaltungen durch den Gesetzgeber geschlossen werden könne. Aufgrund dieser Rechtsprechung und des dargestellten Standes der Verwaltungsmeinung konnte der Kläger nicht ohne konkrete Zusage darauf vertrauen, daß die von ihm gewählte Gestaltung von der Verwaltung gebilligt würde. Eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen ist nicht gerechtfertigt.
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