| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 27.6.1995 (V R 27/94) BStBl. 1995 II S. 756

1. Wenn Händler das Angebot des Herstellers auf Rückkauf von noch nicht abgesetzten Erzeugnissen zum Einstandspreis annehmen und erfüllen, ist umsatzsteuerrechtlich eine Rücklieferung und keine Rückgängigmachung einer Lieferung anzunehmen. Eine Rückgängigmachung der ursprünglichen Lieferung ist auch nicht gegeben, wenn ein Preisverfall den Hersteller zum Rückkauf der Ware veranlaßt.

2. Die Rücklieferung einer Ware an den Lieferer, der sie anschließend vernichtet, führt nicht zur Rückgängigmachung von Kürzungsansprüchen nach dem BerlinFG für die ursprüngliche Lieferung dieser Gegenstände.

UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1; BerlinFG § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 1, § 12.

Vorinstanz: FG Hamburg

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine in X ansässige Zigarettenfabrik, lieferte im Streitjahr 1983 in ihrem Werk in Berlin (West) hergestellte Zigaretten von ihrem Zentrallager in Y an Kunden im übrigen Geltungsbereich des Berlinförderungsgesetzes - BerlinFG - (i. d. F. der Bekanntmachung vom 23. Februar 1982, BGBl I 1982, 225, BStBl I 1982, 324). Für diese Lieferungen erhielt sie einen Kürzungsanspruch gemäß § 1 Abs. 1 BerlinFG.

Im Sommer 1983 ergaben sich auf dem Zigarettenmarkt Preissenkungen, die auch die Klägerin zu Preissenkungen veranlaßten. Gegenüber ihren Kunden erklärte sie sich bereit, die Reste vollbezahlter sog. altpreisiger Ware zum Ursprungspreis gegen niedrigpreisige Ware in Zahlung zu nehmen. Den Händlern, die dieses Angebot annahmen, lieferte die Klägerin Neuwaren und verrechnete den Kaufpreis dafür mit den gutgeschriebenen Preisen für die in Zahlung genommene Altware. Die Altware wurde im Zentrallager der Klägerin unter Zollaufsicht vernichtet.

Nach einer Betriebsprüfung verweigerte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) der Klägerin den Anspruch auf Kürzung der Umsatzsteuer für Lieferungen, soweit diese auf zurückgenommene Altware entfielen. Das FA war der Ansicht, insoweit seien die ursprünglichen Lieferungen rückgängig gemacht worden. In dem angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheid für 1983 erhöhte das FA die Umsatzsteuer um den für diese Lieferungen ursprünglich gewährten Kürzungsbetrag. In der Einspruchsentscheidung wies das FA die Ansicht der Klägerin zurück, die Altware sei an sie durch Tausch zurückgeliefert worden.

Auf die Klage ermäßigte das Finanzgericht (FG) antragsgemäß die festgesetzte Steuer. Es führte zur Begründung u. a. aus, durch die Rückgabe der Altware sei die ursprüngliche Lieferung nicht rückgängig gemacht worden, vielmehr sei sie gegen Entgelt zurückgeliefert worden. Durch die Rücklieferung an die westdeutsche Betriebsstätte der Klägerin sei der Kürzungsanspruch nicht nach § 12 BerlinFG weggefallen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 1 Abs. 1, § 12 Satz 2 BerlinFG und § 1 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980. Die Voraussetzungen für eine Begünstigung der Altware seien bei einer Lieferung von der westdeutschen Betriebsstätte nicht erfüllt. Das FA vertritt weiter die Auffassung, die ursprünglichen Lieferungen seien rückgängig gemacht worden und der Kürzungsanspruch sei entfallen.

Das FA beantragt Aufhebung der Vorentscheidung und Klageabweisung.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Vorentscheidung verletzt nicht sachliches Recht.

1. Die Klägerin war berechtigt, für Lieferungen der Altware die geschuldete Umsatzsteuer um die der Höhe nach unstreitigen Beträge zu kürzen.

Hat ein Berliner Unternehmer an einen westdeutschen Unternehmer Gegenstände geliefert, so ist er gemäß § 1 Abs. 1 BerlinFG berechtigt, die von ihm geschuldete Umsatzsteuer um 4,5 v. H. (oder um einen höheren Vomhundertsatz gemäß § 1 Abs. 7 BerlinFG) des für diese Gegenstände vereinbarten Entgelts zu kürzen, wenn diese Gegenstände in Berlin (West) hergestellt worden und aus Berlin (West) in den übrigen Geltungsbereich dieses Gesetzes gelangt sind.

Die streitbefangenen Zigaretten sind in Berlin (West) hergestellt worden und aus Berlin (West) in den übrigen Geltungsbereich des BerlinFG gelangt. Die Klägerin hat diese Zigaretten als Berliner Unternehmer an westdeutsche Abnehmer geliefert. Berliner Unternehmer im Sinne des BerlinFG ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BerlinFG auch eine in Berlin (West) belegene Betriebsstätte eines Unternehmers, der seine Geschäftsleitung im übrigen Geltungsbereich dieses Gesetzes oder im Ausland hat. Umsatzsteuerrechtlich wird die Lieferung des Unternehmers mit Sitz im übrigen Geltungsbereich des BerlinFG seiner Berliner Betriebsstätte zugerechnet, wenn sie das Umsatzgeschäft - wovon die Beteiligten einvernehmlich ausgehen - im eigenen Namen ausführt (vgl. dazu Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 31. März 1980 V B 3/80, BFHE 130, 344, BStBl II 1980, 429 unter 2. a). Ihr werden die Lieferungen der in Berlin (West) hergestellten Gegenstände auch dann als Berliner Unternehmer zugerechnet, wenn sie diese zunächst in eine westdeutsche Betriebsstätte des Unternehmens (nichtsteuerbar) verbracht hat und von dort an einen westdeutschen Abnehmer durch Übertragung der Verfügungsmacht liefert (herrschende Meinung, vgl. dazu Schreiben des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 9. April 1985, BStBl I 1985, 146 Tz. 64; zuvor Schreiben vom 12. Mai 1953, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1953, 89; Schreiben des Senators für Finanzen Berlin vom 27. Januar 1972, UR 1972, 366; Sönksen in Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, K § 5 Rz. 12; Mößlang in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, 5. Aufl., § 5 BerlinFG Rz. 6; Birkenfeld, Berlinförderung, Rz. 503). Ein Kürzungsanspruch nach § 1 a BerlinFG wird dadurch verdrängt.

2. Die begünstigten Lieferungen der Zigaretten sind nicht rückgängig gemacht worden. Die Klägerin braucht den Kürzungsanspruch deshalb nicht entsprechend § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG 1980 zu berichtigen.

Ob eine nichtsteuerbare Rückgängigmachung einer Lieferung oder eine entgeltliche Rücklieferung durch den Empfänger der ursprünglichen Lieferung vorliegt, ist aus dessen Sicht und nicht aus der Sicht des ursprünglichen Lieferers zu beurteilen (BFH-Urteil vom 17. Dezember 1981 V R 75/77, BFHE 135, 115, BStBl II 1982, 233). Rückgängigmachung einer Lieferung ist anzunehmen, wenn der Lieferungsempfänger das der Hinlieferung zugrundeliegende Umsatzgeschäft beseitigt oder sich auf dessen Unwirksamkeit beruft, die zuvor begründete Erwartung des Lieferers auf ein Entgelt dadurch entfällt und der Lieferungsempfänger den empfangenen Gegenstand in Rückabwicklung des Umsatzgeschäfts zurückgibt. Dagegen ist eine Rücklieferung gegeben, wenn die Beteiligten ein neues Umsatzgeschäft eingehen und der Empfänger der Hinlieferung dieses dadurch erfüllt, daß er dem ursprünglichen Lieferer die Verfügungsmacht an dem hingelieferten Gegenstand in Erwartung einer Gegenleistung überträgt.

Das FG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat festgestellt, daß die Zigarettenhändler aufgrund einer eigenen wirtschaftlichen Beurteilung das Angebot der Klägerin zum Rückkauf der noch nicht abgesetzten Zigaretten angenommen und die neu abgeschlossenen Kaufverträge durch Rücklieferungen in Erwartung des dafür vereinbarten Kaufpreises erfüllt haben. Eine tatsächliche oder rechtliche Zwangslage, die die Beteiligten zur Aufhebung der Verkaufsgeschäfte und die die Zigarettenhändler zu der Rückgabe der noch nicht verkauften Zigaretten veranlaßt hätte, hat das FG ausgeschlossen. Die daraus gezogene rechtliche Schlußfolgerung des FG, nach der die ursprünglichen Lieferungen mit ihren Bemessungsgrundlagen als Grundlagen für die Kürzung der Umsatzsteuer erhalten geblieben sind, hält den Revisionsangriffen stand.

3. Die Kürzungsansprüche der Klägerin sind auch nicht nach § 12 BerlinFG weggefallen.

Die Kürzung der Umsatzsteuer für den Berliner Unternehmer wegen seiner Innenumsätze (§ 1 a BerlinFG) und für den Abnehmer (§ 2 BerlinFG) entfällt nach § 12 Satz 1 BerlinFG, wenn die begünstigten Gegenstände nach Berlin (West) zurückgelangen. Nach § 12 Satz 2 BerlinFG darf die Kürzung für die Lieferung nach § 1 BerlinFG nicht vorgenommen werden, wenn der westdeutsche Unternehmer die Gegenstände an den Berliner Lieferer zurückliefert.

Aus dem Zusammenhang der Sätze 1 und 2 des § 12 BerlinFG und dem Sinn und Zweck des Wegfalls der Liefererpräferenz (§ 12 Satz 2 BerlinFG) ergibt sich, daß diese Begünstigung wegfällt, wenn der gelieferte Gegenstand an den Berliner Lieferer unter Umständen zurückgeliefert wird, die einen Mißbrauch durch mehrfache Kürzung der Umsatzsteuer ermöglichen. Die Kürzung soll die Wirtschaftskraft von Berlin (West) durch Lieferung von in diesem Gebiet hergestellten Gegenständen stärken. Die Frage, ob die an den Berliner Lieferer zurückgelieferten Gegenstände für den Wegfall der Liefererpräferenz nach Berlin (West) zurückgelangen müssen oder ob es ausreicht, daß sie an ihn in eine Betriebsstätte des Unternehmens in Westdeutschland zurückgelangen, braucht nicht beantwortet zu werden. Im Streitfall ist ein Mißbrauch der Begünstigung ausgeschlossen, weil die zurückgelieferten Zigaretten vernichtet worden sind. Das FA berücksichtigt auch nicht, daß die begünstigten Zigaretten durch entgeltliche Lieferungen von Zigarettenhändlern an die Klägerin steuerpflichtig verwendet worden sind.