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  BFH-Urteil vom 26.4.1995 (I R 35/93) BStBl. 1995 II S. 767

1. Körperschaften, die schwer vermittelbare und zuvor längere Zeit arbeitslose Personen - insbesondere Suchtkranke, Arbeitsentwöhnte oder Behinderte - arbeitstherapeutisch beschäftigen und berufs- und sozialpädagogisch betreuen, um dadurch deren Eingliederung in den normalen Arbeitsprozeß selbstlos zu fördern (arbeitstherapeutische Beschäftigungsgesellschaften), dienen einem gemeinnützigen Zweck.

2. Führt eine arbeitstherapeutische Beschäftigungsgesellschaft Lohnaufträge aus, um den von ihr geförderten Personen eine sinnvolle Arbeitstherapie anbieten zu können, so ist der dadurch begründete wirtschaftliche Geschäftsbetrieb ein Zweckbetrieb i. S. des § 65 AO 1977, wenn die Leistungen an die Auftraggeber ausschließlich Ergebnis der Arbeitstherapie und somit notwendige Folge der Erfüllung des gemeinnützigen Zwecks sind.

KStG 1984 § 5 Abs. 1 Nr. 9; AO 1977 §§ 14, 52, 57, 65, 66; GG Art. 3 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) - eine GmbH - verfolgte nach ihrem im Jahr 1987 (Streitjahr) geltenden Gesellschaftsvertrag ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und kirchliche Zwecke im Sinne der Abgabenordnung (AO 1977). Gegenstand ihres Unternehmens war nach dem Gesellschaftsvertrag und der tatsächlichen Geschäftsführung die Förderung der Jugend- und Altenhilfe, insbesondere die Hilfe für schwervermittelbare Arbeitslose durch Angebot von Arbeit, Berufsförderung und sozialpädagogische Betreuung. Alleiniger Gesellschafter der Klägerin war ein gemeinnütziger Verein, der Heime und Ausbildungsstätten für Behinderte betrieb. Die Klägerin war seit 12. März 1987 Mitglied des diakonischen Werks der evangelischen Kirche.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) bescheinigte der Klägerin im März 1986 vorläufig, daß sie nach dem Gesellschaftsvertrag ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken diene und zu den in § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) genannten Körperschaften gehöre.

Im Streitjahr beschäftigte die Klägerin insgesamt 16 Arbeitnehmer, die aus verschiedenen Gründen - z. B. wegen Suchterkrankung, Arbeitsentwöhnung oder einer Behinderung - längere Zeit arbeitslos gewesen waren oder auf dem normalen Arbeitsmarkt keine Arbeit fanden. Die Klägerin betreute diese Arbeitnehmer (die sog. Klienten) umfassend sozial- und berufspädagogisch mit dem Ziel, die (Wieder-)Eingliederung der Klienten in den normalen Arbeitsprozeß zu erreichen. Um sie an regelmäßiges Arbeiten zu gewöhnen und mit den Anforderungen insbesondere industrieller Arbeitsplätze vertraut zu machen, beschäftigte die Klägerin die Mehrzahl der Klienten mit Arbeiten für Lohnaufträge, die der Klägerin von mehreren Unternehmen erteilt worden waren. Die Beschäftigung und Betreuung der Klienten durch die Klägerin wurde von Arbeitsämtern und den Trägern der Sozialhilfe finanziell gefördert.

Nach einer Außenprüfung vertrat das FA die Ansicht, die Ausführung der Lohnaufträge sei ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb i. S. des § 14 AO 1977, der nicht die Kriterien eines Zweckbetriebs (§§ 65 f. AO 1977) erfülle, die Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG 1984 sei daher insoweit ausgeschlossen. Es erließ am 6. April 1989 einen Körperschaftsteuerbescheid für das Streitjahr, dem diese Rechtsauffassung zugrunde liegt, und stellte durch Bescheid vom gleichen Tag die Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals zum 31. Dezember 1987 fest.

Der Einspruch war erfolglos. Das Finanzgericht (FG) beurteilte die Übernahme und Ausführung der Lohnaufträge als Zweckbetrieb i. S. des § 66 i. V. m. § 53 Nr. 2 AO 1977 und gab der Klage statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 462 veröffentlicht.

Das FA stützt seine Revision sinngemäß auf Verletzung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG 1984 und des § 66 i. V. m. § 53 Nr. 2 AO 1977.

Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision war gemäß § 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG läßt sich nicht entscheiden, ob der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb "Lohnaufträge" ein Zweckbetrieb i. S. des § 66 AO 1977 war. Dies zwingt jedoch nicht dazu, gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO das FG-Urteil aufzuheben und die Sache zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an das FG zurückzuverweisen. Denn die Entscheidung des FG stellt sich aus anderen Gründen als richtig dar. Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb "Lohnaufträge" war ein Zweckbetrieb i. S. des § 65 AO 1977. Die Steuerbefreiung der Klägerin gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG 1984 erstreckt sich somit für das Streitjahr auch auf diesen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb.

1. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG 1984 sind im Streitjahr Körperschaften von der Körperschaftsteuer befreit, die nach ihrer Satzung oder sonstigen Verfassung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 51 bis 68 AO 1977). Die Steuerbefreiung ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG 1984 i. V. m. § 64 AO 1977 in der im Streitjahr geltenden Fassung (AO 1977 a. F.) jedoch insoweit ausgeschlossen, als ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb i. S. des § 14 AO 1977 unterhalten wurde, der kein Zweckbetrieb war.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, gegen die das FA keine Revisionsrügen erhoben hat und an die der erkennende Senat daher gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), diente die Klägerin im Streitjahr nach ihrem Gesellschaftsvertrag und ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar einem gemeinnützigen Zweck i. S. des § 52 Abs. 1 und 2 Nr. 2 AO 1977 (der selbstlosen Förderung der Jugend- und Altenhilfe). Sie verfolgte diesen Zweck unmittelbar i. S. des § 57 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, obwohl sie nicht nur eigenes, in der Suchtberatung ausgebildetes Personal einsetzte, sondern bei Bedarf auch die Hilfe von fachkundigem Personal (Psychologen, Therapeuten, Soziologen) ihres Gesellschafters in Anspruch nahm. Soweit die Angestellten des Gesellschafters auf Anforderung der Klägerin tätig wurden, ist ihr Wirken gemäß § 57 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 als eigene Tätigkeit der Klägerin anzusehen. Die Angestellten wurden aufgrund einer Personalgestellung - das FA spricht von einer Personalleihe - tätig, also für die Klägerin und nicht für deren Gesellschafter. Die Klägerin erfüllte nach den Feststellungen des FG auch die übrigen, für die Steuerbefreiung erforderlichen Voraussetzungen der §§ 59 und 60 AO 1977. Darüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.

Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß die Übernahme und Ausführung der Lohnaufträge als ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb i. S. des § 14 AO 1977 zu beurteilen ist, für den nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG 1984 i. V. m. § 64 AO 1977 a. F. der Klägerin die Körperschaftsteuerbefreiung nur zusteht, wenn der Betrieb ein Zweckbetrieb i. S. der §§ 65 f. AO 1977 war.

2. Ob der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb "Lohnaufträge" gemäß § 66 AO 1977 ein Zweckbetrieb war, läßt sich aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG nicht entscheiden.

a) Ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb ist nach § 66 Abs. 1 AO 1977 ein Zweckbetrieb, wenn er eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege ist und in besonderem Maße den in § 53 AO 1977 genannten Personen dient. Gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 dient eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege in besonderem Maße den in § 53 AO 1977 genannten Personen, wenn diesen Personen mindestens 2/3 der Leistungen des Betriebs zugute kommen.

b) Das FG hat zwar festgestellt, die Leistungen der Klägerin seien mindestens zu 2/3 den in § 53 Nr. 2 AO 1977 genannten Personen zugute gekommen. Diese Feststellung ist aber lediglich eine Schlußfolgerung. Sie beruht allein auf der zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitigen und vom FG im einzelnen dargestellten Tatsache, daß mindestens 10 der im Streitjahr beschäftigten 16 Klienten zu der in § 53 Nr. 2 AO 1977 genannten Personengruppe gehörten. Zutreffend hat das FA jedoch gerügt, daß diese Tatsache allein noch nicht den Schluß zulasse, auch die Leistungen der Klägerin seien mindestens zu 2/3 den zu dieser Personengruppe gehörenden Klienten zugute gekommen.

3. Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb "Lohnaufträge" war jedenfalls gemäß § 65 AO 1977 ein Zweckbetrieb.

a) Er diente in seiner Gesamtrichtung - d. h. mit den ihn begründenden Tätigkeiten und nicht nur mit den durch ihn erzielten Einnahmen (s. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., Stand März 1994, § 65 AO 1977 Rz. 19; Hüttemann, Wirtschaftliche Betätigung und steuerliche Gemeinnützigkeit, 1991, S. 172 f.) - der Verwirklichung des steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecks der Klägerin (§ 65 Nr. 1 AO 1977). Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, gegen die das FA keine Rügen erhoben hat, führte die Klägerin die Lohnaufträge nur aus, um Klienten mit sinnvoller Arbeit zu beschäftigen und dadurch den steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zweck - die (Wieder-)Eingliederung von schwer vermittelbaren Arbeitslosen in den normalen Arbeitsprozeß - verwirklichen zu können.

b) Die Klägerin konnte ihren steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zweck nur durch einen solchen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb erreichen (§ 65 Nr. 2 AO 1977). Erst die Lohnaufträge setzten sie in die Lage, Klienten mit Arbeiten zu beschäftigen, die für die Klienten und ihre künftigen Arbeitgeber klar erkennbar wirtschaftlich sinnvoll und damit praxisrelevant waren. Zutreffend hat das FG darauf hingewiesen, daß dies eine Grundvoraussetzung für eine Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den normalen Arbeitsprozeß ist.

c) Der Betrieb erfüllte entgegen der Auffassung des FA auch die Voraussetzungen des § 65 Nr. 3 AO 1977. Er trat zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlicher Art nur in dem Umfang in Wettbewerb, als es bei Erfüllung des steuerbegünstigten Zwecks unvermeidbar war.

Die Frage, ob der - tatsächliche oder potentielle - Wettbewerb bei Erfüllung des steuerbegünstigten Zwecks unvermeidbar ist, muß unter Beachtung der nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gebotenen staatlichen Wettbewerbsneutralität beantwortet werden. Ein steuerrechtlicher Eingriff in den Wettbewerb ist nach Art. 3 Abs. 1 GG nur erlaubt, wenn ein hinreichender sachlicher Grund für eine steuerrechtliche Bevorzugung bzw. Benachteiligung vorliegt (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 26. Oktober 1976 1 BvR 191/74, BVerfGE 43, 58, 70). Es ist somit abzuwägen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an einem nicht durch steuerrechtliche Begünstigungen beeinträchtigten Wettbewerb und dem Interesse der Allgemeinheit an der Förderung des steuerbegünstigten Zwecks (s. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Oktober 1993 I R 60/91, BFHE 174, 97, BStBl II 1994, 573; vom 15. Dezember 1993 X R 115/91, BFHE 173, 254, BStBl II 1994, 314 m. w. N.; Scholtz in Koch/Scholtz, Abgabenordnung - AO 1977, 4. Aufl., 1993, § 65 Rz. 9; Fischer, a. a. O., § 65 AO 1977 Rz. 28). Erweist sich, daß der steuerbegünstigte Zweck auch ohne die steuerrechtlich begünstigte entgeltliche Tätigkeit zu erreichen ist, dann ist das Interesse an der Wahrung der Wettbewerbsneutralität vorrangig und aus der Sicht der Gemeinnützigkeit der Wettbewerb vermeidbar (s. Urteile in BFHE 173, 254, BStBl II 1994, 314, und in BFHE 174, 97, BStBl II 1994, 573; Hüttemann, a. a. O., S. 185).

Der Wettbewerb mit anderen - steuerpflichtigen - Betrieben, die vergleichbare Lohnaufträge ausführten oder möglicherweise hätten ausführen wollen, war für die Klägerin unvermeidbar, wenn sie ihren steuerbegünstigten Zweck erfüllen wollte. Sie mußte - wie bereits ausgeführt - die Aufträge übernehmen, um ihren Klienten eine sinnvolle Arbeitstherapie anzubieten. Ohne die Lohnaufträge hätte sie die Klienten nicht in den normalen Arbeitsprozeß eingliedern können. Da sie nur Klienten mit den Arbeiten für die Lohnauftraggeber beschäftigte, waren die Leistungen an die Auftraggeber ausschließlich Ergebnis der Arbeitstherapie und somit notwendige Folge der Erfüllung des von der Klägerin verfolgten gemeinnützigen Zwecks. In derartigen Fällen besteht ein hinreichend sachlicher Grund für eine steuerrechtliche Begünstigung gegenüber den Wettbewerbern (s. Urteil des Reichsfinanzhofs vom 4. Oktober 1938 VI a 43/38, RFHE 45, 80, RStBl 1939, 92; BFH-Urteil in BFHE 173, 254, BStBl II 1994, 314; Erlaß des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 11. März 1992 IV B 4 - S 0170 - 32/92, BStBl I 1993, 214; Fischer, a. a. O., § 65 AO 1977 Rz. 32; Hüttemann, a. a. O., S. 189).

4. Aufgrund des Vortrags des FA in der mündlichen Verhandlung weist der erkennende Senat ergänzend noch auf folgendes hin:

Wirtschaftliche Geschäftsbetriebe von Körperschaften, die arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit bedrohten Personen durch Angebot von Arbeit und beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen helfen wollen (sog. Beschäftigungsgesellschaften), sind nicht schon dann Zweckbetriebe, wenn sie den von Arbeitslosigkeit bedrohten Personen eine Beschäftigungsmöglichkeit bieten (gleicher Ansicht BMF-Erlaß vom 11. März 1992 IV B 4 - S 0170 - 32/92, a. a. O.).

Anders sind - wie oben ausgeführt - wirtschaftliche Geschäftsbetriebe von Beschäftigungsgesellschaften zu beurteilen, in denen schwer vermittelbare und von Arbeitslosigkeit bedrohte Personen beruflich qualifiziert und/oder sozialpädagogisch betreut werden, um sie auf eine Tätigkeit im normalen Arbeitsprozeß vorzubereiten. Dienen die vom Betrieb erbrachten Leistungen nur dieser Vorbereitung und sind sie zur angestrebten (Wieder-)Eingliederung der von der Beschäftigungsgesellschaft geförderten Personen in den normalen Arbeitsprozeß notwendig, steht § 65 Nrn. 2 und 3 AO 1977 der Qualifizierung des Betriebs als Zweckbetrieb nicht entgegen.