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  BFH-Urteil vom 28.6.1995 (II R 80/94) BStBl. 1995 II S. 784

Der Freibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG 1974 kann nicht gewährt werden, wenn dem Erben vom Erblasser versprochen worden ist, ihn zum Erben dafür einzusetzen, daß er ihn pflegt und der Erbe deshalb einen Anspruch auf angemessene Vergütung gegen den Erblasser hat, der als Nachlaßverbindlichkeit i. S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG (BFH-Urteil vom 9. November 1994 II R 110/91, BFHE 176, 48, BStBl II 1995, 62) berücksichtigt werden kann.

ErbStG 1974 § 10 Abs. 5 Nr. 1, § 13 Abs. 1 Nr. 9.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), Dr. W F, ist Alleinerbe nach seinem am .... 1989 verstorbenen Bruder (Erblasser) geworden. Das vom Erblasser am 9. September 1983 errichtete privatschriftliche Testament hatte im wesentlichen folgenden Wortlaut:

"Anläßlich des Todes meines Sohnes H F möchte ich aufgrund meiner gesundheitlichen Verhältnisse und meines Alters folgendes festlegen. Unser sämtlicher Besitz, auch der meines verstorbenen Sohnes, der mir zufällt, kommt nach meinem Tode in die Hände meines Bruders Dr. W F in A. Sollte mein Bruder vor mir versterben, setze ich als Ersatzerben dessen Ehefrau M F ein und als Ersatzerben für M F meinen Neffen M und meine Nichte B F, beide leibliche Kinder von W und M F."

Mit der Erbschaftsteuererklärung machte der Kläger neben Erbfallkosten von 12.969 DM als Nachlaßverbindlichkeiten Aufwendungen für im Rahmen der Pflege des Erblassers entstandene Fahrtkosten für Fahrten zwischen A, dem Wohnort des Klägers, und R, dem Wohnort des Erblassers, in Höhe von insgesamt 14.696,64 DM geltend. Der Berechnung dieser Kosten legte der Kläger wöchentlich drei Fahrten und 0,42 DM je gefahrenem Kilometer zugrunde. Den Wert des Nachlasses, der u. a. ein Einfamilienhaus umfaßte, gab der Kläger mit rund 172.000 DM an.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gewährte bei der Steuerfestsetzung lediglich den Freibetrag von 2.000 DM nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) 1974 für dem Erblasser unentgeltlich gewährte Pflege. Mit der Klage begehrte der Kläger zusätzlich zu diesem Freibetrag den Abzug der Fahrtkosten in Höhe von 14.696 DM als Nachlaßverbindlichkeiten. Zur Begründung führte er u. a. aus, daß er zusammen mit seiner Ehefrau nach dem Tod des Sohnes die Betreuung des Erblassers übernommen habe. Sie hätten den Erblasser nicht bei sich aufnehmen können, andererseits habe es der Erblasser abgelehnt, in ein Pflegeheim zu ziehen. Daher hätten der Kläger und seine Ehefrau dem Erblasser zugesagt, ihn Zeit seines Lebens zu pflegen bzw. für seine Pflege zu sorgen. Dafür habe der Erblasser den Kläger mit Testament vom 9. September 1983 als Erben eingesetzt. Er habe das Testament im Beisein des Klägers und seiner Ehefrau errichtet und den Kläger beauftragt, es in amtliche Verwahrung zu geben. Zusammen mit seiner Ehefrau habe der Kläger versucht, eine umfassende häusliche Pflege zu organisieren, was auch gelungen sei.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit im wesentlichen folgender Begründung stattgegeben: Ein Abzug der geltend gemachten Fahrtkosten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG scheide zwar aus, weil es an einer rechtsgeschäftlichen Grundlage im Sinne der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteil vom 15. Juni 1988 II R 165/85, BFHE 154, 380, BStBl II 1988, 1006) fehle. Sie seien jedoch entsprechend den Ausführungen im BFH-Urteil vom 13. Juli 1983 II R 105/82 (BFHE 139, 294, BStBl II 1984, 37) als Kosten für die Erlangung des Erwerbs i. S. des § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG zu berücksichtigen, denn sie seien als Gegenleistung für eine vertraglich vereinbarte Erbeinsetzung erbracht worden. Im Streitfall fehle zwar eine erbvertragliche Regelung, eine solche sei jedoch nicht notwendig, weil grundsätzlich auch mündliche Vereinbarungen der steuerlichen Beurteilung zugrunde zu legen seien, wenn sie nachgewiesen werden könnten und tatsächlich durchgeführt worden seien. Entscheidend sei letztlich, daß, wie im Streitfall, die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis einer - zivilrechtlich unwirksamen - Vereinbarung gleichwohl hätten eintreten und bestehen lassen, also einerseits die Aufwendungen gegenüber dem Erblasser getätigt worden seien und andererseits dieser die Erbeinsetzung zugunsten des Leistenden nicht widerrufen habe. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und vom Vertreter des FA unbestritten vorgetragen, daß sich die testamentarische Erbeinsetzung und die sich zeitlich daran unmittelbar anschließende Pflege gegenseitig bedingten. Damit sei der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen dem Kostenanfall und dem Erwerb der Erbschaft hergestellt.

Dem Abzug von Aufwendungen im Rahmen erbrachter Pflegeleistungen gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG als Nachlaßverbindlichkeiten stehe § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG nicht entgegen, weil diese Vorschrift gegenüber der erstgenannten logisch nachrangig zu prüfen sei (BFH-Urteil in BFHE 139, 294, BStBl II 1984, 37). Nach der a. a. O. vom BFH vertretenen Auffassung könne zwar die Anwendung von § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG nicht mehr zum Zuge kommen, wenn Zahlungen bereits nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG den Erwerb gemindert hätten. Dies schließe aber ein Nebeneinander beider Vorschriften nicht von vornherein aus. In dem vom BFH entschiedenen Fall habe es sich bei den als Unterhaltszahlungen in Frage kommenden Zahlungen um identische Leistungen im Sinne beider Vorschriften gehandelt. Der Streitfall sei jedoch anders gelagert, denn dem vom Gericht anerkannten Abzug gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG unterlagen tatsächliche Aufwendungen, wogegen § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG den Freibetrag für Pflegeleistungen bei Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen gewähre. Es handle sich mithin gerade nicht um Leistungen, die bereits zum Abzug gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG geführt haben. Das FG hielt es deshalb für gerechtfertigt, dem Klageantrag auch insoweit zu entsprechen und dem Kläger neben den tatsächlichen Kosten auch den Freibetrag gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG zu gewähren. Daß der Kläger solche - unentgeltliche - Pflegeleistungen dem Erblasser gegenüber erbracht habe, stehe außer Zweifel.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG sowie Verletzung der Denkgesetze. Es führt u. a. aus, daß sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinnzusammenhang des § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG entsprechend grundsätzlich nur die Aufwendungen, die als Gegenleistung für die Erbeinsetzung erbracht werden, wie Nachlaßverbindlichkeiten angesehen werden könnten. Unverzichtbare Voraussetzung für den Abzug der Kosten der Pflegediensterbringung sei daher, daß zwischen dem Erblasser und dem Erwerber ein materiell gegenseitiger Vertrag bestanden habe, in dem die Erbeinsetzung gegen Pflegediensterbringung festgelegt gewesen sei. Die erforderliche beiderseitige Bindungswirkung könne jedoch nur durch Errichtung eines Erbvertrages erreicht werden, in dem die gegenseitigen Leistungsverpflichtungen vereinbart worden seien. Denn nur bei Vorliegen einer solchen gegenseitigen Bindung sei das Vermögen des Erblassers bereits zu Lebzeiten mit der Verpflichtung, die Erbeinsetzung - als Gegenleistung für die erhaltene Pflegeleistung - vorzunehmen, wirtschaftlich belastet. Nur bei einem Erbvertrag sei der Erbe an seine Erbeinsetzung gebunden.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage als unbegründet abzuweisen.

Der Kläger hat sich nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

II.

Auf die Revision des FA wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.

1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Zu Recht rügt die Revision, daß das FG die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG 1974 als Kosten beurteilt hat, die mit der Erlangung des Erwerbs von Todes wegen entstanden seien. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Eine wirksame Erbeinsetzung des Klägers gegen Entgelt aufgrund eines materiell gegenseitigen Vertrages, wie sie dem Urteil in BFHE 139, 294, BStBl II 1984, 37 zugrunde gelegen hat, ist nicht erfolgt, weil die für einen Erbvertrag (§ 1941 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -, § 2274 BGB) erforderliche Form (§ 2276 Abs. 1 BGB) nicht gewahrt worden ist. Der erkennende Senat hat im Urteil vom 9. November 1994 II R 110/91 (BFHE 176, 48, BStBl II 1995, 62) entschieden, daß Gestaltungen, wie sie vom FG angenommen worden sind, nicht unter § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG 1974 fallen, sondern unter dem Gesichtspunkt der Erblasserschulden (§ 1967 Abs. 2 1. Alternative BGB, § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG 1974) zu beurteilen sind. Denn das - unwirksame - Versprechen des Erblassers, jemanden als Entgelt für Dienstleistungen oder dergleichen durch eine letztwillige Verfügung zu bedenken, führt unter den Voraussetzungen des § 612 Abs. 1, 2 BGB zu einem Anspruch gegen den Erblasser auf angemessene Vergütung (ggf. auf Ersatz der Aufwendungen, Geschäftsbesorgung, § 675 BGB).

2. a) Zu einer abschließenden Entscheidung ist der erkennende Senat aufgrund der Vorentscheidung nicht in der Lage. Zwar hat das FG unter Bezugnahme auf das Senatsurteil in BFHE 154, 380, BStBl II 1988, 1006 ausgeführt, daß ein Abzug der geltend gemachten Fahrtkosten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG 1974 ausscheide, weil es an einer rechtsgeschäftlichen Grundlage fehle. Die für diese Aussage maßgebenden Gründe hat das FG jedoch nicht angegeben (§ 96 Abs. 1 Satz 3, § 105 Abs. 2 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Abgesehen davon bedarf es auch deshalb der weiteren Ermittlungen, weil die Ausführungen des erkennenden Senats in dem zeitlich erst nach der Entscheidung des FG ergangenen Urteil in BFHE 176, 48, BStBl II 1995, 62 (s. auch Urteil vom 9. November 1994 II R 111/91, BFH/NV 95, 598) und der sich hieraus ergebende rechtliche Rahmen für den vom FG zu ermittelnden Sachverhalt nicht bekannt waren. Das FG wird danach insbesondere zu prüfen haben, ob sich der Kläger gegenüber dem Erblasser verpflichtet hatte, Dienste zu leisten oder sonst für ihn tätig zu werden; evtl. Dienstleistungen der Ehefrau des Klägers bleiben, da nur dessen Erwerb zu ermitteln ist, dabei außer Betracht.

b) Sollte das FG zu dem Ergebnis kommen, daß ein Dienst- bzw. Geschäftsbesorgungsverhältnis bestanden hatte, das nach den Umständen nicht unentgeltlich sein sollte, so steht dem Abzug der geltend gemachten angemessenen Fahrtkosten als Nachlaßverbindlichkeiten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG 1974 nichts entgegen.

Entgegen der Auffassung des FG steht dem Kläger daneben der Freibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG 1974 für weitere von ihm erbrachte Pflegeleistungen nicht zu. Nach der genannten Vorschrift wird der Freibetrag (von 2.000 DM) solchen Personen gewährt, die dem Erblasser unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt Pflege oder Unterhalt gewährt haben, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt anzusehen ist. Danach kommt der Freibetrag nicht in Betracht, wenn - wie im Streitfall vorgetragen worden ist - die Pflege des Erblassers gegen Erbeinsetzung vereinbart gewesen ist und nach den im Urteil in BFHE 176, 48, BStBl II 1995, 62 dargelegten Grundsätzen ein Anspruch auf angemessene Vergütung gegen den Erblasser entstanden ist. Denn in diesem Fall ist die Tatbestandsvoraussetzung des § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG, daß die Pflege unentgeltlich erbracht worden ist, nicht erfüllt. Die Gewährung des Freibetrages hängt auch nicht davon ab, ob der Erbe die vom Erblasser geschuldete angemessene Vergütung in vollem Umfang oder nur zum Teil als Erblasserschulden (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG 1974) geltend macht, denn dies ändert nichts daran, daß die Pflegeleistung entgeltlich erbracht worden ist.