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  BFH-Urteil vom 29.3.1995 (X R 36/94) BStBl. 1995 II S. 828

Erwirbt der Eigentümer einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung erst nach deren Anschaffung oder Fertigstellung das Eigentum an dem dazu gehörenden Grund und Boden, steht ihm für die (hälftigen) Anschaffungskosten des Grund und Bodens nur dann ein Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG zu, wenn die Anschaffung oder Herstellung der Wohnung nach § 10 e Abs. 1 EStG begünstigt ist. Wer im Beitrittsgebiet vor Geltung des § 10 e EStG aufgrund eines Nutzungsrechts nach § 287 ZGB DDR ein eigenes Einfamilienhaus errichtet hat, kann daher für die Anschaffungskosten des nach dem Beitritt der neuen Bundesländer erworbenen, zum Gebäude gehörenden Grund und Bodens keinen Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG in Anspruch nehmen.

EStG § 10 e Abs. 1, § 57 Abs. 1; EGBGB Art. 231 § 5 Abs. 1, Art. 233 § 4 Abs. 1 und 5; ZGB DDR § 287 Abs. 1, § 288 Abs. 4.

Vorinstanz: Thüringer FG

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind verheiratet und haben zwei Kinder. Ihnen wurde nach § 287 des Zivilgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik (ZGB DDR) das Nutzungsrecht an einem Grundstück verliehen. Das Grundstück war "Eigentum des Volkes"; Rechtsträger war der Rat der Stadt T. Aufgrund dieses Nutzungsrechts errichteten die Kläger im Jahr 1984 ein Einfamilienhaus, das sie seitdem mit den Kindern bewohnen. Das Haus wurde im Gebäudegrundbuchblatt als Eigentum "in ehelicher Vermögensgemeinschaft" der Kläger ausgewiesen.

Durch notariellen Vertrag vom 7. November 1991 erwarben sie das Grundstück von der Stadt T. In dem "Kaufvertrag" ist u. a. geregelt:

"1. Der Notar hat das Grundbuch .... eingesehen und folgendes festgestellt:

Flurst. Nr. 1008/65 = 553 Quadratmeter

Flurst. Nr. 1005/65 = 163 Quadratmeter

Eigentümer: Eigentum des Volkes, Rechtsträger: Rat der Stadt T

Belastungen: Nutzungsrecht für den Käufer

Gebäudegrundbuchblatt: 77

Die Stadt T ist für das vorgenannte Grundstück verfügungsberechtigt.

2. Die Käufer sind Eigentümer in ehelicher Vermögensgemeinschaft des im vorgenannten Gebäudegrundbuch eingetragenen Eigenheims. Sie heben an diesem Eigenheim die eheliche Vermögensgemeinschaft auf und vereinbaren Miteigentum je zur Hälfte. Die Eintragung dieser Rechtsänderung in das Grundbuch wird bewilligt und beantragt.

Ferner wird beantragt, gegebenenfalls das Gebäudegrundbuch zu schließen und das Gebäude und die Bodenfläche auf einem Grundbuch, unter Einbeziehung der im Gebäudegrundbuch eingetragenen Belastungen oder Beschränkungen in die Haftung, zu vereinen, sowie das Nutzungsrecht zu löschen.

3. Die Stadt T .... verkauft das unter Ziffer 1 dieses Vertrages näher bezeichnete Grundstück an die Ehegatten (Kläger) .... je zur Hälfte.

4. Die Vertragsparteien sind sich über den Eigentumsübergang einig. Die Eintragung dieser Rechtsänderung in das Grundbuch wird vom Verkäufer bewilligt und vom Käufer beantragt... .

5. Der Kaufpreis beträgt pro Quadratmeter 3,00 DM, ....

....

7. Besitz und Gefahr, Rechte und Pflichten sowie Nutzen und Lasten .... gehen ab heute auf den Käufer über.... ."

In der Einkommensteuererklärung 1991 begehrten die Kläger für die (hälftigen) Anschaffungskosten des Grund und Bodens einen Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. d. F. für das Streitjahr 1991 in Höhe von 79 DM sowie Steuerermäßigung nach § 34 f. Abs. 2 EStG für zwei Kinder.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt

- FA -) lehnte die beantragte Steuerbegünstigung nach § 10 e Abs. 1 EStG und die Steuerermäßigung nach § 34 f. Abs. 2 EStG ab. Das FA war der Auffassung, für die Anschaffungskosten des Grund und Bodens sei ein Abzugsbetrag nur im Zusammenhang mit der Herstellung oder Anschaffung einer nach § 10 e EStG begünstigten Wohnung zu gewähren. Das Einfamilienhaus sei aber bereits im Jahr 1984, also vor Geltung des § 10 e EStG errichtet worden. Der Einspruch der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid 1991 war erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte aus: Die Kläger hätten durch den notariellen Vertrag vom 7. November 1991 das Nutzungsrecht löschen lassen. Dadurch sei nach Art. 233 § 4 Abs. 5 Satz 3 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) das Gebäudeeigentum nach § 288 Abs. 4 ZGB DDR erloschen; das Gebäude sei in das Eigentum des Grundstückseigentümers (der Stadt T) gefallen und somit nicht mehr Eigentum der Kläger gewesen. Der "nachfolgende" Erwerb des Grundstücks durch die Kläger sei ein Anschaffungsvorgang i. S. des § 10 e Abs. 1 EStG. Anschaffungskosten für das Gebäude seien nach dem Vertrag nicht entstanden; vielmehr hätten "die Kläger auf das Nutzungsrecht und damit das Gebäudeeigentum verzichtet, weil sie sogleich Grund und Boden, verbunden mit dem Gebäudeeigentum, erwerben konnten". Die Kläger seien jetzt Volleigentümer im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geworden, während sie vorher nur ein Nutzungsrecht am Grund und Boden gehabt hätten. Es entspreche dem Sinn und Zweck des § 10 e EStG, einen solchen Volleigentumserwerb zu fördern. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 393 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung der §§ 10 e, 34 f i. V. m. 57 Abs. 1 EStG und des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977). Es führt aus: Die Kläger seien nach § 288 Abs. 4 ZGB DDR Eigentümer des von ihnen aufgrund ihres Nutzungsrechts errichteten Gebäudes gewesen. Der Kauf habe sich nur auf das (mit einem Nutzungsrecht belastete) Grundstück bezogen, zumal auch der Wert der Gegenleistung nur nach dem Wert des Grund und Bodens bemessen gewesen sei. Die Kläger hätten das Eigentum an dem Gebäude auch nicht aufgeben wollen. Die angestrebte Löschung des Nutzungsrechts sei eine Folge des Grundstückserwerbs. Das Nutzungsrecht sei mit dem Erwerb des Grund und Bodens gegenstandslos geworden. Nach Art. 233 § 4 Abs. 5 Satz 3 EGBGB sei das selbständige Gebäudeeigentum erloschen. Eine Anschaffung des Gebäudes i. S. von § 10 e Abs. 1 EStG liege hierin nicht. Die Kläger hätten nur das Grundstück erwerben wollen. Dadurch werde aber kein Tatbestand des § 10 e Abs. 1 EStG verwirklicht. Eine Löschung des Nutzungsrechts unter gleichzeitiger Aufgabe des Eigentums an dem Gebäude und der anschließende Erwerb des Grundstücks mit Gebäude sei zudem als Mißbrauch i. S. des § 42 AO 1977 zu beurteilen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. In den neuen Bundesländern ist § 10 e EStG auf Tatbestände anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1990 verwirklicht worden sind (§ 57 Abs. 1 EStG). Voraussetzung für die Gewährung eines Abzugsbetrages nach § 10 e Abs. 1 EStG ist die Herstellung oder Anschaffung einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung. In die Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag werden auch die Kosten der Anschaffung des zur Wohnung gehörenden Grund und Bodens zur Hälfte einbezogen.

Der Grund und Boden ist unselbständiger Teil der nach § 10 e Abs. 1 EStG geförderten Wohnung. Daher können die Anschaffungskosten des Grund und Bodens auch dann berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige diesen bereits vor dem Inkrafttreten des § 10 e EStG erworben hat. Wird der Steuerpflichtige erst nach Anschaffung oder Fertigstellung der Wohnung, aber noch innerhalb des Begünstigungszeitraums Eigentümer des Grund und Bodens, können die Aufwendungen hierfür als nachträgliche Anschaffungskosten ab dem Zeitpunkt ihrer Entstehung in die Bemessungsgrundlage für den Abzugsbetrag einbezogen werden. Der darauf entfallende Abzugsbetrag kann unter den Voraussetzungen des § 10 e Abs. 3 EStG nachgeholt werden.

Da die Anschaffungskosten für den Grund und Boden nicht selbständig gefördert werden, kann für den nachträglich angeschafften Grund und Boden kein Abzugsbetrag gewährt werden, wenn die Wohnung vor der Geltung des § 10 e EStG angeschafft oder hergestellt wurde und daher selbst nicht nach § 10 e EStG begünstigt ist.

2. Die Kläger haben das Einfamilienhaus bereits 1984, also vor Inkrafttreten des § 10 e EStG errichtet und das Eigentum daran erlangt. Die Herstellung der Wohnung war somit nicht nach § 10 e Abs. 1 EStG begünstigt.

Nach § 287 Abs. 1 ZGB DDR konnte den Bürgern der DDR zur Errichtung und persönlichen Nutzung eines Eigenheimes an volkseigenen Grundstücken ein Nutzungsrecht verliehen werden. Die auf dem volkseigenen Grundstück aufgrund des Nutzungsrechts errichteten Gebäude waren persönliches Eigentum des Nutzungsberechtigten (§ 288 Abs. 4 ZGB DDR).

Die aufgrund eines Nutzungsrechts nach § 287 ZGB DDR errichteten Gebäude sind auch nach dem Beitritt keine wesentlichen Bestandteile des Grundstücks geworden (Art. 231 § 5 Abs. 1 EGBGB). Für das Gebäudeeigentum nach § 288 Abs. 4 ZGB DDR gelten vom Wirksamwerden des Beitritts an die sich auf Grundstücke beziehenden Vorschriften des BGB mit Ausnahme der §§ 927 und 928 BGB entsprechend (Art. 233 § 4 Abs. 1 EGBGB). Die Kläger sind folglich Eigentümer des aufgrund ihres Nutzungsrechts nach § 287 ZGB DDR errichteten Gebäudes geblieben. Der Erwerb von der Stadt T umfaßte somit nur den Grund und Boden ohne Gebäude, so daß eine nach § 10 e Abs. 1 EStG begünstigte Anschaffung der Wohnung ebenfalls nicht gegeben ist.

Der Berechtigte, der aufgrund eines Nutzungsrechts nach § 287 ZGB DDR ein Gebäude hergestellt hat, ist demjenigen vergleichbar, der in Ausübung eines dinglichen Rechts (z. B. Erbbaurecht, Nießbrauch) auf einem fremden Grundstück ein Gebäude errichtet. Denn auch ein aufgrund eines dinglichen Rechts am Grundstück erstelltes Gebäude ist kein wesentlicher Bestandteil des Grundstücks (§ 95 Abs. 1 Satz 2 BGB), mit der Folge, daß Grundstückseigentum und Gebäudeeigentum auseinanderfallen. Erwirbt der dinglich Nutzungsberechtigte nach Fertigstellung der Wohnung den Grund und Boden, wird für die Anschaffungskosten ein Abzugsbetrag nach § 10 e Abs. 1 EStG ebenfalls nur gewährt, wenn die Herstellung der Wohnung nach § 10 e EStG begünstigt und der Begünstigungszeitraum noch nicht abgelaufen ist.

3. Entgegen der Auffassung des FG haben die Kläger das Eigentum am Gebäude nicht aufgegeben und anschließend von der Stadt T zusammen mit dem Grund und Boden wieder erworben.

Das FG folgert anscheinend aus der Tatsache, daß im Kaufvertrag unter Nr. 2 die Löschung des Nutzungsrechts beantragt und unter Nr. 3 die Übertragung des Grund und Bodens geregelt worden ist, die Kläger hätten zunächst das Nutzungsrecht löschen lassen. Dies habe nach Art. 233 § 4 Abs. 5 Satz 3 EGBGB zur Folge gehabt, daß das Eigentum am Gebäude erloschen, das Gebäude wesentlicher Bestandteil des Grundstücks geworden und in das Eigentum des Grundstückseigentümers (der Stadt T) gefallen sei. Der nachfolgende Erwerb des Grundstücks (Grund und Boden einschließlich Gebäude) von der Stadt sei eine Anschaffung i. S. des § 10 e Abs. 1 EStG.

a) Es ist bereits zweifelhaft, ob durch einen Antrag auf Löschung des Nutzungsrechts im Streitjahr 1991 das Eigentum am Gebäude untergehen und das Gebäude wesentlicher Bestandteil des Grundstücks werden konnte. Denn Art. 233 § 4 Abs. 5 Satz 3 EGBGB, auf den das FG seine Auffassung stützt, wurde erst durch das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz (2. VermRÄndG) vom 14. Juli 1992 eingefügt. Im Streitjahr 1991 galt Art. 233 § 4 EGBGB i. d. F. des Einigungsvertragsgesetzes, der noch keine Regelungen über die Rechtsfolgen der Aufhebung eines Nutzungsrechts enthielt. Palandt/Bassenge (Bürgerliches Gesetzbuch, 51. Aufl., Art. 233 § 4 EGBGB Rz. 5) vertraten hierzu die Auffassung, die Aufhebung des Nutzungsrechts ändere wie bei § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB die Eigentumsverhältnisse nicht.

b) Auch wenn unterstellt wird, daß die in Art. 233 § 4 Abs. 5 Satz 3 EGBGB i. d. F. des 2. VermRÄndG enthaltenen Regelungen sinngemäß schon für das Streitjahr gelten, entspricht die Vertragsauslegung durch das FG weder den vertraglichen Regelungen noch wird sie den wirtschaftlichen Gegebenheiten gerecht.

Der Verkauf des "unter Ziffer 1 näher bezeichneten Grundstücks" (vgl. Nr. 3 des Vertrages) bezieht sich nur auf den Grund und Boden. Denn in Nr. 1 des Vertrages sind nur die Flurstücke ohne Nennung des Gebäudes aufgeführt. Dementsprechend wird in Nr. 2 des Vertrages festgestellt, daß die Kläger Eigentümer des Einfamilienhauses sind. Das "Eigentum in ehelicher Vermögensgemeinschaft" wird lediglich in Miteigentum je zur Hälfte umgewandelt.

Erwirbt der Nutzungsberechtigte das Eigentum am Grund und Boden, ist das Nutzungsrecht für die Begründung des Eigentums am Gebäude nicht mehr erforderlich. Nach Auffassung des Landgerichts Schwerin (Beschluß vom 3. November 1992 5 T 112/92, Deutsche Notar-Zeitschrift - DNotZ - 1993, 512) geht es unter. Nach anderer Auffassung (z. B. Landgericht Neubrandenburg, Beschluß vom 1. Februar 1994 3 T 126/93, Neue Justiz 1994, 321; Palandt/Bassenge, a. a. O., 54. Aufl., Art. 233 § 4 EGBGB Rz. 10; Faßbender, DNotZ 1993, 513) fällt das Gebäudeeigentum nur in das Bodeneigentum zurück, wenn das Nutzungsrecht (nach §§ 875, 876 BGB) ausdrücklich aufgehoben wird.

Die Kläger haben nicht die Aufhebung des Nutzungsrechts, sondern dessen Löschung beantragt. Das läßt darauf schließen, daß sie davon ausgegangen sind, das Nutzungsrecht gehe unter, wenn der Nutzungsberechtigte das Eigentum am Grundstück erwerbe. Es ist somit das Nutzungsrecht nicht vor Eigentumsübergang aufgehoben worden.

c) Auch wenn der Antrag auf Löschung als Antrag auf Aufhebung des Nutzungsrechts ausgelegt wird, kann aus der Reihenfolge der Erklärungen im Vertrag nicht gefolgert werden, die Kläger hätten zuerst das Nutzungsrecht aufgehoben und anschließend Grund und Boden einschließlich Gebäude als wesentlichen Bestandteil erworben. Der Erwerb des Grund und Bodens und die Aufhebung des Nutzungsrechts wurden im selben Vertrag und damit gleichzeitig vereinbart. Da Nutzungen und Lasten mit Vertragsschluß übergegangen sind, sind die Kläger (wirtschaftliche) Eigentümer des Grund und Bodens geworden. Das Eigentum am Gebäude blieb bestehen nur mit dem Unterschied, daß die Kläger nunmehr Eigentümer des Gebäudes sind, weil dieses (durch den Erwerb des Grund und Bodens oder durch die Löschung des Nutzungsrechts - zur Streitfrage s. unter 3 b) wesentlicher Bestandteil des Grund und Bodens geworden ist, und nicht mehr, weil sie aufgrund des Nutzungsrechts ein Gebäude auf fremdem Grund errichtet haben. In dieser anderen rechtlichen Qualifizierung liegt aber keine Anschaffung i. S. des § 10 e Abs. 1 EStG.