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  BFH-Urteil vom 26.4.1995 (XI R 86/94) BStBl. 1996 II S. 4

Überträgt ein selbständig tätiger Ingenieur sein technisches Spezialwissen und seine Berufserfahrungen entgeltlich auf seinen einzigen Kunden, so stellt dies regelmäßig auch dann keine Betriebsveräußerung oder -aufgabe dar, wenn er unheilbar erkrankt ist und sein Wissen aus diesem Grunde weitergibt. Das Entgelt ist laufende Betriebseinnahme.

EStG § 4 Abs. 1 und 3, § 16 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 und 4, § 18 Abs. 3, § 34.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind die Witwe und die Kinder des Dipl.-Ing. X. Dieser mußte sich im Jahre 1983 einer Krebsoperation unterziehen, nach der er sich als geheilt betrachtete. 1984 traten jedoch erneut Beschwerden auf. Bei einer Untersuchung im Sommer 1984 stellte sich heraus, daß die Krankheit nicht zu heilen war. Im November 1984 verstarb er.

X hatte Eisenhüttenwesen studiert und war anschließend mehr als 20 Jahre im Gießereiwesen tätig, zuletzt als Geschäftsführer einer Stahl- und Sphärogußfabrik, die Mitte 1984 in Konkurs ging. Aus dieser Tätigkeit als Geschäftsführer bezog er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Nach ihrer Beendigung erhielt er eine Invalidenrente. Zusätzlich war er seit 1982 als freiberuflicher Berater für allgemeine Fragen des Stahlgusses für ein Eisen- und Stahlwerk tätig, die Firma Y. Hierfür erhielt er eine Jahrespauschale von 8.000 DM. Mitte 1984 erwies es sich für die Y, die sich bis dahin auf Stahlguß spezialisiert hatte, als erforderlich, einen bestimmten Artikel für einen Großkunden kurzfristig im Wege der Sphärotechnik herzustellen und überdies einen eigenständigen Sphärogußbetrieb aufzubauen. Die entsprechenden Vorbereitungsarbeiten, um das Fertigungsverfahren hinsichtlich des Artikels umzustellen, wurden unter Beratung und Leitung von X gegen eine monatliche Pauschale von 6.000 DM im August 1984 aufgenommen und waren Anfang November 1984 im wesentlichen abgeschlossen. Nachdem er von der Prognose über seinen Gesundheitszustand erfahren hatte, stellte X der Y außerdem seine gesamten Erfahrungen und sein Wissen (u. a. über die Marktverhältnisse und die besonderen technischen Anforderungen) zur Verfügung, um den Sphärogußbetrieb aufzubauen. Er führte zu diesem Zweck lange und intensive Gespräche mit Mitarbeitern der Y; schriftliche Unterlagen und Aufzeichnungen wurden nicht übergeben. Als Entgelt hierfür wurden 270.000 DM vereinbart, von denen die Hälfte sofort zu zahlen war, während die zweite Hälfte erst fällig werden sollte, wenn feststand, daß die Wissensübertragung erfolgreich gelungen war. Y stellte drei Schecks aus: am 30. August 1984 über 135.000 DM, am 10. Oktober 1984 über 75.000 DM und am 6. November 1984 über 60.000 DM. Nur der erste Scheck wurde bereits im Jahre 1984 eingelöst, die beiden übrigen Schecks erst später.

X ermittelte den Gewinn aus der Beratertätigkeit gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Für das Streitjahr (1984) erstellte die Klägerin zu 1. auf Anordnung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) eine Schlußbilanz und erklärte hiernach einen durch die Aufgabe der Beraterpraxis ihres verstorbenen Ehemannes entstandenen Veräußerungsgewinn in Höhe von 271.648 DM, der nach § 18 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 1 und 4, § 34 Abs. 1 EStG zu begünstigen sei. Das FA sah in dem Honorar von 270.000 DM jedoch laufende Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit und setzte die Einkommensteuer entsprechend fest.

Einspruch und Klage blieben insoweit ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, ein Freiberufler könne zwar immaterielle Wirtschaftsgüter wie den Praxiswert oder den Mandantenstamm veräußern, nicht aber sein fachliches Wissen und seine Erfahrungen. Dieses Wissen und diese Erfahrungen seien höchstpersönlicher Natur. Sie seien deshalb nicht veräußerlich, auch wenn ihre Weitergabe an die Y dem X die Grundlage für eine weitere beratende Tätigkeit dieser gegenüber genommen habe. Vielmehr stelle die Weitergabe der Kenntnisse eine besonders intensive und aufwendige Beratungsleistung dar; die daraus erzielten Einnahmen seien laufender Natur. Im Hinblick auf den von den Klägern begehrten erhöhten Freibetrag nach § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG komme hinzu, daß Grund für die Aufgabe der Beratungspraxis des X dessen kurzfristig bevorstehender Tod gewesen sei, nicht aber seine dauernde Berufsunfähigkeit. Der Sinn des erhöhten Freibetrages und der dadurch bedingten Steuererleichterung bestehe aber gerade darin, daß diese dem Steuerpflichtigen, der durch Eintritt der Invalidität zur Betriebsaufgabe gezwungen werde, selbst zugute komme. Das an X gezahlte Honorar sei auch in voller Höhe im Streitjahr zu besteuern. Auf den Zeitpunkt der Scheckeinlösung komme es nicht an; maßgeblich sei der Todestag des X, auf den die Abschlußbilanz erstellt worden sei.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Sie beantragen sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer 1984 unter Anwendung des § 18 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 1 und 4 Satz 3 EStG, hilfsweise, ohne Berücksichtigung der beiden erst im Jahre 1986 eingelösten Schecks der Y festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG zu Unrecht den laufenden Gewinn des X durch Vermögensvergleich ermittelt hat.

1. Das FG ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, daß die Honorarzahlungen der Y zum laufenden Gewinn des X gehörten und nicht zu einem Veräußerungsgewinn führten.

a) Gemäß § 18 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit auch Gewinne, die bei der Veräußerung des freiberuflichen Betriebs erzielt werden. Als Veräußerung gilt auch die Aufgabe des Betriebs (§ 16 Abs. 3 Satz 1 EStG).

b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall im Hinblick auf die von der Y geleisteten Honorarzahlungen nicht erfüllt.

X hat insoweit keinen Gewinn aus der Veräußerung oder Aufgabe seiner freiberuflichen Tätigkeit erzielt; es handelte sich bei den Honorarzahlungen der Y vielmehr um laufende betriebliche Einnahmen. X hat seine vorhergehende, aus jeweils konkretem Anlaß bedingte Beratung der Y infolge deren betrieblichen Erfordernisse, einen Sphärogußbetrieb aufzubauen, lediglich gegenständlich umgestellt, nicht aber sein technisches Spezialwissen, das sog. Know-how, an die Y veräußert. Sichtbar wird dies allein schon daran, daß die "Wissensübertragung" nicht schriftlich fixiert worden ist und daß die Y keine schriftlichen Unterlagen und Aufzeichnungen erhalten hat. Das FA weist auch zu Recht darauf hin, daß X sich infolge der Wissensübertragung lediglich künftiger Beratungen bei der Y begeben hat, nicht aber bei anderen einschlägigen Kunden. Sein Wissen und seine Kenntnisse sind ihm geblieben und hätten ihm, wäre er nicht kurz darauf verstorben, auch weiterhin für entsprechende Beratungsleistungen (ebenso wie ggf. für den Abschluß von Know-how-Verträgen) zur Verfügung gestanden. Der Umstand, daß im Streitfall der Leistungsempfänger - die Y - der seinerzeit einzige Klient des Klägers gewesen ist, vermag daran nichts zu ändern, zumal ein Konkurrenzverbot, wie das FG festgestellt hat, nicht vereinbart wurde. Gleichermaßen bleibt es insoweit ohne Bedeutung, daß X unheilbar erkrankt gewesen ist und deshalb möglicherweise nicht davon ausgehen konnte, zur Ausübung seiner Beratertätigkeit noch in der Lage zu sein.

2. Das Urteil des FG ist dennoch aufzuheben. Die Vorinstanz hat festgestellt, daß die Y die Honorarforderung des X durch drei Schecks beglichen hat, die sämtlich vor dessen Tod ausgestellt worden sind, von denen aber lediglich einer über den Betrag von 135.000 DM im Streitjahr eingelöst wurde. Das FG hat angenommen, daß - unabhängig vom Zeitpunkt der Einlösung - der Gesamtbetrag von 270.000 DM im Streitjahr als laufende Einnahme des X zu erfassen sei. Dem kann nicht gefolgt werden, weil X den laufenden Gewinn aus seiner Beratungspraxis nicht durch Bestandsvergleich, sondern nach den den Senat bindenden (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt hat. Daß die Klägerin zu 1 auf Veranlassung des FA eine Aufgabebilanz erstellt hat, um den gesetzlichen Anforderungen des § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG zu genügen, ist für die Erfassung der laufenden Einnahmen ohne Bedeutung. Die Erstellung der Aufgabebilanz dient allein dem Zweck, den Aufgabe- oder Veräußerungsgewinn zu dokumentieren, nicht aber dazu, den laufenden Gewinn zu ermitteln (zur Abgrenzung s. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Juli 1991 X R 163-164/87, BFHE 164, 556, BStBl II 1991, 802, 805; ferner BFH-Urteil vom 16. März 1989 IV R 153/86, BFHE 156, 195, BStBl II 1989, 557; Reiß in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 16 Rdnr. E 99). Der Eintritt des Erbfalls zieht (noch) keine Betriebsaufgabe nach sich (vgl. Stuhrmann in Kirchhof/Söhn, a. a. O., § 18 Rdnr. D 35).

Da der laufende Gewinn des X nach § 4 Abs. 3 EStG zu ermitteln war, kommt es darauf an, ob ihm die entsprechenden Honorarzahlungen tatsächlich zugeflossen sind (§ 11 Abs. 1 EStG). Dies wäre der Fall, wenn die Y ihm die Schecks noch zu Lebzeiten ausgehändigt hätte (vgl. BFH-Urteil vom 30. Oktober 1980 IV R 97/78, BFHE 132, 410, BStBl II 1981, 305; vgl. auch Senatsurteil vom 8. Dezember 1993 XI R 81/90, BFHE 173, 252, BStBl II 1994, 338), was von den Klägern hinsichtlich der beiden Schecks vom 10. Oktober 1984 und vom 6. November 1984 indes in Abrede gestellt wird. Feststellungen des FG zur Begebung der Schecks fehlen. Sie sind im 2. Rechtsgang nachzuholen.