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  BFH-Urteil vom 21.8.1995 (VI R 47/95) BStBl. 1996 II S. 10

Eine ohne besonderen Anlaß (wie z. B. Halten eines Vortrags) durchgeführte Reise einer Lehrerin nach England ist dann nicht nahezu ausschließlich beruflich veranlaßt, wenn neben einem Ausflug am Wochenende von insgesamt zehn Arbeitstagen ein Tag sowie drei Nachmittage mit der Verfolgung allgemeintouristischer Zwecke verbracht werden.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, § 12 Nr. 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Lehrerin an einer allgemeinbildenden Schule u. a. für Englisch. Im Schulverwaltungsblatt wurden vom International Study Programmes zweiwöchige Englandkurse für deutsche Lehrer angeboten. Der Klägerin wurde für die Dauer des Kurses, der in Exeter stattfand, Dienstbefreiung unter Weiterzahlung der Dienstbezüge gewährt. Ein Zuschuß zu den Kosten wurde vom Dienstherrn nicht gezahlt. Die Teilnehmer an den Kursen wurden einzeln in Gastfamilien untergebracht. An den Kursen nahmen nur Lehrer teil.

Das Kursprogramm wies folgende Struktur auf: Sonntag Anreise, Montag Einführung in das Programm, Dienstag bis Freitag halb- oder ganztägige Schulbesichtigungen, eine Stadtführung, eine Besichtigung und ein abendliches Seminar, Sonnabend/Sonntag ein Tagesausflug bzw. ein Tag frei, Montag bis Mittwoch ganztägiges Seminar über das Lehren von Englisch als Fremdsprache, Donnerstag Besichtigung von Schulen und Sehenswürdigkeiten, Freitagvormittag Fahrt nach London, Nachmittag frei in London, Sonnabend Rückfahrt. Ziele des Kurses waren im wesentlichen sprachliche und methodische Auffrischung, Information über das reformierte englische Schulsystem, Teilnahme am Unterricht und Erfahrungsaustausch mit englischen Lehrern, Erweiterung der Sprachkompetenz.

Die Klägerin machte ihre Aufwendungen wegen der Teilnahme an dem Kursus als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) versagte den Abzug mit der Begründung, daß die Verfolgung allgemeintouristischer Interessen von nicht untergeordneter Bedeutung gewesen sei.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage dem Grunde nach statt, erkannte die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen jedoch nur zum Teil an. Es hielt die private Mitveranlassung der Reise für so gering, daß sie vernachlässigt werden könne.

Das FA rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Dem FG kann nicht darin gefolgt werden, daß die Reiseaufwendungen der Klägerin als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) abziehbar sind.

1. Für den Abzug der Kosten einer Auslandsreise als Werbungskosten ist maßgebend, ob die Aufwendungen objektiv durch die besonderen beruflichen Gegebenheiten veranlaßt sind und die Befriedigung privater Interessen i. S. des § 12 Nr. 1 EStG, wie z. B. Erholung, Bildung und Erweiterung des allgemeinen Gesichtskreises nach dem Anlaß der Reise, dem vorgesehenen Programm und der tatsächlichen Durchführung nahezu ausgeschlossen ist (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. November 1978 GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213; Urteil vom 14. Juli 1988 IV R 57/87, BFHE 154, 312, BStBl II 1989, 19, 20).

Der im Streitfall durchgeführten Auslandsreise fehlte ein unmittelbarer, beruflicher Anlaß, wie es z. B. das Halten eines Vortrages auf einem Kongreß oder das Aufsuchen eines Geschäftsfreundes gewesen wäre. Nach der Rechtsprechung müssen bei derartigen Reisen die Beurteilungsmerkmale, die jeweils für eine private oder berufliche Veranlassung sprechen, gegeneinander abgewogen werden; ein Abzug als Werbungskosten oder Betriebsausgaben scheidet bereits dann aus, wenn das Hereinspielen der Lebensführung ins Gewicht fällt und nicht von ganz untergeordneter Bedeutung ist (vgl. BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213, 218, unter C II 2 c der Entscheidungsgründe; BFHE 154, 312, BStBl II 1989, 19, 21).

2. Danach ergibt sich im Streitfall, daß die von der Klägerin unternommene Reise zwar beruflich veranlaßt war, gleichwohl aber nach den besonderen Umständen der Reise in nicht unerheblichem Umfang auch von privaten Motiven beeinflußt war. Für die berufliche Veranlassung sprechen der homogene Teilnehmerkreis, die Schulbesuche in Exeter und die eindeutig berufsbezogenen Themen der Seminare. Diesen beruflichen Gesichtspunkten gegenüber fällt jedoch ins Gewicht, daß während der zweiwöchigen Reise neben einem Ausflug am Wochenende drei Nachmittage von Arbeitstagen mit allgemein interessierenden Besichtigungen ausgefüllt waren und der letzte Arbeitstag vor der Abreise dem Besuch Londons diente.

Soweit das FG diesen allgemeintouristischen Aspekt der Reise deshalb nicht als schädlich angesehen hat, weil dadurch die landeskundlichen Kenntnisse der Lehrer erweitert worden und diese ihrer beruflichen Sphäre zuzuordnen seien, vermag der Senat dieser Wertung nicht zu folgen. Werden auf einer Englandreise die landeskundlichen Kenntnisse von Englischlehrern wie bei anderen Touristen auch durch Besichtigungen von Städten oder sonstiger touristisch interessanter Einrichtungen vermittelt, so wird dadurch die Allgemeinbildung oder die allgemeine berufliche Bildung erweitert. Beide sind nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BFH (vgl. Beschluß in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213, unter C II 1 a der Entscheidungsgründe) der Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG und nicht der beruflichen Sphäre zuzuordnen. Dieser Auffassung hat sich der erkennende Senat angeschlossen. Er hat in dem Urteil vom 23. Oktober 1981 VI R 71/78 (BFHE 134, 325, BStBl II 1982, 69) entschieden, daß eine die allgemeine berufliche Bildung eines Geographie-Professors fördernde Reise seiner Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG zuzurechnen ist.

Auch bei einer ansonsten auf die spezifischen beruflichen Bedürfnisse der Teilnehmer zugeschnittenen Auslandsreise fällt das Hereinspielen der Lebensführung ins Gewicht, wenn auf einer zehn Arbeitstage enthaltenden Auslandsreise neben einem Ausflug am Wochenende ein Arbeitstag und drei Nachmittage von Arbeitstagen mit Städtebesuchen oder der Besichtigung allgemein interessierender Einrichtungen ausgefüllt sind.