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  BFH-Urteil vom 6.10.1995 (III R 52/90) BStBl. 1996 II S. 20

Entscheidet das BVerfG, daß eine von ihm für verfassungswidrig erklärte gesetzliche Regelung erst für die Zukunft neu zu gestalten ist, können die Kosten finanzgerichtlicher Verfahren, in denen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung streitig war, in der Regel selbst dann nicht dem FA auferlegt werden, wenn das BVerfG bei gegen die Regelung anhängig gewesenen (erfolglosen) Verfassungsbeschwerden die Auslagenerstattung angeordnet hat. Dies gilt auch in Fällen, in denen das FA vor Anhängigkeit des Musterverfahrens beim BVerfG ein vom Kläger begehrtes Ruhen des Einspruchs- oder Klageverfahrens verweigert hat; jedenfalls dann, wenn der Grund, aus dem die Regelung verfassungswidrig ist, auf den Kläger nicht zutrifft (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 18. März 1994 III B 543/90, BFHE 173, 506, BStBl II 1994, 473).

GG Art. 19 Abs. 4; BVerfGG § 34 a Abs. 3; AO 1977 §§ 165, 363 Abs. 2; FGO §§ 74, 102, 118, 135 Abs. 2, 137 Satz 2, 138 Abs. 2 Satz 1, 145, 155; ZPO § 251.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wandte sich mit dem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr (1986). In diesem Einkommensteuerbescheid war für ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von ... DM nach der Grundtabelle eine Einkommensteuer in Höhe von ... DM festgesetzt worden. Mit dem Einspruch machte die Klägerin u. a. geltend, daß der im Einkommensteuertarif berücksichtigte Grundfreibetrag aus verfassungsrechtlichen Gründen zu niedrig sei. Sie beantragte, das Einspruchsverfahren ruhen zu lassen, da dem Bundesfinanzhof (BFH) ein Musterverfahren (Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts - FG - Köln vom 14. Juli 1988 5 K 424/88, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1988, 581) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrages vorliege.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) wies den Einspruch als unbegründet zurück. In der Einspruchsentscheidung lehnte das FA auch das Ruhen des Verfahrens ab. Dies begründete es damit, daß ein Musterverfahren vor dem BFH zwar regelmäßig ein Grund sei, das Verfahren ruhen zu lassen. Jedoch stelle nicht jedes schwebende Verfahren automatisch einen wichtigen Grund für das Ruhenlassen des Verfahrens dar. Die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs dürften nicht unberücksichtigt bleiben. Diese Erfolgsaussichten seien im Streitfall als äußerst gering einzuschätzen. Denn das FG Köln habe in der mit der Revision angegriffenen Entscheidung die Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrages in den Fällen bejaht, in denen ein Steuerpflichtiger zur Erfüllung der Steuerschuld nicht das realistische Existenzminimum antasten müsse. Im Streitfall sei der Klägerin nach der Besteuerung ein deutlich höherer Betrag als das Existenzminimum verblieben. Im übrigen habe die Klägerin eigene rechtserhebliche Gründe gegen die Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrages nicht vorgetragen.

Die Klägerin erhob daraufhin Klage wegen des Grundfreibetrages. Sie beantragte gleichzeitig, das Klageverfahren im Hinblick auf das beim BFH anhängige Musterverfahren ruhen zu lassen. Das FA verweigerte die Zustimmung zum Ruhen des Verfahrens unter Bezugnahme auf seine in der Einspruchsentscheidung vertretene Auffassung ausdrücklich. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, der auch viele Klagen anderer Steuerpflichtiger wegen des Grundfreibetrages eingereicht hatte, regte sodann an, nur einige wenige Verfahren zu entscheiden und im übrigen eine Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung abzuwarten.

Das FG wies die Klage der Klägerin als unbegründet ab. Es vertrat die Auffassung, daß der im Einkommensteuertarif berücksichtigte Grundfreibetrag verfassungsgemäß sei. Selbst wenn man dies anders sehe, könnten allenfalls solche Steuerpflichtige eine Grundrechtsverletzung rügen, denen nach der Besteuerung nicht mehr das Existenzminimum verblieben sei. Die Anregung, nur einige wenige Fälle zu entscheiden und die anderen zurückzustellen, lehnte das FG mit der Begründung ab, daß der Grundfreibetrag jeden Steuerpflichtigen betreffe und somit auch in jedem Urteil hierüber mitzuentscheiden sei. Es könnten daher bis zu einer höchstrichterlichen Klärung überhaupt keine Verfahren mehr entschieden werden, wenn über wenige Musterverfahren hinaus alle Entscheidungen zur Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrages zurückgestellt würden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom FG zugelassene Revision der Klägerin. Während des Revisionsverfahrens erklärte das FA den angegriffenen Steuerbescheid hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen, der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen und der Höhe der zumutbaren Belastung bei den außergewöhnlichen Belastungen für vorläufig. Die Klägerin machte diesen Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens.

Mit der Revision wurde zunächst das Ziel verfolgt, den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr sowie das Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuerschuld unter Berücksichtigung eines Grundfreibetrages von 10.000 DM neu festzusetzen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluß vom 25. September 1992 2 BvL 5, 8, 14/91 (BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413) die Grundfreibeträge u. a. für das Streitjahr zwar für verfassungswidrig, aber trotzdem (bis einschließlich 1992 bzw. 1995) für weiter anwendbar erklärt hat, will die Klägerin erreichen, daß das Urteil des FG wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und an das FG zurückverwiesen wird und die Kosten des gesamten Verfahrens dem FA auferlegt werden.

Den Verfahrensfehler sieht die Klägerin darin, daß das FG das Klageverfahren trotz des damals beim BFH anhängigen Musterverfahrens nicht ausgesetzt oder ruhen gelassen habe. Die Auferlegung der Kosten auf das FA sei auch deshalb geboten, weil das FA bereits das Einspruchsverfahren habe ruhen lassen müssen. Es sei mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbar, wenn das FG und das FA einen die Verfassungsmäßigkeit einer Norm anzweifelnden Steuerpflichtigen durch Entscheidungen, die wegen des anhängigen Musterverfahrens unnötig seien, in das Kostenrisiko weiterer gerichtlicher Schritte treiben könnten. Der Steuerpflichtige habe die Dispositionsmaxime (und sogar die Pflicht), sich gegen Verwaltungsakte zu wehren, wenn er befürchte, daß diese wegen Verfassungsverstoßes nicht rechtmäßig seien. Dadurch dürften ihm keine kostenrechtlichen Nachteile entstehen, die bei objektiver Betrachtung durch Ruhenlassen des Verfahrens vermieden werden könnten.

Außerdem habe sie - die Klägerin - die Klage zu Recht erhoben, denn das BVerfG habe den Grundfreibetrag für das Streitjahr für verfassungswidrig erklärt. Daß das BVerfG den Grund für die Verfassungswidrigkeit und für die Erforderlichkeit der gesetzlichen Neuregelung nur in der Besteuerung von Steuerpflichtigen gesehen habe, die kein höheres Einkommen als das sozialhilferechtliche Existenzminimum hatten, sei bei Einlegung des Einspruchs und bei Klageerhebung nicht voraussehbar gewesen. Diese Beurteilung dürfe ihr - der Klägerin - daher nicht rückwirkend entgegengehalten werden. Das BVerfG habe demgemäß die Kosten der bei ihm anhängigen Verfassungsbeschwerden auch in den Fällen dem Staat auferlegt, in denen durch die Besteuerung nicht in das sozialhilferechtliche Existenzminimum eingegriffen worden sei, obwohl die Verfassungsbeschwerden im Ergebnis wegen der weiteren Anwendbarkeit der Grundfreibeträge ebenfalls erfolglos geblieben seien. Die Kostentragungsvorschriften der Finanzgerichtsordnung (FGO) seien deshalb verfassungskonform dahin auszulegen, daß in Fällen, in denen das BVerfG eine Norm für verfassungswidrig erkläre und (aus Haushaltsgründen) nur eine Neuregelung für die Zukunft anordne, die Kosten der gegen diese Norm gerichteten finanzgerichtlichen Verfahren dem FA aufzuerlegen seien. Denn der Staat habe das Risiko der Verfassungswidrigkeit von Gesetzen zu tragen.

Wenn die Kostentragungspflicht des FA nicht anders zu erreichen sei, müsse der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr nachträglich wegen des Grundfreibetrages für vorläufig erklärt werden. Danach könne nämlich der Rechtsstreit für erledigt erklärt werden, so daß die Kosten dem FA aufzuerlegen seien.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen und dabei dem FG aufzugeben, die Kosten des gesamten Verfahrens dem FA aufzuerlegen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen und die Kosten des Revisionsverfahrens der Klägerin aufzuerlegen.

Entscheidungsgründe

1. Die Revision ist zulässig.

Der erkennende Senat versteht die jetzige Zielrichtung der Revision so, daß die Klägerin in erster Linie eine für sie günstige Kostenentscheidung hinsichtlich des gesamten Verfahrens anstrebt. Sie will trotzdem aber nicht nur eine Aufhebung des FG-Urteils wegen der Kostenentscheidung erreichen, sondern greift das Urteil auch in der Hauptsache der Abweisung der Klage an. Das wird dadurch deutlich, daß die Klägerin - wenn auch ebenfalls mit dem Ziel einer für sie günstigen Kostenentscheidung - notfalls eine Vorläufigkeitserklärung des Steuerbescheides für erforderlich hält, um die Hauptsache für erledigt erklären zu können.

a) Es kann in diesem Zusammenhang daher offenbleiben, ob im Revisionsverfahren die Aufhebung eines FG-Urteils wegen eines Verfahrensfehlers lediglich deshalb verlangt werden könnte, weil eine andere Kostenentscheidung getroffen werden soll. Dagegen spricht § 145 Abs. 2 (ab 1993: § 145) FGO, wonach die Anfechtung einer Entscheidung nur wegen des Kostenpunktes unzulässig ist. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.

b) Unerheblich ist für die Zulässigkeit der Revision ferner, ob der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensmangel schlüssig dargelegt worden ist (s. dazu unten unter 2. a). Die Zulässigkeit der Revision ist nur dann von der schlüssigen Rüge eines Verfahrensmangels abhängig, wenn die Revision allein auf Verfahrensmängel gestützt wird (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 118 FGO Tz. 69). Das ist hier nicht der Fall, wie oben dargelegt worden ist.

2. Die Revision ist jedoch unbegründet.

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das FG keinen Verfahrensfehler begangen, indem es das Klageverfahren trotz des damals bereits beim BFH anhängigen Musterverfahrens nicht ausgesetzt hat. Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine Aussetzung des Klageverfahrens nach § 74 FGO nur geboten, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, den FG zahlreiche Parallelverfahren (Massenverfahren) vorliegen und keiner der Beteiligten des Klageverfahrens ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung des FG über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat (s. u. a. BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408; vom 18. September 1992 III B 43/92, BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123, und vom 25. August 1993 X B 32/93, BFHE 171, 412, BStBl II 1993, 797). Wie der erkennende Senat mit Beschluß vom 27. November 1992 III B 133/91 (BFHE 169, 498, BStBl II 1993, 240) entschieden hat, bieten diese Voraussetzungen nicht nur Maßstäbe, wann eine Verfahrensaussetzung geboten ist, sondern zeigen zugleich auch die Grenze für die Zulässigkeit einer solchen Verfahrensaussetzung auf. Dies gilt nicht nur für die Kriterien, die das vor dem BVerfG anhängige Musterverfahren erfüllen muß, sondern auch für das Erfordernis der Anhängigkeit des Musterverfahrens beim BVerfG. Der Senat hat daher wiederholt die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung verneint, wenn lediglich vor dem BFH ein Musterverfahren anhängig war (s. u. a. Entscheidungen des erkennenden Senats in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408 sowie vom 8. Juni 1990 III R 41/90, BFHE 161, 1, BStBl II 1990, 944, und vom 18. März 1994 III B 543/90, BFHE 173, 506, BStBl II 1994, 473). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

aa) Der Senat hat in seiner Entscheidung in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408 offengelassen, ob die Aussetzung von Klageverfahren unter den oben genannten Voraussetzungen wegen Anhängigkeit eines Musterverfahrens vor dem BVerfG auf einer unmittelbaren oder nur auf einer entsprechenden Anwendung des § 74 FGO beruht. Die Argumente sprechen aber mehr dafür, daß es sich nur um eine entsprechende Anwendung handelt. Die Aussetzung von Klageverfahren wegen vor dem BVerfG anhängiger Musterverfahren ist also bereits eine Fortentwicklung des Rechts über den Wortlaut des § 74 FGO hinaus, die früher im Schrifttum überwiegend abgelehnt worden ist (vgl. etwa Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 74 Rdnr. 16 m. w. N.). Der Grund für diese Fortentwicklung des Rechts liegt darin, daß die Entscheidung des BVerfG in den Musterverfahren mit Gesetzeskraft für die Fachgerichte bindend und daher im besonderen Maße für Parallelverfahren vor den Fachgerichten vorgreiflich ist (vgl. schon BFH-Beschluß vom 8. Mai 1991 I B 132, 134/90, BFHE 164, 194, BStBl II 1991, 641).

Dieser Grund läßt sich auf Musterverfahren, die noch nicht vor dem BVerfG, sondern erst vor dem BFH anhängig sind, auch dann nicht übertragen, wenn im übrigen die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung erfüllt sind. Bei Anhängigkeit des Musterverfahrens vor dem BFH ist unsicher, ob dieses Verfahren das BVerfG erreicht. Entscheidet nämlich der BFH, daß die im Streitfall anzuwendende Norm verfassungsgemäß ist, hängt es von dem Entschluß des Steuerpflichtigen ab, ob er diese Entscheidung mit der Verfassungsbeschwerde angreift. Wären vorher entsprechend der Auffassung der Klägerin alle Klageverfahren mit der gleichen Streitfrage wegen des vor dem BFH anhängigen Musterverfahrens ausgesetzt worden, müßten nunmehr erst wieder neue Musterverfahren an den BFH herangebracht werden, wenn der Steuerpflichtige des ursprünglichen Musterverfahrens nicht das BVerfG anruft. Bei diesen neuen Musterverfahren wäre wiederum offen, ob sie letztlich zum BVerfG kämen. Den FG würde zudem durch die Pflicht zu einer Verfahrensaussetzung bei vor dem BFH anhängigen Musterverfahren die Möglichkeit genommen, die Sache selbst dem BVerfG vorzulegen. Die Klärung der Streitfrage durch das BVerfG könnte durch all diese Umstände auf unabsehbare Zeit verzögert werden.

bb) Da die Klagebegehren nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BFH (Beschluß vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87, BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327) regelmäßig nicht abschließend sind, könnten die jeweiligen Kläger der ausgesetzten Klageverfahren während der Verzögerung der Klärung der verfassungsrechtlichen Streitfrage u. U. weitere andere Streitpunkte nachschieben, die möglicherweise neu in Musterverfahren vor dem BFH anhängig geworden sind. Die endgültige Entscheidung des Rechtsstreits würde dadurch noch mehr hinausgeschoben mit der Gefahr, daß einige Rechtsstreite in einer vernünftigen Zeit überhaupt nicht mehr abgeschlossen werden könnten.

Die Klägerin weist selbst auf ihr Interesse hin, den Rechtsstreit durch die Verfahrensaussetzung möglichst lange offenzuhalten, um an unvorhergesehenen neuen Entwicklungen der Rechtsprechung teilhaben zu können. Dieses Bestreben nach einem möglichst langen Offenhalten der Steuerrechtsstreitigkeiten beobachtet der Senat auch in Fällen anderer Steuerpflichtiger. Eine solche Tendenz ist zwar aus der Sicht der Steuerpflichtigen verständlich, kann aber nicht im Interesse einer ordentlichen Rechtspflege liegen. Der Senat hält es daher auch aus sachlichen Gründen nicht für vertretbar, die Pflicht zur Verfahrensaussetzung wegen vor dem BVerfG anhängiger Musterverfahren auch auf Musterverfahren auszudehnen, die erst nur beim BFH anhängig sind.

cc) Aus diesen Gründen vermag der Senat der Klägerin auch nicht darin zu folgen, daß ihrer Freiheit - oder wie sie meint, ihrer Pflicht -, einen Verwaltungsakt bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer zugrundeliegenden Norm vor Gericht anzugreifen, eine Pflicht des Gerichts gegenüberstehe, eine Sachentscheidung und damit ein Kostenrisiko möglichst zu vermeiden. Das gerichtliche Verfahren ist grundsätzlich kein Instrument zum bloßen Offenhalten des Steuerfalles wegen möglicher zukünftiger Entwicklungen der Rechtsprechung in Verfahren anderer Steuerpflichtiger. Es dient vielmehr dazu, möglichst zügig eine Entscheidung in der eigenen Sache herbeizuführen. Grundsätzlich ist daher mit der Klageerhebung das Risiko des Unterliegens mit den sich daraus ergebenden Kostenfolgen verbunden. Das ist bei verfassungsrechtlichen Rechtsfragen, die vor den Fachgerichten eine Rolle spielen, grundsätzlich nicht anders als bei anderen Rechtsfragen. Art. 19 Abs. 4 GG fordert nicht die Gewährung von Rechtsschutz ohne Kostenrisiko.

dd) Da die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung nicht gegeben waren, war das FG nicht gehindert, das nach seiner Auffassung entscheidungsreife Klageverfahren auch zu entscheiden. Es mußte sich nicht auf die Entscheidung einiger Musterverfahren beschränken und alle anderen Verfahren zurückstellen, bis in diesen Musterverfahren eine höchstrichterliche Klärung erfolgt war. Das Gesetz (§ 74 FGO) räumt dem FG sogar bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung ein Ermessen zu diesem Verfahrensschritt ein, wenn auch das Ermessen bei Anhängigkeit eines Musterverfahrens vor dem BVerfG auf Null geschrumpft sein kann (vgl. Senatsbeschluß in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408). Um so freier ist das FG bei seinem Vorgehen, wenn die Voraussetzungen für die Verfahrensaussetzung - wie auch im Streitfall - nicht vorliegen. In welcher Reihenfolge und in welcher Zahl das FG aus seiner Sicht entscheidungsreife Parallelverfahren entscheidet oder zuvor eine Klärung der maßgebenden Rechtsfragen durch den BFH abwartet, hat es daher selbst zu bestimmen. Eine solche Entscheidung unterliegt grundsätzlich nicht der revisionsrechtlichen Überprüfung. Ob dies hier anders gewesen wäre, wenn es sich um Parallelverfahren desselben Steuerpflichtigen gehandelt hätte, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Im Streitfall ging es um die Zurückstellung der Entscheidung wegen Parallelverfahren anderer Steuerpflichtiger.

b) Das Urteil des FG ist auch in der Sache nicht zu beanstanden. Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

aa) Nach der Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 sind die Grundfreibeträge für die Vergangenheit bis einschließlich 1992 (bzw. 1995) weiter anzuwenden und Folgerungen aus deren Verfassungswidrigkeit überhaupt erst ab 1993 zu ziehen. Für das Streitjahr bleibt es daher bei dem im Einkommensteuertarif berücksichtigten Grundfreibetrag. Der gegen die Klägerin ergangene Steuerbescheid ist insoweit also rechtmäßig.

bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin kann der Steuerbescheid nicht mehr hinsichtlich des Grundfreibetrages für vorläufig erklärt werden, nachdem die Entscheidung des BVerfG ergangen ist.

Voraussetzung für die Vorläufigkeitserklärung eines Steuerbescheides ist nach § 165 der Abgabenordnung (AO 1977) immer die Ungewißheit über einen Sachverhalt. Das gilt auch in den Fällen des durch das Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1993 (BGBl I, 2310) eingefügten neuen Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 dieser Vorschrift, in denen es um die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht geht. Die Vorläufigkeitserklärung eines Steuerbescheides ist nach dieser Bestimmung nur möglich, solange wegen der Frage der Vereinbarkeit dieses Gesetzes mit höherrangigem Recht noch ein Verfahren bei dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), dem BVerfG oder einem obersten Bundesgericht anhängig ist. Hat wie bei den Grundfreibeträgen das BVerfG entschieden, daß das Steuergesetz in dem betreffenden Streitjahr weiter anwendbar ist, bleibt für die Vorläufigkeitserklärung des Steuerbescheides wegen dieser Frage kein Raum mehr.

cc) Andere Gründe gegen die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Steuerbescheids sind nicht ersichtlich. Die Punkte, in denen der Steuerbescheid für vorläufig erklärt worden ist (Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen, beschränkte Abzugsfähigkeit der Vorsorgeaufwendungen, Höhe der zumutbaren Belastung bei den außergewöhnlichen Belastungen), können vom Senat auch nicht als Saldierungsmöglichkeiten in die Überprüfung des Steuerbescheides einbezogen werden. Der Prüfung dieser zusätzlichen Gründe durch den Senat steht die Vorläufigkeitserklärung des Steuerbescheides wegen dieser Punkte entgegen. Die Klägerin hätte den Steuerbescheid zwar auch in diesen Punkten angreifen können. Solchen Angriffen fehlt in einem bereits anhängigen Klageverfahren (einschließlich des Revisionsverfahrens) selbst dann nicht das Rechtsschutzinteresse, wenn wegen der Fragen bereits Musterverfahren beim BVerfG anhängig sind und das Verfahren daher auszusetzen wäre (Beschluß des erkennenden Senats in BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123). Die Klägerin hat solche Angriffe jedoch nicht erhoben.

Solange ein Kläger einen Steuerbescheid nur wegen anderer als der für vorläufig erklärten Punkte angreift, ist eine Beschränkung des Klageantrages dahin anzunehmen, daß die für vorläufig erklärten Besteuerungsgrundlagen nicht oder noch nicht überprüft werden sollen. Sie können dann auch nicht als Saldierungsmöglichkeiten berücksichtigt werden. Anderenfalls könnte bei einer Vorläufigkeitserklärung des Steuerbescheides wegen vor dem BVerfG anhängiger Musterverfahren das Klageverfahren in den anderen Punkten nicht vorangetrieben werden, weil dann im Hinblick auf die Musterverfahren das gesamte Klageverfahren ausgesetzt werden müßte (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 7. Februar 1992 III R 61/91, BFHE 167, 279, BStBl II 1992, 592).

3. Da somit das Urteil des FG Bestand hat, scheidet die von der Klägerin begehrte Auferlegung der Kosten des gesamten Verfahrens auf das FA aus. Der Bestand des Urteils des FG in der Hauptsache erstreckt sich notwendig auch auf die Kostenentscheidung. Eine Aufhebung nur der Kostenentscheidung durch den Senat ist nicht möglich. Dies folgt aus § 145 Abs. 1 (ab 1993: § 145) FGO, wonach eine Anfechtung einer FG-Entscheidung nur wegen des Kostenpunktes unzulässig ist.

4. Es kommt auch keine teilweise Auferlegung der Kosten des gesamten Verfahrens auf das FA deshalb in Betracht, weil das FA den Steuerbescheid während des Revisionsverfahrens wegen der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen, der beschränkten Abzugsfähigkeit der Vorsorgeaufwendungen und der zumutbaren Belastung bei den außergewöhnlichen Belastungen für vorläufig erklärt hat. Da die Klägerin den Steuerbescheid im Umfang der Vorläufigkeit im Revisionsverfahren nicht angreift und auch vorher nie angegriffen hatte, kann insoweit nicht angenommen werden, daß durch die Vorläufigkeitserklärung dem Antrag der Klägerin auf Änderung des angegriffenen Steuerbescheids teilweise stattgegeben worden sei (vgl. § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO). Im übrigen wäre selbst dann keine teilweise Erledigung zugunsten der Klägerin eingetreten, wenn die Klägerin den Steuerbescheid auch in den für vorläufig erklärten Punkten angegriffen hätte. Denn trotz der Vorläufigkeitserklärung bleibt noch völlig offen, ob es zu einer Herabsetzung der Steuer wegen dieser Punkte kommt. Da jedenfalls wegen der Fragen der beschränkten Abzugsfähigkeit der Vorsorgeaufwendungen und wegen der Anrechnung einer zumutbaren Belastung bei außergewöhnlichen Belastungen Musterverfahren beim BVerfG anhängig sind, müßte das Revisionsverfahren außerdem bei Einbeziehung der für vorläufig erklärten Punkte bis zu den Entscheidungen des BVerfG ausgesetzt werden (s. oben unter 2. b, cc und Urteil des erkennenden Senats in BFHE 167, 279, BStBl II 1992, 592).

5. Aus der Erfolglosigkeit der Revision folgt ferner, daß die Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen hat. Dies ergibt sich aus § 135 Abs. 2 FGO. Da die Revision insgesamt erfolglos bleibt, kommt auch keine Kostenteilung nach § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO in Betracht.

Der Senat hat bereits mit Beschluß in BFHE 173, 506, BStBl II 1994, 473 in dem Fall eines anderen Steuerpflichtigen entschieden, daß die Kosten eines erfolglosen Rechtsmittels gegen ein klageabweisendes Urteil wegen der Höhe des Grundfreibetrages in der Regel von dem jeweiligen Kläger zu tragen sind. An dieser Rechtsprechung hält der Senat nach nochmaliger eingehender Überprüfung fest.

a) Der Umstand, daß das BVerfG die wegen der Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge anhängig gewesenen Verfassungsbeschwerden zwar zurückgewiesen, die Kosten aber der öffentlichen Hand auferlegt hat, vermag daran nichts zu ändern. Die Kostenentscheidungen des BVerfG in den Grundfreibetragsfällen beruhen auf § 34 a Abs. 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG). Eine vergleichbare Vorschrift gibt es in der FGO nicht. Wie der Senat schon in seinem Beschluß in BFHE 173, 506, BStBl II 1994, 473 dargelegt hat, orientieren sich die Kostenvorschriften der FGO vielmehr grundsätzlich streng am Erfolg oder Mißerfolg eines Rechtsmittels. Welche Rechtslage zu der Erfolglosigkeit des Rechtsmittels führt, ist bedeutungslos. Angesichts der Erfolgslosigkeit der Revision der Klägerin kann es daher auch keine Bedeutung haben, daß das BVerfG die gesetzlichen Regelungen über die Grundfreibeträge zwar für bis einschließlich 1992 bzw. 1995 weiter anwendbar, aber doch für verfassungswidrig erklärt hat.

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei dem Fehlen einer entsprechenden Vorschrift wie § 34 a Abs. 3 BVerfGG in der FGO nicht um eine Regelungslücke. Eine Regelungslücke (Gesetzeslücke) ist gegeben, wenn ein Gesetz keine Regelung für einen bestimmten Sachverhalt enthält, der jedoch nach dem Gedanken des Gesetzgebers hätte geregelt werden müssen (vgl. Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 4 Anm. 8 m. w. N.). Die FGO enthält auch für die Fälle des § 34 a Abs. 3 BVerfGG die Regelung des § 135 Abs. 2 FGO. Es gibt nämlich keine Anhaltspunkte dafür, daß § 135 Abs. 2 FGO nicht auch die Fälle regeln will, in denen nach § 34 a Abs. 3 BVerfGG für Verfassungsbeschwerden eine andere Kostenentscheidung möglich ist.

c) Es gibt auch gute Gründe dafür, daß sich aus § 135 Abs. 2 FGO möglicherweise andere Kostenfolgen ergeben als aus § 34 a Abs. 3 BVerfGG, obwohl es in dem Revisionsverfahren um die gleiche Rechtsfrage gegangen ist wie in dem mit der Kostenfolge des § 34 a Abs. 3 BVerfGG entschiedenen Verfassungsbeschwerdeverfahren. Das finanzgerichtliche Verfahren beschränkt sich in den Fällen, in denen nur dieselben Punkte geltend gemacht worden sind wie in den nach § 34 a Abs. 3 BVerfGG entschiedenen Verfassungsbeschwerden, nicht auf diese verfassungsrechtlichen Streitfragen. Es ist vielmehr grundsätzlich die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Steuerbescheides insgesamt im Streit, unabhängig von den geltend gemachten Gründen. Im Revisionsverfahren gilt dies bis zur Höhe des Revisionsantrags. In diesem Rahmen kann der jeweilige Kläger daher weitere Gründe - auch nicht verfassungsrechtlicher Art - für die Rechtswidrigkeit des Steuerbescheides nachschieben. Diese Gründe können auch andere als die ursprünglich streitigen Besteuerungsgrundlagen betreffen. Das Gericht hat sogar von sich aus solche anderen Gründe zu berücksichtigen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des Steuerbescheides ergibt. Von diesem umfassenden Charakter des finanzgerichtlichen Verfahrens hat die Klägerin im Streitfall bereits Vorteile gehabt. Nur auf die Anfechtung des Steuerbescheides für das Streitjahr wegen der Höhe des Grundfreibetrages ist es nämlich zurückzuführen, daß der Steuerbescheid noch während des Revisionsverfahrens wegen der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen, der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen sowie der Höhe der zumutbaren Belastung bei den außergewöhnlichen Belastungen für vorläufig erklärt worden ist und der Klägerin somit etwaige für sie günstige Rechtsprechungsentwicklungen in diesen Punkten zugute kommen. Diese Vorläufigkeitserklärungen hätten nicht erfolgen können, wenn die Klägerin den Steuerbescheid nicht (hier allein) wegen der Höhe des Grundfreibetrages angefochten hätte (Urteil des erkennenden Senats vom 11. Februar 1994 III R 117/93, BFHE 173, 390, BStBl II 1994, 380). Wegen dieses Inhalts des finanzgerichtlichen Verfahrens, bei dem es im Unterschied zu dem verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht um die Klärung von verfassungsrechtlichen Fragen in bezug auf eine bestimmte Besteuerungsgrundlage, sondern um die im Ergebnis richtige Steuerfestsetzung geht, hält es der Senat für sachgerecht, daß der Gesetzgeber eine dem § 34 a Abs. 3 BVerfGG vergleichbare Möglichkeit nicht in die FGO eingefügt hat.

d) Aus diesen Gründen sieht der Senat anders als die Klägerin auch keinen Raum für eine verfassungskonforme Auslegung des § 135 Abs. 2 FGO in dem Sinne, daß ein Gleichklang mit § 34 a Abs. 3 BVerfGG hergestellt wird. Eine verfassungskonforme Auslegung setzt voraus, daß der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesetzeszusammenhang der einschlägigen Regelung und deren Zweck mehrere Deutungen zulassen, von denen eine zu dem verfassungsgemäßen Ergebnis führt (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., Art. 20 Rdnr. 23 a, mit Nachweisen der Rechtsprechung des BVerfG). § 135 Abs. 2 FGO läßt keine solchen mehreren Deutungen zu. Unabhängig davon hält der Senat die sich aus § 34 a Abs. 3 BVerfGG und § 135 Abs. 2 FGO möglicherweise ergebenden unterschiedlichen Kostenfolgen wegen der oben geschilderten Verschiedenheiten von verfassungsgerichtlichem und finanzgerichtlichem Verfahren auch nicht für verfassungswidrig, so daß schon deshalb die nach Ansicht der Klägerin gebotene verfassungskonforme Auslegung nicht in Betracht kommt.

6. Abweichend von § 135 Abs. 2 FGO könnten die Kosten des erfolglosen Revisionsverfahrens folglich nur dann dem FA auferlegt werden, wenn ein Fall des § 137 Satz 2 FGO gegeben wäre. Nach dieser Vorschrift können die Kosten eines Rechtsstreits (hier der Revision) dann dem Obsiegenden auferlegt werden, wenn sie durch sein Verschulden entstanden sind. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor und wird auch nicht dadurch begründet, daß das FA das Einspruchsverfahren nicht hat ruhen lassen oder später dem Ruhen des Klageverfahrens nicht zugestimmt hat.

a) Dabei kann offenbleiben, ob die Anwendung des § 137 Satz 2 FGO schon deshalb ausscheidet, weil die Klägerin nicht gegen die Ablehnung des Ruhens des Einspruchsverfahrens in einem gesonderten Rechtsmittelverfahren (Beschwerde und Klage gegen etwaige ablehnende Beschwerdeentscheidung) vorgegangen ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats in BFHE 161, 1, BStBl II 1990, 944). Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Ablehnung des Ruhens des Einspruchsverfahrens oder die Verweigerung der Zustimmung zum Ruhen des Klageverfahrens unabhängig von der Durchführung eines gesonderten Rechtsmittelverfahrens zu Kostenfolgen für das FA nach § 137 Satz 2 FGO führen könnten, wären jedenfalls die Voraussetzungen für die Auferlegung der Kosten auf das FA nach dieser Bestimmung nicht gegeben. Die Ablehnung des Ruhens des Einspruchsverfahrens oder der Zustimmung zum Ruhen des Klageverfahrens wären dem FA nämlich allenfalls dann als Verschulden i. S. des § 137 Satz 2 FGO vorwerfbar, wenn diese Rechtshandlungen unrechtmäßig gewesen wären. Das ist aber nicht der Fall.

b) Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Weigerung, das Einspruchsverfahren ruhen zu lassen oder dem Ruhen des Klageverfahrens zuzustimmen, ist zu berücksichtigen, daß es sich in beiden Fällen um Ermessensentscheidungen des FA handelt. Für das Einspruchsverfahren ergibt sich dies aus § 363 Abs. 2 AO 1977 und für das Klageverfahren aus § 155 FGO i. V. m. § 251 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Der Senat kann daher bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Weigerung des FA nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens des FA setzen. Er darf nach § 102 FGO die Ermessensausübung durch das FA vielmehr nur daraufhin überprüfen, ob das Ermessen des FA im Streitfall auf Null geschrumpft war und die Klägerin daher ausnahmsweise einen Anspruch auf Ruhen des Verfahrens hatte oder ob das FA einen sonstigen Ermessensfehler begangen hat. Derartige Ermessensverstöße vermag der Senat im Streitfall nicht zu erkennen.

aa) Das Ermessen des FA war nicht so (auf Null) geschrumpft, daß nur eine Anordnung des Ruhens des Einspruchsverfahrens oder eine Zustimmung zum Ruhen des Klageverfahrens rechtmäßig gewesen wären.

Das Rechtsinstitut, um ein Einspruchs- oder Klageverfahren auch gegen den Willen eines Beteiligten vorübergehend zum Stillstand zu bringen, ist die Aussetzung des Verfahrens. Oben ist eingehend dargelegt worden, daß die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Einspruchs- oder des Klageverfahrens im Streitfall nicht gegeben waren. Dann können aber nicht dieselben Gründe, die eine Aussetzung des Verfahrens gerade nicht rechtfertigen, allgemein eine Verpflichtung des FA begründen, durch Zustimmung zu dem Ruhen des Verfahrens doch noch einen Stillstand gegen seinen Willen herbeizuführen. Musterverfahren wegen der Frage der Verfassungsmäßigkeit einer im jeweiligen Streitfall anzuwendenden Norm, die noch nicht beim BVerfG, sondern erst beim BFH anhängig sind, können daher kein allgemeiner Grund sein, eine Verpflichtung der FÄ zur Anordnung des Ruhens des Einspruchsverfahrens oder zur Zustimmung zum Ruhen des Klageverfahrens anzunehmen. Dieser Rechtslage trägt auch die ab 1. Januar 1996 geltende neue Bestimmung des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 Rechnung. Diese neue Bestimmung ordnet zwar schon bei Anhängigkeit eines Musterverfahrens wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm vor einem obersten Bundesgericht das automatische Ruhen des Einspruchsverfahrens an. Nach dem ebenfalls neuen § 363 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 kann das jeweilige FA ebenso wie der Einspruchsführer das Verfahren aber jederzeit wieder aufnehmen.

bb) Wie oben (unter 2. a, cc) für Klageverfahren schon ausgeführt worden ist, sind Rechtsmittelverfahren nicht dazu da, um Steuerfälle ohne jedes Risiko kostenpflichtiger ablehnender Entscheidungen offenzuhalten. Wenn auch ein Interesse der Steuerpflichtigen als berechtigt anzuerkennen ist, Rechtsmittelkosten möglichst gering zu halten, birgt doch jedes Rechtsmittel grundsätzlich das Kostenrisiko in sich, abschlägig beschieden zu werden. Das gilt auch, wenn es wegen der breiten Wirkung einer Rechtsfrage zu zahlreichen Parallelverfahren (Massenverfahren) kommt. Anderenfalls wäre nicht einzusehen, warum diejenigen Steuerpflichtigen, deren Verfahren möglicherweise gegen ihren Willen als Musterverfahren entschieden werden, mit dem Kostenrisiko belastet sein sollen, die anderen Rechtsmittelführer dagegen nicht.

c) Es sind auch keine Ermessensfehler ersichtlich, die im Streitfall die Weigerung des FA, das Ruhen des Einspruchsverfahrens anzuordnen oder dem Ruhen des Klageverfahrens zuzustimmen, unrechtmäßig erscheinen lassen. Das FA hat bei der Weigerung weder gesetzliche Grenzen des Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 102 FGO).

Es hat bei der Ermessensabwägung dem Interesse der Klägerin am Ruhen des Verfahrens die nach seiner Auffassung bestehenden geringen Erfolgsaussichten des Einspruchsverfahrens und des Klageverfahrens gegenübergestellt und zusätzlich berücksichtigt, daß sich die Klägerin im wesentlichen nur auf das Musterverfahren berufen und keine eigenen Gründe für die Verfassungswidrigkeit des Grundfreibetrages geltend gemacht hatte. Diese Abwägung widerspricht nicht dem Zweck der Ermächtigung zur Ermessensausübung in § 363 Abs. 2 AO 1977 und § 155 FGO i. V. m. § 251 ZPO. Dabei kann offenbleiben, ob das FA im Rahmen seiner Abwägungen noch andere Gründe gegen ein Ruhenlassen des Verfahrens, wie etwa die außerordentliche Breitenwirkung des Streits über die Grundfreibeträge, hätte berücksichtigen können.

Die vom FA angestellten Ermessensabwägungen sind auch nicht unter dem Gesichtspunkt zu beanstanden, daß das BVerfG später in der Entscheidung in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 die Regelung über die Grundfreibeträge u. a. auch für das Streitjahr zwar für weiter anwendbar, aber doch für verfassungswidrig erklärt hat.

aa) Der Senat hat schon Bedenken, diese spätere Klärung der Streitfrage durch das BVerfG rückwirkend der Beurteilung der Ermessensabwägungen des FA zugrunde zu legen. Maßgebend für die Überprüfung der Ermessensentscheidungen ist nicht der jetzige Erkenntnisstand, sondern die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 102 Anm. 13 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Zu den Zeitpunkten, als das FA im Streitfall die Anordnung des Ruhens des Einspruchsverfahrens und die Zustimmung zum Ruhen des Klageverfahrens ablehnte, konnte sich die Klägerin erst auf ein einziges vor dem BFH anhängiges Musterverfahren berufen. Diese beim BFH anhängige Revision richtete sich gegen das Urteil des FG Köln in EFG 1988, 581, das den Grundfreibetrag für das Streitjahr für verfassungsgemäß hielt, wenn der Steuerpflichtige zur Erfüllung der Steuerschuld nicht das realistische Existenzminimum angreifen mußte. Da der Klägerin im Streitjahr unbestritten nach der Besteuerung ein steuerpflichtiges Einkommen weit über dem Existenzminimum verblieb, war nach diesem Urteil der Grundfreibetrag im Streitfall verfassungsgemäß. Das spricht dafür, daß kein Ermessensfehler des FA darin gesehen werden kann, daß es die Erfolgsaussichten von Rechtsmitteln im Streitfall nur als gering ansah. Dies kann aber letztlich offenbleiben.

bb) Selbst wenn man nämlich die spätere Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 der Beurteilung der Ermessensentscheidungen des FA bei der Ablehnung des Ruhens des Einspruchsverfahrens und der Zustimmung zum Ruhen des Klageverfahrens zugrunde legt, hat das FA die Erfolgsaussichten des Einspruchsverfahrens und des Klageverfahrens nicht falsch beurteilt. Das gilt auch dann, wenn man außer acht läßt, daß das BVerfG die Regelung über die Grundfreibeträge für das Streitjahr trotz ihrer Verfassungswidrigkeit für weiter anwendbar erklärt hat. Die Klägerin irrt nämlich, wenn sie der Meinung ist, daß sie durch die Entscheidung des BVerfG an sich Recht bekommen habe und dieses Recht ihr nur aus Haushaltsgründen verweigert worden sei.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß es im finanzgerichtlichen Verfahren - wie oben eingehend dargelegt worden ist - nicht um die Klärung einer Streitfrage, sondern darum geht, ob die Steuer im Ergebnis richtig festgesetzt worden ist. Im Streitfall ist die Steuerfestsetzung im Hinblick auf den Grundfreibetrag im Ergebnis selbst dann nicht fehlerhaft, wenn das BVerfG die Regelung für das Streitjahr nicht für weiter anwendbar erklärt, sondern eine rückwirkende Neuregelung durch den Gesetzgeber angeordnet hätte. Diese rückwirkende Neuregelung hätte nicht zu einer niedrigeren Steuer der Klägerin führen müssen und mit Rücksicht auf die angespannte Haushaltslage der öffentlichen Hand mit Sicherheit auch nicht geführt. Denn das BVerfG hat die Regelungen über die Grundfreibeträge nur deshalb als verfassungswidrig angesehen, weil sie dazu führten, daß einer Reihe von Steuerpflichtigen nach der Besteuerung nicht mehr das sozialhilferechtliche Existenzminimum verblieb. Nur insoweit hat das BVerfG (abgesehen von der Vermeidung von gleichheitswidrigen Progressionssprüngen) auch eine gesetzliche Neuregelung für die Zukunft für erforderlich gehalten.

Der Klägerin verblieb aber im Streitjahr bei ihrem steuerpflichtigen Einkommen und der darauf festgesetzten Einkommensteuer ein verfügbares Einkommen weit über dem sozialhilferechtlichen Existenzminimum, selbst wenn man die großzügigste Berechnung der vom BVerfG in seinem Beschluß in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 angeführten Tabellen zugrunde legt.

Es kann daher davon ausgegangen werden, daß die Revision der Klägerin selbst dann keinen Erfolg gehabt hätte, wenn das BVerfG, anders als geschehen, eine rückwirkende Neuregelung des Grundfreibetrages für das Streitjahr angeordnet hätte. Dann ist es nicht ungerechtfertigt, daß die Klägerin nach § 135 Abs. 2 FGO die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen hat.

cc) Die Klägerin kann sich demgegenüber nicht darauf berufen, daß sie in den Zeitpunkten des Einspruchs und der Klage ebenso wie das FA den Inhalt der Entscheidung des BVerfG nicht voraussehen konnte. Es ist das normale Verfahrens- und damit Kostenrisiko für ein Rechtsmittel, daß sich nicht sicher voraussehen läßt, wie die dadurch aufgeworfenen Rechtsfragen letztlich durch die Rechtsprechung (möglicherweise in vorausgehenden Entscheidungen in Verfahren anderer Steuerpflichtiger) geklärt werden. Das gilt sowohl für den Rechtsmittelführer als auch für das jeweilige FA. Werden die Rechtsfragen zuungunsten des Rechtsmittelführers geklärt, ist es eine Folge seines Verfahrensrisikos, daß er die sich daraus in seinem Rechtsmittelverfahren ergebenden Kosten zu tragen hat. Im Streitfall ist durch die Entscheidung des BVerfG zu den Grundfreibeträgen geklärt worden, daß die Klägerin selbst dann nicht zu hoch besteuert worden ist, wenn der Gesetzgeber zu einer rückwirkenden Neuregelung verpflichtet gewesen wäre. Denn im Streitfall ist durch die Besteuerung nicht das sozialhilferechtliche Existenzminimum der Klägerin angegriffen worden.