| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 8.11.1995 (II R 93/94) BStBl. 1996 II S. 27

1. Der Grunderwerbsteuerpflicht eines Kaufvertrages über ein Grundstück nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983, welches von Maßnahmen nach § 1 VermG betroffen war, steht die zur Abwicklung des Kaufvertrages vereinbarte Abtretung der Ansprüche nach dem VermG durch den früheren Eigentümer des Grundstücks an den Käufer nicht entgegen.

2. § 34 Abs. 3 VermG stellt nur solche Erwerbsvorgänge von der Grunderwerbsteuer frei, mit denen das Ziel verfolgt wird, das Eigentum an dem von Maßnahmen i. S. von § 1 VermG betroffenen Grundstück vom Nichtberechtigten auf den Berechtigten (zurück-) zu übertragen. Hierunter fällt nicht ein Weiterveräußerungsvertrag, der der Verwertung der Rechtsposition des früheren Eigentümers des Grundstücks dient.

GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5, § 14 Nr. 1; AO 1977 § 38; VermG i. d. F. der Bekanntmachung vom 23. September 1990 (BGBl II 1990, 1159) § 1, § 2 Abs. 1 Satz 1, § 34 Abs. 3.

Vorinstanz: Sächsisches FG

Sachverhalt

I.

M und S hatten ihr gemeinschaftliches Eigentum an dem in A gelegenen Grundstück im Jahre 1984 durch Verzicht verloren. Das Grundstück war seitdem Volkseigentum der früheren DDR. M und S hatten im Oktober 1990 bei der Stadtverwaltung A (Amt zur Regelung offener Vermögensfragen) Anträge auf Rückübertragung des Eigentums an dem Grundstück gestellt.

Bevor über ihre Anträge auf Rückübertragung des Eigentums entschieden war, schlossen M und S mit der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) am 16. Januar 1992 einen notariell beurkundeten, als "Grundstückskaufvertrag" bezeichneten Vertrag. Unter Ziff. I dieses Vertrages traten M und S ihre Ansprüche nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG -) an die Klägerin ab. Die Vertragsschließenden vereinbarten, die Abtretung gegenüber dem Amt zur Regelung offener Vermögensfragen anzuzeigen. Zur Sicherung der Kaufpreiszahlung verpfändete die Klägerin den auf sie übergegangenen Anspruch auf Rückübertragung des Eigentums an dem Grundstück an M und S zurück.

Unter Ziff. II bis V des Vertrages schlossen M und S mit der Klägerin einen Grundstückskaufvertrag über das Grundstück und erklärten die Auflassung. Der Kaufpreis sollte 325.000 DM betragen und nach Eintragung einer Auflassungsvormerkung zu Gunsten der Klägerin sowie nach Eingang notwendiger Genehmigungen und Erklärungen fällig werden. Besitz, Nutzen, Lasten und Gefahr sollten mit dem ersten Tag des Folgemonats nach Zugang der Mitteilung des Notars über das Vorliegen des Rückübertragungsbescheides des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen bei der Klägerin übergehen.

Durch Bescheid vom 2. Juni 1992 des Rates der Stadt A (Amt zur Regelung offener Vermögensfragen) wurde der Klägerin das Eigentum an dem Grundstück übertragen und die Klägerin danach (21. Juli 1992) im Wege der Grundbuchberichtigung als Eigentümerin des Grundstücks in das Grundbuch eingetragen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah in dem notariell beurkundeten Vertrag vom 16. Januar 1992 einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 5 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 der Grunderwerbsteuer unterliegenden Vorgang und setzte durch Bescheid vom 19. Mai 1993 nach einer Gegenleistung von 325.000 DM Grunderwerbsteuer in Höhe von 6.500 DM gegen die Klägerin fest.

Einspruch und Klage, mit denen die Klägerin vorgetragen hatte, ein steuerpflichtiger Vorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStG 1983 liege nicht vor bzw. der Vorgang sei nach § 34 Abs. 3 VermG i. d. F. der Bekanntmachung vom 23. September 1990 (BGBl II 1990, 1159) von der Grunderwerbsteuer befreit, blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, der Vertrag vom 16. Januar 1992 erfülle den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStG 1983, denn er stelle ein Rechtsgeschäft dar, welches (primär) den Anspruch auf Abtretung eines Übereignungsanspruches begründe. Dies ergebe sich aus § 3 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i. V. m. § 34 Abs. 1 VermG. Danach sei der abtretbare Restitutionsanspruch auf Wiederherstellung der früheren Rechtsposition des Alteigners gerichtet und gewähre einen öffentlich-rechtlich ausgestalteten, schuldrechtlichen Anspruch des Berechtigten auf Rückübereignung entzogener Vermögenswerte.

Die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Grunderwerbsteuer nach § 34 Abs. 3 VermG lägen nicht vor, denn diese Norm begünstige lediglich solche Vorgänge, die ansonsten gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG 1983 steuerpflichtig wären. Die Steuerpflicht knüpfe im vorliegenden Fall aber gerade nicht an die Eigentumsübertragung, sondern an das vorangegangene schuldrechtliche Rechtsgeschäft an.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin fehlerhafte Anwendung von § 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStG 1983 sowie von § 34 Abs. 3 VermG.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG, die Einspruchsentscheidung vom 6. August 1993 sowie den Grunderwerbsteuerbescheid vom 19. Mai 1993 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das FG hat - im Ergebnis - zutreffend angenommen, der notariell beurkundete Vertrag vom 16. Januar 1992 unterliege der Grunderwerbsteuer.

Allerdings ergibt sich im Streitfall entgegen der vom FG vertretenen Rechtsauffassung die Steuerpflicht nicht aus § 1 Abs. 1 Nr. 5 GrEStG 1983, sondern aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 unterliegt ein Kaufvertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übereignung eines inländischen Grundstücks begründet, der Grunderwerbsteuer. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im Streitfall erfüllt, weil M und S das Grundstück an die Klägerin verkauft haben, und die Klägerin - wenn auch möglicherweise aufschiebend bedingt durch die Bewilligung des Antrags der M und des S auf Rückübertragung durch das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen - einen gegen M und S gerichteten Anspruch auf Übereignung des Grundstücks erworben hat. Hierauf weist bereits die Bezeichnung des Vertrages vom 16. Januar 1992 als "Grundstückskaufvertrag" hin. Entscheidend für die Beurteilung, daß der Vertrag nicht nur die Abtretung eines Anspruchs nach dem VermG, sondern auch die Vereinbarung eines Grundstückskaufs enthält, ist, daß die Vertragsschließenden alle wesentlichen Vereinbarungen eines Grundstückskaufs (Übereignungsverpflichtung, Kaufpreis, Besitz- und Gefahrübergang, Auflassung etc.) getroffen haben. Der Vereinbarung über die Abtretung der Ansprüche der Verkäufer nach dem VermG kommt keine eigenständige grunderwerbsteuerrechtliche Bedeutung zu, weil diese nur die Abwicklung des Kaufvertrages betrifft. Denn hierdurch sollte erkennbar nur bewirkt werden, daß das Eigentum an dem Grundstück - in Erfüllung der von M und S mit dem Abschluß des Grundstückskaufvertrages eingegangenen Übereignungsverpflichtung - mit der Unanfechtbarkeit des Bescheides des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen nach § 34 Abs. 1 VermG - ohne Zwischeneintragung der Verkäufer - unmittelbar auf die Klägerin übergeht.

Der Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 steht es nicht entgegen, daß das Grundstück im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages noch nicht (wieder) im Eigentum von M und S stand bzw. daß es unsicher war, ob diesen überhaupt ein Anspruch auf Rückübereignung des Grundstücks durch das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen zugebilligt werden würde. Denn ein zivilrechtlich wirksamer Anspruch auf Eigentumsverschaffung kann auch hinsichtlich solcher Grundstücke erworben werden, die dem Veräußerer nicht oder noch nicht gehören (§ 185 Abs. 2, § 184 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches; vgl. hierzu Fischer in Boruttau/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, 13. Aufl., § 1 Rdnr. 273). Die Steuerschuld entsteht in diesen Fällen mit dem Abschluß des Verpflichtungsgeschäfts über das fremde Grundstück (vgl. § 38 der Abgabenordnung - AO 1977 -) oder - soweit die Wirksamkeit des Vertrages von dem Eintritt einer Bedingung, z. B. der Erlangung der Rechtsmacht des Verkäufers zur Eigentumsverschaffung abhängt - mit dem Eintritt der Bedingung (vgl. § 14 Nr. 1 GrEStG 1983).

2. Das FG hat auch - im Ergebnis - zutreffend erkannt, daß der Klägerin keine Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 34 Abs. 3 VermG zusteht. Nach § 34 Abs. 3 VermG in der zum Zeitpunkt des Erwerbs der Klägerin geltenden Fassung ist der Berechtigte bei der Rückübertragung von Eigentumsrechten an Grundstücken (vgl. § 34 Abs. 2 VermG) von der Grunderwerbsteuer befreit. Die Klägerin ist zwar i. S. von § 2 Abs. 2 Satz 1 VermG als Rechtsnachfolgerin von M und S Berechtigte im Sinne des VermG, weil das betreffende Grundstück von Maßnahmen gemäß § 1 VermG betroffen war. Eine Befreiung von der Grunderwerbsteuer kommt aber deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei dem der Steuer unterliegenden Erwerbsvorgang (Kaufvertrag zwischen M und S einerseits und der Klägerin andererseits) nicht um eine Rückübertragung nach dem VermG handelt.

Eine Rückübertragung des Eigentums an dem Grundstück im Sinne des VermG liegt nur vor, wenn mit dem Rechtsgeschäft das Ziel verfolgt wird, das Eigentum an dem von Maßnahmen i. S. von § 1 VermG betroffenen Grundstück vom Nichtberechtigten auf den Berechtigten (zurück-) zu übertragen. Hierunter fällt nicht ein Weiterveräußerungsvertrag, der der Verwertung der Rechtsposition des früheren Eigentümers des Grundstücks dient.