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  BFH-Urteil vom 20.9.1995 (I R 55/94) BStBl. 1996 II S. 73

Nicht zurückzuzahlende Baukostenzuschüsse und Anschlußbeiträge, die ein Energie- oder Wasserversorgungsunternehmen von den Anschlußnehmern oder Kunden als Zuschüsse zu den Investitionskosten der Neuanschlüsse oder Erhöhung der Anschlußleistungen erhalten und passiviert hat, führen beim Versorgungsunternehmen zu Dauerschulden.

GewStG i.d.F. des StÄndG 1979 § 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG (EFG 1994, 898)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts in der Rechtsform des Zweckverbands. Im Erhebungszeitraum 1981 (Streitjahr) versorgte er sein Verbandsgebiet mit Gas und Wasser. Der Kläger und ihm folgend der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA -) beurteilten die Gas- und Wasserversorgung als einen Betrieb gewerblicher Art i. S. des § 4 Abs. 1 und 3 des Körperschaftsteuergesetzes 1977.

Zur Deckung des Aufwands für die Herstellung und den Aus- und Umbau der Wasserversorgungsanlagen erhob der Kläger u. a. im Streitjahr von den Eigentümern der an das Versorgungsnetz anzuschließenden Grundstücke nicht zurückzuzahlende Anschlußbeiträge. Für den Anschluß an die Gasversorgung forderte und erhielt er nach Maßgabe des § 9 seiner Gasversorgungsbedingungen von den Anschlußnehmern nicht zurückzuzahlende Baukostenzuschüsse für die Erstellung oder Verstärkung der der örtlichen Versorgung dienenden Verteilungsanlagen. Die Anschlußbeiträge und Baukostenzuschüsse passivierte der Kläger in der Bilanz als Ertragszuschüsse und löste diesen Passivposten jährlich zu 1/20 auf.

Bei der Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags für das Streitjahr rechnete das FA die Anschlußbeiträge und Baukostenzuschüsse wie vom Kläger erklärt in Höhe von 2.619.629 DM dem Einheitswert des gewerblichen Betriebs auf den 1. Januar 1981 gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 Sätze 1 und 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) i. d. F. des Art. 2 Nr. 6 des Steueränderungsgesetzes 1979 (StÄndG 1979) vom 30. November 1978 (BGBl I 1978, 1849, BStBl I 1978, 479) als Teil der sog. Dauerschulden wieder hinzu. Einspruch und Klage, mit denen der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. Oktober 1990 I R 77/86 (BFHE 163, 387, BStBl II 1991, 471) diese Hinzurechnung beanstandete, waren erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 898 veröffentlicht.

Der Kläger stützt die Revision auf Verletzung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 8 Nr. 1 GewStG.

Er beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und unter Abänderung des Bescheides vom 27. November 1987 über den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag 1981 und der Einspruchsentscheidung vom 7. Januar 1992 den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag neu festzusetzen und dabei die Verbindlichkeiten aufgrund der Anschlußbeiträge und Baukostenzuschüsse in Höhe von 2.619.629 DM dem Einheitswert des gewerblichen Betriebs nicht mehr hinzuzurechnen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision war zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Sie ist unbegründet. Die bei der Ermittlung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs als Verbindlichkeiten abgezogenen passivierten Anschlußbeiträge und Baukostenzuschüsse in Höhe von 2.619.629 DM sind gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 Sätze 1 und 2 GewStG i. d. F. des StÄndG 1979 dem Einheitswert wieder hinzuzurechnen.

1. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 Sätze 1 und 2 GewStG i. d. F. des StÄndG 1979 sind zur Ermittlung des Gewerbekapitals dem Einheitswert des gewerblichen Betriebs die in § 8 Nr. 1 GewStG genannten Verbindlichkeiten - die sog. Dauerschulden - insoweit wieder hinzuzurechnen, als sie bei der Feststellung des Einheitswerts abgezogen wurden und der abgezogene Betrag 50.000 DM übersteigt. Dauerschulden sind die Schulden, die wirtschaftlich mit der Gründung oder dem Erwerb des Betriebs (Teilbetriebs) oder eines Anteils am Betrieb oder einer Erweiterung oder Verbesserung des Betriebs zusammenhängen oder der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen. Keine Dauerschulden sind die Verbindlichkeiten des laufenden Geschäftsverkehrs (= laufende Verbindlichkeiten). Sie sind nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (s. BFH-Urteile vom 9. Juni 1993 I R 8/92, BFHE 172, 101, BStBl II 1994, 44, und in BFHE 163, 387, BStBl II 1991, 471 m. w. N.) in der Regel durch folgende Merkmale gekennzeichnet: Ihr Entstehen hängt wirtschaftlich eng mit einzelnen bestimmbaren, nach Art des Betriebs immer wiederkehrenden und nicht die Anschaffung oder Herstellung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens betreffenden Geschäftsvorfällen (= laufende Geschäftsvorfälle) zusammen. Dieser Zusammenhang bleibt bis zur Tilgung der Schuld erhalten. Die Verbindlichkeit wird innerhalb der nach Art des laufenden Geschäftsvorfalls allgemein üblichen Frist getilgt.

2. Nach dem Urteil in BFHE 163, 387, BStBl II 1991, 471 können Verbindlichkeiten aufgrund von Vorauszahlungen, die ein Energieversorgungsunternehmen für künftige Energielieferungen erhalten hat, auch dann Verbindlichkeiten des laufenden Geschäftsverkehrs sein, wenn die Vorauszahlungen der Finanzierung des für die Energielieferungen benötigten Anlagevermögens dienen und sich nach dessen Investitionskosten bemessen. Offengelassen hat der erkennende Senat in dem Urteil (dort Teil III. 2. b letzter Absatz) die im jetzigen Streitfall zu entscheidende Frage, ob zu den laufenden Verbindlichkeiten auch Schulden gehören, die bei der Feststellung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs eines Versorgungsunternehmens abgezogen wurden, weil das Unternehmen von Kunden oder Anschlußnehmern nicht zurückzuzahlende Zuschüsse zu den Investitionskosten der Neuanschlüsse oder der Erhöhung der Anschlußleistungen erhalten hat.

Merkert/Koths (Betriebs-Berater 1981, 1310) bejahen diese Frage (gleicher Ansicht Meyer-Scharenberg/Popp/Woring, Gewerbesteuer-Kommentar, 1989, § 8 Nr. 1 Rdnr. 63). Überwiegend wird sie jedoch verneint (s. Urteil des FG Karlsruhe vom 13. Mai 1959 I 27/59, EFG 1959, 275; Urteil des FG Düsseldorf vom 14. August 1984 XV 31/80 G, EFG 1985, 190; Finanzminister Nordrhein-Westfalen, Erlaß vom 6. Juni 1989 S 2744-10 V B 4, Finanzrundschau 1989, 442; Oberfinanzdirektion München, Verfügung vom 21. April 1982 S 1472-18/St 246/G 1431-13, Steuererlasse in Karteiform, Gewerbesteuergesetz, § 12 Nr. 58; Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl. 1994, § 8 Nr. 1 Rdnr. 43; Blümich/Hofmeister, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., Stand März 1995, § 8 GewStG Rdnr. 90, Stichwort "Baukostenzuschüsse bei Versorgungsunternehmen"; Lenski/Steinberg, Kommentar zum Gewerbesteuergesetz, 8. Aufl., 1957/1993, § 8 Nr. 1 Rdnr. 117 - s. aber auch Rdnr. 116 -; Bittner, Gewerbesteuer, Kommentar, § 8 Rdnr. 84, Stichwort "Baukostenzuschüsse an Versorgungsunternehmen").

3. Nach Auffassung des erkennenden Senats sind die passivierten Zuschüsse (Anschlußbeiträge und Baukostenzuschüsse) Dauerschulden und keine Verbindlichkeiten des laufenden Geschäftsverkehrs.

a) Ob der wegen der erhaltenen und nicht zurückzuzahlenden Anschlußbeiträge und Baukostenzuschüsse in der Bilanz des Klägers gebildete Passivposten bewertungsrechtlich eine Verbindlichkeit ist, kann ungeklärt bleiben. Er wurde bei der Ermittlung des Einheitswerts des gewerblichen Betriebs auf den 1. Januar 1981 in Höhe von 2.619.629 DM als Verbindlichkeit beurteilt, die den Einheitswert mindert. An diese Beurteilung ist der Senat bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Gewerbesteuermeßbescheides gebunden (s. Urteile in BFHE 172, 101, BStBl II 1994, 44, und vom 29. Oktober 1974 I R 103/73, BFHE 114, 105, BStBl II 1975, 114 m. w. N.). Zu entscheiden ist daher nur noch, ob diese Verbindlichkeit eine Dauerschuld ist.

b) Die zu beurteilende Verbindlichkeit ist gemäß § 8 Nr. 1 letzte Alternative GewStG eine Dauerschuld. Sie diente der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals des Klägers. Ihr Gegenwert verstärkte - wie der 20jährige Auflösungszeitraum des Passivpostens zeigt - das Betriebskapital des Klägers langfristig.

Sie ist keine laufende Verbindlichkeit. Ihr Entstehen hängt rechtlich und wirtschaftlich eng mit der Herstellung und Anschaffung von zum Anlagevermögen des Klägers gehörenden Wasser- und Gasversorgungseinrichtungen zusammen. Die Zuschüsse wurden gezahlt, damit der Kläger Grundstücke, Betriebe oder Wohnungen an seine Versorgungsnetze anschloß. Sie dienten der Finanzierung der dazu erforderlichen Investitionen. Der Zusammenhang mit den laufenden Wasser- und Gaslieferungen an die Kunden ist nicht so eng. Er besteht im wesentlichen darin, daß erst die mit Hilfe der Zuschüsse finanzierten Anlageinvestitionen die Wasser- und Gaslieferungen ermöglichen. Dieser Zusammenhang besteht bei den meisten Anlageinvestitionen, da sie in der Regel durch Umsatzerlöse amortisiert werden müssen. Er reicht allein nicht aus, um die für die Investitionen eingesetzten Fremdmittel als Verbindlichkeiten des laufenden Geschäftsverkehrs zu qualifizieren. Der engere Zusammenhang mit der Anschaffung oder Herstellung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens wird auch dadurch deutlich, daß sich die Laufzeit der Schuld (= der Auflösungszeitraum des entsprechenden Passivpostens) nach der geschätzten Nutzungsdauer der mit Hilfe der Zuschüsse finanzierten Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens richtet und nicht nach der Dauer der mit dem Kunden abgeschlossenen Wasser- und Energieversorgungsverträge. Bei der Schätzung wird allerdings nicht berücksichtigt, daß Leitungsnetze in der Regel ein einheitliches Wirtschaftsgut bilden (s. Senatsurteil vom 10. Juni 1992 I R 9/91, BFHE 169, 31, BStBl II 1993, 41 m. w. N.).

Die Zuschüsse sind keine Anzahlungen oder Vorauszahlungen für die künftigen Wasser- oder Gaslieferungen, da sie nicht mit Forderungen des Klägers aufgrund der Wasser- und Gaslieferungen verrechnet werden. Daß die Zuschüsse bei der Kalkulation der Wasser- und Gaspreise zugunsten der Kunden - die nicht notwendig mit den Zuschußgebern identisch sind - berücksichtigt werden, macht sie noch nicht zu Anzahlungen oder Vorauszahlungen für die Wasser- oder Gaslieferungen. Mit Verbindlichkeiten, die - wie z. B. Rekultivierungsverpflichtungen (s. Senatsurteil vom 8. September 1976 I R 186/74, BFHE 120, 254, BStBl II 1977, 9) - aufgrund der laufenden Geschäftstätigkeit entstehen, ist die Verbindlichkeit aufgrund der Zuschüsse nicht vergleichbar. Sie entstand nicht durch laufende Lieferungen oder Leistungen an die Kunden. Grund ihres Entstehens ist vielmehr, daß sich der Kläger gegenüber den Grundstückseigentümern bzw. Anschlußnehmern zu bestimmten Anlageinvestitionen verpflichtete und sich die dafür erforderlichen Investitionsmittel teilweise in Form nicht zurückzuzahlender - verlorener - Zuschüsse zur Verfügung stellen ließ.

c) Die Hinzurechnung führt entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu einer Ungleichbehandlung gegenüber Versorgungsunternehmen, die keine Anschlußbeiträge oder Baukostenzuschüsse fordern und statt dessen die Investitionskosten für Neuanschlüsse oder Erweiterung von Anschlüssen voll in die Preise ihrer Wasser- oder Energielieferungen einkalkulieren. Diese Versorgungsunternehmen müssen die Investitionskosten voll durch Eigenkapital oder langfristige Kreditmittel finanzieren, die ebenfalls zum Gewerbekapital gehören.