| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 26.10.1995 (IV R 35/94) BStBl. 1996 II S. 76

Grundbesitz (Miteigentumsanteile), der zum Deckungsstock eines die Lebensversicherung betreibenden Unternehmens gehört, dient i. S. des § 9 Nr. 1 Satz 5 GewStG dessen Gewerbebetrieb, wenn er im Rahmen einer gewerblich geprägten Personengesellschaft mit dem Grundbesitz (Miteigentumsanteilen) anderer Versicherungsunternehmen gemeinschaftlich verwaltet wird.

GewStG § 9 Nr. 1 Sätze 2 und 5.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), an der als Gesellschafter ausschließlich Kapitalgesellschaften beteiligt sind, die die Lebensversicherung betreiben. Gesellschaftszweck der Klägerin ist die gemeinsame Anlage von Grundbesitz durch Erwerb und Errichtung von Gebäuden und deren Vermietung an Dritte. Der im Eigentum der Gesellschafter stehende Grundbesitz gehört im Umfang der jeweiligen ideellen Miteigentumsanteile zum Deckungsstock der Gesellschafter.

Die Klägerin beantragte in ihrer Gewerbesteuererklärung für das Streitjahr 1990 die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) in Höhe ihres Gewerbeertrags, der in vollem Umfang auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfiel (189.106 DM). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte lediglich die Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG (18.922 DM) und setzte mit dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ergangenen Bescheid vom 2. Juli 1992 den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag auf 6.705 DM fest.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung aus: Die erweiterte Kürzung sei nach § 9 Nr. 1 Satz 5 GewStG ausgeschlossen, weil der Grundbesitz den Gewerbebetrieben der Gesellschafter diene. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. Juli 1993 I R 35, 36/92 (BFHE 172, 110, BStBl II 1994, 46) diene ein Grundstück einem Unternehmen auch dann, wenn es zwar von Dritten genutzt werde, dies aber für das Unternehmen (mittelbar) von Nutzen sei. Im Streitfall diene der Grundbesitz mittelbar den Gesellschaftern der Klägerin, weil sie mit der Einrichtung eines Deckungsstocks für die Versicherungsnehmer zugleich eigene Verpflichtungen erfüllten; den Gesellschaftern seien zudem die Erträge zugute gekommen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie hat den Bescheid vom 22. Juli 1994, durch den der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben worden ist, gemäß § 123 Satz 2, § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemacht.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). FA und FG haben der Klägerin zu Recht die erweiterte Kürzung versagt.

1. Bei Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz oder neben eigenem Grundbesitz eigenes Kapitalvermögen verwalten und nutzen, tritt auf Antrag an die Stelle der Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG eine Kürzung des Gewinns und der Hinzurechnungen um den Teil des Gewerbeertrags, der auf die Verwaltung und Nutzung des eigenen Grundbesitzes entfällt (§ 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Grundbesitz ganz oder zum Teil dem Gewerbebetrieb eines Gesellschafters dient (§ 9 Nr. 1 Satz 5 GewStG).

Grundbesitz, zu dem insbesondere die Grundstücke gehören (s. § 19 Abs. 1 Nr. 1, §§ 68, 70 des Bewertungsgesetzes - BewG -), "dient" dem Gewerbebetrieb eines Gesellschafters nicht nur dann, wenn er von diesem aufgrund eines Miet- oder Pachtvertrages genutzt wird. Es genügt vielmehr, daß der Grundbesitz den betrieblichen Zwecken des Gesellschafters dient (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1974 I R 10/73, BFHE 114, 437, BStBl II 1975, 268 unter 2) bzw. ihm "von Nutzen" ist (BFH-Urteil in BFHE 172, 110, BStBl II 1994, 46 unter II 1 a); deshalb wird z. B. auch eine Vermietung von Wohnungen an Arbeitnehmer eines Gesellschafters unter bestimmten Voraussetzungen als schädlich angesehen.

2. Das FG hat zu Recht angenommen, daß Grundbesitz (Miteigentumsanteile), der zum Deckungsstock eines die Lebensversicherung betreibenden Unternehmens gehört, dessen Gewerbebetrieb dient (§ 9 Nr. 1 Satz 5 GewStG), wenn er im Rahmen einer gewerblich geprägten Personengesellschaft (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) mit den Miteigentumsanteilen anderer Versicherungsunternehmen gemeinschaftlich verwaltet wird.

Diese Auffassung, die für vergleichbare Fälle auch von der Finanzverwaltung und im Schrifttum vertreten wird (Verfügung der Oberfinanzdirektion - OFD - Frankfurt vom 11. Juni 1991 G 1425 A-4-St II 22, Der Betrieb - DB - 1991, 2262; Blümich/Gosch, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 14. Aufl., § 9 GewStG Rdnr. 97; Glanegger/Güroff, Gewerbesteuergesetz, 3. Aufl., § 9 Nr. 1 Rdnr. 33; Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, 8. Aufl., § 9 Nr. 1 Rdnr. 197) wird durch den Wortlaut und den Zweck des § 9 Nr. 1 Satz 5 GewStG bestätigt.

a) Grundbesitz, der zum Deckungsstock gehört, "dient" entgegen der Ansicht der Klägerin nicht nur den Interessen der Versicherungsnehmer, sondern dem Betrieb des Versicherungsunternehmens.

Der Deckungsstock ist zwar ein Sondervermögen, das durch die §§ 65 bis 78 des Gesetzes über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz - VAG -) vom 13. Oktober 1983 (BGBl I 1983, 1261) zugunsten der Versicherungsnehmer gegen jeden Zugriff Dritter abgesichert ist. Ungeachtet dieser Beschränkungen gehören die Bestände des Deckungsstocks grundsätzlich zum Betriebsvermögen der Versicherungsunternehmen; sie dienen den Zwecken der Versicherungsunternehmen in besonderer Weise, weil sie ihnen die Aufrechterhaltung des Versicherungsbetriebs ermöglichen (BFH-Urteil vom 19. Januar 1972 I 115/65, BFHE 104, 464, BStBl II 1972, 390). An dieser Entscheidung wird festgehalten. In gleicher Weise dient Grundbesitz des Deckungsstocks dem Betrieb eines Versicherungsunternehmens, wenn er gemeinsam mit dem Grundbesitz anderer Versicherungsunternehmen im Rahmen einer gewerblich geprägten Personengesellschaft verwaltet wird und die jeweiligen Miteigentumsanteile folglich zum Sonderbetriebsvermögen der Versicherungsunternehmen im Rahmen der Personengesellschaft gehören. Damit sind die Voraussetzungen des § 9 Nr. 1 Satz 5 GewStG auch erfüllt.

b) Diese Auslegung entspricht dem ursprünglichen Zweck der Vorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG, Grundstücksunternehmen in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft entsprechenden - rein vermögensverwaltenden und deshalb gewerbesteuerfreien - Personenunternehmen gleichzustellen (z. B. BFH-Urteile vom 28. Juni 1973 IV R 97/72, BFHE 109, 459, BStBl II 1973, 688; vom 1. August 1979 I R 111/78, BFHE 129, 57, BStBl II 1980, 77 m. w. N.). Danach sind solche Erträge einer Gesellschaft nicht zu begünstigen, die aus Grundbesitz erzielt werden, der ohne die Zwischenschaltung der Gesellschaft als Rechtsträger zum gewerblichen Betriebsvermögen der Gesellschafter gehören würde, sofern es sich nicht um eine der weiteren, begünstigten Tätigkeiten handelt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 114, 437, BStBl II 1975, 268). Dieser Grundgedanke hat auch in § 9 Nr. 1 Satz 5 GewStG seinen Niederschlag gefunden. Der BFH hat diese Vorschrift wiederholt als folgerichtige Ausnahme von der Begünstigungsvorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG angesehen, die eine nicht beabsichtigte Bevorzugung der Gesellschaften gegenüber Einzelpersonen vermeiden soll (z. B. Urteile vom 24. September 1969 I 206/64, BFHE 97, 40, BStBl II 1969, 738; in BFHE 114, 437, BStBl II 1975, 268). Die Ausnahme von der erweiterten Kürzung beruht nämlich darauf, daß der Gesetzgeber in einem Dienen des Grundbesitzes zu eigengewerblichen Zwecken eines Gesellschafters keine reine Vermögensverwaltung mehr erblickt und eine gewerbliche Nutzung auch bei einer Einzelperson eine Einbeziehung der Grundstückserträge in den Gewerbeertrag nach sich ziehen würde (BFH-Urteile in BFHE 97, 40, BStBl II 1969, 738; in BFHE 109, 459, BStBl II 1973, 688).

Demzufolge ist es entgegen der Auffassung der Revision unerheblich, ob Grundbesitz einer Gesellschaft dem Gewerbebetrieb eines beteiligten Versicherungsunternehmens durch eine Nutzungsüberlassung oder durch die Zugehörigkeit zum Deckungsstock dient. Nach dem Zweck der Vorschrift ist allein entscheidend, daß der Grundbesitz ohne die Zwischenschaltung der Gesellschaft zum gewerblichen Betriebsvermögen des Versicherungsunternehmens gehören würde und die Grundstückserträge auch bei einer - gedachten - Einzelperson, die den fraglichen Grundbesitz an Dritte vermieten würde, in den Gewerbeertrag einzubeziehen wären. Erträge aus Grundstücken, die zu einem Betriebsvermögen zählen, stellen stets Betriebseinnahmen dar; dies gilt erst recht für Grundstücke, die durch Zugehörigkeit zum Deckungsstock mit dem Betrieb eines Versicherungsunternehmens in besonderer Weise verknüpft sind. Aus diesem Grund geht auch der Einwand der Klägerin fehl, sie werde wegen der Rechtsform ihrer Gesellschafter benachteiligt.

3. Die erwähnten Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.

Das FG hat festgestellt, daß zu den Deckungsstöcken der Gesellschafter jeweils ein Teil des Grundbesitzes der Klägerin gehörte. Nach diesen tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat mangels zulässiger und begründeter Revisionsrügen nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, ist davon auszugehen, daß die Gesellschafter die Miteigentumsanteile an dem Grundbesitz in ihre Deckungsstockverzeichnisse (§ 66 Abs. 6 VAG) eingetragen haben. Diese Eintragung wirkt konstitutiv (Prölls, Versicherungsaufsichtsgesetz, 10. Aufl., § 66 Rdnr. 5). Deshalb kann es entgegen der Auffassung der Revision auch nicht darauf ankommen, daß andere anlagefähige Vermögensgegenstände den Deckungsstöcken hätten zugeführt werden dürfen.