| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 24.10.1995 (III R 106/93) BStBl. 1996 II S. 88

Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für medizinische Fachliteratur sind auch dann nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, wenn die Literatur dazu dient, die Entscheidung für eine bestimmte Therapie oder für die Behandlung durch einen bestimmten Arzt zu treffen (Fortführung der Grundsätze des Urteils vom 6. April 1990 III R 60/88, BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958).

EStG § 33.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) wurde mit ihrem 1992 verstorbenen Ehemann für das Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Mit ihrer Einkommensteuererklärung machten die Eheleute u. a. den Betrag von 2 028,72 DM für die Anschaffung medizinischer Fachliteratur als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Sie hatten diese Fachliteratur im Hinblick auf die Krebserkrankung des Ehemannes erworben. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte die Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

Mit der hiergegen gerichteten Klage machte die Klägerin geltend, sie und ihr Ehemann hätten die Literatur angeschafft, um die Entscheidung über die Therapie sowie die anschließende Krebsnachsorge treffen zu können. Ihr, der Klägerin, Ehemann sei zunächst von einem Arzt behandelt worden, der ausschließlich die konventionelle Therapie der vollständigen Entfernung des erkrankten Organs anwende. Diese Methode habe keine größere Erfolgswahrscheinlichkeit als die von dem von ihnen später aufgesuchten Arzt angewandte schonendere Radiochemotherapie, der sich ihr Ehemann letztlich unterzogen habe. Diesen Arzt sowie die späteren Nachsorgetherapien hätten sie und ihr Ehemann aufgrund der beschafften Fachliteratur selbst ermittelt. Die ursprünglich behandelnden Ärzte hätten sie insoweit in keiner Weise beraten. Die Literatur sei somit - anders als in dem Fall des Urteils vom 6. April 1990 III R 60/88 (BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958) - für ein lebensbedrohendes Leiden und eine konkrete Therapieentscheidung angeschafft worden.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte aus: Aufwendungen für medizinische Fachliteratur stellten grundsätzlich keine außergewöhnliche Belastung dar. Es handele sich dabei im allgemeinen nicht um Kosten therapeutischer Maßnahmen, die eine gezielte medizinisch indizierte Behandlung voraussetzten. Dies gelte allerdings dann nicht, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Anschaffung der Literatur in unmittelbarem Zusammenhang mit einer lebensbedrohenden Krankheit und der Wahl unter mehreren möglichen Therapieformen bzw. mehreren in Betracht kommenden Therapeuten stehe. Die eigenverantwortliche und selbstbestimmte Auseinandersetzung mit einer schweren Krankheit und ihren Behandlungsmöglichkeiten durch verschiedene Therapien und verschiedene Therapeuten sei für den betroffenen Steuerpflichtigen von elementarer Bedeutung. Als mündiger Patient müsse er sich auch gegenüber Therapeuten bzw. Therapien "zwangsläufig" sachkundig machen. Dabei stehe es ihm frei, ob er sich die Kenntnisse durch Konsultation von Ärzten oder anderen zur Ausübung der Heilkunde zugelassenen Personen verschaffe oder ob er vorbereitend bzw. begleitend zu diesen Konsultationen Fachliteratur besorge, um sich auf diese Weise selbst zu informieren.

Mit der vom FG wegen Divergenz zu dem Urteil des Senats in BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958 zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es trägt vor, die vom FG für die Berücksichtigung von Aufwendungen für medizinische Fachliteratur als außergewöhnliche Belastung zugelassene Ausnahme in Fällen einer lebensbedrohenden Erkrankung sei nicht anzuerkennen. Eine Grenzziehung sei in diesem Bereich praktisch nicht durchführbar. Es handele sich um mittelbare Krankheitskosten, deren Berücksichtigung ausgeschlossen sei. Im übrigen sei die Notwendigkeit nicht durch ein amtsärztliches Attest nachgewiesen. Ohne sachkundige ärztliche Unterstützung sei es einem Finanzbeamten nicht möglich, die Notwendigkeit und Zwangsläufigkeit derartiger Kosten zu beurteilen. Einer Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung stehe zudem entgegen, daß die Klägerin einen Gegenwert erhalten habe, da medizinische Fachbücher auch für Dritte von Nutzen sein könnten.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Wie der Senat in seinem zur Berücksichtigung von Aufwendungen für medizinische Fachliteratur ergangenen Urteil in BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958 ausgeführt hat, erwachsen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) krankheitsbedingte Maßnahmen und die dadurch veranlaßten Aufwendungen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig, soweit sie zum Zwecke der Heilung einer Krankheit getätigt werden oder den Zweck verfolgen, die Krankheit erträglich zu machen (vgl. die Nachweise in BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958, sowie Urteil des Senats vom 9. August 1991 III R 54/90, BFHE 165, 272, BStBl II 1991, 920). In diesem Sinne sind alle Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung sowie für medizinische Hilfsmittel typisierend als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, ohne daß es einer weitergehenden Prüfung der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen dem Grunde und der Höhe nach bedarf (unmittelbare Krankheitskosten; vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 2. Dezember 1981 VI R 167/79, BFHE 135, 37, BStBl II 1982, 297 unter III. a. E.). Keine außergewöhnliche Belastung wird dagegen durch Aufwendungen für solche Maßnahmen begründet, die nicht unter den Begriff der Heilbehandlung in dem hier maßgeblichen Sinne fallen. Aufwendungen für nur vorbeugende, der Gesundheit ganz allgemein dienende Maßnahmen oder die mit einer Krankheit verbundenen Folgekosten erwachsen nach ständiger Rechtsprechung nicht zwangsläufig (Senatsurteil in BFHE 165, 272, BStBl II 1991, 920).

2. Hiervon ausgehend liegen bei den im Streitfall geltend gemachten Aufwendungen für die Anschaffung medizinischer Fachliteratur die Voraussetzungen für die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung nicht vor. Es handelt sich hierbei zum einen nicht um Kosten therapeutischer Maßnahmen im Sinne der Rechtsprechung des BFH zu § 33 EStG, die eine gezielte medizinisch indizierte Behandlung zum Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit durch einen Arzt oder andere gesetzlich zur Ausübung der Heilkunde zugelassene Personen voraussetzen (s. Senatsurteil in BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958). Die Beschaffung der Fachliteratur geht nicht auf eine Anordnung der den Ehemann der Klägerin seinerzeit behandelnden Ärzte zurück.

Zum anderen können die strittigen Literaturkosten auch nicht mit der Begründung als unmittelbare Krankheitskosten angesehen werden, daß sie - wie die Klägerin vorträgt - allein zu dem Zweck aufgewandt wurden, eine schonendere Therapie als die durch den zunächst behandelnden Arzt sowie die entsprechende Nachsorgetherapie zu ermitteln. Zwar können auch Aufwendungen, die dem Steuerpflichtigen bereits vor der eigentlichen Heilbehandlung entstanden sind, als unmittelbare Krankheitskosten zum Abzug als außergewöhnliche Belastung in Betracht kommen. Dies gilt z. B. für die Reisekosten aus Anlaß einer Behandlung des Steuerpflichtigen (Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20. Aufl., § 33 EStG Anm. 95). Bei den Aufwendungen eines erkrankten Steuerpflichtigen für medizinische Fachliteratur zum Zweck der Ermittlung der - nach der Ansicht des Steuerpflichtigen - für ihn geeigneten Therapie sowie eines Arztes seines Vertrauens handelt es sich indes nicht um Kosten, die der ggf. nachfolgenden Heilbehandlung unmittelbar zugeordnet werden können. Sie entstehen nicht durch die eigentliche Heilbehandlung, sondern in einem Stadium, das dem Entschluß, einen bestimmten Arzt aufzusuchen oder sich einer bestimmten Therapie zu unterziehen, noch weit vorgelagert ist. Möglicherweise führt das Studium der Fachliteratur sogar zu dem Ergebnis, daß der Steuerpflichtige sich dazu entscheidet, von einer Behandlung überhaupt abzusehen oder eine Behandlung und die Konsultation eines Arztes zunächst aufzuschieben. Dies verdeutlicht, daß es sich bei Literaturanschaffungen der hier vorliegenden Art um unabhängig von der konkreten Beratung oder Behandlung durch einen Arzt anfallende und somit um lediglich in einem mittelbaren Zusammenhang mit der Krankheit stehende Aufwendungen handelt, die von der Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen sind. Ob etwas anderes dann gilt, wenn ein Arzt - begleitend zu seiner Therapie - dem Patienten den Erwerb eines Buches aufgibt, anhand dessen dieser die Anordnungen des Arztes besser zu befolgen vermag, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Zwangsläufige Aufwendungen werden jedenfalls nur ausgelöst, soweit sie für die Konsultation von Ärzten und anderen zur Ausübung der Heilkunde zugelassenen Personen sowie für die von diesen verordneten therapeutischen Maßnahmen entstehen.