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  BFH-Urteil vom 7.11.1995 (IX R 99/93) BStBl. 1996 II S. 89

Erschließungsbeiträge für eine öffentliche Straße, durch die eine bisherige private Anbindung eines Grundstücks an das öffentliche Straßennetz ersetzt wird, stellen sofort abziehbaren Erhaltungsaufwand dar, wenn die Nutzbarkeit des Grundstücks durch die öffentliche Erschließungsmaßnahme nicht verändert wird, weil sich die öffentliche Straße nicht wesentlich von der bisherigen privaten Erschließung unterscheidet.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2; HGB § 255.

Vorinstanz: FG Berlin (EFG 1994, 194)

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war bis Oktober 1985 Eigentümerin des Grundstücks A-Straße in B, aus dem sie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bezog.

Ein Voreigentümer der Klägerin hatte die im Grundbuch eingetragene Baulast übernommen, das Grundstück mit dem nächsten öffentlichen Weg zu verbinden und die für die Ableitung des Abwassers, für die Wasserversorgung und die Beleuchtung erforderlichen Einrichtungen herzustellen. Aufgrund dieser Verpflichtung war das mit mehreren Häusern nebst 12 Parkplätzen bebaute Grundstück im Jahre 1958 mit einer befestigten, über das Nachbargrundstück geführten Straße an die A-Straße angebunden worden. In den Jahren 1980 bis 1984 ersetzte die Gemeinde B die bisherige Zufahrt zu dem Grundstück der Klägerin durch eine öffentliche, ebenfalls über das Nachbargrundstück geführte Verbindungsstraße zu der A-Straße. Aufgrund von Heranziehungsbescheiden der Gemeinde B vom 15. November 1984 zahlte die Klägerin an diese im Januar 1986 Erschließungsbeiträge in Höhe von 214579,98 DM.

Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Erschließungsbeiträge bei der Veranlagung der Klägerin für 1986 (Streitjahr) nicht als nachträgliche Werbungskosten berücksichtigt, sondern als nachträgliche Anschaffungskosten des Grund und Bodens behandelt hatte, hat das Finanzgericht (FG) mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 194 veröffentlichten Urteil der Klage stattgegeben. Die Erschließungsbeiträge seien keine nachträglichen Anschaffungskosten des Grund und Bodens, da durch die Errichtung der öffentlichen Verbindungsstraße die Nutzbarkeit des Grundstücks der Klägerin angesichts der bisherigen, den Verkehrserfordernissen genügenden Anbindung an die A-Straße nicht wesentlich verbessert worden sei. Der Umstand, daß es sich bei den strittigen Kosten öffentlich-rechtlich um erstmalige Erschließungsbeiträge handele, sei insoweit nicht maßgebend. Auch komme es nicht darauf an, ob die Anlage der öffentlichen Straße zu einer Werterhöhung des Grundstücks geführt habe.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Die Aufwendungen der Klägerin seien als nachträgliche Anschaffungskosten des Grund und Bodens zu beurteilen, weil das Grundstück durch die öffentliche Straße erstmals erschlossen worden sei; die private Anbindung an die A-Straße habe nur eine provisorische Maßnahme bis zur erstmaligen Erschließung des Grundstücks durch die Gemeinde dargestellt. Im übrigen sei durch die Anlage der öffentlichen, von der Gemeinde instandzuhaltenden Straße auch eine Werterhöhung des Grundstücks der Klägerin eingetreten.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat zu Recht den strittigen Erschließungskostenbeitrag als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung zum Abzug zugelassen und diese Aufwendungen nicht zu den Anschaffungskosten für den Grund und Boden gerechnet.

1. Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Werbungskosten bilden bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung grundsätzlich alle Aufwendungen, bei denen objektiv ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit der Vermietung und Verpachtung besteht und die subjektiv zur Förderung der Nutzungsüberlassung gemacht werden (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 8. Dezember 1992 IX R 68/89, BFHE 170, 134, BStBl II 1993, 434). Als Werbungskosten abziehbar sind grundsätzlich auch Aufwendungen, die den Grund und Boden betreffen; denn bei der Vermietung von Gebäuden gehört die damit verbundene Nutzungsüberlassung von Grund und Boden zum Einkünftetatbestand des § 21 Abs. 1 EStG (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 1991 IX R 30/89, BFHE 164, 364, BStBl II 1991, 761 zu Schuldzinsen für die Finanzierung eines unbebauten Grundstücks).

2. Zu den Werbungskosten zählen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 EStG auch öffentliche Abgaben, soweit sie sich auf Gebäude oder auf Gegenstände beziehen, die dem Steuerpflichtigen zur Einnahmeerzielung dienen. Sofort als Werbungskosten abziehbare Aufwendungen sind nach dieser Vorschrift auch Erschließungsbeiträge, sofern sie nicht als nachträgliche Anschaffungskosten auf den Grund und Boden anzusehen sind (Senatsurteil vom 22. März 1994 IX R 52/90, BFHE 175, 29, BStBl II 1994, 842).

a) Beiträge zur Finanzierung erstmals durchgeführter Erschließungsmaßnahmen sind nach ständiger Rechtsprechung den Anschaffungskosten von Grund und Boden zuzurechnen, da sie dazu dienen, das Grundstück baureif zu machen und es damit i. S. von § 255 Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen (z. B. Senatsurteil vom 14. März 1989 IX R 138/88, BFH/NV 1989, 633; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 2. Mai 1990 VIII R 198/85, BStBl II 1991, 448, BFH/NV 1991, 29). Werden hingegen vorhandene Erschließungseinrichtungen ersetzt oder modernisiert, so führen Erschließungsbeiträge nicht zu nachträglichen Anschaffungskosten, es sei denn, das Grundstück wird durch die Maßnahme "in seiner Substanz oder in seinem Wesen" verändert (BFH-Urteil in BStBl II 1991, 448, BFH/NV 1991, 29). Der Charakter eines Grundstücks wird durch grundstücksbezogene Kriterien bestimmt, insbesondere durch Größe, Lage, Zuschnitt, Erschließung und Grad der Bebaubarkeit. Solange diese Merkmale unverändert bleiben, werden Substanz oder Wesen des Grundstücks nicht berührt. Nicht entscheidend ist, ob die Maßnahme aus anderen Gründen zu einer Werterhöhung des Grundstücks geführt hat (Senatsurteil in BFHE 175, 29, BStBl II 1994, 842).

Dementsprechend hat der Senat nachträgliche Straßenbaukostenbeiträge, die eine Gemeinde von dem Eigentümer eines bereits durch eine Straße erschlossenen Grundstücks für die bauliche Veränderung von Gehwegen oder des Straßenbelages zur Schaffung einer verkehrsberuhigten Zone oder eines Fußgängerbereichs erhebt, als sofort abziehbare Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung beurteilt (Senatsurteile in BFHE 175, 29, BStBl II 1994, 842, und vom 22. März 1994 IX R 109/90, BFHE 175, 31).

b) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die bisher durch eine Privatstraße vorgenommene Anbindung eines Grundstücks an das öffentliche Straßennetz durch eine öffentliche Straße ersetzt wird. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob die bisherige Privatstraße eine selbständige Erschließungsanlage i. S. des § 123 Abs. 2 des Baugesetzbuches (BauGB) oder lediglich eine unselbständige Zufahrt darstellt (zu den Abgrenzungskriterien vgl. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juli 1982 8 C 28, 30 u. 33.81, BVerwGE 66, 69, und vom 23. März 1984 8 C 65.82, Deutsches Verwaltungsblatt 1984, 683, sowie H. Schrödter in Schrödter, Baugesetzbuch, Kommentar, 5. Aufl., § 123 Rdnr. 3). Maßgebend ist allein, daß die erstmalige Anbindung des Grundstücks an das öffentliche Straßennetz dazu gedient hat und geeignet war, das Grundstück baureif und damit nutzbar zu machen. Soweit durch eine nachfolgende öffentliche Erschließungsmaßnahme die Nutzbarkeit des bislang durch eine private Maßnahme erschlossenen Grundstücks nicht verändert wird, weil sich die öffentliche Erschließungsanlage insoweit nicht wesentlich von der bisherigen privaten Anlage unterscheidet, stellen die Beiträge für diese öffentliche Erschließung sofort abziehbaren Erhaltungsaufwand dar (vgl. BFH-Urteil vom 4. November 1986 VIII R 322/83, BFHE 148, 513, BStBl II 1987, 333).

3. Das FG ist aufgrund seiner tatrichterlichen Würdigung der Umstände des Streitfalles zu der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Schlußfolgerung gelangt, daß das früher im Eigentum der Klägerin stehende Grundstück durch die nachträgliche Erschließungsmaßnahme in seiner Nutzbarkeit nicht verändert worden ist. Der BFH kann als Revisionsgericht nicht seine eigene Tatsachenwürdigung an die Stelle der Würdigung des FG setzen, wenn diese - wie im Streitfall - möglich ist (BFH-Urteil vom 27. August 1991 VIII R 84/89, BFHE 165, 330, BStBl II 1992, 9; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 118 Anm. 39 ff.). Die vom FA insoweit auch nicht beanstandete Beurteilung des FG ist damit gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindend.

Hiernach hat das FG zu Recht den strittigen Erschließungskostenbeitrag, den die Klägerin aufgrund der Heranziehungsbescheide vom November 1984 erst - nach der Veräußerung des Grundstücks - im Streitjahr gezahlt hat, als nachträgliche Werbungskosten berücksichtigt.