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  BFH-Urteil vom 11.10.1995 (II R 52/92) BStBl. 1996 II S. 118

Bei Anwendung der vermögensteuerrechtlichen Vergünstigungsvorschrift des § 115 BewG für Gegenstände, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt, sind im Rahmen der Ertragsberechnung nach § 115 Abs. 4 BewG Schuldzinsen als Kosten zu berücksichtigen.

BewG § 115.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) zu 1 und 2, ein Ehepaar, sind an den Stichtagen 1. Januar 1981 bis 1. Januar 1984 zusammen mit ihren Kindern, den Klägern zu 3 und 4, zur Vermögensteuer veranlagt wor- den. Der Kläger zu 1 ist Eigentümer der Grundstücke A-Straße 1 und B-Straße 2 in L, die in der Liste der Bau- und Kulturdenkmale der Stadt L eingetragen sind. Nach einer Betriebsprüfung im Jahre 1986 vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, daß beide Grundstücke bei der Vermögensteuer nicht nach § 115 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) mit dem auf 40 v. H. ermäßigten Wert angesetzt werden könnten; denn die Voraussetzungen des § 115 Abs. 4 BewG, der die Unrentabilität der unter Denkmalschutz stehenden Gebäude verlange, seien nicht erfüllt. Dabei ließ das FA - dem Prüfungsbericht folgend - in seiner Wirtschaftlichkeitsberechnung die Zinsaufwendungen für das vom Kläger zu 1 für die Anschaffung und Herstellung der Grundstücke aufgenommene Fremdkapital unberücksichtigt, da das steuerliche Ergebnis nicht davon abhängig gemacht werden dürfe, wie der Eigentümer den Erwerb bzw. die Herstellung des Grundbesitzes finanziert habe.

Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage begehrten die Kläger die Herabsetzung der Vermögensteuer zu den Stichtagen 1. Januar 1981 bis 1. Januar 1984 nach Maßgabe der Minderung des Gesamtvermögens gemäß § 115 Abs. 1 BewG um 60 v. H. der für die beiden Grundstücke angesetzten Steuerwerte. Unter Zugrundelegung der Ertragsberechnung des Betriebsprüfers machten sie geltend, daß unter Einbeziehung der gezahlten Fremdkapitalzinsen für die Jahre 1980 bis 1984 die jährlichen Kosten in der Regel die Einnahmen überstiegen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 4 BewG erfüllt seien und ermäßigte die Vermögensteuer auf den 1. Januar der Jahre 1981 bis 1984 entsprechend. Die nach dieser Vorschrift vorzunehmende Gegenüberstellung der jährlichen Kosten zu den erzielten Einnahmen weise auf eine nach wirtschaftlichen Grundsätzen auszurichtende Überprüfung hin. Zu den dabei zu berücksichtigenden Kosten gehörten auch die für aufgenommenes Fremdkapital tatsächlich gezahlten Zinsen, die den Eigentümer in gleicher Weise belasteten wie alle anderen für den Grundbesitz aufgewendeten Kosten, wie z. B. die Kosten für Reparaturen und laufende Unterhaltung.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 115 Abs. 4 BewG. Es beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Zur Begründung macht das FA im wesentlichen geltend, daß nach der Zielsetzung des § 115 Abs. 4 BewG nur solcher Grundbesitz bei der Vermögensbesteuerung begünstigt werden solle, der aufgrund seiner spezifischen Bedeutung für Kunst, Geschichte oder Wissenschaft den Eigentümer wegen des in aller Regel größeren Erhaltungsaufwands und wegen der auferlegten Bindungen stärker belastet. Da insoweit der Gesetzgeber die Vermögensteuer als Objektsteuer ausgestaltet habe, sei die diesen Objekten im Regelfall anhaftende Unwirtschaftlichkeit Maßstab für die Beurteilung der zu berücksichtigenden Aufwendungen. Zinsaufwendungen lägen dagegen in der Sphäre des jeweiligen Eigentümers und seien nicht spezifische Folge der besonderen Eigenschaft des Grundbesitzes. Sie müßten daher außer Ansatz bleiben. Auch habe das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit seinem Urteil vom 15. Februar 1991 - BVerwG 8 C 3.89 - (BStBl II 1992, 577) zur Auslegung des § 32 Abs. 1 Nr. 1 des Grundsteuergesetzes (GrStG) entschieden, daß weder Schuld- noch Eigenkapitalzinsen als Kosten berücksichtigt werden könnten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das FG hat zu Recht die Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 und 4 BewG bejaht und die Vermögensteuer auf den 1. Januar der Jahre 1981 bis 1984 in dem von den Klägern beantragten Umfang herabgesetzt.

1. Nach § 115 BewG werden bei der Ermittlung des Gesamtvermögens (§ 114 BewG) für Zwecke der Vermögensteuer (vgl. § 4 des Vermögensteuergesetzes - VStG -) Grundbesitz oder Teile von Grundbesitz nur mit 40 v. H. des Werts angesetzt, wenn ihre Erhaltung wegen ihrer Bedeutung für Kunst, Geschichte oder Wissenschaft im öffentlichen Interesse liegt (§ 115 Abs. 1 BewG) und die Kosten in der Regel die erzielten Einnahmen übersteigen (§ 115 Abs. 4 BewG). Da es sich bei den beiden in der Liste der Bau- und Kulturdenkmale der Stadt L eingetragenen Grundstücken des Klägers zu 1 nach den unstreitigen Feststellungen der Vorinstanz um Grundbesitz handelt, dessen Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt, sind die Voraussetzungen des § 115 Abs. 1 BewG im Streitfall erfüllt. Auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 115 Abs. 4 BewG hat das FG zutreffend bejaht. Denn auf der Grundlage der Ertragsberechnungen des Betriebsprüfers, auf die das FG in seinem Urteil Bezug genommen hat, ergibt sich für beide Grundstücke, daß die jährlichen Kosten in den Streitjahren regelmäßig über den erzielten Einnahmen liegen, wenn in der Berechnung - wovon die Vorinstanz zutreffend ausgegangen ist - die von den Klägern gezahlten und der Höhe nach vom FA nicht bestrittenen Schuldzinsen als Kosten berücksichtigt werden.

Sinn und Zweck der Vorschrift des § 115 BewG ist es, daß nur der Grundbesitz vermögensteuerlich begünstigt wird, der für den Eigentümer auf einen längeren Zeitraum unrentierlich ist. Wie bei einem Grundsteuererlaß nach § 32 GrStG für Grundbesitz, dessen Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt, ist auch für die Steuervergünstigung des § 115 BewG die Frage der dauernden Unrentierlichkeit durch eine Prognose auf der Grundlage der u. a. sich aus der Vergangenheit ergebenden wirtschaftlichen Daten zu beurteilen (vgl. BVerwG-Urteil vom 21. September 1984 BVerwG 8 C 62.82, BStBl II 1984, 870, 873). Dabei ist die erforderliche Gewinn- und Verlustrechnung nach wirtschaftlichen Grundsätzen und nicht nach steuerrechtlichen (Sonder-)Vorschriften durchzuführen (vgl. Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 17. Aufl., § 115 BewG Anm. 16). Das bedeutet zum einen, daß auf der Einnahmenseite nicht nur tatsächlich erzielte Mieten, Eintrittsgelder und dergleichen zu erfassen sind, sondern auch alle geldwerten Vorteile, wie der Mietwert der selbstgenutzten Wohnung, und zum anderen, daß zu den Kosten alle Aufwendungen zur Unterhaltung und Pflege des Grundbesitzes, insbesondere die Instandhaltungs- und Verwaltungskosten sowie die üblichen Absetzungen für Abnutzung gehören (vgl. hierzu im einzelnen Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 9. Aufl., § 115 BewG Anm. 14; Kleeberg/Eberl, Kulturgüter in Privatbesitz, 1990, S. 317). In gleicher Weise gehören auch die für aufgenommenes Fremdkapital gezahlten Zinsen zu den Kosten. Im Gegensatz zur Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals, die nicht als Aufwand berücksichtigt werden kann, belasten die tatsächlich gezahlten Schuldzinsen den Eigentümer in gleicher Weise wie alle anderen für den Grundbesitz aufgewendeten Kosten. Dabei ist es unerheblich, ob das Fremdkapital zum Erwerb oder zur Erhaltung des Grundbesitzes aufgenommen wurde. Denn in jedem Fall vermindern die tatsächlich gezahlten Schuldzinsen die Rentierlichkeit des Grundbesitzes für den Eigentümer. Zwar trifft der Hinweis des FA zu, daß das BVerwG in seinem Urteil in BStBl II 1992, 577 zur Frage des Grundsteuererlasses nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 GrStG entschieden hat, daß bei der Ermittlung des Verhältnisses zwischen Einnahmen und Kosten weder Schuld- noch Eigenkapitalzinsen als Kosten berücksichtigt werden könnten. Das BVerwG begründet aber die Gleichbehandlung von Schuldzinsen und Eigenkapitalzinsen ausdrücklich mit dem Charakter der Grundsteuer als einer Objektsteuer. Demgegenüber handelt es sich bei der Vermögensteuer um eine Personensteuer, bei der die persönlichen Verhältnisse des Steuerschuldners zu berücksichtigen sind (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 3 AO Tz. 40; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. Dezember 1972 III R 6/72, BFHE 108, 131, BStBl II 1973, 202). Dem entspricht es, nach Sinn und Zweck der Vergünstigungsvorschrift des § 115 BewG (gezahlte) Schuldzinsen jedenfalls bei der Ertragsberechnung für vermögensteuerliche Zwecke (§ 115 Abs. 4 BewG) als Kosten zu berücksichtigen. Denn es ist nicht möglich, die Rentierlichkeit des Grundbesitzes unabhängig von den persönlichen Verhältnissen zu ermitteln, da sie durch Einnahmen und Ausgaben bestimmt wird, deren konkrete Ausgestaltung der subjektiven Entscheidung des Eigentümers überlassen ist und bleiben muß.