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  BFH-Urteil vom 19.9.1995 (IX R 37/93) BStBl. 1996 II S. 131

1. Ob Instandsetzungs- und Modernisierungsaufwendungen für ein Gebäude, das in Teileigentumsanteile nach dem WEG aufgeteilt ist, sofort abziehbare Werbungskosten oder Herstellungskosten sind, ist grundsätzlich für die jeweiligen Teileigentumsanteile gesondert zu entscheiden.

2. Diese Prüfung ist zunächst bezogen auf das gesamte Gebäude durchzuführen, soweit Aufwendungen auf das gemeinschaftliche Eigentum entfallen; die danach ermittelten Werbungskosten oder Herstellungskosten sind sodann grundsätzlich entsprechend den Miteigentumsanteilen den einzelnen Teileigentumsanteilen zuzuordnen. Soweit Aufwendungen auf die im Sondereigentum stehenden Räume entfallen, ist die Prüfung jeweils für das einzelne Sondereigentum vorzunehmen.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Nr. 7, § 7 Abs. 4; HGB § 255 Abs. 2 Satz 1; WEG § 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines mit einem Vorderhaus und einem Hinterhaus bebauten Grundstücks. Die beiden im Jahre 1956 erbauten Häuser sind in 12 Teileigentumsanteile aufgeteilt, die dem Kläger gehören und fremdvermietet sind. In den Jahren 1985 bis 1987 ließ der Kläger umfangreiche Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen an den Häusern durchführen. Hierfür wandte er im Jahre 1985 rd. 712.000 DM, im Jahre 1986 rd. 760.000 DM und im Jahre 1987 rd. 440.000 DM auf. Die Kläger begehrten beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) erfolglos, die in den Jahren 1985 und 1986 angefallenen Aufwendungen als sofort abziehbare Werbungskosten in den Streitjahren im Wege des Verlustrücktrags abzuziehen. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es beurteilte die Aufwendungen insgesamt als Herstellungskosten, weil eine Generalüberholung vorliege. Von einer Generalüberholung könne ausgegangen werden, wenn Baumaßnahmen, die in einem engen zeitlichen, räumlichen und sachlichen Zusammenhang zueinander stehen, durchgeführt würden und die als einheitliche Baumaßnahme nach technischem und wirtschaftlichem Gesamtverbrauch der Altsubstanz eine Überholung und Modernisierung des Hauses im ganzen und von Grund auf dergestalt darstellen, daß sie einem wirtschaftlichen Neubau in einem Maße nahestehen, daß von einer völlig veränderten Nutzungsdauer des gesamten Gebäudes auszugehen sei.

Mit der Revision rügen die Kläger Verfahrensmängel sowie die Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer 1983 und 1984 unter Abänderung der Änderungsbescheide vom 19. April 1995 auf 0 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens hat das FA für die Streitjahre Änderungsbescheide vom 19. April 1995 erlassen, die auf Antrag der Kläger nach §§ 68, 121, 123 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden sind.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das FG hat mit rechtsfehlerhafter Begründung die von den Klägern aufgewendeten Kosten insgesamt als Herstellungskosten beurteilt.

1. a) Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Handelt es sich bei diesen Aufwendungen um Herstellungskosten eines zur Einkunftserzielung bestimmten Gebäudes, so sind sie grundsätzlich nur verteilt auf die Nutzungsdauer des Gebäudes in Form von Absetzungen für Abnutzung (AfA) abziehbar (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 i. V. m. § 7 Abs. 1, 4 und 5 EStG). Herstellungskosten sind nach § 255 Abs. 2 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen. Diese handelsrechtliche Begriffsbestimmung gilt ebenso für das Steuerrecht, und zwar auch für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1990 GrS 1/89, BFHE 160, 466, 476, BStBl II 1990, 830 unter C. III. 1. cc d).

Wie der erkennende Senat im Urteil vom 9. Mai 1995 IX R 116/92 (BFHE 177, 454) im einzelnen ausgeführt hat, können Instandsetzungs- und Modernisierungsaufwendungen für Gebäude nach unterschiedlichen Tatbestandsmerkmalen des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB als Herstellungskosten zu beurteilen sein. Ist das Gebäude so sehr abgenutzt, daß es unbrauchbar geworden ist (Vollverschleiß), so wird durch die Instandsetzungsarbeiten unter Verwendung der übrigen noch nutzbaren Teile ein neues Wirtschaftsgut hergestellt. Eine Erweiterung im Sinne dieser Vorschrift liegt u. a. vor, wenn ein Gebäude in seiner Substanz vermehrt, seine nutzbare Fläche vergrößert wird oder wenn nachträglich Bestandteile eingebaut werden, die bisher nicht vorhanden waren. Eine über den ursprünglichen Zustand des Gebäudes hinausgehende wesentliche Verbesserung i. S. des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB liegt nicht schon dann vor, wenn an dem Gebäude als Ganzem Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten ausgeführt werden, die das Gebäude lediglich in ordnungsgemäßem Zustand erhalten oder diesen Zustand in zeitgemäßer Form wiederherstellen (substanzerhaltende Bestandteilserneuerungen). Vielmehr ist eine Verbesserung nur dann wesentlich, wenn über die zeitgemäße Erneuerung hinaus der Gebrauchswert des Hauses im ganzen deutlich erhöht wird, etwa durch Verwendung außergewöhnlich hochwertiger Materialien in erheblichem Umfang oder eine besondere bauliche Gestaltung. Aufwendungen für Instandsetzungs- oder Modernisierungsmaßnahmen, die über eine zeitgemäße substanzerhaltende Erneuerung nicht hinausgehen, sind als Erhaltungsaufwendungen abzuziehen, soweit sie (ggf. durch Schätzung) von den übrigen Aufwendungen abgrenzbar sind. Sie bilden jedoch dann Herstellungskosten, wenn die Erhaltungsmaßnahmen mit anderen Baumaßnahmen, die zu Herstellungskosten führen, in einem engen räumlichen, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen. Ein sachlicher Zusammenhang in diesem Sinne liegt vor, wenn die einzelnen Baumaßnahmen bautechnisch ineinandergreifen.

b) Werden an einem Gebäude, das in Eigentumswohnungen oder - wie im Streitfall - in nicht zu Wohnzwecken dienende Teileigentumsanteile nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG) aufgeteilt ist, Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten durchgeführt, hat sich die Prüfung, ob Herstellungs- oder sofort abziehbare Werbungskosten vorliegen, an den Regelungen des WEG zu orientieren; danach ist Wohnungseigentum oder Teileigentum das Sondereigentum an bestimmten Räumen eines Gebäudes in Verbindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum, zu dem es gehört (§ 1 Abs. 2 und 3 WEG); gemeinschaftliches Eigentum sind das Grundstück sowie die Teile, Anlagen und Einrichtungen des Gebäudes, die nicht im Sondereigentum oder im Eigentum eines Dritten stehen (§ 1 Abs. 5 WEG). Der Miteigentumsanteil am gemeinschaftlichen Eigentum wird für Zwecke der Besteuerung dem jeweiligen einzelnen Eigentümer zugerechnet, so daß dieser die Einkünfte aus der Vermietung der Eigentumswohnung oder des Teileigentumsanteils allein erzielt (BFH-Urteil vom 9. Juli 1987 IV R 87/85, BFHE 150, 345, 348 f., BStBl II 1988, 342). Ob Instandsetzungs- und Modernisierungsaufwendungen Werbungskosten oder Herstellungskosten sind, ist danach jeweils für die einzelne Eigentumswohnung oder den einzelnen Teileigentumsanteil gesondert zu entscheiden. Diese Prüfung hat mit Rücksicht auf die Unterscheidung zwischen Sondereigentum und gemeinschaftlichem Eigentum in mehreren Schritten zu geschehen: Soweit Aufwendungen auf das gemeinschaftliche Eigentum entfallen, sind die Tatbestandsmerkmale des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB (dazu oben 1. a) bezogen auf das gesamte Gebäude zu prüfen; in einem zweiten Schritt sind diese Aufwendungen als Werbungskosten oder Herstellungskosten grundsätzlich entsprechend den Miteigentumsanteilen den einzelnen Eigentumswohnungen/Teileigentumsanteilen zuzuordnen. Soweit Aufwendungen dagegen auf die im Sondereigentum stehenden Räume entfallen, sind die Voraussetzungen des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB jeweils für das einzelne Sondereigentum zu prüfen.

2. Nach diesen Maßstäben erweist sich die Vorentscheidung schon deshalb als rechtsfehlerhaft, weil das FG die nach den vorstehenden Grundsätzen gebotene mehrstufige Prüfung nicht durchgeführt hat. Eine solche Prüfung war nicht deshalb entbehrlich, weil alle Teileigentumsanteile im Eigentum des Klägers stehen. Trotz der Zusammenfassung des Eigentums in einer Hand handelt es sich um getrennt zu beurteilende Wirtschaftsgüter. Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Die Feststellungen des FG reichen für eine abschließende Beurteilung des Streitfalles nicht aus.

a) Das FG hat zu Art und Umfang der strittigen Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten in tatsächlicher Hinsicht folgendes festgestellt: Im Vorderhaus wurde das Dach ohne bauliche Veränderungen repariert, erstmals ein Fahrstuhl vor der Hinterseite des Treppenhauses eingebaut, der Fußboden und Treppenbelag im Treppenhaus entfernt und durch Marmor ersetzt, im Treppenhaus Rundbögen eingebaut, die Fassade verklinkert, sämtliche Fenster ausgewechselt, die Balkone erneuert, die gesamte Elektroinstallation sowie die Wasser- und Abwasserleitungen erneuert, teilweise auch Heizungsrohre und Heizkörper ausgetauscht. Im Jahre 1987 wurden im Vorderhaus außerdem teilweise Innenwände entfernt und neu eingezogen, Fußböden erneuert, Decken abgehängt sowie Türen und Bäder erneuert. Im Hinterhaus wurde das vorhandene Dach abgerissen und ein neues Walmdach errichtet. Dadurch konnte der ehemalige Dachboden des Hinterhauses zu einer Zahnarztpraxis im zweiten Obergeschoß ausgebaut werden. Ferner wurde am Hinterhaus ebenfalls die Fassade verklinkert, das Treppenhaus repariert, das Maschinenhaus des bereits vorhandenen Fahrstuhls neu verkleidet, neue Fenster eingebaut sowie Elektroinstallationen und Wasser- und Abwasserleitungen ausgetauscht. Ferner wurden in den einzelnen Wohnungen des Hinterhauses Innenwände versetzt und bisher nicht vorhandene Toilettenanlagen neu eingerichtet.

b) Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist zwar erkennbar, daß in den Aufwendungen auf das gemeinschaftliche Eigentum (insbesondere Anbau des Fahrstuhls im Vorderhaus) und in den Aufwendungen auf die einzelnen im Sondereigentum stehenden Räume (insbesondere Vergrößerung der Nutzfläche im Dachaufbau des Hinterhauses, Umbau von Räumen und Einbau neuer, zuvor nicht vorhandener Toilettenanlagen) Herstellungskosten enthalten waren. Hinsichtlich der übrigen Instandsetzungs- und Modernisierungsaufwendungen ist aber nicht festgestellt, ob die einzelnen Baumaßnahmen mit den zu Herstellungskosten führenden Maßnahmen bautechnisch ineinandergegriffen haben und ob dies für alle Teileigentumsanteile der Fall ist.