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  BFH-Urteil vom 23.8.1995 (II R 88/92) BStBl. 1996 II S. 137

Zahlungen des Vorerben zur Ablösung des Nacherbenrechts sind nicht als Nachlaßverbindlichkeiten bei dem Erwerb des Vorerben von Todes wegen abzugsfähig.

ErbStG 1974 § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Sätze 1 u. 2, Abs. 5 Satz 1 Nr. 3, Abs. 6 Satz 1; BGB § 1922 Abs. 1, §§ 1967, 2032 Abs. 2, §§ 2042, 2100.

Vorinstanz: FG Düsseldorf (EFG 1993, 44)

Sachverhalt

Frau V ist aufgrund Testaments von ihrer Schwester N alleine beerbt worden. In dem Testament war Nacherbfolge angeordnet; sie sollte mit dem Tod der Vorerbin eintreten. Als Nacherben waren die beiden Kinder der Vorerbin, H und R, eingesetzt. Durch notariell beurkundeten Vertrag übertrugen die Nacherben mit Wirkung auf den Zeitpunkt des Erbfalls "die ihnen zustehenden Nacherbenanwartschaften auf den Nachlaß V auf Frau N ..., so daß die Erwerberin unbedingte Vollerbin der V wird". Frau N, die Vorerbin, verpflichtete sich, "zur vollständigen Abfindung aller Rechte, die H und R ... aufgeben, an diese je einen Betrag von 120.000 DM zu zahlen".

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) folgte dem Begehren von Frau N nicht, ihren steuerpflichtigen Erwerb nach V um die Zahlungen zur Abfindung der Nacherben in Höhe von insgesamt 240.000 DM zu mindern (Erbschaftsteuerbescheid vom 22. Oktober 1986, Einspruchsentscheidung vom 3. Dezember 1986). Auf die Klage entschied das Finanzgericht - FG - (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1993 S. 44), daß die Abfindungszahlungen steuermindernd zu berücksichtigen seien. Es handle sich um Nachlaßverbindlichkeiten i. S. des § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG 1974).

Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Es beantragt, das Urteil des FG Düsseldorf vom 19. August 1992 4 K 17/87 Erb aufzuheben und die Klage gegen den Erbschaftsteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung als unbegründet abzuweisen.

Frau N, die Vorerbin, Steuerpflichtige und Klägerin, ist während des Klageverfahrens verstorben. Sie ist von ihren Kindern H und R (den Nacherben) beerbt worden. Diese haben als Revisionsbeklagte keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das finanzgerichtliche Urteil ist aufzuheben; es verstößt gegen § 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 ErbStG 1974. Die Zahlungen, die Frau N (Vorerbin) an ihre Kinder (Nacherben) für die Übertragung der Nacherbenrechte geleistet hat, mindern ihren Erwerb als Erbin nach Frau V (Erblasserin) nicht.

a) Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 gilt als steuerpflichtiger Erwerb die Bereicherung des Erwerbers. In den Fällen des Erwerbs von Todes wegen (§ 3 ErbStG 1974) bestimmt § 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG 1974 die Bereicherung als den Betrag, der sich ergibt, wenn von dem (nach § 12 ErbStG 1974 zu ermittelnden) Wert des gesamten Vermögensanfalls die nach § 10 Abs. 3 bis 9 abzugsfähigen Nachlaßverbindlichkeiten (mit ihrem nach § 12 zu ermittelnden Wert) abgezogen werden. Nach § 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 ErbStG 1974 sind von dem Erwerb als Nachlaßverbindlichkeiten abzugsfähig u. a. die Kosten, die dem Erwerber unmittelbar im Zusammenhang mit der Erlangung des Erwerbs entstehen. Beschränkt sich danach der steuerpflichtige Erwerb auf die Bereicherung des Erwerbers, die sich aus dem jeweiligen Erwerb von Todes wegen - nach den näheren Bestimmungen des ErbStG - ergibt, so sind auch nur die Aufwendungen als Nachlaßverbindlichkeiten zu berücksichtigen, die im Zusammenhang mit dem Erbfall stehen, der der Besteuerung unterliegt (vgl. auch § 10 Abs. 6 Satz 1 ErbStG 1974). Die Nachlaßverbindlichkeiten müssen den Erben als solchen treffen (vgl. § 1967 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB -), d. h., sie müssen durch den konkreten Vermögensanfall des Erben ausgelöst sein.

b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Die Zahlungen der Vorerbin an die Nacherben für die Übertragung der Nacherbenrechte sind von dem Erwerb der Vorerbin von Todes wegen nicht als Nachlaßverbindlichkeiten abzugsfähig; sie betreffen nicht den Erwerb der Vorerbin durch Erbanfall (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974, § 1922 Abs. 1 BGB). Die Zahlungen sind vielmehr ausgelöst durch einen Vermögensübergang, der nicht zwischen Erblasserin und Vorerbin, sondern zwischen den Nacherben und der Vorerbin stattgefunden hat. Sie beziehen sich auch auf den Erwerb eines anderen Vermögensgegenstandes als denjenigen, der als Erwerb von Todes wegen bei der Vorerbin der Erbschaftsteuer unterliegt, nämlich auf die Übertragung der Rechtsstellung der Nacherben.

Der Nacherbe erlangt mit dem Eintritt des Erbfalls neben dem zukünftigen Erbrecht (§ 2100 BGB) eine unentziehbare und unbeschränkte Rechtsstellung, die ihm in bezug auf die Erbschaft zahlreiche einzelne Rechte gewährt und sein zukünftiges Erbrecht sichert (vgl. §§ 2113 bis 2115 BGB). Die Rechtsstellung des Nacherben bildet in ihrer Gesamtheit ein Anwartschaftsrecht. Es kann veräußert und nach § 2108 Abs. 2 BGB vererbt werden. Schon vor dem Nacherbfall stellt es mithin einen Vermögenswert in der Hand des Nacherben dar (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 9. Juni 1983 IX ZR 41/82, BGHZ 87, 367; allgemeine Auffassung).

Überträgt der Nacherbe, wie im Streitfall, sein Recht auf den Vorerben, so wird dieser dadurch unbeschränkter Vollerbe (Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 29. November 1991 BReg. 1 Z 12/91, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht - FamRZ - 1992, 728; Grunsky in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., § 2100 Rdz. 27). Dies hat das FG verkannt. Der Erwerb der Stellung als Vollerbe durch den Vorerben beruht nicht auf dem Erbfall, sondern auf einer von den Anordnungen der letztwilligen Verfügung des Erblassers unabhängigen Vermögensdisposition des Vorerben, um die ihm vom Erblasser eingeräumte vermögensrechtliche Stellung durch (entgeltliches) Rechtsgeschäft zu erweitern. Insbesondere erfolgt die Übertragung des Nacherbenrechts auf den Vorerben nicht, wie das FG offenbar aber annimmt, zur Regelung der Erbauseinandersetzung (§ 2032 Abs. 2, § 2042 BGB). Vorerbe und Nacherbe sind zwar bürgerlich-rechtlich Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers (BGH-Beschluß vom 30. Oktober 1951 V BLw 61/50, BGHZ 3, 254). Da jedoch der Nacherbe erst mit dem Nacherbfall Erbe wird (§ 2100 BGB), besteht zwischen Vor- und Nacherbe keine Erbengemeinschaft (BGH- Urteil vom 10. Februar 1993 IV ZR 274/91, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1993, 1582 zu 5.).

c) Die aus § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 5 Satz 1 Nr. 3, Abs. 6 Satz 1 ErbStG 1974 in Verbindung mit den zivilrechtlichen Regelungen über die Nacherbschaft abgeleitete Beurteilung, daß die Zahlungen des Vorerben zur Ablösung des Nacherbenrechts nicht den Erwerb des Vorerben von Todes wegen mindern, wird durch § 6 Abs. 1 ErbStG 1974 bestätigt, denn danach gilt der Vorerbe als Erbe; dessen Erwerb unterliegt in vollem Umfang, ohne Berücksichtigung der Beschränkungen durch das Nacherbenrecht, der Erbschaftsteuer.

2. Die Sache ist spruchreif (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Die Klage ist abzuweisen, weil die angefochtene Erbschaftsteuerfestsetzung sich als rechtmäßig erweist, ohne daß es zu ihrer Prüfung weiterer Tatsachenfeststellungen durch das FG bedarf.