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  BFH-Urteil vom 15.12.1995 (VI R 50/95) BStBl. 1996 II S. 169

Die Entschädigung, die der Arbeitgeber für den Verlust der Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung nach dem Pensionsstatut der Carl-Zeiss-Stiftung Jena gezahlt hat, ist steuerpflichtiger Arbeitslohn.

EStG § 3 Nr. 3, § 19 Abs. 1; LStDV 1989 § 2 Abs. 2 Nr. 2.

Vorinstanz: Thüringer FG (EFG 1995, 876)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Angestellter der Jenoptik Carl Zeiss GmbH (im folgenden: GmbH) in Jena. Die GmbH entstand im Rahmen der Umstrukturierungs- und Privatisierungsmaßnahmen infolge der Wiedervereinigung als Rechtsnachfolgerin des VEB Carl Zeiss Jena, bei dem der Kläger beschäftigt war.

Nach dem Pensionsstatut der Carl-Zeiss-Stiftung Jena vom 30. Dezember 1977, das zum 1. Januar 1978 in Kraft getreten war, hatten die Arbeitnehmer des VEB Carl-Zeiss-Stiftung, des VEB Carl Zeiss Jena und des Jenaer Glaswerkes Schott & Gen. Jena Pensionsansprüche gegen die Carl-Zeiss-Stiftung Jena nach Maßgabe der Bestimmungen des Pensionsstatuts. Für die Betriebspensionen wurden keine Rücklagen oder Rückstellungen gebildet. Sie wurden planmäßig aus dem laufenden Gewinn der Stiftungsbetriebe geleistet.

Nach der infolge der Wiedervereinigung durchgeführten Privatisierung des Arbeitgebers des Klägers wurden die Betriebspensionen neu geregelt. Es wurde unter dem Datum des 30. September 1991 zwischen der GmbH und dem Gesamtbetriebsrat ein Sozialplan vereinbart. Danach wurde neben den Entschädigungen für Arbeitsplatzverlust wegen Arbeitsplatzabbaus in § 2 des Sozialplans in Abteilung II auch eine Entschädigung für den Verlust von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung geregelt.

Aufgrund dieser Vereinbarung erhielt der Kläger im Streitjahr 1992 eine Entschädigung für den Verlust von Anwartschaften auf Pensionsansprüche. Die Entschädigung wurde vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) als außerordentliche Einkünfte i. S. der §§ 34 Abs. 1, 24 Nr. 1 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit einem ermäßigten Steuersatz versteuert. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.

Der Kläger begründete seine Klage damit, daß die Kapitalabfindung nach § 3 Nr. 3 EStG steuerfrei sei, weil es sich um eine Kapitalabfindung auf Grund einer gesetzlichen Rentenversicherung handele.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es entschied, daß die Kapitalabfindung Arbeitslohn i. S. des § 19 Abs. 1 EStG und nicht steuerbefreit sei.

Der Kläger macht mit seiner Revision geltend, die Abfindung sei nach § 3 Nr. 3 EStG steuerfrei. Abweichend von seinem bisher vertretenen Standpunkt handele es sich zwar nicht um eine Kapitalabfindung auf Grund einer gesetzlichen Rentenversicherung. Jedoch seien Pensionen der öffentlichen Hand steuerfrei. Im Streitfall habe es sich um eine staatliche Zusatzversorgung und mithin um eine staatliche Pension gehandelt. Die Gelder zur Ablösung des Pensionssystems seien vom Land Thüringen und der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik), vertreten durch die Treuhand, zur Verfügung gestellt worden.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Kapitalabfindung steuerfrei zu lassen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das FG hat ohne Rechtsverstoß entschieden, daß die Entschädigung für den Verlust der Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung Arbeitslohn i. S. des § 19 Abs. 1 EStG und nicht von der Steuer befreit ist.

1. Die im Jahr 1992 zugeflossene Entschädigung für den Verlust der Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung nach dem Pensionsstatut der Carl-Zeiss-Stiftung Jena ist nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz ein Vorteil i. S. des § 19 Abs. 1 EStG und damit Arbeitslohn.

Der Rechtsanspruch des Klägers auf Zahlung dieser Entschädigung (Kapitalabfindung) bestand gegenüber der GmbH, seiner Arbeitgeberin, und nicht gegenüber der Carl-Zeiss-Stiftung Jena. Er beruht rechtsbegründend auf dem Sozialplan vom 30. September 1991, der zwischen der GmbH und ihrem Gesamtbetriebsrat vereinbart wurde.

Der Annahme von Arbeitslohn i. S. des § 19 Abs. 1 EStG steht § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) vom 10. Oktober 1989 in ihrer für das Streitjahr 1992 gültigen Fassung nicht entgegen. Danach gehören Bezüge, die ganz oder teilweise auf früheren Beitragsleistungen des Bezugsberechtigten oder seines Rechtsvorgängers beruhen, nicht zum Arbeitslohn, es sei denn, daß die Beitragsleistungen Werbungskosten gewesen sind. Im Streitfall hatte der Kläger nach den Feststellungen der Vorinstanz, die mit keinen zulässigen und begründeten Rügen angegriffen worden sind (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), keine Beiträge zur Erlangung seiner Anwartschaft auf eine Pension geleistet. Die Feststellungen der Vorinstanz stehen im Einklang mit dem Inhalt des Pensionsstatuts der Carl-Zeiss-Stiftung Jena, nach dem dem Bezugsberechtigten ein beitragsfreier Pensionsanspruch aus betrieblichen Mitteln (vgl. auch BTDrucks 12/4810, S. 21) zugesichert wurde.

In Übereinstimmung mit der Auffassung des FG ändert sich der Charakter der Entschädigung als Arbeitslohn i. S. des § 19 Abs. 1 EStG nicht dadurch, daß die GmbH die Mittel für die Entschädigungen, die sie nach dem Sozialplan an ihre Arbeitnehmer zu erbringen hatte, nicht selbst erwirtschaftet, sondern von der öffentlichen Hand (Treuhandanstalt) zur Verfügung gestellt bekommen hat. Der Rechtsanspruch der Arbeitnehmer auf die Kapitalabfindung bestand ausschließlich gegenüber der GmbH auf Grund des mit dem Gesamtbetriebsrat vereinbarten Sozialplans und nicht gegenüber der öffentlichen Hand oder einer staatlichen Einrichtung auf Grund eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung. Woher ein Arbeitgeber die Mittel zur Erfüllung eigener Verpflichtungen gegenüber seinen Arbeitnehmern erhält, ist für die Beurteilung, ob eine Leistung Arbeitslohn ist, grundsätzlich unerheblich. Soweit ausnahmsweise dann etwas anderes gelten kann, wenn der Arbeitgeber nach dem Gesamtbild der Verhältnisse nicht als Leistender, sondern eher als Zahlstelle in Erfüllung gesetzlicher Ansprüche zu beurteilen ist (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. Mai 1992 VI R 18/90, BFHE 169, 22, BStBl II 1993, 45), liegen derartige Voraussetzungen im Streitfall nicht vor.

2. Die Entschädigung ist - wie das FG zutreffend entschieden hat - nicht nach § 3 Nr. 3 EStG steuerbefreit.

a) Nach dieser Vorschrift sind steuerfrei die Kapitalabfindungen auf Grund der gesetzlichen Rentenversicherung und auf Grund der Beamten-(Pensions-)Gesetze. Die Befreiung greift nur bei solchen Kapitalabfindungen ein, die auf Grund der genannten Gesetze zur Abgeltung von gesetzlichen Rentenansprüchen bzw. beamtenrechtlichen Pensionsansprüchen gezahlt werden. Vertraglich vereinbarte, also nicht auf Gesetz beruhende Kapitalabfindungen sind - soweit sie überhaupt Arbeitslohn sind - nach dieser Vorschrift nicht von der Steuer befreit (vgl. von Beckerath in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 3 Rdnr. B 3/6; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 3 Nr. 3 EStG Anm. 4).

Im Streitfall ist die Kapitalabfindung - wie bereits dargelegt - nicht auf Grund einer gesetzlichen Regelung, sondern aufgrund eines zwischen der GmbH und dem Gesamtbetriebsrat vereinbarten Sozialplanes geleistet worden. Die Voraussetzungen des § 3 Nr. 3 EStG liegen damit nicht vor.

b) In Übereinstimmung mit der Auffassung der Vorinstanz geht auch der erkennende Senat davon aus, daß die im Streitfall auf Grund eines Sozialplanes geleistete Kapitalabfindung nicht wegen der Besonderheiten der Verhältnisse in der ehemaligen DDR den in § 3 Nr. 3 EStG bezeichneten Kapitalabfindungen gleichzustellen ist.

Denn soweit es um die gesetzliche Rentenversicherung geht, bestehen derartige Besonderheiten nicht. Vielmehr ist eine Vergleichbarkeit der Verhältnisse insoweit gegeben, als es in der ehemaligen DDR ebenso wie in der Bundesrepublik gesetzliche Rentenversicherungen gab. Die Rechte der Arbeitnehmer aus den gesetzlichen Rentenversicherungen der ehemaligen DDR sind durch das Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung - Renten-Überleitungsgesetz - (BGBl I 1991, 1606) in die gesetzliche Sozialversicherung der Bundesrepublik (Sechstes Buch Sozialgesetzbuch) überführt worden. "Wegen zivilrechtlicher Besonderheiten in den Rechtsbeziehungen nach dem Pensionsstatut" der Carl-Zeiss-Stiftung Jena hat der Gesetzgeber es nicht für möglich erachtet, die auf dem Pensionsstatut beruhenden Ansprüche ohne weiteres in die Überleitungsregelungen, die die Ansprüche auf Grund der gesetzlichen Rentenversicherungen der ehemaligen DDR betreffen, einzubeziehen (vgl. BTDrucks 12/4810, S. 22). Er hat insoweit vielmehr - wie vom FG zutreffend dargestellt - durch das Gesetz zur Gleichstellung mit Zusatzversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Zusatzversorgungssystem-Gleichstellungsgesetz) vom 24. Juni 1993 (BGBl I 1993, 1047) eine gesonderte gesetzliche Regelung getroffen, die den Betroffenen ein Wahlrecht eingeräumt hat, ob sie gegen Abführung ihrer Kapitalabfindung an die Rentenversicherungsträger eine Anwartschaft gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben wollen. Diese unterschiedliche Behandlung durch den Gesetzgeber verdeutlicht, daß es sich bei den Ansprüchen aus dem Pensionsstatut nicht um Ansprüche aus einer gesetzlichen Rentenversicherung gehandelt hat.

c) Die Rechtsauffassung des Klägers, die ihm gewährte Entschädigung (Kapitalabfindung) sei bereits deshalb steuerfrei, weil sie aus öffentlichen Mitteln aufgebracht worden sei, ist unzutreffend. Denn eine Entschädigung für eine Pensionsanwartschaft ist nicht bereits deshalb allgemein und ohne ausdrückliche gesetzliche Vorschrift steuerbefreit, weil die Mittel dafür aus öffentlichen Kassen stammen. Soweit ausnahmsweise durch § 3 Nr. 3 EStG die Kapitalabfindungen auf Grund der Beamten-(Pensions-)Gesetze steuerbefreit werden, greift diese Befreiung - wie bereits dargelegt - nur ein, wenn auf die Kapitalabfindung ein gesetzlich begründeter Anspruch besteht. Außerdem gilt die Steuerbefreiung nicht für Angestellte im öffentlichen Dienst, sondern ausschließlich für Beamte (vgl. von Beckerath in Kirchhof/Söhn, a. a. O.).