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  BFH-Urteil vom 14.12.1995 (V R 12/95) BStBl. 1996 II S. 252

1. Kindergeldzahlungen sind bei der Beurteilung des Gestaltungsmißbrauchs im Zusammenhang mit der Errichtung und Vermietung von Räumen für eine Arztpraxis an den Ehegatten nicht als Einnahmen des vermietenden Ehegatten anrechenbar, mit denen er die Aufwendungen für die Errichtung und Erhaltung der Praxisräume bestreiten kann.

2. Zur Dauer des "überschaubaren Zeitraums" als zeitlicher Rahmen für die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungskraft des Vermieter-Ehegatten.

AO 1977 § 42; UStG 1980 § 4 Nr. 12, Nr. 14, § 15 Abs. 1 und 2.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb 1986 ein unbebautes Grundstück für rund 50.000 DM und errichtete darauf in den Streitjahren 1988 und 1989 eine Arztpraxis sowie Fahrzeugeinstell- und Parkplätze. Für die Durchführung des Bauvorhabens hatte sie Bankdarlehen von 375.000 DM und 140.000 DM aufgenommen. Zur Sicherheit für die Rückzahlung des Darlehens von 375.000 DM bestellte sie gleichhohe erstrangige Grundpfandrechte und trat eine über 180.000 DM im September 1988 von ihr als Versicherungsnehmerin abgeschlossene Kapitallebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zur Sicherheit ab. Versicherte Person ist ihr Ehemann.

Die Klägerin vermietete die Praxisräume ab 1. Mai 1989 an ihren Ehemann für monatlich 2.700 DM zuzüglich 378 DM Umsatzsteuer. Sie war seit der Aufnahme der freiberuflichen Tätigkeit des Ehemannes in dessen Praxis für jährlich netto 5.400 DM angestellt. Im übrigen widmete sie sich in den Streitjahren der Kindererziehung. Die Ehegatten erhielten für ihre drei Kinder Kindergeld von insgesamt 4.800 DM (1990) sowie 3.120 DM (1991, 1992). Die Klägerin trat im Februar 1992 in eine Praxisgemeinschaft mit einer anderen Rechtsanwältin ein und erklärte aus dieser Tätigkeit für 1992 einen steuerlichen Verlust.

Die Aufwendungen für die Bewirtschaftung des Grundstücks einschließlich Zinsaufwendungen (ohne Abschreibungen) betrugen nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) für 1990, dem ersten vollen Jahr der Vermietung, 42.314 DM und für das folgende Jahr 1991 45.227 DM. Sie mußte bis 30. November 1989 monatlich 338 DM, ab 1. Dezember 1989 monatlich 427 DM, ab 1. Dezember 1990 monatlich 517 DM und ab 1. Dezember 1991 monatlich 590,10 DM als Prämien für die Lebensversicherung zahlen.

Die Klägerin verzichtete auf die Steuerbefreiung der Mietumsätze und machte in den Umsatzsteueranmeldungen für die Streitjahre die ihr für die Errichtung der vermieteten Praxisräume berechnete Umsatzsteuer als Vorsteuerbeträge geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) verweigerte den Vorsteuerabzug. Das FA erkannte die Vertragsgestaltung steuerlich nicht an (§ 42 der Abgabenordnung - AO 1977 -), weil die Klägerin die Errichtung der vermieteten Räume nicht aus eigenen Mitteln habe finanzieren können. Ab Dezember 1989 habe sich ein Fehlbetrag von monatlich 550 DM ergeben, für den ihr Ehemann habe aufkommen müssen.

Mit den angefochtenen Umsatzsteuerbescheiden vom 10. Mai 1991 setzte das FA die Umsatzsteuer für 1988 und 1989 jeweils auf 0 DM fest. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Das FG begründete die Abweisung der Klage in dem angefochtenen Urteil unter Heranziehen der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteil vom 16. Januar 1992 V R 1/91, BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541). Es führte u. a. aus, daß die vorliegende Gestaltung der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden dürfe (§ 42 AO 1977), weil sie den Ausschluß des Vorsteuerabzugs umgehe. Die Klägerin sei insgesamt mit Aufwendungen (Zinsen, Bewirtschaftungskosten und Lebensversicherungsbeiträgen) von 47.543 DM (1990) und von 51.507 DM (1991) belastet gewesen. Diesen Aufwendungen hätten eigene Einnahmen der Klägerin von 42.600 DM (1990) und 40.920 DM (1991) - aus Mieteinnahmen, dem bezeichneten Arbeitslohn und den ihr insgesamt zugerechneten Kindergeldzahlungen - gegenübergestanden. Es habe eine Unterdeckung von 4.900 DM (1990) und rund 10.500 DM (1991) bestanden. Daraus ergebe sich, daß die Klägerin in den Vorgang der Praxiserrichtung nur "vorgeschaltet" worden sei, um den Vorsteuerabzug zu ermöglichen, den der Arzt-Ehemann, wenn er die von ihm benötigten Räume mit seinen eigenen Mitteln errichtet hätte, nicht hätte beanspruchen können. Die ab Februar 1992 mögliche Veränderung der Einkommenssituation durch Aufnahme der freiberuflichen Anwaltstätigkeit sei bei der hier maßgeblichen Beurteilung auszuschalten, weil sie mit zwei Jahren und acht Monaten nicht mehr innerhalb des vom Beginn der Vermietung aus bemessenen überschaubaren Zeitraums liege, innerhalb dessen der Steuerpflichtige die Vermieterstellung wirtschaftlich ausfüllen müsse.

Mit der Revision macht die Klägerin Verletzung sachlichen Rechts (§ 1 Abs. 1, § 9 Abs. 1 und § 15 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1980 und § 42 AO 1977) geltend. Das FG habe die Angemessenheit der Gestaltung nur nach Maßgabe der konkret vorgenommenen Finanzierung, nicht aber nach Maßgabe der abstrakt möglichen und auch üblichen Finanzierung geprüft. Bei der Wahl einer entsprechend einfachen Finanzierungsart zu seinerzeit marktüblichen Zins- und Tilgungsbedingungen wäre sie, die Klägerin, in der Lage gewesen, Zins- und Tilgungsleistungen für das an ihren Ehemann vermietete Grundstück aus eigenen Einkünften zu erbringen. Die gewählte komplizierte Finanzierung habe wegen der zugleich abgeschlossenen Lebensversicherung zu einer über die Jahre hinweg höheren Liquiditätsbelastung geführt.

Im übrigen sei sie, die Klägerin, auch nach den bei Abschluß des Mietvertrages herrschenden Verhältnissen in überschaubarer Zeit in der Lage gewesen, Zins- und Tilgungsleistungen aus eigenen Mitteln zu erbringen. Die entsprechende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sei seinerzeit bereits dadurch angelegt gewesen, daß sie, die Klägerin, geplant habe, eine Tätigkeit als Rechtsanwältin nach dem Schuleintritt der Kinder auszuüben. Diese Absicht habe sie 1992 - wenn auch noch mit negativen Einkünften - verwirklicht. 1993 sei ein positives und 1994 sogar ein deutlich positives Betriebsergebnis erreicht worden.

Die Klägerin begehrt Aufhebung der Vorentscheidung und Änderung der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide durch Festsetzung einer jeweils negativen Umsatzsteuer von 23.866,27 DM für 1988 und von 27.000,28 DM für 1989.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Vorentscheidung hält den Angriffen der Revision stand.

1. Dem Vorsteuerabzug der Klägerin steht - wie das FG zutreffend entschieden hat - entgegen, daß sie die Leistungen für die Herstellung der Praxisräume nach einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Beurteilung nicht für eine unternehmerische Tätigkeit durch steuerpflichtige Vermietung verwendet hat (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 9 Abs. 1 und § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980). Die Klägerin hat sich in eine als steuerpflichtige Vermietung gestaltete Überlassung von Räumen einer Arztpraxis einschalten lassen, obwohl sie nach den Feststellungen des FG nicht in der Lage war, die Vermieterstellung aus eigener wirtschaftlicher Kraft auszufüllen. § 42 Satz 2 AO 1977 gebietet die rechtliche Würdigung des Streitfalls aufgrund einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Beurteilung, weil das Steuergesetz durch einen Mißbrauch von Gestaltungen des Rechts nicht umgangen werden kann (§ 42 Satz 1 AO 1977).

a) Der BFH hat es in ständiger Rechtsprechung (Urteile in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541; vom 22. Oktober 1992 V R 33/90, BFHE 169, 555, BStBl II 1993, 210; vom 10. Dezember 1992 V R 90/92, BFH/NV 1994, 200) als unangemessene Gestaltung des Rechts (§ 42 AO 1977) angesehen, wenn ein Steuerpflichtiger, der eine den Vorsteuerabzug ausschließende Umsatztätigkeit i. S. von § 15 Abs. 2 UStG 1980 ausführt, die für die Anschaffung von Gegenständen für sein Unternehmen erforderlichen finanziellen Mittel seinem Ehegatten zur Verfügung stellt, damit dieser den Gegenstand erwirbt, um ihn (nunmehr als Unternehmer) an den vom Vorsteuerabzug ausgeschlossenen Unternehmer-Ehegatten vorsteuerabzugsunschädlich zu vermieten. Der Vermieter-Ehegatte wird unter solchen Umständen gewissermaßen "vorgeschaltet", um das wirtschaftliche Ergebnis aus den Leistungsbezügen zu erzielen, obwohl der Mieter-Ehegatte die Aufwendungen wirtschaftlich durch Mietzahlungen und Zuwendungen so trägt, als hätte er den fraglichen Gegenstand angeschafft (zuletzt BFH-Urteil vom 7. September 1995 V R 52/94, zur Veröffentlichung in BFH/NV bestimmt).

Eine derartige Vorschaltung liegt nach der bezeichneten Rechtsprechung vor, wenn der Vermieter-Ehegatte in einem überschaubaren Zeitraum vom Zeitpunkt der Vermietung an die Aufwendungen für Zins und Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel und für die Erhaltung des vermieteten Gegenstands nicht aus der Miete und sonstigem eigenen Einkommen decken kann und sich der Mieter-Ehegatte deshalb über die Zahlung der Miete und ggf. von Arbeitslohn hinaus in nicht unwesentlichem Umfang an diesen Aufwendungen beteiligen muß. Wirkt der Steuerpflichtige, dessen Steuerschuld zu beurteilen ist, durch Teilnahme an dieser dem Gesetzesplan widersprechenden Gestaltung mit, unterliegen die davon betroffenen Sachverhalte der Rechtsfolge des § 42 AO 1977.

b) Zu Recht hat das FG für die Prüfung, ob ein Mißbrauch von Gestaltungen des Rechts vorliegt, auf den verwirklichten Sachverhalt und nicht auf eine mögliche andere, aber nicht gewählte Gestaltung abgestellt. Die Prüfung nach § 42 Satz 1 AO 1977, ob eine Gestaltung den Gesetzesplan umgeht und der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden darf, schließt an die von den Beteiligten gewählte Gestaltung an (vgl. zur Methodik: BFH-Urteil vom 19. Mai 1988 V R 115/83, BFHE 154, 173, BStBl II 1988, 916, m. w. N.). Dementsprechend hat der Senat zunächst den tatsächlich von den Beteiligten vollzogenen Sachverhalt herausgestellt, die Auslegungsmöglichkeiten der Steuerrechtsnorm daran gemessen und erst anschließend geprüft, ob die von der Regelung vorausgesetzte typische Gestaltung nicht gebraucht worden ist sowie ob dafür beachtliche außersteuerliche Gründe vorliegen oder nicht (vgl. z. B. BFH-Urteile in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541; vom 6. Juni 1991 V R 70/89, BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866; vom 26. November 1987 V R 29/83, BFHE 152, 170, BStBl II 1988, 387; Wagner in Steuerrecht, Verfassungsrecht, Finanzpolitik, Festschrift für Franz Klein, 1994, S. 977, 981, 983 m. w. N.). Es kommt somit nicht darauf an, ob die Klägerin - wie sie vorträgt - die finanziellen Belastungen hätte tragen können, wenn sie die im Zeitpunkt der Errichtung und zu Beginn der Vermietung der Praxisräume üblichen Finanzierungsinstrumente ausgenutzt hätte. Maßgebend ist, daß sie dies nicht konnte.

Nach den mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen war die Klägerin mit Aufwendungen (Zinsen, Bewirtschaftungskosten und Lebensversicherungsbeiträge) von 47.543 DM im Jahr der Vermietung 1990 und von 51.507 DM im folgenden Jahr 1991 bei eigenen Einnahmen von 42.600 DM (1990) und 40.920 DM (1991) belastet, so daß eine Unterdeckung von 4.900 DM (1990) und rund 10.500 DM (1991) bestand. Dabei sind von den vom FG angesetzten Einnahmen der Klägerin die mit 4.800 DM (1990) und 3.120 DM (1991) berücksichtigten Kindergeldzahlungen abzusetzen. Kindergeldzahlungen sind, was für die früheren Entscheidungen des Senats nicht erheblich war, bei einer in diesem Zusammenhang gebotenen typisierenden Betrachtung zweckgebunden. Sie dienen dem Kinderunterhalt und sind jedenfalls nicht als Einnahmen zur Herstellung einer an den Ehegatten vermieteten Arztpraxis anrechenbar.

Das FG hat die Prämien für die Lebensversicherung zutreffend wie Aufwendungen zur Tilgung von Fremdmitteln beurteilt, weil der der Klägerin gewährte Baukredit mit dem angesparten Kapital verrechnet werden sollte (vgl. dazu z. B. BFH-Urteile vom 10. September 1992 V R 27/89, BFH/NV 1993, 629; vom 10. September 1992 V R 100/90, BFH/NV 1993, 447). Es kann dahinstehen, ob mit den Prämien für die Lebensversicherung auch Risiken versichert werden sollten, die nicht mit der Vermietung verbunden waren, z. B. Rentenzahlungen an die Klägerin im Fall der Berufsunfähigkeit des (versicherten) Mieter-Ehegatten. Ein dafür abzusondernder Prämienanteil (Ausgabenminderung) würde wegen des Wegfalls des angerechneten Kindergelds (Einnahmenminderung) die Unterdeckung nicht beseitigen.

c) Die Unterdeckung führt zu der vom FG angenommenen Rechtsfolge, weil sie in einem überschaubaren Zeitraum nicht beseitigt worden ist. Die Rechtsprechung brauchte die Länge dieses Zeitraums bisher nicht zu bestimmen (vgl. BFH-Urteil vom 10. September 1992 V R 30/89, BFH/NV 1993, 446). Ihr ist zu entnehmen, daß dafür die Umstände im Einzelfall maßgebend sein sollen und Einnahmenerhöhungen innerhalb eines Jahres nach Vermietungsbeginn zu berücksichtigen sind (vgl. BFH in BFH/NV 1993, 629 und in BFH/NV 1993, 447). Es kann sich bei dem überschaubaren Zeitraum, in dem der vermietende Ehegatte die Aufwendungen für die vermieteten Räume nicht aus eigenen Einnahmen und eigenem Vermögen decken kann, nur um einen kurzen Überbrückungszeitraum handeln, in dem ein Zugriff der Grundpfandgläubiger auf die Praxisräume nicht zu erwarten ist. Daß das FG diesen Zeitraum aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls nach zwei Jahren und acht Monaten als abgelaufen beurteilt und jedenfalls nicht einen von der Klägerin für angemessen angesehenen Zeitraum von fünf Jahren herangezogen hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

d) Zutreffend hat das FG deshalb angenommen, daß die gewählte Gestaltung den Gesetzeszweck, der auf einen Ausschluß vom Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG 1980) bei einer abzugsschädlichen Verwendung von Vorbezügen (§ 4 Nr. 12 Buchst. a, § 9 Abs. 1 UStG 1980) gerichtet ist, unzulässig umgeht (§ 42 Satz 2 AO 1977). Nach dem Gesetzeszweck wäre es angemessen gewesen, daß der Ehegatte angesichts seiner wirtschaftlichen Verhältnisse vom Abschluß eines Mietvertrages über die Praxisräume abgesehen und es dem Arzt-Ehegatten überlassen hätte, entsprechend seiner wirtschaftlichen Stellung die Aufwendungen für seine Praxisräume zu tragen, anstatt von ihm entsprechende Mittel verdeckt als Mietzins oder in Form von Zuschüssen anzunehmen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).