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  BFH-Urteil vom 25.1.1996 (V R 31/95) BStBl. 1996 II S. 299

Durch ein an das FG gerichtetes Telegramm kann der Kläger dem für ihn auftretenden Prozeßbevollmächtigten wirksam Prozeßvollmacht erteilen. Dadurch wird zugleich die Bevollmächtigung i. S. des § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO nachgewiesen.

FGO § 62 Abs. 3; ZPO §§ 81 bis 84.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

I.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger und Revisionskläger (Kläger) mit Bescheid vom 28. September 1994 für die Umsatzsteuer der K GmbH in Haftung. Hiergegen klagte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers nach erfolglosem Vorverfahren in dessen Namen, ohne eine Vollmacht vorzulegen. Das Finanzgericht (FG) setzte dem Prozeßbevollmächtigten gemäß § 62 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Frist zur Vorlage der schriftlichen Prozeßvollmacht bis 30. März 1995. Mit beim FG am letzten Tag der Frist eingegangenem Telefax übermittelte der Prozeßbevollmächtigte die auf ihn lautende Prozeßvollmacht des Klägers. Am selben Tag ging beim FG ein Telegramm des Klägers ein, mit dem er seinem Prozeßbevollmächtigten Prozeßvollmacht erteilte.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, der Kläger habe die Vollmachtserteilung innerhalb der Ausschlußfrist nicht - wie erforderlich - durch Vorlage der Originalurkunde nachgewiesen. Die Vorlage der Vollmachtsurkunde mittels Telefax reiche nicht aus.

Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Er macht geltend, das FG habe die innerhalb der Ausschlußfrist von seinem Prozeßbevollmächtigten per Telefax eingereichte Prozeßvollmacht zu Unrecht nicht als wirksamen Nachweis der Bevollmächtigung anerkannt. Zur Begründung bezieht er sich auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Juni 1994 II R 49/91 (BFHE 174, 394, BStBl II 1994, 763).

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des FG aufzuheben.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet.

Der Kläger hat die Bevollmächtigung seines Prozeßbevollmächtigten wirksam und rechtzeitig nachgewiesen. Der Senat kann indessen anhand der vom FG festgestellten Tatsachen (§ 118 Abs. 2 FGO) die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids nicht beurteilen. Die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Der Senat braucht nicht dazu Stellung nehmen, ob die zur Einreichung der Prozeßvollmacht gesetzte Frist mit ausschließender Wirkung dadurch gewahrt wurde, daß der Prozeßbevollmächtigte innerhalb dieser Frist dem Gericht die ihm vom Kläger erteilte Vollmacht durch Telefax übermittelte (vgl. hierzu ablehnend Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 23. Juni 1994 I ZR 106/92, BGHZ 126, 266-269, und BFH-Urteil vom 28. November 1995 VII R 63/95, BFHE 179, 5, BStBl II 1996, 105). Denn der Kläger hat seinem Prozeßbevollmächtigten jedenfalls durch das Telegramm, das am letzten Tag der Ausschlußfrist beim FG einging, wirksam und rechtzeitig Vollmacht erteilt.

a) Die Vorentscheidung enthält keinen Hinweis auf das Telegramm des Klägers. Da es sich beim Nachweis der Bevollmächtigung um eine Sachentscheidungsvoraussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens handelt, ist der Senat insoweit an die Feststellungen des FG nicht gebunden, sondern hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen selbst zu prüfen und unterliegt auch keinen Beschränkungen, wenn Ergänzungen im Sachverhalt notwendig werden (vgl. BFH-Urteile vom 24. September 1985 IX R 47/83, BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268, und vom 10. März 1988 IV R 218/85, BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731 unter I. 2. b, m. w. N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 118 Rz. 34, m. w. N.).

b) Gemäß § 62 Abs. 3 FGO in der hier maßgebenden Fassung des Art. 1 Nr. 9 des FGO-Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109) ist die Bevollmächtigung durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen (Satz 1). Nach Satz 3 dieser Vorschrift kann die Vollmacht nachgereicht werden; hierfür kann eine Frist mit ausschließender Wirkung gesetzt werden.

Die Vollmacht muß nicht vom Prozeßbevollmächtigten eingereicht werden. Da sie durch einseitige schriftliche Erklärung gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten, dem Prozeßgegner oder dem Gericht erteilt werden kann (vgl. BFH-Entscheidungen vom 23. Juni 1987 IX R 77/83, BFHE 150, 309, BStBl II 1987, 717; vom 30. Juli 1991 VIII B 88/89, BFHE 165, 22, BStBl II 1991, 848, und vom 15. Juni 1994 II R 49/91, BFHE 174, 394, BStBl II 1994, 763), kann sie sich vielmehr auch aus einem Schriftsatz des Klägers an das Gericht ergeben (vgl. BFH-Beschluß vom 13. September 1985 III R 69/85, BFH/NV 1986, 223; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 62 Rdnr. 27).

c) Der BFH hat mehrfach zu der Frage Stellung genommen, welche Anforderungen an die schriftliche Erteilung der Vollmacht zu stellen sind. Schriftlich ist eine Vollmacht grundsätzlich erteilt, wenn sie handschriftlich unterschrieben ist. Von dem Grundsatz, daß die bei Gericht einzureichende Vollmachtsurkunde eigenhändig unterzeichnet sein muß, hat die Rechtsprechung Ausnahmen zugelassen. So hat es der IX. Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 150, 309, BStBl II 1987, 717 als ausreichend angesehen, daß eine Prozeßvollmacht gegenüber dem Gericht durch ein fernmündlich aufgegebenes Telegramm erteilt wird. Bei der Verwendung des Telegramms als Übermittlungsmedium entfällt zwangsläufig das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift auf dem einzureichenden Schriftstück (vgl. BFH-Urteil vom 19. Januar 1989 IV R 21-23/87, BFHE 156, 350, BStBl II 1989, 567 m. w. N.). Durch ein an das FG gerichtetes Telegramm kann der Kläger dem für ihn auftretenden Prozeßbevollmächtigten daher wirksam Prozeßvollmacht erteilen.

Da dieses Telegramm die Originalvollmachtsurkunde ist, wird durch das Telegramm zugleich die Bevollmächtigung i. S. des § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO nachgewiesen.

d) Der Kläger hat demnach durch sein Telegramm vom 30. März 1995 die Bevollmächtigung seines Prozeßbevollmächtigten fristwahrend nachgewiesen. Die von ihm hierdurch erteilte Vollmacht weist auch keine wesentlichen inhaltlichen Mängel auf, die ihrer Wirksamkeit entgegenstehen würden.

Eine schriftliche Vollmacht ist mit wesentlichen Mängeln behaftet, wenn sie nicht erkennen läßt, wer bevollmächtigt hat, wer bevollmächtigt ist und wozu er bevollmächtigt wurde (vgl. BFH-Entscheidungen vom 9. Februar 1988 III R 180/82, BFH/NV 1988, 509, und in BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731). Diese notwendigen Angaben sind im Telegramm des Klägers enthalten.

Das Telegramm bezeichnet den Kläger als Absender und Vollmachtgeber, den Prozeßbevollmächtigten als Vollmachtempfänger und ist durch die Nennung des Aktenzeichens des erstinstanzlichen Verfahrens dem vorliegenden Rechtsstreit zuzuordnen. Der Umfang der dem Prozeßbevollmächtigten durch diese Vollmacht eingeräumten Befugnisse ist dadurch hinreichend bezeichnet, daß der Kläger ihm "Prozeßvollmacht" erteilte. Einer Aufzählung dieser Befugnisse bedurfte es nicht, da der Umfang einer Prozeßvollmacht sich ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt (§§ 81 bis 84 der Zivilprozeßordnung, die gemäß § 155 FGO sinngemäß anzuwenden sind).

2. Da das FG die vom Kläger durch sein Telegramm wirksam und fristgerecht nachgewiesene Prozeßvollmacht nicht berücksichtigt hat, hat es die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben und die nicht entscheidungsreife Sache an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird den Haftungsbescheid nunmehr materiell-rechtlich prüfen müssen.