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  BFH-Urteil vom 19.3.1996 (II R 59/95) BStBl. 1996 II S. 321

Die Neuregelung des § 100 Abs. 3 FGO i. d. F. des FGO-Änderungsgesetzes gilt ab 1. Januar 1993 uneingeschränkt für alle Verfahren, gleich ob sie am 1. Januar 1993 bereits anhängig waren oder nicht. Dies gilt auch für die Frist des § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO.

FGO i. d. F. des FGO-Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1992, § 100 Abs. 3.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) kauften durch notariell beurkundeten Vertrag vom 5. März 1990 ein unbebautes Grundstück zu ideellem Miteigentum. Der Kaufpreis betrug 74.315 DM.

Am 10. März 1990 schlossen sie einen Vertrag über die schlüsselfertige Errichtung eines Sechs-Familienhauses auf dem Grundstück. Der Pauschalfestpreis sollte 673.000 DM betragen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Abschluß beider Verträge sowie personeller bzw. gesellschaftsrechtlicher Verflechtungen auf der Veräußererseite als einheitlichen Vertragsgegenstand der Verträge das bebaute Grundstück an und setzte durch Bescheide vom 25. Mai 1990 gegen die Kläger unter Einbeziehung auch der Bauerrichtungskosten in die Gegenleistung Grunderwerbsteuer in Höhe von jeweils 7.502 DM fest.

Die Einsprüche der Kläger, mit denen sie geltend machten, es habe im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrages keinerlei Bindung hinsichtlich des Abschlusses auch des Bauvertrages bestanden, blieben ohne Erfolg.

Die Kläger haben am 11. März 1991 Klage erhoben. In dem Klageverfahren gingen die Steuerakten des FA am 14. August 1991 beim Finanzgericht (FG) ein.

Das FG hat mit seinem Urteil vom 22. März 1995 die Einspruchsentscheidungen des FA gemäß § 100 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgehoben, ohne in der Sache selbst eine Entscheidung zu treffen, und die Auffassung vertreten, die Feststellung eines engen sachlichen Zusammenhangs zwischen dem Grundstückskaufvertrag und dem Bauerrichtungsvertrag erfordere eine weitere, die näheren Begleitumstände der Vertragsabschlüsse berücksichtigende Sachverhaltsfeststellung. Insbesondere bedürfe es zur Ermittlung des näheren Hergangs der Vertragsverhandlungen zumindest einer Vernehmung der Kläger, des Geschäftsführers der auf der Veräußererseite tätig gewordenen Gesellschaften sowie möglicherweise der Beiziehung der Bauakten. Diese Ermittlungen erforderten einen ganz erheblichen Zeit- und Kostenaufwand und seien nach Art und Umfang erheblich.

Die Anwendung des § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO sei nicht durch § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO ausgeschlossen. Diese Vorschrift sei nämlich auf vor dem 1. Januar 1993 rechtshängig gewordene Klageverfahren nicht anwendbar.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Dieses rügt fehlerhafte Anwendung von § 100 Abs. 3 FGO.

Das FA beantragt, das Urteil des Niedersächsischen FG vom 22. März 1995 III 96, 97/91 aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Nach § 100 Abs. 3 FGO kann das FG, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, u. a. die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, wenn es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind, und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Die Aufhebungsentscheidung kann nach § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO nur binnen 6 Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist eine im Revisionsverfahren nachprüfbare Rechtsentscheidung (vgl. Senatsurteil vom 29. März 1995 II R 13/94, BFHE 177, 217, BStBl II 1995, 542, 544, m. w. N.).

Entgegen der Auffassung des FG lagen im Streitfall die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 100 Abs. 3 Satz 1 FGO nicht vor. Einem solchen Vorgehen stand die Regelung in § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO entgegen.

Der Senat vermag die Auffassung des FG, § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO gelte nicht für vor dem 1. Januar 1993 rechtshängig gewordene Verfahren, nicht zu teilen.

Gemäß Art. 9 des Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (FGO-Änderungsgesetz) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109) traten die hier maßgeblichen Änderungen in § 100 Abs. 3 FGO am 1. Januar 1993 mit der notwendigen Folge in Kraft, daß die Altregelung in § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO a. F., die keine zeitliche Begrenzung vorsah, ab diesem Zeitpunkt nicht mehr anwendbar war. Eine Kassation ohne Sachentscheidung kam somit nach der Altregelung nur bis zum 31. Dezember 1992 in Betracht. Anhaltspunkte für eine Fortgeltung des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO über den 31. Dezember 1992 hinaus für solche Verfahren, die vor dem 1. Januar 1993 bereits rechtshängig waren, sind im Gesetz nicht ersichtlich. Insbesondere sind hier die Überleitungsvorschriften des Art. 3 FGO-Änderungsgesetz nicht einschlägig, die ausschließlich die Weitergeltung von Vorschriften behandeln, die die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs betreffen. Hatte das FG - wie im Streitfall - in bereits anhängigen Verfahren bis zum 31. Dezember 1992 keine Entscheidung nach § 100 Abs. 2 Satz 2 a. F. getroffen, konnte es eine reine Aufhebungsentscheidung ab dem 1. Januar 1993 nur noch unter den Voraussetzungen der Neuregelung in § 100 Abs. 3 FGO treffen. Soweit das FG im Streitfall (auch) die Voraussetzung für eine Kassationsentscheidung nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO a. F. geprüft und bejaht hat, kann es darauf entscheidungserheblich nicht ankommen; denn im Zeitpunkt der Entscheidung durch das FG (22. März 1995) war § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO a. F. nicht mehr anwendbar.

Die Neuregelung des § 100 Abs. 3 FGO gilt ab 1. Januar 1993 uneingeschränkt für alle Verfahren gleich ob sie am 1. Januar 1993 bereits rechtshängig waren oder nicht. Dies gilt grundsätzlich auch für die Frist des § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO. Soweit das FG meint, die Anwendung des § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO auch auf die am 1. Januar 1993 anhängigen Verfahren führe dazu, daß in bezug auf diese Fälle eine Aufhebungsbefugnis des Gerichts generell entfiele, vermag dem der Senat nicht zu folgen. Diese Folge hat nämlich die Anwendung der Regelung des § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO nur in denjenigen Fällen, in denen am 1. Januar 1993 die Sechsmonatsfrist bereits abgelaufen war, nicht hingegen in solchen am 1. Januar 1993 bereits anhängigen Verfahren, in denen die Frist am 1. Januar 1993 noch nicht begonnen hatte, weil die Akten des FG erst nach diesem Zeitpunkt beim FG eingegangen sind, oder die Frist noch nicht (vollständig) abgelaufen war.

Es ist auch sonst kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, die Frist des § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO auf am 1. Januar 1993 bereits anhängige Verfahren, in denen - wie im Streitfall - die Sechsmonatsfrist bereits abgelaufen war, nicht anzuwenden. Diese Regelung soll offensichtlich den berechtigten Interessen der Beteiligten dienen und die für sie unbefriedigende Situation verhindern, daß das FG trotz längerer Prozeßdauer von einer den Rechtsfrieden wieder herstellenden Sachentscheidung absieht und die Beteiligten in das Verwaltungsverfahren zurückversetzt. Diese Schutzfunktion hat ihre Berechtigung unabhängig davon, ob die Sechsmonatsfrist vor dem Inkrafttreten des FGO-Änderungsgesetzes abgelaufen ist oder erst danach.

Im Streitfall hatte die Sechsmonatsfrist des § 100 Abs. 3 Satz 5 FGO am 14. August 1991 begonnen und war deshalb im Zeitpunkt der Entscheidung des FG am 22. März 1995 abgelaufen.