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  BFH-Urteil vom 17.4.1996 (II R 31/94) BStBl. 1996 II S. 456

Die Erbschaftsteuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG 1974 erfaßt Ansprüche auf Entschädigungsleistungen nach dem BEG, nicht jedoch aus Erfüllung dieser Ansprüche herrührendes Kapitalvermögen (Aufgabe der Rechtsprechung in BFHE 79, 37, BStBl III 1964, 246; BFHE 92, 234, BStBl II 1968, 495).

ErbStG 1974 § 13 Abs. 1 Nr. 8.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Gesamtrechtsnachfolger seiner im Jahre 1988 verstorbenen Mutter, die ihrerseits von ihrer 1983 verstorbenen Cousine (Erblasserin) zur Alleinerbin eingesetzt worden war.

Zum Nachlaß der Erblasserin gehörten neben einem Girokonto bei der Bezirkssparkasse L, das zum Todestag ein Guthaben von ... DM auswies, ein bei derselben Bank geführtes Sparkonto mit einem Guthaben in Höhe von ... DM sowie ein weiteres Sparguthaben bei der Postsparkasse H, das am Todestag insgesamt ... DM betrug. Zur Ansparung dieser Bankguthaben hatten der Erblasserin Leistungen nach den §§ 65 ff. des Bundesgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 29. Juni 1956 (BGBl I 1956, 559) - BEG - zur Verfügung gestanden, die sich aus einer einmalig ausgezahlten Kapitalentschädigung und ab dem 1. Mai 1959 bis zu ihrem Tode monatlich überwiesenen Rentenzahlungen zusammensetzten. Darüber hinaus hatte die Erblasserin von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Alters- und eine Witwenrente bezogen.

Diese Renten wie auch die Zahlungen nach dem BEG sind zunächst auf ein Girokonto der Erblasserin bei der B-Bank geflossen. Die Guthaben, die sich dort nach Abzug der für ihren Lebensunterhalt benötigten Mittel angesammelt hatten, überwies die Erblasserin von Zeit zu Zeit auf ein Sparkonto bei derselben Bank oder auf ihr Postsparbuch bei der Postsparkasse H. Anläßlich ihres Umzugs nach N im Jahre 1982 richtete die Erblasserin bei der Bezirkssparkasse L ein Giro- und ein Sparkonto ein. Hierauf überwies sie ihre Guthaben bei der B-Bank und löste die dort geführten Konten auf.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte im Rahmen der Erbschaftsteuerveranlagung der Mutter des Klägers bei der Ermittlung ihres steuerpflichtigen Erwerbs (neben dem Girokonto) auch die beiden Sparguthaben der Erblasserin bei der Bezirkssparkasse L sowie bei der Postsparkasse H und errechnete eine Erbschaftsteuerschuld in Höhe von 71.744 DM, die es durch Bescheid vom 24. April 1985 gegen die Mutter des Klägers festsetzte.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage, mit welcher der Kläger Befreiung der beiden Sparguthaben nach § 13 Abs. 1 Nr. 8 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG 1974) begehrte, wies das Finanzgericht (FG) im wesentlichen ab. Der zur Begründung des Klagebegehrens angeführten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der die inhaltsgleiche Vorschrift des § 18 Abs. 1 Nr. 10 b ErbStG 1959 in seinen Urteilen vom 4. März 1964 II 41/60 U (BFHE 79, 37, BStBl III 1964, 246) und vom 12. März 1968 II R 110/66 (BFHE 92, 234, BStBl II 1968, 495) auf bereits erbrachte Entschädigungsleistungen ausgedehnt hatte, folgte das FG unter Hinweis auf den dieser Auslegung entgegenstehenden Gesetzeswortlaut und das Fehlen einer durch Analogie zu schließenden Regelungslücke nicht.

Wegen einer geringfügigen Überbewertung des Erwerbs ermäßigte das FG jedoch die Erbschaftsteuer auf 71.392 DM.

Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Er rügt rechtsfehlerhafte Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG 1974. Zur Begründung verweist er auf die in BFHE 79, 37, BStBl III 1964, 246 entwickelte und durch BFHE 92, 234, BStBl II 1968, 495 bestätigte verfassungskonforme Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Ansprüche auf Entschädigungsleistungen nach dem BEG", das über den rein rechtstechnischen Begriffsinhalt hinaus auch die zur Erfüllung dieser Ansprüche bewirkten Entschädigungsleistungen erfasse, sofern diese sich, was hier der Fall sei, noch als solche im Nachlaß befänden.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Zutreffend hat das FG entschieden, daß die Voraussetzungen für eine Erbschaftsteuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG 1974 nicht gegeben sind. Denn diese Vorschrift erfaßt nur Ansprüche auf Entschädigungsleistungen nach dem BEG, nicht hingegen aus Erfüllung dieser Ansprüche herrührendes Kapitalvermögen.

1. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG 1974 in der im Streitjahr geltenden Fassung bleiben Ansprüche auf Entschädigungsleistungen nach dem BEG steuerfrei. Derartige - auf Entschädigung in Geld gerichtete - Ansprüche hatten der Erblasserin aufgrund der §§ 65 ff. BEG gegen die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zugestanden. Diese Ansprüche hat die Mutter des Klägers jedoch durch den Erbanfall nicht erworben, weil die geschuldete Leistung im maßgeblichen Zeitpunkt des Todes der Erblasserin (§§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 11 ErbStG 1974) bereits vollständig bewirkt war und die Ansprüche infolgedessen erloschen waren.

Gegenstand des Erwerbs waren vielmehr - unter anderem - die aus den Entschädigungsleistungen angesparten Bankguthaben und damit Kapitalforderungen der Erblasserin in Gestalt schuldrechtlicher Rückzahlungsansprüche gegen die kontoführenden Kreditinstitute. Weder diese - rechtsgeschäftlich begründeten - Auszahlungsansprüche noch die bereits erbrachten staatlichen Entschädigungsleistungen werden aber nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG 1974 von der Erbschaftsteuerbefreiung erfaßt.

Die in dieser Vorschrift verwandte Formulierung "Ansprüche auf Entschädigungsleistungen nach dem BEG" läßt - worauf die Vorentscheidung zu Recht hinweist - keinen Spielraum für die vom Kläger begehrte Einbeziehung bereits getilgter und dadurch erloschener Ansprüche. Insoweit kann hier nichts anderes gelten, als für alle Ansprüche nach den in Nr. 7 der Vorschrift genannten Gesetzen. Wortlaut und systematischer Zusammenhang der Vorschrift sind daher eindeutig.

2. a) Eine Auslegung des Gesetzes dahin, daß unter Ansprüchen auf Entschädigungsleistungen nicht nur Ansprüche im rechtstechnischen Sinne, sondern darüber hinaus die aus diesen Ansprüchen geflossenen Entschädigungszahlungen zu verstehen seien, ist daher - wie das FG zutreffend erkannt hat - nicht möglich. An der gegenteiligen Auffassung in den Urteilen des BFH in BFHE 79, 37, BStBl III 1964, 246, und in BFHE 92, 234, BStBl II 1968, 495 hält der Senat nicht mehr fest.

Diese eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Die Entschädigungen nach dem BEG dienen der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. Sie bilden ein wesentliches Element der Wiederherstellung und Verwirklichung einer den grundlegenden Wertentscheidungen des Grundgesetzes, insbesondere der Wahrung von Menschenwürde und Menschenrechten verpflichteten Rechtsstaatlichkeit. Daraus ergibt sich jedoch nicht ein weiteres, den Gesetzgeber bindendes verfassungsrechtliches Gebot, einmal geleistete Entschädigungsleistungen bzw. daraus herrührendes Kapitalvermögen auch künftig steuerlich - oder doch zumindest bei der Erbschaftsteuer - zu privilegieren. Da die - nach Auffassung des Senats - eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers mithin mit der Verfassung in Einklang steht, besteht kein Anlaß für eine davon abweichende verfassungskonforme Auslegung.

Für den Streitfall ergibt sich daraus, daß der Anwendungsbereich des § 13 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG 1974 nicht auf die privatrechtlichen Auszahlungsansprüche (§§ 700 Abs. 1 Satz 1, 607 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches) gegen die Bezirkssparkasse L und die Postsparkasse H erstreckt werden kann. Denn diese Kapitalforderungen beruhen nicht - wie dies § 13 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG 1974 ausdrücklich voraussetzt - auf dem die Bundesrepublik verpflichtenden BEG, sondern haben ihren Rechtsgrund in den zwischen der Erblasserin und den Kreditinstituten abgeschlossenen Sparverträgen (vgl. BFH-Urteil vom 1. Dezember 1982 II R 139/78, BFHE 137, 83, BStBl II 1983, 118).

b) Zu Recht hat das FG auch eine analoge Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG 1974 abgelehnt.

Denn entgegen der Ansicht des Klägers besteht bezüglich der Nichterfassung bereits erbrachter Entschädigungsleistungen keine Regelungslücke im Sinne einer "planwidrigen Unvollständigkeit" (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 24. Januar 1974 IV R 76/70, BFHE 111, 329, BStBl II 1974, 295-297 m. w. N.), da der Tatbestand des § 13 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG 1974 bewußt eng gefaßt ist und die Voraussetzungen, unter denen eine Steuerbefreiung zu gewähren ist, genau und zweifelsfrei umschreibt.

c) Diese auf Ansprüche beschränkte Erbschaftsteuerbefreiung entspricht auch dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, die darauf abzielt, die darin liegende Härte auszugleichen, Entschädigungsansprüche bereits zu einem Zeitpunkt der Besteuerung zu unterwerfen, zu dem diese mangels Erfüllung zwar einen Vermögenswert darstellen, aber noch nicht zu einer für den Steuerpflichtigen tatsächlich verfügbaren (realen) Bereicherung geführt haben (vgl. BFH-Urteil vom 6. Dezember 1995 II R 36/92, BFH/NV 1996, 517, zu § 111 Nrn. 7 b und 8 des Bewertungsgesetzes).

Scheidet demnach eine Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG 1974 auf bereits erbrachte Entschädigungsleistungen aus, ist deren weitere Verwendung (z. B. durch Überweisung und Ansparung auf einem Sparkonto) für die Steuerpflichtigkeit des zu beurteilenden Erwerbs unerheblich. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die Entschädigungsleistungen als solche im Vermögen der Erblasserin noch vorhanden waren, als dieses auf die Mutter des Klägers überging.