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  BFH-Urteil vom 28.2.1996 (XI R 70/90) BStBl. 1996 II S. 459

Verpachtet der Grundstückseigentümer ein Gaststättengebäude mit Pächterwohnung und verzichtet er gemäß § 9 UStG 1980 auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980, dann erfaßt die Option nicht die vom Pächter zu nichtunternehmerischen Zwecken genutzte Wohnung.

UStG 1980 § 4 Nr. 12 Buchst. a, § 9, § 15 Abs. 2.

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Eigentümerin eines bebauten Grundstücks. Im Erdgeschoß des Gebäudes befindet sich eine Gaststätte, im ersten Obergeschoß eine Pächterwohnung. Die Klägerin hat das Grundstück mit Vertrag vom 3. März 1980 "zum Betrieb einer Gaststätte" für monatlich 4.000 DM "zuzüglich der gesetzlichen MwSt" verpachtet. Die Klägerin verzichtete auf die Steuerbefreiung der Verpachtungsumsätze. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vertrat die Auffassung, daß der Verzicht für die Pächterwohnung mangels Nutzung für das Unternehmen des Pächters nicht möglich sei.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt; das Urteil des FG ist veröffentlicht in der Umsatzsteuer-Rundschau 1992, 21.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Das FG sei zu Unrecht von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. Juli 1988 X R 6/80 (BFHE 154, 252, BStBl II 1988, 915) abgewichen. Die Grundsätze des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 4. Oktober 1995 Rs. C-291/92 (Der Betrieb - DB - 1995, 2352) seien nicht auf den Streitfall übertragbar. Die Klägerin habe in vollem Umfang als Steuerpflichtige gehandelt. Die Entscheidung sei jedoch für die Frage von Bedeutung, inwieweit die Klägerin auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 verzichten könne. Danach sei die Aufteilung eines Leistungsgegenstandes anhand des Nutzungsanteils in einen unternehmerischen und einen privaten Teil möglich, so daß der Unternehmer hinsichtlich des privaten Teils nicht als Steuerpflichtiger handele, insoweit aber auch vom Vorsteuerabzug gemäß Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) ausgeschlossen sei. Wenn bereits bei der Lieferung in einen unternehmerisch und einen privat genutzten Teil aufgeteilt werden könne, so müsse dies erst recht gelten, wenn das Gebäude im Rahmen einer sonstigen Leistung überlassen werde. Nach der Rechtsprechung des BFH könnten Dienstleistungen - wie vertretbare Sachen - teils dem unternehmerischen, teils dem nichtunternehmerischen Bereich zugeordnet werden (BFH-Urteil vom 23. September 1993 V R 87/89, BFHE 172, 546, BStBl II 1994, 200).

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Entscheidung in BFHE 154, 252, BStBl II 1988, 915 könne nicht gefolgt werden. Diese Entscheidung ändere das "wenn" des § 9 UStG in ein "soweit". Die Rechtsprechung sei nicht eindeutig; der V. Senat habe es in mehreren Entscheidungen offengelassen, ob ein Gebäude als teilbarer Leistungsgegenstand anzusehen sei. Aus der neu eingefügten Regelung des § 9 Abs. 2 UStG 1980 sei abzuleiten, daß § 9 UStG 1980 zuvor von der Nichtteilbarkeit einer Leistung ausgegangen sei.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Das angefochtene Urteil verletzt § 9 UStG 1980; der Verzicht auf die Steuerbefreiung war nur hinsichtlich des unternehmerisch genutzten Gebäudeteils wirksam.

1. Gemäß § 9 Satz 1 UStG 1980 in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung kann der Unternehmer einen Umsatz, der nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln, wenn der Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird.

Das Tatbestandsmerkmal "für dessen Unternehmen" korrespondiert mit dem in § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 enthaltenen Merkmal des Bezugs durch einen anderen Unternehmer "für sein Unternehmen". Nach der Rechtsprechung des V. Senats und des X. Senats des BFH (vgl. BFH-Urteile vom 18. Dezember 1986 V R 176/75, BFHE 149, 78, BStBl II 1987, 350, und in BFHE 154, 252, BStBl II 1988, 915) ist im Fall der gemischten Nutzung eines Gebäudes (einer sonstigen Leistung i. S. des § 3 Abs. 9 UStG 1980) eine Aufteilung der Leistung vorzunehmen; die Vermietungsleistung bezieht sich nur insoweit auf das Unternehmen des Pächters, als dieser die empfangene Leistung für sein Unternehmen nutzt (vgl. auch Birkenfeld, Das Große Umsatzsteuer-Handbuch, II, Rz. 631; Stadie in Vogel/Reinisch/Hoffmann/Schwarz, Umsatzsteuergesetz, § 9 Anm. 35). Diese Beurteilung leitet sich allein aus dem Merkmal des § 9 UStG 1980 "für dessen Unternehmen" ab.

Diese Auslegung entspricht der Richtlinie 77/388/EWG; nach Art. 17 Abs. 2 ist der Steuerpflichtige nur zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit ... die Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden (vgl. Klenk in Sölch/Ringleb/List, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, Stand August 1995, § 9 Bem. 29). Diese Auffassung deckt sich auch mit der EuGH-Entscheidung in DB 1995, 2352, nach der eine Aufteilung sogar bei der Lieferung von (einheitlichen) Gegenständen in Betracht kommt (vgl. bisher Abschn. 192 Abs. 18 der Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR -). Ist aber eine Aufteilung dem Grunde nach möglich, so kann die Option nur für den Teil des Umsatzes vorgenommen werden, der an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird.

2. Im Streitfall hat diese Beurteilung zur Folge, daß sich die Option der Klägerin von vornherein nur auf die unternehmerisch genutzten Gebäudeteile bezieht. Da die Klägerin dementsprechend den Umsatz hinsichtlich der Pächterwohnung nicht als steuerpflichtig behandeln konnte, war es ihr gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 insoweit auch verwehrt, die ihr in Rechnung gestellte Vorsteuer abzuziehen.