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  BFH-Urteil vom 26.9.1995 (VIII R 70/94) BStBl. 1996 II S. 464

1. Ausschüttungen aus dem unteilbaren Reservefonds einer Produktionsgenossenschaft des Handwerks im ersten Halbjahr 1990 sind nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG-DDR steuerpflichtig. Dies gilt in gleicher Weise, wenn zuvor Beträge in den Prämienfonds umgebucht und die Ausschüttungen anschließend aus diesem Fonds vorgenommen worden sind.

2. Die Anlage I zum Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik sieht keine Umstellung des im ersten Halbjahr 1990 erzielten Einkommens als Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer im Verhältnis 2 : 1 vor (Anschluß an die Rechtsprechung des I. Senats des BFH).

EStG-DDR § 20 Abs. 1 Nr. 1; StÄndG-DDR § 8 Satz 2; EinigVtr Art. 8; Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion (BGBl II 537; VWWSU).

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr 1990 Mitglied der Produktionsgenossenschaft des Handwerks P - PGH-P - in Berlin (Ost).

Aufgrund der Mitgliederbeschlüsse vom 22. Februar und vom 12. März 1990 wurde im ersten Halbjahr 1990 aus dem Reservefonds ein Betrag von 25 Mio. M/DDR zunächst auf den Prämienfonds umgebucht und anschließend an die Genossen anteilmäßig ausbezahlt. Auf den Kläger entfiel ein Betrag von 216.000 M/DDR, den der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfaßte. Die für das erste Halbjahr 1990 sich ergebende Steuerrate von 116.640 M/DDR wurde im Verhältnis 2 : 1 auf DM umgestellt und auf 58.320 DM festgesetzt.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 8 des Steueränderungsgesetzes vom 6. März 1990 - StÄndG -, Gesetzblatt DDR - GBl DDR - I 1990, 136), hilfsweise des Gesetzes vom 25. Juni 1990 zum Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (BGBl II 537) - VWWSU -.

Zu Unrecht wende das Finanzgericht (FG) § 8 Satz 2 StÄndG, der Ausschüttungen einer PGH von der Steuer freistelle, nicht auf Ausschüttungen aus dem Reservefonds an. Der Gesetzgeber habe mit § 5 der Verordnung über die Gründung, Tätigkeit und Umwandlung von Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 8. März 1990 (GBl DDR I 1990, 164) - UmwVO - die bis dahin unzulässigen Ausschüttungen aus dem Reservefonds erlaubt und zugleich eine Doppelbesteuerung abschaffen wollen. § 5 Abs. 3 UmwVO beziehe sich auch auf § 8 StÄndG. Der späteren Anordnung über die Verwendung der Reservefonds in den Produktionsgenossenschaften des Handwerks und über die Prüfung der Wirtschaftstätigkeit vom 13. Juni 1990 (GBl DDR I 1990, 785) hätte es nicht bedurft, wäre der Gesetzgeber von der Steuerbarkeit der Ausschüttungen aus Reservefonds als Einkünfte aus Kapitalvermögen bereits von Anfang an ausgegangen. Die aus politischen Gründen in den Reservefonds festgelegten, von den PGHen erwirtschafteten Gewinne seien auf der Ebene der PGH bereits mit Steuersätzen zwischen 45 bis 60 v. H. nach dem Gesetz über die Besteuerung der Produktionsgenossenschaften des Handwerks und ihrer Mitglieder - PGH-StG - vom 30. November 1962 (GBl DDR I 1962, 119) versteuert worden. Eine ungleiche Behandlung der aus den Konsumtionsfonds ausgeschütteten Gewinne gegenüber denjenigen aus den Reservefonds sei nicht nachvollziehbar. Beide Ausschüttungen bezögen sich auf dasselbe Vermögen.

Eine Besteuerung widerspreche der beabsichtigten Gleichstellung mit den Beschäftigten in der volkseigenen Wirtschaft, deren Jahresendausschüttungen - seit jeher - steuerfrei geblieben seien.

Das FG würdige den vom Kläger beanspruchten Vertrauensschutz nicht hinreichend. Der Kläger habe sich nicht nur auf die Mitteilung des Fachorgans berufen, sondern in erster Linie auf den eindeutigen Wortlaut des § 8 StÄndG.

Nicht zu begreifen sei, warum Ausschüttungen aus demselben Fonds 1990 und 1991 völlig unterschiedlich besteuert würden.

Hilfsweise werde die unrichtige Anwendung des ersten Staatsvertrages (VWWSU) gerügt. Danach müsse das vom Kläger im ersten Halbjahr 1990 bezogene Einkommen zunächst von M/DDR auf DM im Verhältnis 2 : 1 umgerechnet und erst anschließend die Steuerbelastung lt. Tabelle errechnet werden (so das FG Leipzig im Urteil vom 2. Juni 1993 2 K 67/92, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1993, 727). Anderenfalls verbliebe dem Kläger bei Einbeziehung der bereits bei der PGH angefallenen Steuer von ca. 50 v. H. von dem aus jahrzehntelanger Arbeit erwirtschafteten Wert nicht einmal mehr ein Viertel. Dies könne nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. Für den Kläger stelle dies eine unbillige und nicht zumutbare Härte dar.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Urteils des FG Berlin vom 20. September 1994 sowie der Einspruchsentscheidung vom 18. Februar 1994 die Steuerrate für 1990 im Bescheid vom 22. November 1993 in der Weise abzuändern, daß die Ausschüttungen aus dem Reservefonds in Höhe von 216.000 M/DDR steuerfrei blieben, hilfsweise das im ersten Halbjahr 1990 erzielte Einkommen zunächst von M/DDR in DM im Verhältnis 2 : 1 umzurechnen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es schließt sich den tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen im angefochtenen Urteil in vollem Umfang an.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb in vollem Umfang zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, daß die nach den nichtangegriffenen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) im ersten Halbjahr 1990 zugeflossenen Ausschüttungen aus dem Reservefonds der PGH-P nach §§ 11 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG-DDR) vom 18. September 1970 (GBl DDR SDr. Nr. 670) i. d. F. des Steueränderungsgesetzes vom 6. März 1990 (GBl DDR I, 136) und des Steueranpassungsgesetzes vom 22. Juni 1990 - StAnpG - (GBl DDR SDr. Nr. 1427) als Einkünfte aus Kapitalvermögen im Streitjahr 1990 steuerpflichtig waren.

a) Die vorgenannten Rechtsgrundlagen galten gemäß Art. 8 i. V. m. Anlage I Kapitel IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 Satz 2 des Einigungsvertrages (EinigVtr) noch bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet als partielles und damit revisibles Bundesrecht i. S. des § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO fort (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 22. Dezember 1993 I R 75/93, BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578; vom 27. Oktober 1994 I R 107/93, BFHE 176, 529, BStBl II 1995, 403).

b) Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG-DDR sind erfüllt.

Nach dieser Vorschrift gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Gewinnanteile (Dividenden), Zinsen und sonstige Bezüge aus Aktien, Anteilen von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, an Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und an sonstigen Vereinigungen, die Rechte einer juristischen Person haben.

aa) Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob eine PGH als eine Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft (so der Bundesgerichtshof - BGH - im Nichtannahmebeschluß vom 19. September 1994 II ZR 184/93, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1995, 854: Produktivgenossenschaft i. S. von § 1 Abs. 1 Ziff. 4 des Genossenschaftsgesetzes - GenG -) oder als sonstige Vereinigung mit den Rechten einer juristischen Person zu qualifizieren ist.

Jedenfalls war eine PGH - wie auch die PGH-P - eine Vereinigung mit körperschaftlicher Struktur, wobei die Beteiligung - abstrakt gesehen - das Vermögensrecht mit umfaßte, an Gewinnausschüttungen und an der Auskehrung des Liquidationsvermögens beteiligt zu werden (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 15. November 1994 VIII R 74/93, BStBl II 1995, 316 m. w. N.; BFH in BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578, 580).

Nach § 2 Abs. 2 der Verordnung über das Musterstatut der Produktionsgenossenschaften des Handwerks vom 21. Februar 1973 (GBl DDR I 1973, 121) erlangte die PGH mit ihrer Eintragung in das beim Rat des Kreises bzw. der Stadt geführte Register Rechtsfähigkeit.

Nach den Feststellungen des FG ist die PGH-P in das in Berlin (Ost) vom Rat des Stadtbezirkes geführte Register eingetragen gewesen.

bb) Die Ausschüttung der PGH-P aus dem Reservefonds war durch das Mitgliedschaftsverhältnis bedingt und stellt damit einen Beteiligungsertrag dar (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats vom 12. Oktober 1982 VIII R 72/79, BFHE 137, 157, BStBl II 1983, 128, 129). Es kann hier dahingestellt bleiben, ob es sich um eine als sonstiger Bezug zu erfassende verdeckte Gewinnausschüttung handelt.

cc) Die Ausschüttung aus dem Reservefonds entsprach auch nicht der zum Zeitpunkt der Beschlußfassung am 22. Februar und 12. März 1990 noch geltenden Rechtslage im Beitrittsgebiet. Insoweit ist unerheblich, daß die PGH-P durchgangsweise zunächst den Ausschüttungsbetrag auf den sog. Prämienfonds (einem im Gegensatz zum Reservefonds zur Konsumtion verwendbaren Fonds, vgl. § 7 Abs. 2 2. Spiegelstrich des Musterstatus) "umgebucht" hatte.

c) Die Anwendung des EStG-DDR war weder durch das PGH-StG vom 30. November 1962 als lex specialis ausgeschlossen noch war die Ausschüttung aus dem Reservefonds gemäß § 8 Satz 2 StÄndG steuerbefreit.

Nach § 8 Abs. 1 PGH-StG betrug die Steuer auf die Einnahmen aus der Gewinnverteilung (Gewinnausschüttung) 10 % der Einnahmen.

aa) Die §§ 8 Abs. 1, 9 des PGH-StG traten zwar bereits aufgrund des StÄndG (§ 15 Abs. 1, Abs. 2 4. Spiegelstrich) rückwirkend zum 1. Januar 1990, im übrigen trat das Gesetz nach § 20 Abs. 3 1. Spiegelstrich des StAnpG zum 1. Juli 1990 außer Kraft.

Damit wäre eine evtl. Sperrwirkung des PGH-StG als Spezialgesetz gegen den Rückgriff auf die allgemeinen Besteuerungstatbestände des EStG-DDR an sich entfallen. Die inhaltliche Anknüpfung der ebenfalls rückwirkend zum 1. Januar 1990 in Kraft getretenen Steuerbefreiung gemäß § 8 Satz 2 StÄndG an § 8 PGH-StG erfordert indessen zu prüfen, ob für Ausschüttungen aus dem unteilbaren Reservefonds das PGH-StG überhaupt eine derartige abschließende Spezialregelung enthielt. Der erkennende Senat verneint dies.

bb) Der Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen spricht zwar für die Annahme, das PGH-StG enthalte abschließende Regelungen für sämtliche Einnahmen der PGH-Mitglieder.

Abschnitt II des Gesetzes regelt die Besteuerung der Mitglieder der PGH. Nach § 6 PGH-StG unterliegen diese mit ihren Einnahmen aus der PGH der Steuer der Mitglieder der PGH.

Nach § 9 Abs. 1 PGH-StG erfolgte die Besteuerung von Einkünften außerhalb der PGH nach den dafür geltenden Bestimmungen gemäß der Steuersatztabelle in Anlage 4 zum PGH-StG.

Indessen kann die Auslegung nicht bei einem bloßen Wortverständnis stehenbleiben. Sie muß zusätzlich vor allem Sinn und Zweck des Gesetzes, seine Systematik und seinen Zusammenhang mit anderen gesetzlichen Regelungen sowie schließlich die Entstehungsgeschichte berücksichtigen. Dies gilt in besonderer Weise für die aus ideologischen Erwägungen vielfach für einzelne Fallgruppen jeweils aufgesplitterte Regelungstechnik in der ehemaligen DDR. Einheitliche Grundlage der PGH war das genossenschaftliche Eigentum. Die hieraus zu ziehenden Folgerungen sind in der Anlage zur Verordnung über das Musterstatut der PGH vom 21. Februar 1973 (GBl DDR I, 121) detailliert niedergelegt. Dieses Muster war nach § 1 der Verordnung für alle PGHen verbindlich.

Nach § 6 Abs. 1 des Musterstatuts bildete die PGH dort im einzelnen aufgeführte Fonds, u. a. den Reservefonds, dem alle zur Durchführung einer planmäßigen Fondswirtschaft nicht erforderlichen freien Eigenmittel der PGH zuzuführen waren und die genossenschaftlichen Konsumtionsfonds (§ 7). Der Reservefonds war ein unteilbarer Fonds, der nur für die in § 6 Abs. 2 des Musterstatus genehmigten Zwecke, nicht hingegen für Konsumtionszwecke verwendet werden durfte (vgl. Schulz, D-Spezial 32/94, S. 3 ff.).

Der Reservefonds war danach nicht privatnützig. Dies kommt nachhaltig darin zum Ausdruck, daß selbst bei Beendigung der Mitgliedschaft kein Anspruch auf Auszahlung eines Anteils daran bestand (vgl. § 12 Abs. 4 Musterstatut).

Ausschüttungen aus dem Reservefonds waren nach den für die Bewirtschaftung der Fonds geltenden Prinzipien, wie sie im Musterstatut zum Ausdruck kamen, gesetzlich unzulässig und sind bis 1989 dementsprechend auch nicht vorgenommen worden (vgl. Schulz, D-Spezial 43/93, S. 1, 2). Nach Art. 10 Abs. 1 DDR-Verfassung war das genossenschaftliche Gemeineigentum werktätiger Kollektive sog. sozialistisches Eigentum, das nach Abs. 2 der Norm zu schützen und zu mehren die Pflicht des Staates und seiner Bürger war. Das zum 17. Juni 1990 in Kraft getretene Verfassungsgrundsätzegesetz vom 17. Juni 1990 (GBl DDR I, 299) ließ in Art. 2 Satz 2 weiterhin besondere Eigentumsformen für die Beteiligung der öffentlichen Hand zu.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage konnte der Gesetzgeber zwangsläufig rechtlich ausgeschlossene Einnahmen aus Ausschüttungen aus dem Reservefonds nicht in die Regelungstatbestände des PGH-StG einbeziehen. Dem Verständnis der sozialistischen Gesetzlichkeit hätte es nachgerade widersprochen, für derartige Einnahmen sogar einen speziellen Tatbestand in § 8 Abs. 1 PGH-StG zu schaffen oder sie in der Besteuerung den Ausschüttungen aus den sog. Konsumtionsfonds etwa stillschweigend gleichzustellen.

Überdies blieb das EStG-DDR auch nach dem PGH-StG als allgemeine Auffangform anwendbar (§§ 15, 17 Abs. 3 a. e. c. PGH-StG), während die Anwendung anderer Steuergesetze, z. B. des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) oder der Verordnung zur Durchführung des Steuerabzugs vom Kapitalertrag vom 22. Dezember 1934 ausdrücklich ausgeschlossen worden ist.

Der vom Minister der Finanzen der DDR verwaltungsintern herausgegebene Informationsbrief Nr. 5/87 vom 27. August 1987 zur Besteuerung der PGHen und ihrer Mitglieder bietet abgesehen davon, daß ein solches Interpretationsschreiben die Gerichte ohnedies nicht bindet, keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte, um auch gesetzlich unerlaubte Ausschüttungen aus dem unteilbaren Reservefonds in das Sondergesetz für PGHen einzubeziehen.

In den Erläuterungen zu § 1 PGH-StG wird zwar zum Geltungsbereich ausgeführt, das PGH-StG und die zu seiner Durchführung erlassenen Rechtsvorschriften enthielten in sich abgeschlossene Besteuerungsregelungen für diese Eigentumsform. Andere steuerrechtliche Vorschriften dürften bei der Besteuerung der PGH und ihrer Mitglieder nur dann angewendet werden, wenn dies ausdrücklich festgelegt sei. Auch diese Feststellungen knüpfen aber an das detaillierte Regelungswerk rechtlich zulässiger Einnahmen der PGH-Mitglieder an.

In Ziffer 12 werden auch sog. vorweggenommene Gewinnausschüttungen nach späterer Beschlußfassung über den Jahresabschluß dem Steuertatbestand in § 8 Abs. 1 PGH-StG zugeordnet. Die damit erfaßten, beispielhaft aufgeführten Sachverhalte sind mit den nach damaliger Rechtslage generell gesetzwidrigen Ausschüttungen aus dem Reservefonds nicht vergleichbar.

cc) Mit dem Inkrafttreten der Umwandlungsverordnung vom 8. März 1990 trat zwar u. a. auch die Verordnung über das Musterstatut außer Kraft (vgl. § 10 Abs. 1, 2 2. Spiegelstrich UmwVO). Dies änderte indessen nicht den Inhalt und Anwendungsbereich des PGH-StG und der daran anknüpfenden Steuerbefreiung in § 8 Satz 2 StÄndG. Überdies blieben die Regelungen des Musterstatuts bis zur Umgründung der PGH als von ihr jeweils beschlossenes Statut verbindlich (vgl. auch Anmerkung von Siegmann in DStR 1995, 855).

Nach § 8 Satz 2 des zum 1. Januar 1990 rückwirkend in Kraft getretenen StÄndG sollten die Einnahmen der Mitglieder einer PGH aus der Gewinnverteilung (Gewinnausschüttung) steuerfrei bleiben. Dieser Regelungsbereich stimmt wörtlich überein mit dem außer Kraft gesetzten § 8 Abs. 1 PGH-StG und § 1 der Anordnung über steuerliche Maßnahmen für Mitglieder von Produktionsgenossenschaften des Handwerks, privater Handwerker und Gewerbetreibende vom 26. Januar 1990 (GBl DDR I 1990, 27), durch die noch für das Jahr 1989 steuerliche Maßnahmen gewährt werden sollten. Der Regelungsbereich ist indessen nicht weiter zu ziehen als bei § 8 Abs. 1 PGH-StG. Dies wurde auch von Steuerrechtlern der ehemaligen DDR ursprünglich so gesehen (vgl. Krause/Schulz, DStR 1990, 239, 241, die zur Bestimmung ausführten, daß Gewinnausschüttungen aus dem erwirtschafteten Vorjahresgewinn steuerbefreit werden sollten, während bisher ein 10 %iger Steuerabzug vorzunehmen gewesen sei). Die in den Reservefonds jahrzehntelang akkumulierten Gewinnanteile werden von beiden Autoren nicht erwähnt.

Der zudem erst am 19. März 1990 in Kraft getretenen und nach dem StÄndG erlassenen UmwVO kann nicht positiv entnommen werden, daß abweichend vom bisherigen Gesetzesverständnis § 8 Satz 2 StÄndG auch auf Ausschüttungen aus dem Reservefonds zu beziehen sei. § 5 Abs. 1 UmwVO erklärt die bei einer Umwandlung nach § 1 dieser Verordnung eingebrachten Anteile aus den unteilbaren Fonds ausdrücklich für steuerfrei. § 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung erlaubt die Auszahlung des Anteils der nicht in die neue Gesellschaftsform eintretenden PGH-Mitglieder an den unteilbaren genossenschaftlichen Fonds erst nach Tilgung der Verbindlichkeiten der PGH und nach Erstellung der in § 4 Abs. 4 der Verordnung vorgeschriebenen Abschlußbilanz und bestimmte ausdrücklich in Abs. 3, daß in einem solchen Falle die ausgezahlten Anteile der Besteuerung nach den geltenden Rechtsvorschriften unterlägen. Wäre der Verordnungsgeber von der Steuerfreiheit dieser Ausschüttungen nach § 8 Satz 2 StÄndG ausgegangen, so ist schwer verständlich, warum er zwar die in Abs. 1 und 4 des § 5 der Verordnung geregelten Fallgestaltungen ausdrücklich für steuerfrei erklärte, hingegen in Abs. 3 in Kenntnis des soeben verabschiedeten und zum 1. Januar 1990 in Kraft getretenen StÄndG nicht auf dessen § 8 Satz 2 entweder Bezug genommen hat oder eine angebliche Steuerfreiheit bestätigte, sondern hinsichtlich der Besteuerung gerade auf die geltenden Rechtsvorschriften verwiesen hat. Die Regelung spricht gerade umgekehrt dafür, daß auch der Verordnungsgeber von der Steuerbarkeit derartiger Einnahmen ausgegangen ist.

d) Die erst zum 30. Juli 1990 in Kraft getretene Anordnung des Ministerrats vom 13. Juni 1990 (GBl DDR I 1990, 785 - vgl. § 3 der Verordnung -) bekräftigte in § 1 Abs. 1 zum einen das Verbot, Reservefonds als unteilbare Fonds für Zwecke der individuellen Konsumtion zu verwenden, und stellte zum anderen in § 1 Abs. 2 klar, daß Auszahlungen an Mitglieder der PGHen der Besteuerung als Einkünfte aus Kapitalvermögen unterlägen. Unbeschadet der Frage der Rangordnung und der verfassungsrechtlichen Zuständigkeit des Ministerrats zum Erlaß von Verordnungen (vgl. §§ 8 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über den Ministerrat der DDR vom 16. Oktober 1972, GBl DDR I, 253; zum Recht in der ehemaligen DDR ferner Sauthoff/Bauer, Die Öffentliche Verwaltung - DÖV - 1991, 1054, 1055) begründete die Anordnung vom 13. Juni 1990 nicht erst rückwirkend eine Steuerpflicht für derartige Ausschüttungen aus den Reservefonds und beseitigte gleichsam eine durch § 8 Satz 2 StÄndG gewährte Steuerfreiheit. Vielmehr kam ihr lediglich klarstellende Wirkung zu. Für eine Klarstellung bestand durchaus insoweit Anlaß, als die ergänzende Fortgeltung des EStG-DDR für jedenfalls bis zum Jahr 1989 in der ehemaligen DDR nie aktuell aufgetretene Steuersachverhalte für Steuerpflichtige nicht ohne weiteres erkennbar war.

e) Rechtlich nicht zu beanstanden ist es, wenn das FG eine Steuerfreiheit der Ausschüttung auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes versagt hat.

Es kann - zumal angesichts fehlender subjektiver öffentlicher Rechte des einzelnen gegenüber dem Staat - dahingestellt bleiben, in welchem Umfang die Grundsätze von Treu und Glauben und eines daraus abgeleiteten Vertrauensschutzes im Verwaltungsrecht der ehemaligen DDR (vgl. auch die Abgabenordnung der DDR - AO DDR - vom 18. September 1970, GBl DDR SDr. Nr. 681) gegolten haben. Ferner kann offenbleiben, ob der Kläger die Voraussetzungen für einen vertrauensbildenden Tatbestand hinreichend vorgetragen hat (vgl. Einkommensteuerakte Bl. 32), wonach - allgemein - auf Anfragen der Genossenschaften zur Zulässigkeit und der Steuerfreiheit bei Gewinnausschüttungen aus den Reservefonds sehr unterschiedliche Auskünfte seitens der Fachabteilungen des Rates des Kreises bzw. der Stadtbezirke gegeben worden seien. Das Fachorgan "örtliche Versorgungswirtschaft" habe im übrigen lediglich die Ausschüttung genehmigt.

Jedenfalls setzt eine verbindliche Auskunft, unbeschadet aller weiteren Voraussetzungen (vgl. dazu BFH-Urteil vom 4. August 1961 VI 269/60 S, BFHE 73, 813, BStBl III 1961, 562, 564) die Zuständigkeit der Behörde und zusätzlich des handelnden Amtsträgers voraus (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1989 X R 208/87, BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274, 276; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 204 Anm. 8 m. w. N.).

Für die Verwaltung der Steuern und Abgaben waren die Abteilungen Finanzen bei den örtlichen Räten zuständig, nicht jedoch das Fachorgan "örtliche Versorgungswirtschaft" (vgl. Schulz, DStR 1990, 306; Hoffmann/Zinner, DStR 1992, 1043). Auch wenn Grundlage des Staatswesens der ehemaligen DDR der sog. demokratische Zentralismus war (vgl. Art. 47 Abs. 2 DDR-Verfassung) und damit der aus dem Prinzip des Rechtsstaates (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -) folgende Grundsatz der Gewaltenteilung unvereinbar war (vgl. z. B. zum Vertrauensschutz bei DDR-Amnestien, Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 21. Dezember 1994 2 BvR 213/92, DtZ 1995, 241, 242), wurde die einheitliche Staatsmacht durch jeweils zuständige Organe ausgeübt (vgl. z. B. Art. 103 Abs. 2 DDR-Verfassung, wonach die für die Entscheidung verantwortlichen Organe verpflichtet waren, Eingaben der Bürger zu bearbeiten).

Ob § 8 Satz 2 StÄndG für die hier streitige Ausschüttung aus den Reservefonds Steuerfreiheit gewährte, ist im übrigen eine Rechtsfrage und nicht eine Frage des Vertrauensschutzes.

2. Der Hilfsantrag ist gleichfalls unbegründet.

a) Wie der BFH bereits entschieden hat, sieht die Anlage I zum VWWSU eine Umstellung des im ersten Halbjahr 1990 erzielten Gewinns bzw. Einkommens im Verhältnis 2 : 1 nicht vor. Umgestellt in diesem Verhältnis wurden neben Guthaben bei Geldinstituten nur Forderungen und Verbindlichkeiten, die vor dem 1. Juli 1990 begründet wurden oder die nach den vor dem 1. Juli 1990 geltenden Vorschriften in Mark zu erfüllen gewesen wären (vgl. Art. 10 VWWSU i. V. m. Art. 6, 7, § 1 der Anlage 1 dazu). Die Einkommensteuerschuld 1990 entstand jedoch, auch soweit sie rechnerisch auf das erste Halbjahr 1990 entfällt, erst mit Ablauf des 31. Dezember 1990 und war deshalb zum maßgebenden Stichtag am 30. Juni 1990 noch nicht begründet (zur weiteren Begründung verweist der erkennende Senat auf die BFH-Urteile vom 30. März 1994 I R 124/93, BFHE 175, 46, BStBl II 1994, 852, 854; vom 16. März 1994 I R 146/93, BFHE 175, 22, BStBl II 1994, 941, 942).

Ebensowenig bietet entgegen der Rechtsansicht des Klägers die ohnehin erst zum 1. Juli 1990 im Beitrittsgebiet in Kraft getretene Vorschrift in § 244 des Handelsgesetzbuches (HGB) eine Rechtsgrundlage zu der begehrten Umrechnung des Einkommens (vgl. ausführlich BFHE 175, 46, BStBl II 1994, 852, 854; BFHE 175, 22, BStBl II 1994, 941, 942).

b) Der Senat kann offenlassen, ob für die von der Finanzverwaltung zur Milderung der steuerlichen Belastung des im ersten Halbjahr 1990 erzielten Einkommens im Beitrittsgebiet gewährte Halbierung der Steuerrate eine gesetzliche Grundlage besteht. Die für 1990 im Beitrittsgebiet ergangenen Steuerbescheide umfaßten vielfach mehrere Steuerfestsetzungen und ebenso hinsichtlich der Einkommensteuer und bezüglich der Halbierung der Steuerrate eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Unbeschadet der Zulässigkeit einer diesbezüglichen Klage ist diese Billigkeitsentscheidung jedenfalls bestandskräftig geworden. Der Kläger begehrt eine Umrechnung des Einkommens im Rahmen der Steuerfestsetzung. Die Klage richtete sich hingegen nicht gegen die Billigkeitsmaßnahme (vgl. hierzu Urteil des BFH vom 14. September 1994 I R 136/93, BFHE 175, 406, BStBl II 1995, 382 unter Aufhebung des gegenteiligen Urteils des FG Leipzig in EFG 1993, 727).

c) Ob hinsichtlich der Besteuerung der im ersten Halbjahr 1990 erfolgten Ausschüttungen aus den Reservefonds generell oder im Einzelfall Billigkeitsmaßnahmen gerechtfertigt wären, hat der Senat angesichts der Zweigleisigkeit des Verfahrens im Anfechtungsverfahren gegen die Festsetzung der Steuerrate nicht zu entscheiden (vgl. Urteil des erkennenden Senats in BStBl II 1995, 315, 318 m. w. N.).

Die Vertragsparteien des EinigVtr und der Gesetzgeber haben die grundsätzliche Fortgeltung des DDR-Steuerrechts über den Zeitpunkt des Beitritts der DDR am 3. Oktober 1990 hinaus bis zum 31. Dezember 1990 in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise bewußt in Kauf genommen (BFH-Urteil in BStBl II 1995, 315, 318 m. w. N.).

Wie der BFH (BFH in BFHE 174, 122, BStBl II 1994, 578, 579; bestätigt durch Urteil vom 14. September 1994 I R 40/94, BStBl II 1995, 209) bereits erkannt hat, galt für Ausschüttungen des Gewinns durch PGHen nicht der Steuersatz von 36 % gemäß § 5 Abs. 2 StÄndG, sondern nach § 5 Abs. 1 Satz 1 StÄndG i. V. m. dem Steuergrundtarif B derjenige von 50 v. H. Das in § 6 StÄndG erstmals eingeführte Teil-Anrechnungsverfahren (vgl. Dötsch, Der Betrieb, DDR-Report 1990, 3126) galt - wie der ermäßigte Steuersatz - ebenfalls nur für Ausschüttungen für die Körperschaftsteuer auf von Kapitalgesellschaften ausgeschüttete Gewinne, denen PGHen nach der zitierten Rechtsprechung des I. Senats des BFH weder unmittelbar noch entsprechend gleichgestellt werden können.

Die damit verbundene steuerliche Doppelbelastung von Gewinnen entspricht indessen der Rechtslage vor Einführung des Anrechnungsverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland ab dem Jahr 1977 (vgl. auch Urteil des erkennenden Senats in BStBl II 1995, 315, 318 m. w. N.).