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  BFH-Urteil vom 9.5.1996 (IV R 75/93) BStBl. 1996 II S. 474

1. § 15a EStG gilt für sämtliche Kommanditgesellschaften, nicht nur für Verlustzuweisungsgesellschaften.

2. Bei Anwendung von § 15a EStG sind vorhandene stille Reserven nicht zu berücksichtigen.

EStG § 15a.

Vorinstanz: FG München (EFG 1992, 745)

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Anwendbarkeit von § 15 a des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine KG, erwirtschaftete im Jahre 1985 einen Verlust, an dem auch die beigeladenen Kommanditisten (Beigeladene zu 1 bis 3) beteiligt waren. Da die Kommanditisten bereits über negative Kapitalkonten verfügten, ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) davon aus, daß die Verlustanteile nicht mit anderen Einkünften ausgeglichen, sondern nur gegen künftige Gewinne aus der Beteiligung verrechnet werden könnten; er stellte dies entsprechend § 15 a Abs. 4 EStG gesondert fest.

Die Klägerin machte demgegenüber geltend, daß § 15 a EStG nicht angewendet werden könne, da es sich bei ihr nicht um eine Verlustzuweisungsgesellschaft, sondern um ein mittelständisches Unternehmen handele. Sie verfüge über Grundbesitz mit hohen stillen Reserven, die durch die entstandenen Verluste reduziert worden seien; entsprechend mindere sich der von den Kommanditisten zu erwartende Liquidationserlös. Die hierauf gestützte Klage blieb jedoch erfolglos.

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Klägerin, in der sie § 15 a EStG als verfassungswidrig bezeichnet.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Die strittigen Verlustanteile, die bereits vorhandene negative Kapitalkonten der Kommanditisten erhöhen, können nach § 15 a Abs. 1 EStG nur mit künftigen Gewinnen aus der Beteiligung verrechnet werden. Die genannte Vorschrift unterscheidet nicht nach der Art des von der KG betriebenen Unternehmens und auch nicht nach der Zahl ihrer Gesellschafter oder dem Motiv ihrer Beteiligung. Sie ist insbesondere nicht auf sog. Verlustzuweisungsgesellschaften beschränkt, die ihren Gesellschaftern zunächst zu steuermindernden Verlustanteilen verhelfen wollen. Das Auftreten derartiger Gesellschaften war zwar Anlaß für die durch Gesetz vom 20. August 1980 (BGBl I, 1545) eingeführte Bestimmung; diese sollte jedoch die ertragsteuerlichen Folgen der beschränkten Haftung von Mitunternehmern generell regeln (vgl. BTDrucks 8/3648, S. 15; BRDrucks 694/76; Thiel, Der Betrieb 1979, 664, 665). Gegen die Regelung kann deshalb nicht der Vorwurf erhoben werden, sie habe nur den Verlustzuweisungsgesellschaften gegolten und verletzte durch ihre Erstreckung auch auf andere, insbesondere mittelständische Kommanditgesellschaften das Verfassungsgebot der Verhältnismäßigkeit. Auch sonst ergeben sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

2. § 15 a EStG hat zur Folge, daß die Kommanditisten Verluste, die zu einem negativen Kapitalkonto geführt haben oder dieses erhöhen, erst künftig und nur gegen Gewinne aus der Beteiligung verrechnen können, während unbeschränkt haftende Gesellschafter ihre Verlustanteile sogleich und gegenüber sämtlichen Einkunftsarten ausgleichen können. Diese Differenzierung verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil beschränkt und unbeschränkt haftende Gesellschafter von Verlusten der Gesellschaft in unterschiedlicher Weise betroffen werden.

Im Handelsrecht herrscht allerdings die Auffassung, daß die Gesellschafter einer KG ihre Beziehungen angemessen regeln, wenn die Kommanditisten während des Bestehens der Gesellschaft nach den gleichen Grundsätzen wie persönlich haftende Gesellschafter am Gewinn und Verlust beteiligt werden, also auch über ein negatives Kapitalkonto verfügen können, das entsprechend § 167 Abs. 3 des Handelsgesetzbuches (HGB) erst in der Auseinandersetzung der KG korrigiert werde (vgl. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 277 ff.; Schlegelberger/Martens, Handelsgesetzbuch, 5. Aufl., § 167 Rdnr. 13; Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 29. Aufl., § 167 Rdnr. 5). Im steuerrechtlichen Schrifttum war dagegen umstritten, ob dem auch im Ertragsteuerrecht zu folgen sei oder ob der Umstand Beachtung verdiene, daß der Kommanditist in wirtschaftlicher Sicht trotz der angestellten Berechnungen nach Aufzehrung seines Kapitalkontos von weiteren Verlusten nicht gegenwärtig, sondern erst künftig betroffen werde, wenn er am Zugewinn der Gesellschaft erst nach Tilgung seines negativen Kapitalkontos teilnehme (vgl. die Übersicht bei Bopp, Die steuerliche Behandlung des negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten, 1978, S. 11, 28 f., in Raupach - Herausgeber -, Das negative Kapitalkonto des Kommanditisten).

Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte den Gesellschaften ein Wahlrecht eingeräumt; sie konnten den Kommanditisten so behandeln, als sei er während des Bestehens der Gesellschaft uneingeschränkt am Gewinn und Verlust beteiligt, sie konnten das negative Kapitalkonto aber auch als Merkposten behandeln und die zu seiner Bildung führenden Verluste, in gleichem Umfang aber auch spätere Gewinne, dem persönlich haftenden Gesellschafter zurechnen (BFH-Urteil vom 13. März 1964 VI 343/61 S, BFHE 79, 351, BStBl III 1964, 359). Der erkennende Senat hielt demgegenüber allein das letztgenannte Verfahren für zutreffend, weil das negative Kapitalkonto keine gegenwärtige Vermögenseinbuße darstelle, sondern nur bewirke, daß künftige Gewinne für den Kommanditisten nicht wirksam würden; er rief deshalb den Großen Senat des BFH an (Beschluß vom 26. April 1979 IV R 134/78, BFHE 127, 407, BStBl II 1979, 414). Dieser folgte der handelsrechtlichen Beurteilung, allerdings mit der Einschränkung, daß steuerrechtlich ein Verlustanteil nicht mehr berücksichtigt werden könne, wenn mit seinem künftigen Ausgleich durch Gewinne nicht mehr zu rechnen sei (Beschluß vom 10. November 1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164).

Die gesetzliche Neuregelung hat demgegenüber die seinerzeit auch vom erkennenden Senat vertretene Gegenmeinung aufgegriffen, die zum negativen Kapitalkonto führenden Verlustanteile des Kommanditisten allerdings nicht dem persönlich haftenden Gesellschafter zugerechnet, sondern zur Verrechnung mit künftigem Gewinn beim Kommanditisten festgehalten. Die Regelung erscheint naheliegend, wenn nicht sogar geboten, weil der Kommanditist an einer Minderung des Gesellschaftsvermögens nach Aufzehrung seines positiven Kapitalanteiles nicht beteiligt ist, andererseits aber auch an einer Mehrung des Gesellschaftsvermögens zunächst nicht teilnimmt; das negative Kapitalkonto legt im Verhältnis der Gesellschafter lediglich fest, in welchem Umfang er von der Beteiligung an einer Vermögensmehrung ausgeschlossen ist (vgl. Senatsurteil vom 21. April 1994 IV R 70/92, BFHE 174, 413, BStBl II 1994, 745). Hiervon kann beim unbeschränkt haftenden Gesellschafter nicht gesprochen werden. Er ist auch bei negativem Kapitalkonto von einer Vermögensminderung betroffen, weil er für den Differenzbetrag spätestens bei der Auseinandersetzung der Gesellschaft einzustehen hat; er nimmt demgemäß uneingeschränkt an Vermögensminderungen und -mehrungen der Gesellschaft teil. Diese unterschiedliche Situation konnte vom Steuergesetzgeber zum Anlaß einer differenzierenden Regelung genommen werden; denn anders als der unbeschränkt haftende Gesellschafter ist der Kommanditist von Verlusten, die zu einem negativen Kapitalkonto führen, nicht gegenwärtig, sondern erst in der Zukunft betroffen (BTDrucks 8/3648, S. 16). Hierin liegt ein sachlich einleuchtender Grund für die unterschiedliche Behandlung von unbeschränkt und beschränkt haftenden Mitunternehmern (vgl. BFH-Beschluß vom 19. Mai 1987 VIII B 104/85, BFHE 150, 514, BStBl II 1988, 5; s. auch Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 21. Oktober 1980 1 BvR 179, 464/78, BVerfGE 55, 114, 128). Die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung ist mit dem Gerechtigkeitsgedanken vereinbar (dazu BVerfG-Entscheidung vom 1. April 1971 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8, 25).

3. Die Klägerin kann auch nicht geltend machen, der Gesetzgeber hätte den Verlustausgleich jedenfalls insoweit zulassen müssen, als das negative Kapitalkonto durch den Anteil des Kommanditisten an den stillen Reserven der Gesellschaft gedeckt sei. Hierfür läßt sich anführen, daß seine Beteiligung beim Vorhandensein solcher stillen Reserven trotz negativen Kapitalkontos noch einen wirtschaftlichen Wert verkörpern kann, der durch weitere Verluste beeinträchtigt wird; die Auflösung der Reserven würde dem Kommanditisten mit negativem Kapitalkonto auch in gleicher Weise wie einem unbeschränkt haftenden Gesellschafter mit negativem Kapitalkonto zugute kommen (BFH in BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164).

Stille Reserven treten im Rechenwerk der KG jedoch nicht in Erscheinung. Über ihr Vorhandensein und ihren Umfang, auch einen vorhandenen Geschäftswert, besteht notwendig Ungewißheit; hierzu sind allenfalls Schätzungen, oft nur Vermutungen möglich. Ebenso ist unsicher, ob der Kommanditist im Falle seines Ausscheidens an den stillen Reserven beteiligt wird; dies hängt von den vereinbarten Abfindungsklauseln ab. Rechtliche Folgerungen lassen sich deshalb nur an die in der Buchführung der Gesellschaft verzeichneten Werte anknüpfen. Hiervon ist in anderem Zusammenhang auch der Bundesgerichtshof (BGH) ausgegangen. Er hat deswegen bei Prüfung der Frage, ob durch Rückzahlungen an die Gesellschafter einer GmbH das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen i. S. von § 30 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung angegriffen worden ist, das Vorhandensein von stillen Reserven für unbeachtlich erklärt (BGH-Urteile vom 11. Mai 1987 II ZR 226/86, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht - WM - 1987, 1040; vom 7. November 1988 II ZR 46/88, WM 1989, 14); sie bleiben auch unberücksichtigt, wenn es darum geht, ob die Kommanditistenhaftung durch Rückzahlung der Einlage wieder auflebt (BGH-Urteil vom 11. Dezember 1989 II ZR 78/89, BGHZ 109, 334).

Sollten bei der Berechnung des negativen Kapitalkontos auch stille Reserven berücksichtigt werden, hätte auf die Neuregelung in § 15 a EStG verzichtet werden müssen, zumal dann auch Folgerungen aus der Zunahme oder der Abnahme von stillen Reserven und ihrer Auflösung im Rahmen des Gesellschaftsgewinns hätten gezogen werden müssen. Wären sie doch berücksichtigt worden, wäre die Vorschrift auch nicht zur Abwehr von Verlustzuweisungsgesellschaften tauglich gewesen, die durch steuerlich anerkannte überhöhte Aufwendungen in der Regel zunächst stille Reserven schaffen. Es erscheint deshalb nicht als willkürliche und mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbare Maßnahme, wenn der Gesetzgeber im Rahmen des § 15 a EStG nicht zusätzlich auf das Vorhandensein stiller Reserven abgestellt hat. Vielmehr ist nicht zu beanstanden, daß er aus Gründen der Praktikabilität an die handelsrechtlichen Bestimmungen zur Rechnungslegung angeknüpft hat, in denen die stillen Reserven nicht erscheinen (vgl. in diesem Zusammenhang BVerfG-Entscheidung vom 13. Januar 1976 1 BvR 631/69, 1 BvR 24/70, BVerfGE 41, 126, 188). Dem Kommanditisten entsteht auch kein endgültiger Nachteil, weil er die nur verrechenbaren Verluste spätestens gegenüber einem Veräußerungsgewinn aus dem Wegfall des negativen Kapitalkontos bei der Beendigung seiner Beteiligung geltend machen kann.

4. Ebensowenig kann die Klägerin einwenden, § 15 a EStG sei inhaltlich nicht ausreichend bestimmt und verstoße deshalb gegen das Rechtsstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 3 GG. Der BFH hat diese Auffassung verschiedentlich zurückgewiesen, weil § 15 a EStG zwar zahlreiche Anwendungsprobleme aufwerfe, diese aber im Wege der Auslegung gelöst werden könnten (vgl. nur BFH-Entscheidungen in BFHE 150, 514, BStBl II 1988, 5; vom 17. Dezember 1992 IX R 7/91, BFHE 170, 497, BStBl II 1994, 492). Dies ist gerade hinsichtlich der von der Klägerin angesprochenen Sachfragen geschehen und hinsichtlich verbliebener offener Fragen zu erwarten. Die Einführung auslegungsbedürftiger Regelungen ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG-Entscheidung vom 8. Januar 1981 2 BvL 3, 9/77, BVerfGE 56, 1, 12). Die Gesetzesauslegung ist die von jeher geübte Aufgabe der Rechtsprechung.