| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 18.4.1996 (VI R 5/95) BStBl. 1996 II S. 482

Aufwendungen eines arbeitslosen Steuerpflichtigen für seine berufliche Fortbildung stehen dann mit den angestrebten Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in einem hinreichend klaren Zusammenhang und sind als vorab entstandene Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 EStG und nicht etwa in beschränktem Umfang als Sonderausgaben i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1, 2. Alternative EStG abziehbar, wenn feststeht, daß der Steuerpflichtige eine Anstellung anstrebt und dem Arbeitsmarkt - ggf. erst nach Abschluß einer konkreten Weiterbildungsmaßnahme - tatsächlich uneingeschränkt zur Verfügung steht.

EStG § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 7.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Diplom-Geograph. Er war bis Ende September des Streitjahres 1989 als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Danach war er arbeitslos. Er nahm deshalb von November 1989 bis Dezember 1990 an einem vom Arbeitsamt geförderten Lehrgang zum Abfallwirtschaftsberater teil, um seine Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Mit Wirkung ab dem 1. Januar 1991 wurde er von einem Institut als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt, um an der Erarbeitung eines Konzepts für Abfallwirtschaft mitzuwirken.

In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1989 machte der Kläger wegen der Teilnahme an dem Lehrgang Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte diese Aufwendungen mit der Begründung nicht an, daß ihnen keine Einnahmen gegenüberstünden.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der der Kläger den Abzug von Kosten für Fahrten mit dem PKW zur Lehrgangsstätte als Werbungskosten begehrte, teilweise statt. Es wertete den Besuch des Lehrgangs als Weiterbildung in einem nicht ausgeübten Beruf und erkannte Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 900 DM an. Es nahm eine berufliche Weiterbildung und keine Ausbildung an, weil der Lehrgang auf dem Studium aufgebaut habe und der Kläger vorher und nachher als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit einem Universitätsabschluß tätig gewesen sei. Einen Abzug als Werbungskosten lehnte es jedoch ab, weil der Kläger während der Dauer des Lehrgangs keine Einnahmen erzielt habe. Es seien auch keine vorab entstandenen Werbungskosten anzuerkennen, da der Kläger an dem Lehrgang nicht im Hinblick auf eine bestimmte Tätigkeit bei einem bestimmten Arbeitgeber teilgenommen habe.

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung der § 9 Abs. 1 Satz 1 und § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Er ist der Auffassung, eine zeitliche Unterbrechung der Erwerbstätigkeit während der Dauer einer Weiterbildung tangiere nicht die Ausübung des Berufes. In dem Urteil vom 23. August 1979 VI R 87/78 (BFHE 128, 472, BStBl II 1979, 773) habe der Bundesfinanzhof (BFH) das zweijährige Ganztagsstudium zum praktischen Betriebswirt als Fortbildung anerkannt.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die geltend gemachten Werbungskosten anzuerkennen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sind die Aufwendungen des Klägers für die Teilnahme an dem Lehrgang zum Abfallwirtschaftsberater als vorab entstandene Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 EStG) bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 EStG) zu berücksichtigen.

1. Dem finanzgerichtlichen Urteil ist zu folgen, soweit es die vom Arbeitsamt durchgeführte Bildungsmaßnahme nicht als Berufsausbildung i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1, 1. Alternative EStG gewertet hat. Der Kläger hatte als Diplom-Geograph einen Hochschulabschluß und war vor Beginn seiner Arbeitslosigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig gewesen. Der 1 Jahr und 1 1/2 Monate dauernde Lehrgang zum Abfallwirtschaftsberater baute auf seinem Hochschulstudium auf und ist als eine Maßnahme zur Spezialisierung auf einem Gebiet des erlernten Berufes und nicht als Wechsel in eine andere Berufsart anzusehen. Gegen diese Beurteilung des FG hat sich auch das FA nicht gewandt.

2. Zwischen den Aufwendungen des Klägers für die Teilnahme an dem Lehrgang und den von ihm für die Zeit danach angestrebten Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit besteht ein hinreichend klarer Zusammenhang, um die Aufwendungen als Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 EStG berücksichtigen zu können. Es ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt, daß auch Ausgaben, die vor der Erzielung von Einnahmen entstanden sind, beruflich veranlaßt und deshalb als sog. vorab entstandene Werbungskosten abziehbar sein können. Dafür ist als erforderlich angesehen worden, daß die Ausgaben in einem hinreichend klaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der in Aussicht genommenen Einkunftserzielung stehen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 29. Februar 1980 VI R 165/78, BFHE 130, 282, BStBl II 1980, 395, 397).

Bereits der Reichsfinanzhof (RFH) hat einen für die Annahme von Werbungskosten hinreichenden Zusammenhang zwischen Fortbildungskosten und Einnahmen dann angenommen, wenn ein Steuerpflichtiger vorübergehend gerade deswegen keine Einnahmen aus einer Berufs- oder Erwerbstätigkeit bezieht, weil er sich einer länger dauernden Fortbildung unterzieht (Urteil vom 24. Juni 1937 IV A 10/36, RStBl 1937, 1089 f.). In Übereinstimmung damit hat der Senat im Urteil in BFHE 128, 472, BStBl II 1979, 773 die Anerkennung von Werbungskosten bei einem zweijährigen Ganztagsstudium eines während dieser Zeit nicht erwerbstätigen Industriekaufmanns nicht davon abhängig gemacht, daß bereits die Zusage eines Arbeitgebers über eine Anstellung nach Abschluß des Studiums vorlag. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Sie wird dahin konkretisiert und fortentwickelt, daß die Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für die Teilnahme an Bildungsmaßnahmen, die nicht als Berufsausbildung i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1, 1. Alternative EStG zu beurteilen sind, mit den zukünftig angestrebten Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit dann in einem hinreichend klaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen und als vorab entstandene Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen sind, wenn feststeht, daß der während der Dauer der Bildungsmaßnahme nicht erwerbstätige Steuerpflichtige für die Zeit nach ihrem Abschluß eine Anstellung anstrebt und dem Arbeitsmarkt tatsächlich uneingeschränkt zur Verfügung steht. Denn bei dieser Fallgestaltung kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß der Steuerpflichtige - wie der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG es verlangt - die Aufwendungen für die Weiterbildung zur "Erwerbung" von Einnahmen tätigt.

3. Diesem Verständnis des Veranlassungszusammenhangs i. S. des § 9 Abs. 1 EStG steht § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1, 2. Alternative EStG nicht entgegen. Danach sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Weiterbildung in einem nicht ausgeübten Beruf Sonderausgaben. Dieser Tatbestand kann zwar auch dann erfüllt sein, wenn - wie im Streitfall - ein Steuerpflichtiger während der Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme von etwas längerer Dauer nicht gleichzeitig erwerbstätig ist. Es besteht jedoch ein Vorrang des Werbungskostenabzugs vor dem Abzug als Sonderausgaben. Denn nach § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG sind die folgenden Aufwendungen (nur dann) Sonderausgaben, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind. Der Gesetzgeber geht also davon aus, daß ein bestimmter Sachverhalt gleichzeitig die Tatbestände von § 9 oder § 4 EStG einerseits und einer der Nummern des § 10 Abs. 1 EStG andererseits erfüllen kann und der Sonderausgabenabzug dann nachrangig ist.

Der Vorrang des Werbungskostenabzugs wird auch durch die Entstehungsgeschichte des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht in Frage gestellt. Die Vorschrift ist durch das Gesetz zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 20. Februar 1969 - Steueränderungsgesetz 1968 - (BGBl I 1969, 141, BStBl I 1969, 116) als § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG mit Wirkung ab 1. Januar 1969 in das EStG eingefügt worden. Ihr Zweck war jedoch keineswegs die Einschränkung eines bis dahin möglichen Werbungskostenabzugs und die Umqualifizierung von bisher unbeschränkt abziehbaren Werbungskosten in nur beschränkt abziehbare Sonderausgaben. Vielmehr sollten nach der Gesetzesbegründung rechtsbegründend zusätzlich solche Aufwendungen zum Abzug als Sonderausgaben zugelassen werden, die nach der damaligen Rechtslage überhaupt nicht hätten abgezogen werden können (vgl. BTDrucks V/3602 S. 3). Die Vorschrift ist danach z. B. bedeutsam für die Weiterbildungsmaßnahmen von solchen Steuerpflichtigen, die sich durch Weiterbildung in ihrem erlernten Beruf auf dem laufenden halten wollen, ohne - z. B. wegen der Betreuung von Kindern - dem Arbeitsmarkt unmittelbar nach Abschluß der Bildungsmaßnahme zur Verfügung stehen zu können.

4. Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den Streitfall ergibt sich, daß die Aufwendungen des Klägers für den Lehrgang dem Grunde nach Werbungskosten sind. Denn der Kläger hat sich bereits unstreitig während des Lehrgangs um eine Arbeitsstelle bemüht und hat tatsächlich für die Zeit unmittelbar nach dem Ende des Lehrgangs eine neue Anstellung gefunden. Das finanzgerichtliche Urteil hat deshalb zu Unrecht den Werbungskostenabzug versagt und ist folglich aufzuheben. Die Sache ist aber nicht spruchreif. Denn das FG hat - von seinem Standpunkt aus zu Recht - bisher keine eigenen Feststellungen zur Höhe der Werbungskosten getroffen. Es wird dies im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.