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  BFH-Urteil vom 21.3.1996 (XI R 82/94) BStBl. 1996 II S. 518

1. Ein Schiffssachverständiger übt keinen der Berufstätigkeit der Ingenieure ähnlichen Beruf i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus, wenn er überwiegend reine Schadensgutachten (im Unterschied zu Gutachten über Schadens- und Unfallursachen) erstellt.

2. Mit dem Inkrafttreten der Ingenieurgesetze der Länder ist die Bindungswirkung einer Zusage des FA, die Einkünfte aus der Tätigkeit als Schiffssachverständiger als freiberufliche (ingenieurähnliche) zu behandeln, weggefallen.

AO 1977 § 204, § 207; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1; UStG 1973/1980 § 12 Abs. 2 Nr. 5.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist im Jahre 1953 von der Industrie- und Handelskammer (IHK) A zum "öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Schiffsschäden und Dispacheur" ernannt worden. Seitdem arbeitet er als selbständiger Schiffssachverständiger. Er ist Herausgeber von Richtlinien. Eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung hat der Kläger nicht.

Ende 1965 wandte sich die Vereinigung Westdeutscher Schiffssachverständiger e. V. (VWSSV) im Auftrag des Klägers und anderer Schiffssachverständiger an das Finanzamt (FA), um für die Zukunft eine einvernehmliche Regelung über die steuerliche Behandlung der Schiffssachverständigen im FA-Bezirk herbeizuführen. Das Ergebnis einer Besprechung zwischen den Vertretern der VWSSV, einem Vertreter der Oberfinanzdirektion (OFD) und dem FA ist in einem Bericht des FA an die OFD vom 25. August 1966 niedergelegt, der vom Vorsteher des FA unterschrieben ist. Dieser Bericht geht davon aus, daß "Grundlage der Berufstätigkeit ... nicht die aufgrund eines theoretischen Studiums erworbene wissenschaftliche Methode ist, sondern die in praktischer Tätigkeit erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten", und daß es die Aufgabe des Schiffssachverständigen sei, "in den Fällen der besonderen Havarie den Umfang und die Höhe der entstandenen Schäden festzustellen und Vorschläge über die Art der Beseitigung dieser Schäden in einem Gutachten niederzulegen" (Experten- Interventionstätigkeit) sowie die Wertermittlung von Schiffen durchzuführen. Insoweit sei die Art der Tätigkeit ähnlich der eines Ingenieurs. Der letzte Absatz des Berichts lautet: "Bei der Tätigkeit der Mitglieder der Vereinigung Westdeutscher Schiffssachverständiger e. V. handelt es sich nicht um eine sog. gemischte Tätigkeit, sondern es ist eine Zerlegung in eine freiberufliche und eine gewerbliche Tätigkeit vorzunehmen. Die Einkünfte aus der Experten- und Interventionstätigkeit sind als freiberufliche Einkünfte, diejenigen aus der Tätigkeit als Dispacheur als gewerbliche Einkünfte zu behandeln. Die Grundsätze des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 9. Juli 1964 IV 427/62 U, BStBl 1964 III S. 530 f. sind jedoch zu beachten. " Noch am selben Tag erließ der Vorsteher des FA eine Amtsverfügung mit dem Betreff "Gewerbesteuerpflicht der Schiffssachverständigen und Dispacheure", die den Text des Berichts wiedergibt und mit dem Satz endet: "Ich bitte entsprechend zu verfahren. " Abdrucke dieser Verfügung übersandte der Vorsteher an den Bevollmächtigten der VWSSV, der diese an alle Mitglieder - auch an den Kläger - weiterleitete.

In den Streitjahren 1974 bis 1979 (wie auch in den Jahren zuvor) hatten die zuständigen FÄ die vom Kläger vorgenommene Aufteilung seiner Umsätze und Erträge in solche aus freiberuflicher und solche aus gewerblicher Tätigkeit zunächst übernommen. Bei einer im Dezember 1981 begonnenen Außenprüfung gelangte der Prüfer jedoch zu der Auffassung, daß die Tätigkeit des Klägers insgesamt als gewerbliche einzustufen sei. Das FA folgte der Auffassung des Prüfers und änderte die Umsatzsteuerbescheide 1974 bis 1979, indem es die gesamten vom Kläger erzielten Umsätze dem Regelsteuersatz unterwarf. Außerdem erließ es für 1974, 1975, 1977 und 1978 endgültige Gewerbesteuermeßbescheide, in denen es nunmehr die gesamten Einkünfte des Klägers als gewerbliche Einkünfte erfaßte. Für das Jahr 1980 führte das FA entsprechende erstmalige Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermeßbetragsfestsetzungen durch. Darüber hinaus erließ das FA als Betriebsstätten-FA für die Jahre 1974 bis 1978 und für das Jahr 1980 Bescheide über die gesonderte Feststellung der Einkünfte, in denen es den Gewinn des Klägers ebenfalls in vollem Umfang den Einkünften aus Gewerbebetrieb zuordnete.

Einsprüche und Klage blieben ohne Erfolg. Ein vom Finanzgericht (FG) beauftragter Sachverständiger kam aufgrund der Prüfung von 70 vom Kläger erledigten Vorgängen (Berichte über durchgeführte Interventionen, damit zusammenhängende Schadenstaxen und Havarie-Große-Schadenstaxen, Gutachten über die Fahrfähigkeit havarierter Schiffe und sonstiger Wasserfahrzeuge, Besichtigungsberichte über den Zustand havarierter Schiffe und beschädigter Schiffsmotoren) zu dem Ergebnis, daß der Kläger theoretische Kenntnisse besitzt und eingesetzt hat, die denen eines graduierten Ingenieurs für Schiffstechnik (FH) entsprechen. Das FG hat über die 70 Vorgänge hinaus weitere ca. 3.000 Vorgänge (Interventionsberichte, Schadenstaxen, Besichtigungsberichte, Gutachten, Werttaxen, Rapports von Expertisen, Dispachen, Statements und Briefe), denen in der Regel eine Rechnung zugeordnet war, selbst geprüft und ausgewertet. Das FG unterstellte, daß der Kläger - wie vom Sachverständigen erläutert - das theoretische Wissen eines Schiffsbauingenieurs hatte und daß er in den vom Sachverständigen begutachteten Fällen sowie bei weiteren Interventionsberichten, zugehörigen Schadenstaxen, Gutachten und Besichtigungsberichten auch eine qualifizierte, ingenieurmäßige Tätigkeit verrichtet hat. Den überwiegenden Teil der Tätigkeit des Klägers (das Überwiegen hat das FG anhand der zugehörigen Umsätze ermittelt) habe in den Streitjahren jedoch die Erstellung von ca. 2.000 Schadenstaxen, die nicht mit Interventionsberichten in Zusammenhang standen, sowie von Rapports von Expertisen, Werttaxen und Dispachen einschließlich Statements gebildet. Die Erstellung dieser Schadenstaxen sei in ihrem Grundtypus nicht anders zu beurteilen als die Tätigkeit eines Kfz-Sachverständigen, der Gutachten über die Unfallschäden und die voraussichtlichen Kosten ihrer Behebung erstellt, ohne sich zu den Unfallursachen zu äußern. Auch der Kläger habe in den Schadenstaxen nur die Schäden und Kosten der Wiederherstellung der beschädigten Binnenschiffe und anderer Gegenstände aufgezählt und sich zu den Schadensursachen nicht geäußert. Diese Tätigkeit erfordere zwar die Kenntnisse eines erfahrenen Technikers und Kaufmannes, nicht aber auf wissenschaftlicher Grundlage erarbeitete mathematisch-technische Kenntnisse. Das gelte gleichermaßen auch für die erstellten Rapports von Expertisen und Werttaxen. Durch die am 25. August 1966 ergangene Amtsverfügung sei das FA nach Treu und Glauben nicht gehindert gewesen, die Steuerbescheide zu ändern. Ob die Amtsverfügung eine verbindliche Zusage in Form einer Allgemeinverfügung gewesen sei oder nicht, könne dahingestellt bleiben. Denn eine evtl. Bindungswirkung sei - ohne daß es eines entsprechenden Verwaltungsaktes bedurft hätte - jedenfalls infolge des Inkrafttretens des Gesetzes zum Schutze der Berufsbezeichnung "Ingenieur" vom 5. Mai 1970 - IngG - (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen - GVBl NW - 1970, 312) weggefallen. Trotz der langen Verfahrensdauer sei auch keine Verwirkung des Steueranspruchs eingetreten.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des rechtlichen Gehörs, der §§ 76, 96 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie die fehlerhafte Anwendung von § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 12 Abs. 2 Nr. 5 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der für die Streitjahre geltenden Fassung. Darüber hinaus macht der Kläger geltend, das FG habe zu Unrecht angenommen, daß das FA aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht an der Änderung der Bescheide gehindert gewesen sei. Außerdem sei wegen der überlangen Verfahrensdauer eine Verwirkung der Steueransprüche, mindestens aber der Eintritt der Festsetzungsverjährung anzunehmen. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus: Das vom FG eingeholte Gutachten bestätige, daß der Kläger einen dem Ingenieurberuf ähnlichen Beruf ausgeübt habe. Das FG habe es zunächst dahinstehen lassen, ob der Kläger den Ausbildungs- und Kenntnisstand eines Ingenieurs habe, dann aber unterstellt, daß der Kläger das erforderliche examensrelevante Ingenieurwissen hatte. Diese widersprüchliche Feststellung werde aus verfahrensrechtlichen Gründen ausdrücklich gerügt. Seine Entscheidung stütze das FG darauf, daß die Tätigkeit des Klägers sich nur in beschränktem Umfang auf Aufgaben erstreckt habe, die ingenieurmäßige Kenntnisse voraussetzen. Diese Würdigung stehe im eindeutigen Widerspruch zu dem klaren Inhalt der Akten. Das FG komme zu diesem Ergebnis, weil es Schadensfeststellungen ohne vorherige Interventionen als Arbeiten betrachte, die keine ingenieurmäßigen Kenntnisse voraussetzen. Warum das FG insoweit von den Aussagen des Sachverständigen abweiche, habe es nicht begründet. Darin liege ein Verstoß gegen § 76 FGO. Indem es die Tätigkeit des Klägers mit der eines Kfz-Sachverständigen vergleiche, verstoße das FG gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Da Kraftfahrzeuge in Großserien hergestellt würden, bei Schiffen jedoch kaum eines wie das andere konstruiert sei, müsse ein Schiffssachverständiger viel tiefergreifende technische Kenntnisse haben.

Das FG habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt, weil es nicht auf den rechtserheblichen Sachverhaltspunkt "Überwiegen der nicht qualifizierten Tätigkeiten" hingewiesen habe. Zu diesem Punkt, der von 1966 bis 1994 keine Rolle gespielt habe, habe sich der Kläger nicht äußern können. Zudem habe das FG das Vorbringen des Klägers übergangen, daß ab den Streitjahren die IHK nur solche Bewerber zu Schiffssachverständigen bestelle, die den Nachweis einer Hochschul- oder Fachhochschulausbildung als Schiffsingenieur erbringen. Das gleiche gelte für den Vortrag des Klägers, ein wesentlicher Teil der Unterlagen sei im Jahr 1989 durch Überschwemmung vernichtet worden. Zu Unrecht halte das FG das FA nicht mehr an die Amtsverfügung des Vorstehers gebunden. Der Kläger habe sowohl vor als auch nach dem Inkrafttreten der Ingenieurgesetze alle darin gestellten Voraussetzungen erfüllt. Geändert habe sich nicht die Rechtslage, sondern nur deren Beurteilung durch das FG. Bei einer Änderung der rechtlichen Beurteilung habe das FA zwar das Recht, die Verfügung zu widerrufen; dies sei bis heute aber nicht geschehen. Das FA sei nach Treu und Glauben auch daran gehindert gewesen, von seiner bisherigen Rechtsauffassung abzuweichen. Der Kläger habe sich auf die Amtsverfügung verlassen, entsprechend kalkuliert und insbesondere den ermäßigten Steuersatz auch seinen Auftraggebern in Rechnung gestellt.

Zu Unrecht habe das FG entschieden, daß sich aus der überlangen Verfahrensdauer keinerlei Konsequenzen für die Streitjahre ergäben. Daß dadurch die Menschenwürde des Klägers verletzt sei, bedürfe angesichts der klaren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte keiner weiteren Darlegungen. Im Steuerrecht müsse als Folge davon der Steueranspruch des Staates als verwirkt angesehen werden. Im Streitfall sei zumindest von einer Festsetzungsverjährung der Steueransprüche auszugehen. Denn ein rechtswidrig langes Verfahren könne eine Ablaufhemmung i.S. des § 171 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht bewirken.

Der Kläger beantragt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils

a) die geänderten Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1974, 1975, 1976, 1977, 1978 sowie die sie bestätigende Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben und unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide für 1979 und für 1980 und der sie bestätigenden Einspruchsentscheidung die Umsatzsteuer für 1979 auf ... DM und für 1980 auf ... DM festzusetzen;

b) die Bescheide über die gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb für die Jahre 1974 bis 1978 und für 1980 und die sie bestätigende Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben;

c) die geänderten Gewerbesteuermeßbescheide für die Jahre 1974, 1975, 1977 und 1978 und die sie bestätigende Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben und unter Änderung des Gewerbesteuermeßbescheids 1980 und der sie bestätigenden Einspruchsentscheidung den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag auf 0 DM festzusetzen.

Hilfsweise beantragt der Kläger, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache an das FG zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet abzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen.

A) Die vom Kläger erhobene Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -, § 119 Nr. 3 FGO) ist nicht begründet.

a) Gemäß Art. 103 Abs. 1 GG hat vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Dieser Anspruch gewährleistet dem Prozeßbeteiligten zum einen das Recht, sich vor der Entscheidung des Gerichts zum entscheidungserheblichen Sachverhalt und zur Rechtslage ausreichend äußern zu können. Das Gericht verstößt deshalb gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn es ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 19. Mai 1992 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 96 Rdnr. 27 f., m. w. N.). Allerdings besteht weder eine umfassende Aufklärungs- oder Hinweispflicht noch eine Pflicht zum allgemeinen Rechtsgespräch mit den Parteien. Es genügt, daß diese die Möglichkeit zur Stellungnahme erhalten (vgl. BVerfG-Beschluß vom 30. September 1992 1 BvR 626/89, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 33c, Rechtsspruch 7 unter 3.).

Das FG hat eine ingenieurähnliche Tätigkeit des Klägers mit dem Argument abgelehnt, daß die qualifizierten Arbeiten nicht den Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers gebildet hätten. Zur Veranschaulichung dieser Auffassung hat es in drei Tabellen die Umsätze aus den einzelnen Tätigkeiten aufgelistet und gegenübergestellt. Daß das FG den Kläger nicht ausdrücklich darauf hingewiesen hat, hierin das Hauptargument für die Annahme einer gewerblichen Tätigkeit zu sehen, verstößt nicht gegen das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör. Zudem hatte das FG den Kläger bereits im Schreiben vom ... darauf aufmerksam gemacht, daß nach der Rechtsprechung des BFH die qualifizierten ingenieurwissenschaftlichen Arbeiten den Schwerpunkt der gesamten Tätigkeit in den Streitjahren gebildet haben müßten, die bisher vorgelegten Unterlagen diese Schlußfolgerung aber nicht rechtfertigen würden. Der Kläger hatte somit die Möglichkeit, sich unter dem aufgezeigten rechtlichen Aspekt zu den bereits vorgelegten und den später noch nachgereichten umfangreichen Unterlagen zu äußern. Eine weitere Verpflichtung, ihn auf die tatsächlichen und rechtlichen Schlüsse hinzuweisen, die es selbst aus den gesamten Unterlagen ziehen könnte, bestand für das FG nicht.

b) Die Gewährung rechtlichen Gehörs umfaßt auch die Verpflichtung des Gerichts, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfG-Beschluß vom 8. Oktober 1985 1 BvR 33/83, BVerfGE 70, 288, 293). Art. 103 Abs. 1 GG schützt aber nicht davor, daß das Gericht dem Vorbringen nicht die richtige Bedeutung beimißt (vgl. BVerfG-Beschluß vom 10. März 1992 2 BvR 430/91, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1992, 2217, m. w. N.). Daß das FG den Vortrag des Klägers, die IHK in A ernenne nur noch Bewerber mit abgeschlossener Hochschul- oder Fachhochschulausbildung zu Schiffssachverständigen, zur Kenntnis genommen hat, ergibt sich aus dem Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils. Wenn das FG auf dieses Vorbringen in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich eingegangen ist, hat es den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör schon deshalb nicht verletzt, weil dieser Tatsachenvortrag für die Entscheidung der Frage, ob der Kläger überwiegend ingenieurähnliche Arbeiten ausgeführt hat, nicht erheblich ist (vgl. dazu BVerfG-Beschluß vom 19. Mai 1992 1 BvR 986/91, NJW 1992, 2877). Zu Unrecht rügt der Kläger in diesem Zusammenhang, das FG sei auf sein Vorbringen, ein wesentlicher Teil der Unterlagen sei im Jahre 1989 durch Überschwemmung vernichtet worden, nicht eingegangen. In seinem Urteil führt das FG nämlich aus, daß dieser Umstand zu Lasten des Klägers gehe, weil er für steuerbegünstigende Tatbestände die Feststellungslast trage.

Soweit der Kläger im übrigen Verfahrensmängel rügt, hat er entweder Tatsachen, aus denen sich die behaupteten Verfahrensmängel ergeben, nicht schlüssig vorgetragen oder nicht dargelegt, inwieweit das angefochtene Urteil - unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des FG - auf den behaupteten Verfahrensmängeln beruhen kann. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Begründung gemäß Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) ab.

B) Die Entscheidung des FG, der Kläger habe in den Streitjahren keinen dem Ingenieurberuf ähnlichen Beruf - und damit keine freiberufliche Tätigkeit - ausgeübt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zählen zu den freiberuflichen Tätigkeiten auch die den sog. Katalogberufen ähnlichen Berufe. Ein Beruf ist einem Katalogberuf ähnlich, wenn er in wesentlichen Punkten mit diesem verglichen werden kann. Dazu gehört die Vergleichbarkeit der Ausbildung und die Vergleichbarkeit der beruflichen Tätigkeit. Das gilt auch für einen dem Katalogberuf des Ingenieurs ähnlichen Beruf. Allerdings muß die Ausbildung nicht in einem förmlichen Ausbildungsgang erworben worden sein. Ein Schiffssachverständiger, der eine Berufsausbildung, wie sie in den Ingenieurgesetzen der Länder vorgeschrieben ist, nicht besitzt, kann vielmehr nachweisen, daß er vergleichbare Kenntnisse im Wege des Selbststudiums erworben hat. Der Erwerb ingenieurmäßiger Kenntnisse kann auch mittels der eigenen Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen nachgewiesen werden, z.B. anhand eigener praktischer Arbeiten. Dies setzt allerdings voraus, daß (1.) diese Arbeiten einen der Ingenieurtätigkeit vergleichbaren Schwierigkeitsgrad aufweisen und daß (2.) die derart qualifizierten Arbeiten den Schwerpunkt der Tätigkeit des Steuerpflichtigen bilden. Nur wenn auch die zuletzt genannte Voraussetzung vorliegt, ist gewährleistet, daß die notwendigen theoretischen Kenntnisse die Tätigkeit des Steuerpflichtigen im Sinne des Ingenieurberufs prägen (ständige Rechtsprechung; vgl. zuletzt Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. Juli 1992 IV R 116/90, BFHE 169, 402, BStBl II 1993, 100).

2. Von diesen Grundsätzen ist auch das FG ausgegangen. Dabei ist es aufgrund der Auswertung von mehr als 3.000 (vom Kläger vorgelegten) Vorgängen in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, daß die qualifizierte einem Schiffsbauingenieur ähnliche Tätigkeit des Klägers im Rahmen seiner Gesamttätigkeit nicht überwogen hat.

a) Der Ausgangspunkt der Auswertung durch das FG, daß nämlich die Erstellung von reinen Schadensgutachten (im Unterschied zu Gutachten über Schadens- oder Unfallursachen) keine mathematisch-technischen Kenntnisse erfordert und deshalb keine qualifizierte Arbeit darstellt, entspricht der bisherigen Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile vom 10. November 1988 IV R 63/86, BFHE 155, 109, BStBl II 1989, 198, und vom 12. Dezember 1991 IV R 65 - 67/89, BFH/NV 1993, 238) und der Auffassung des erkennenden Senats.

Die vorgenannte Rechtsprechung ist zwar zum Beruf des Kfz-Sachverständigen ergangen; die dieser Rechtsprechung zugrundeliegenden Überlegungen gelten aber in gleicher Weise für den Schiffssachverständigen. Auch die Erstellung von Schadensgutachten über die Höhe der Wiederherstellungskosten von beschädigten Schiffen ist - wie gerade der Streitfall zeigt - im wesentlichen anhand von feststehenden Informationen (Formelsammlungen) und praktischen Erfahrungen möglich. In seinen "Richtlinien" hat der Kläger selbst eine Zusammenstellung der Kosten verschiedenster Reparaturen an Schiffen in Form einer Formelsammlung erstellt. Die darin niedergelegten Erkenntnisse hat er nach den Feststellungen der Vorinstanz dann in seinen Schadenstaxen verwertet.

b) An die im finanzgerichtlichen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen, daß in den Streitjahren die qualifizierten Arbeiten nicht den Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers gebildet haben, ist der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden, da insoweit keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht worden sind.

Das FG hat die ihm vorgelegten Vorgänge zunächst aufgeteilt in qualifizierte und nichtqualifizierte Arbeiten. Als qualifizierte Arbeiten hat es - entsprechend dem Gutachten des Sachverständigen - die Erstellung von Interventionsberichten sowie von unmittelbar daran anschließenden Schadenstaxen und die Erstellung von Gutachten und Besichtigungsberichten angesehen. Zu den nichtqualifizierten Arbeiten hat es die reinen Schadens- und Werttaxen sowie die Dispachen gerechnet. Sodann hat das FG anhand der den Vorgängen beiliegenden Rechnungen die Umsätze aus den qualifizierten und den nichtqualifizierten Tätigkeiten gegenübergestellt. Dabei lag der Anteil der Umsätze aus der qualifizierten Tätigkeit weit unter 50 v.H. der Gesamtumsätze. Daraus hat das FG abgeleitet, daß die qualifizierten Arbeiten nicht überwogen und damit der Berufstätigkeit des Klägers nicht das Gepräge gegeben haben. Diese Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen sind möglich; sie verstoßen weder gegen Erfahrungssätze noch gegen Denkgesetze.

c) Bilden hiernach die qualifizierten Arbeiten nicht den Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers, kommt es für die Entscheidung nicht darauf an, ob der Kläger in den Streitjahren über Kenntnisse verfügt hat, die den in einer Ingenieursausbildung erworbenen entsprechen. Wenn das FG darum ausführt, es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger examensrelevantes Ingenieurwissen gehabt habe, dasselbe dann aber unterstellt, liegt darin zwar ein gewisser Widerspruch, mangels Entscheidungserheblichkeit kann darauf die Revision aber nicht gestützt werden.

3. Zu Recht ist das FG auch davon ausgegangen, daß das FA nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert war, die angefochtenen Bescheide zu erlassen.

a) Der Vorsteher des FA hat in der Amtsverfügung vom 25. August 1966 zur "Gewerbesteuerpflicht der Schiffssachverständigen und Dispacheure" die Anweisung erteilt, die Einkünfte der Schiffssachverständigen insoweit als freiberufliche zu behandeln, als sie nicht aus der Erstellung von sog. Dispachen herrühren. Abdrucke dieser Amtsverfügung sind der VWSSV und den Bevollmächtigten des Klägers zugesandt worden. Ob diese Amtsverfügung als eine verbindliche Zusage gegenüber dem Kläger zu werten war, kann der Senat offenlassen (zur grundsätzlichen Zulässigkeit einer allgemeinen Zusage und deren Bindungswirkung, vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1989 X R 208/87, BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274; Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor § 204 AO 1977 Rz. 3 ff.). Selbst wenn man die Erteilung einer verbindlichen Zusage an den Kläger unterstellt, war die Bindungswirkung der Zusage zwischenzeitlich durch das Inkrafttreten des IngG in Nordrhein-Westfalen am 5. Mai 1970 (vgl. GVBl NW 1970, 312) weggefallen.

b) Andere als die in den §§ 204 ff. AO 1977 geregelten Zusagen - nur um eine solche sog. allgemeine Zusage könnte es sich im Streitfall handeln - können im Regelungsbereich von Steuerbescheiden nach den Grundsätzen von Treu und Glauben im Einzelfall zu einer Bindung des FA führen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274). Derartige Zusagen stehen aber - ebenso wie die gesetzlich geregelte Zusage aufgrund einer Außenprüfung (§§ 204 ff. AO 1977) - unter der Geltung der "clausula legibus sic stantibus". Das bedeutet, daß sie stillschweigend den Fortbestand der Rechtslage, unter deren Geltung sie erteilt worden sind, voraussetzen. Ändern sich die Rechtsvorschriften, auf denen die Zusage beruht, tritt die Zusage außer Kraft, ohne daß sie dem Begünstigten gegenüber ausdrücklich widerrufen werden muß (vgl. dazu Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., Vor § 204 AO 1977 Rz. 50 ff.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Vor § 204 AO 1977 Rz. 16, und § 207 AO 1977 Rz. 3). Für die verbindliche Zusage im Anschluß an eine Außenprüfung bestimmt dies § 207 Abs. 1 AO 1977 ausdrücklich.

c) Die Amtsverfügung des Vorstehers fußt auf § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG; sie geht davon aus, daß die Tätigkeit der in der VWSSV zusammengeschlossenen Schiffssachverständigen - ausgenommen die Erstellung von sog. Dispachen - der Tätigkeit eines Ingenieurs ähnlich ist, die Umsätze der Schiffssachverständigen damit nach § 12 Abs. 2 Nr. 5 UStG in der für die Streitjahre 1974 bis 1980 geltenden Fassung einem ermäßigten Steuersatz unterliegen. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG werden Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit u.a. erzielt durch die selbständige Tätigkeit desjenigen, der einen dem Ingenieur ähnlichen Beruf ausübt. Die Vorschrift bestimmt nicht, worin die Berufstätigkeit eines Ingenieurs im einzelnen besteht. Eine andere gesetzliche Regelung, die das Berufsbild des Ingenieurs festlegte bzw. für den Beruf des Ingenieurs eine bestimmte Ausbildung vorschrieb, gab es bis ins Jahr 1970 hinein ebenfalls nicht. Diese Rechtslage hat sich mit dem Inkrafttreten der Ingenieurgesetze der Länder geändert. Dort hat der Gesetzgeber erstmals für den Beruf des Ingenieurs eine bestimmte Ausbildung vorgeschrieben (Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule, einer Fachhochschule, einer Ingenieurschule oder Betriebsführerlehrgang an einer Bergschule; vgl. § 1 IngG NW) und ein bestimmtes Berufsbild festgelegt; er hat damit mittelbar auch den einkommensteuerrechtlichen Begriff "Ingenieur" geregelt (BFH-Urteile vom 18. Juni 1980 I R 109/77, BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118, und in BFHE 155, 109, BStBl II 1989, 198).

d) Mit der Regelung des Berufsbilds der Ingenieure haben sich auch die rechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Tätigkeit als "ingenieurähnlich" geändert. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH muß der ähnliche Beruf mit einem bestimmten Katalogberuf sowohl in der Ausbildung als auch in der beruflichen Tätigkeit vergleichbar sein (vgl. zuletzt BFH-Urteil in BFHE 169, 402, BStBl II 1993, 100). Setzt der Katalogberuf eine qualifizierte Ausbildung voraus, wird auch für den ähnlichen Beruf eine vergleichbare Ausbildung verlangt. Seit dem Inkrafttreten der Ingenieurgesetze setzt darum ein Beruf, der dem des Ingenieurs ähnlich sein will, eine Ausbildung voraus, die mit der in den Ingenieurgesetzen vorgeschriebenen Ausbildung verglichen werden kann (vgl. BFH-Urteil in BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118). Vor dem Inkrafttreten der Ingenieurgesetze kam es hingegen allein auf die Vergleichbarkeit der beruflichen Tätigkeiten an (vgl. BFH-Urteile vom 12. Dezember 1963 IV 54/61 U, BFHE 78, 349, BStBl III 1964, 136, und vom 5. November 1970 IV R 127/70, BFHE 101, 367, BStBl II 1971, 319). Dementsprechend hatte auch der Amtsvorsteher des beklagten FA entscheidend auf den Vergleich der praktischen Tätigkeit der Schiffssachverständigen mit der typischen Tätigkeit eines Ingenieurs abgestellt.

4. Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Steueransprüche wegen überlanger Verfahrensdauer nicht verwirkt. Der Senat verweist insoweit auf die BFH-Beschlüsse vom 13. September 1991 IV B 105/90 (BFHE 165, 469, BStBl II 1992, 148) und vom 20. Mai 1994 XI B 63/93 (BFH/NV 1994, 605) sowie auf das BFH-Urteil vom 13. Dezember 1995 XI R 43 - 45/89 (BFHE 179, 353, BStBl II 1996, 232). Das BVerfG hat die gegen die o. g. Beschlüsse erhobenen Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen (Beschlüsse vom 25. Februar 1994 2 BvR 74 - 75/92, und vom 22. August 1994 2 BvR 1454/94). Ob die Verfahrensdauer der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK) entspricht, bedarf keiner Entscheidung; denn Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kommt wegen des öffentlich-rechtlichen Charakters der Besteuerung nicht zur Anwendung (vgl. Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Art. 6 Rdnr. 172, m. w. N.).

Auf eine Verjährung der streitigen Steueransprüche kann sich der Kläger ebenfalls nicht berufen. Ebensowenig wie eine überlange Verfahrensdauer eine Verfassungs- und Rechtswidrigkeit der angefochtenen Steuerbescheide zur Folge hat, werden durch ein überlanges gerichtliches Verfahren die Vorschriften über die Ablaufhemmung von Verjährungsfristen (§ 146a Abs. 1 der Reichsabgabenordnung, § 171 Abs. 3 AO 1977) außer Kraft gesetzt.