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BFH-Urteil vom 18.4.1996 (IV R 48/95) BStBl. 1996 II S. 574

Im Falle einer unternehmensbezogenen Sanierung sind auch die Kommanditisten mit negativem Kapitalkonto am Sanierungsgewinn beteiligt mit der Folge, daß ihr negatives Kapitalkonto steuerfrei aufgefüllt wird.

EStG § 3 Nr. 66.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die bis zum Jahre 1986 als A-GmbH & Co. KG firmierte. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) S und G sind deren Kommanditisten und zugleich Geschäftsführer der beigeladenen persönlich haftenden Gesellschafterin, der B-GmbH (früher A-GmbH). Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) Sch ist ehemaliger Kommanditist.

Die Klägerin befand sich 1978 in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die zu einem Konkursverfahren führten. Dieses Verfahren wurde 1982 aufgehoben und zwar nach Abschluß eines Zwangsvergleichs, in dem die Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichteten. Der Vergleich bewirkte die Sanierung der Klägerin; sie war seither weiterhin gewerblich tätig.

Die Beteiligten stritten zunächst für das Jahr 1978 darum, ob - wie der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) meinte, ein Ausgleich der auf die Kommanditisten entfallenden Verluste mit künftigen Gewinnen nicht mehr erfolgen könne und ihnen deshalb ab 1978 keine Verluste mehr zuzurechnen seien. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Die hiergegen gerichtete Revision des FA hatte nur deshalb Erfolg, weil das FG eine notwendige Beiladung unterlassen hatte. Der Bundesfinanzhof (BFH) wies jedoch in seinem Urteil vom 17. September 1992 IV R 110/90 (BFH/NV 1993, 476) darauf hin, daß der Zurechnung weiterer Verlustanteile bei den Kommanditisten nicht entgegenstehe, daß es zum späteren Ausgleich der negativen Kapitalkonten (auch) durch Anteile der Kommanditisten an einem steuerfreien Sanierungsgewinn kommen könne. Daraufhin änderte das FA im zweiten Rechtsgang die Feststellungsbescheide für 1978 bis 1981 und rechnete den Gesellschaftern die ihnen zustehenden Ergebnisanteile, insbesondere laufende Verluste, zu.

Für das Streitjahr 1982 hatte das FA im Jahre 1986 zunächst einen unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Feststellungsbescheid erlassen, in dem es die geltend gemachten Betriebsergebnisse - abgesehen von Sonderbetriebsausgaben - ausschließlich der Komplementär-GmbH zurechnete.

Nach Durchführung einer Außenprüfung und Erhebung einer Untätigkeitsklage änderte das FA die Feststellung mit Bescheid vom 14. Dezember 1988 und stellte darin einen Gewinn fest, der sich wie folgt zusammensetzt:

steuerfreier Sanierungsgewinn

1.189.129 DM

./. Sonderbetriebsausgaben

30.807 DM

./. laufender Verlust

38.278 DM

 

-----------------

 

1.120.044 DM.

Den steuerfreien Sanierungsgewinn und den laufenden Verlust rechnete das FA ausschließlich der Komplementär-GmbH zu. Bei den Kommanditisten ergab sich - abgesehen von den Sonderbetriebsausgaben - keine Gewinnauswirkung. Ferner erklärte das FA - im Einverständnis sämtlicher Gesellschafter - den Bescheid gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) für vorläufig, und zwar gemäß der Anlage zum Bescheid "hinsichtlich der Zurechnung des steuerlichen Gewinns in Höhe von 1.120.044 DM". Zugleich erklärte das FA den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Die Klägerin gab eine gleichlautende Erklärung ab.

Nach Beendigung des Klageverfahrens wegen des Jahres 1978 änderte das FA den Bescheid des Streitjahres unter dem Datum vom 11. Mai 1994 gemäß § 165 Abs. 2 AO 1977 erneut. In diesem Bescheid verteilte das FA den laufenden Verlust auf die Kommanditisten und die Komplementär-GmbH. Den Sanierungsgewinn rechnete es wiederum allein der letzteren zu. Außerdem erfaßte das FA bei den Kommanditisten Gewinne in Höhe des Wegfalls der negativen Kapitalkonten von je 380.829 DM. In gleicher Höhe setzte es bei der Komplementär-GmbH einen Verlust an.

Dagegen wandten sich die Klägerin und die Kläger nach erfolglosem Einspruch mit der Klage. Sie machen geltend, die Änderung im Bescheid vom 11. Mai 1994 sei nicht durch den Vorläufigkeitsvermerk gedeckt. Die Vorläufigkeit habe ausschließlich die Verteilung des steuerfreien Sanierungsgewinns umfaßt, nicht jedoch eine Versteuerung für den Wegfall von negativen Kapitalkonten. Auch habe das FA gegen Treu und Glauben verstoßen, indem es entgegen seinen Zusagen in den abgeschlossenen Klageverfahren, der Vorläufigkeitsvermerk beschränke sich auf die Verteilung des steuerfreien Sanierungsgewinns, diesen nicht auch den Kommanditisten zugerechnet habe.

Das FG gab der Klage statt. Es vertrat die Auffassung, der steuerfreie Sanierungsgewinn i.S. des § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sei ebenso wie die sonstigen laufenden Gewinne und Verluste den Gesellschaftern entsprechend der gesellschaftsvertraglich vereinbarten Gewinn- und Verlustverteilung zuzurechnen. Es sei nach dem Wortlaut und dem Sinn des Gesetzes insbesondere kein Grund ersichtlich, warum die Steuerbefreiung nur vollhaftenden Mitunternehmern zustehen solle.

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.  Gründe:

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat zutreffend entschieden, daß der streitige Sanierungsgewinn den Kommanditisten der Klägerin steuerfrei zuzurechnen ist.

1. Daß im Streitfall ein steuerfreier Sanierungsgewinn in Höhe von 1.189.129 DM entstanden ist, hat das FA im Bescheid vom 14. Dezember 1988 bestandskräftig festgestellt.

2. Dieser Gewinn war den Gesellschaftern der Klägerin nach Maßgabe des allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssels zuzurechnen.

a) Handelsrechtlich sind die Anteile der Kommanditisten am Gewinn und Verlust durch den Gesellschaftsvertrag (§ 163 des Handelsgesetzbuches - HGB -) oder - in Ermangelung eines solchen - durch die gesetzliche Regelung des § 168 HGB bestimmt. Es gibt keine handelsrechtliche Vorschrift, die von dieser Regel für Sanierungsgewinne eine Ausnahme macht. Der Begriff des "Sanierungsgewinns" ist steuerlicher Natur. Handelsrechtlich handelt es sich um eine Vermögensmehrung, die auf dem Erlaß von Unternehmensschulden beruht. Diese Vermögensmehrung kommt allen Gesellschaftern nach Maßgabe des Gewinnverteilungsschlüssels zugute (§ 120 i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB. Sie wird gemäß § 120 Abs. 2 i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB dem Kapitalkonto der Gesellschafter - auch dem der Kommanditisten - zugeschrieben. Hieran besteht kein Zweifel, soweit die Kapitalkonten der Kommanditisten positiv sind. Auf die Gewinnverteilung hat es jedoch keinen Einfluß, wenn die Kapitalkonten durch Verluste unter den auf die bedungene Einlage geleisteten Betrag herabgesunken sind ("negative Kapitalkonten", § 169 Abs. 1 HGB). Das negative Kapitalkonto führt zu einer Entnahmesperre, jedoch nicht zu einer Gewinnzurechnungssperre. Vielmehr kann die Entnahmesperre nur infolge der Zuschreibung von späteren Gewinnen wieder wegfallen. Dem negativen Kapitalkonto ist die Zurechnung späterer Gewinne somit geradezu immanent. Handelsrechtlich kann man daher nicht davon ausgehen, daß der Sanierungsgewinn allein dem persönlich haftenden Gesellschafter zustehen soll.

Es läßt sich auch nicht sagen, daß - wirtschaftlich betrachtet - allein der Komplementär durch den Schulderlaß begünstigt werde, wenn die Kapitalkonten der Kommanditisten negativ sind (so aber Schmidt, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 15a Rdnr. 21). Der Schulderlaß führt zwar dazu, daß der persönlich haftende Gesellschafter im Umfang des Erlasses nicht für die den Kommanditisten zugerechneten Verluste einstehen muß. Das ist jedoch die Folge einer jeden Mehrung des Gesellschaftsvermögens und keine spezifische Konsequenz eines Schulderlasses zum Zwecke der Sanierung.

b) Steuerlich ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH der handelsrechtliche Gewinnverteilungsschlüssel maßgeblich (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 10. November 1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164). Besonderheiten gelten nur in bestimmten Fällen, etwa bei der Beurteilung der Gewinnverteilung zwischen einander nahestehenden Personen. Eine unternehmensbezogene Sanierung stellt keinen solchen Sonderfall dar, der steuerlich eine Korrektur der handelsrechtlichen Gewinnverteilung notwendig machen würde. Hiervon geht die BFH-Rechtsprechung als selbstverständlich aus (vgl. z.B. Senatsurteil vom 17. September 1992 IV R 110/90, BFH/NV 1993, 476, 478). Es besteht daher kein Anlaß, die Teilhabe des Kommanditisten an dem durch den Schulderlaß bedingten Gewinn als Zuwendung des Komplementärs anzusehen (so aber Schmidt, a.a.O., § 15a Rdnr. 21). Auch insoweit kann es keinen Unterschied machen, ob das Kapitalkonto des Kommanditisten negativ oder positiv ist.

3. Schließlich ist der Sanierungsgewinn dem Kommanditisten bei einer unternehmensbezogenen Sanierung auch steuerfrei zuzurechnen.

Der Sinn der in § 3 Nr. 66 EStG normierten Steuerfreiheit liegt darin, daß ein Schulderlaß seine sanierende Wirkung zum Teil verlieren würde, wenn er der Besteuerung unterworfen würde (vgl. Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., S. 256 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Hiervon ausgehend sind auch die anteilig auf die Kommanditisten einer sanierungsbedürftigen KG entfallenden Sanierungsgewinne steuerfrei, sofern es sich um eine unternehmensbezogene Sanierung handelt, durch die der Fortbestand des Unternehmens gesichert werden soll (vgl. z.B. Senatsurteil in BFH/NV 1993, 476, 478).

Das Gesetz bietet keinen Anhaltspunkt dafür, daß dies nicht gelten soll, soweit die Kapitalkonten der Kommanditisten negativ sind und durch den steuerfreien Sanierungsgewinn aufgefüllt werden. Insbesondere spielen die Überlegungen keine Rolle, die dafür maßgeblich sind, daß der Kommanditist bei Wegfall seines negativen Kapitalkontos infolge seines Ausscheidens oder der Liquidation der Gesellschaft steuerlich einen Gewinn erzielt. In jenen Fällen entsteht nämlich kein "echter" Gewinn im Sinne einer Betriebsvermögensmehrung; die Versteuerung eines "Gewinns" ist vielmehr nur die rechtlich notwendige Folge aus früheren Verlustzurechnungen, die auf diese Weise korrigiert werden (BFH-Beschluß vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 770). In den Fällen der unternehmensbezogenen Sanierung entsteht demgegenüber im Umfang des Schulderlasses ein Gewinn; durch die Minderung der Verbindlichkeiten wird das Betriebsvermögen "von außen" - also nicht durch eine Einlage - gemehrt. Wenn dem Kommanditisten dadurch ermöglicht wird, sein negatives Kapitalkonto steuerfrei auszugleichen, folgt dies unmittelbar aus dem Wortlaut sowie aus dem Sinn und Zweck des § 3 Nr. 66 EStG. Der Umstand, daß das negative Kapitalkonto auf steuerwirksamen Verlusten der Vergangenheit beruht, stellt keine Besonderheit beim Kommanditisten dar, sondern kann in gleicher Weise den persönlich haftenden Gesellschafter betreffen. Der Senat folgt damit der Auffassung des Niedersächsischen FG vom 14. Oktober 1992 IX 445/90, Entscheidungen der Finanzgerichte 1993, 292, der Oberfinanzdirektionen - OFD - Münster und Frankfurt am Main (Verfügungen vom 27. Juli 1983, Steuererlasse in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 15, Nr. 115, und vom 13. Januar 1994, Finanz-Rundschau 1994, 205) sowie der nahezu einhelligen Auffassung im Schrifttum (Kaligin, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1986, 443; Bordewin/Söffing/Brandenberg, Verlustverrechnung bei negativem Kapitalkonto, 2. Aufl. 1986, Rdnr. 39; Fichtelmann, DStZ 1990, 211; Weber, DStZ 1994, 129; Blanke, Betriebs-Berater 1994, 757; Reiss/Kretschmer, Der Betrieb - DB - 1994, 1846; Knobbe-Keuk, a.a.O., S. 259; Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 15a EStG, Rdnr. 2 b a. E.; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 3 Nr. 66 EStG, Anm. 27; a. A.: Schmidt, a.a.O., § 15a Rdnr. 21; OFD Hannover, Verfügung vom 29. März 1982, DB 1982, 732).