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  BFH-Urteil vom 9.5.1995 (IX R 5/93) BStBl. 1996 II S. 588

Anschaffungsnaher Herstellungsaufwand kann auch nach dem teilentgeltlichen Erwerb eines Gebäudes anfallen.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Nr. 7, § 7 Abs. 4; HGB § 255 Abs. 2 Satz 1.

Vorinstanz: FG Hamburg

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb im Streitjahr 1987 ein im Jahr 1938 errichtetes Einfamilienhaus. Der Verkehrswert des bebauten Grundstücks betrug 200.000 DM. Hinsichtlich eines Miteigentumsanteils von 1/2 war der Kläger Nacherbe. Vorerbin war insoweit die Voreigentümerin, deren Eigentum hinsichtlich des weiteren Miteigentumsanteils von 1/2 unbeschränkt war. Als Gegenleistung für die Übertragung des Eigentums zahlte der Kläger 20.000 DM. Im Streitjahr ließ er umfangreiche Reparatur- und Bauarbeiten ausführen.

Die gesamten Aufwendungen für die Baumaßnahmen betrugen 243.775 DM; davon fiel ein Teilbetrag von 83.544 DM aufgrund späterer Rechnungserteilung erst im Jahre 1988 an.

In seiner Einkommensteuererklärung beantragte der Kläger, die im Streitjahr angefallenen Aufwendungen auf fünf Jahre zu verteilen und als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) behandelte demgegenüber die aufgewandten Kosten als nachträgliche Herstellungskosten und erhöhte die Bemessungsgrundlage für die Absetzungen für Abnutzung entsprechend.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt. Da es sich um eine gemischte Schenkung handele, sei der Vorgang nach dem Verhältnis des Verkehrswerts des übertragenen Wirtschaftsguts zur Gegenleistung in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufzuspalten. Deshalb habe der Kläger das Grundstück zu 9/10 unentgeltlich und zu 1/10 entgeltlich erworben. Insoweit könnten anteilig nebeneinander anschaffungsnahe Aufwendungen und sogleich abziehbare Erhaltungsaufwendungen in Betracht kommen. 9/10 der Aufwendungen entfielen auf den unentgeltlichen Rechtsübergang und führten zu sofort abziehbaren Erhaltungsaufwendungen, 1/10 der Aufwendungen entfiel danach auf den entgeltlichen Rechtsübergang und wurden vom FG als anschaffungsnahe Aufwendungen (Herstellungskosten) beurteilt.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Nach § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vorentscheidung aufzuheben und in der Sache zu entscheiden. Das FG hat zu Unrecht die streitigen Aufwendungen nach dem Verhältnis des vom Kläger geleisteten Entgelts zum Verkehrswert des Grundstücks in sofort abziehbare Werbungskosten einerseits und anschaffungsnahe Aufwendungen (Herstellungskosten) andererseits aufgeteilt.

1. Herstellungskosten sind nach § 255 Abs. 2 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen. Diese handelsrechtliche Begriffsbestimmung gilt ebenso für das Steuerrecht, und zwar auch für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1990 GrS 1/89, BFHE 160, 466, 476, BStBl II 1990, 830 unter C. III. 1. c dd). Ob nach dieser Vorschrift Instandsetzungs- und Modernisierungsaufwendungen als nachträgliche Herstellungskosten zu beurteilen sind, hängt davon ab, ob sie für eine Erweiterung oder eine über den ursprünglichen Zustand des Gebäudes hinausgehende wesentliche Verbesserung aufgewandt werden. Die Vorschrift stellt für die Annahme nachträglicher Herstellungskosten dagegen nicht die Voraussetzung auf, daß in Erwerbsfällen das Grundstück in vollem Umfange entgeltlich erworben worden sein muß. Deshalb ist für die Frage der Abgrenzung von Herstellungs- und Erhaltungsaufwand in diesem Zusammenhang unerheblich, daß der Kläger das bebaute Grundstück teilweise unentgeltlich erworben hat.

2. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen, weil die strittigen Aufwendungen auf der Grundlage der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen in vollem Umfang als Herstellungskosten i.S. von § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB (anschaffungsnahe Aufwendungen) zu beurteilen sind.

a) Herstellungskosten als Folge einer über den ursprünglichen Zustand hinausgehenden wesentlichen Verbesserung (§ 255 Abs. 2 Satz 1 Alternative 3 HGB) können dann vorliegen, wenn in zeitlicher Nähe zur Anschaffung - in der Regel innerhalb von drei Jahren - im Verhältnis zum Kaufpreis hohe Reparatur- oder Modernisierungsaufwendungen anfallen (sog. anschaffungsnaher Herstellungsaufwand; BFH-Urteile vom 11. August 1989 IX R 44/86, BFHE 158, 240, BStBl II 1990, 53; vom 30. Juli 1991 IX R 123/90, BFHE 165, 253, BStBl II 1992, 30; vom 29. Oktober 1991 IX R 117/90, BFHE 165, 203, 205, BStBl II 1992, 285; vom 23. September 1992 X R 10/92, BFHE 169, 331, BStBl II 1993, 338). In derartigen Fällen sprechen die Höhe der Aufwendungen im Verhältnis zum Kaufpreis und deren enger zeitlicher Zusammenhang mit der Anschaffung dafür, daß die Aufwendungen das Gebäude nicht in dem Zustand erhalten sollen, in dem es sich im Zeitpunkt des Erwerbs befand, sondern daß bereits zu diesem Zeitpunkt ein Bedarf an erheblichen Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen bestanden hatte, deren Durchführung das Gebäude über seinen beim Erwerb gegebenen Zustand hinaus wesentlich verbessert. Eine solche wesentliche Verbesserung ist dann aufgrund der Art der Baumaßnahmen und der Höhe des dadurch bedingten Aufwands im Verhältnis zur Höhe des Kaufpreises offenkundig (Senatsurteil in BFHE 166, 203, 205, BStBl II 1992, 285).

b) Diese Grundsätze gelten sinngemäß auch dann, wenn umfangreiche Instandsetzungs- und Modernisierungsaufwendungen in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem teilentgeltlichen Erwerb eines Gebäudes stehen. Dann sprechen die Höhe der Aufwendungen im Verhältnis zum Verkehrswert des Gebäudes und ihr enger zeitlicher Zusammenhang mit dem Erwerb ebenfalls dafür, daß die Aufwendungen das Gebäude über den Zustand im Zeitpunkt des Erwerbs hinaus wesentlich verbessert haben. Im Streitfall ist eine solche wesentliche Verbesserung aufgrund der Höhe der Aufwendungen, die im Streitjahr und im Folgejahr zusammengenommen den Wert des bebauten Grundstücks sogar überstiegen haben, sowie aufgrund der vom FG im einzelnen festgestellten Baumaßnahmen offenkundig.