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  BFH-Urteil vom 9.5.1995 (IX R 69/92) BStBl. 1996 II S. 630

1. Aufwendungen für eine Vergrößerung der Wohnfläche eines Mietwohnhauses sind Herstellungskosten, auch wenn die Vergrößerung nur unwesentlich ist.

2. Werden nach dem Erwerb eines Mietwohnhauses die auf den Treppenpodesten gelegenen Toiletten entfernt und in allen Wohnungen bisher nicht vorhandene Badezimmer eingebaut, so sind die dafür geleisteten Aufwendungen nachträgliche Herstellungskosten.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Nr. 7, § 7 Abs. 4; HGB § 255 Abs. 2 Satz 1.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger kaufte im März 1978 ein im Jahre 1910 errichtetes Mietwohnhaus zu einem Preis von 125.000 DM, von dem rd. 100.000 DM auf das Gebäude entfielen. Das wirtschaftliche Eigentum ging spätestens am 1. Juli 1978 über. Im Juli 1981 begann der Kläger mit umfangreichen Baumaßnahmen, für die Aufwendungen von insgesamt 199.767 DM entstanden. Im Jahr 1982 ließ er weitere Baumaßnahmen für einen Aufwand von rd. 77.000 DM durchführen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) beurteilte die dem Kläger im Streitjahr (1981) entstandenen Aufwendungen insgesamt als Herstellungskosten und berücksichtigte nur Absetzungen für Abnutzung (AfA) in Höhe von 2,5 v.H. Der Klage, mit der die Kläger den Abzug von 1/5 der Aufwendungen als größere Erhaltungsaufwendungen nach § 82b Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung begehrten, gab das Finanzgericht (FG) statt. Die strittigen Aufwendungen stellten keine Herstellungskosten dar. Der Kläger habe weder die Substanz des Gebäudes wesentlich vermehrt, noch das Wesen des Gebäudes wesentlich verändert. Dies gelte auch hinsichtlich der errichteten Dachgauben. Der damit geschaffene zusätzliche Wohnraum sei unwesentlich. Der Kläger habe nur bisher schon Vorhandenes durch Neues ersetzt. Er habe keine artverschiedenen Teile einbauen lassen. Die neuen Teile hätten lediglich die Funktionen der bis dahin vorhandenen Teile übernommen. Der Gebrauchs- und Verwendungszweck des Gebäudes als Mietwohnhaus sei unverändert geblieben. Es liege keine Generalüberholung vor, weil der Kläger das Gebäude nicht technisch und wirtschaftlich nahezu neu hergestellt und so die Nutzungsdauer völlig verändert habe. Auch anschaffungsnahe Aufwendungen lägen im Streitfall nicht vor. Der Kläger habe nämlich erst mehr als drei Jahre nach dem Erwerb des Grundstücks mit den Arbeiten begonnen.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 7, § 9 und § 21 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Nach § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist das angefochtene Urteil aufzuheben und in der Sache zu entscheiden. Das FG hat zu Unrecht die strittigen Aufwendungen des Klägers als sofort abziehbare Werbungskosten beurteilt.

1. Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Handelt es sich bei diesen Aufwendungen um Herstellungskosten eines zur Einkunftserzielung bestimmten Gebäudes, so sind sie grundsätzlich nur verteilt auf die Nutzungsdauer des Gebäudes in Form von AfA abziehbar (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 i.V.m. § 7 Abs. 1, 4 und 5 EStG). Herstellungskosten sind nach § 255 Abs. 2 Satz 1 des Handelsgesetzbuches (HGB) die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen. Diese handelsrechtliche Begriffsbestimmung gilt ebenso für das Steuerrecht, und zwar auch für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1990 GrS 1/89, BFHE 160, 466, 476, BStBl II 1990, 830 unter C. III. 1. c dd).

Während danach die Erweiterung eines Gebäudes stets zu nachträglichen Herstellungskosten führt, auch wenn sie nur geringfügig ist, sind Aufwendungen zur Verbesserung eines Gebäudes nur dann Herstellungskosten, wenn es sich um eine über den ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung handelt. Ursprünglicher Zustand i.S. von § 255 Abs. 2 Satz 1 Alternative 3 HGB ist der Zustand im Zeitpunkt der Herstellung oder, wenn der Steuerpflichtige das Gebäude erworben hat, im Zeitpunkt des Erwerbs (Senatsurteil vom 9. Mai 1995 IX R 116/92, zur Veröffentlichung bestimmt).

a) Eine Erweiterung liegt u.a. vor, wenn ein Gebäude aufgestockt oder daran ein Anbau errichtet wird (vgl. § 17 Abs. 2 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes), wenn es in seiner Substanz vermehrt (z.B. Senatsurteil vom 1. Dezember 1992 IX R 333/87, BFHE 170, 113, 117, BStBl II 1994, 12) oder seine nutzbare Fläche vergrößert wird (z.B. BFH-Urteile vom 19. Juni 1991 IX R 1/87, BFHE 165, 355, BStBl II 1992, 73; vom 19. Juli 1985 III R 170/80, BFH/NV 1986, 24, 26), oder wenn nachträglich Bestandteile eingebaut werden, die bisher nicht vorhanden waren (Senatsurteile vom 29. August 1989 IX R 176/84, BFHE 159, 303, 306, BStBl II 1990, 430, und vom 16. Februar 1993 IX R 85/88, BFHE 170, 547, 549, BStBl II 1993, 544).

b) Herstellungskosten als Folge einer über den ursprünglichen Zustand hinausgehenden wesentlichen Verbesserung (§ 255 Abs. 2 Satz 1 Alternative 3 HGB) können dann vorliegen, wenn in zeitlicher Nähe zur Anschaffung - in der Regel innerhalb von drei Jahren - im Verhältnis zum Kaufpreis hohe Reparatur- oder Modernisierungsaufwendungen anfallen (sog. anschaffungsnaher Herstellungsaufwand; BFH-Urteile vom 11. August 1989 IX R 44/86, BFHE 158, 240, BStBl II 1990, 53; vom 30. Juli 1991 IX R 123/90, BFHE 165, 253, BStBl II 1992, 30; vom 29. Oktober 1991 IX R 117/90, BFHE 166, 203, 205, BStBl II 1992, 285; vom 23. September 1992 X R 10/92, BFHE 169, 331, BStBl II 1993, 338; ferner das Urteil vom 9. Mai 1995 IX R 116/92).

Stehen die Instandsetzungs- und Modernisierungsaufwendungen hingegen in keinem solchen engen zeitlichen Zusammenhang mit der Anschaffung, so kann - anders als beim anschaffungsnahen Aufwand - aus der Art der Baumaßnahmen und der Höhe des dadurch bedingten Aufwands nicht allein auf das Vorliegen einer wesentlichen Verbesserung i.S. von § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB geschlossen werden. Vielmehr wird in derartigen Fällen ein Gebäude nur dann wesentlich verbessert, wenn über die zeitgemäße Erneuerung hinaus der Gebrauchswert im ganzen deutlich erhöht wird. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen sind Instandsetzungs- oder Modernisierungsmaßnahmen, die über eine zeitgemäße substanzerhaltende Erneuerung nicht hinausgehen, grundsätzlich außer Betracht zu lassen. Soweit die dafür aufgewendeten Kosten abgrenzbar sind, sind sie als Erhaltungsaufwendungen abzuziehen. Hingegen sind diese Aufwendungen in die gebotene Gesamtwürdigung einzubeziehen, wenn sie mit den über eine zeitgemäße substanzerhaltende Erneuerung hinausgehenden Maßnahmen bautechnisch ineinandergreifen. Ein Indiz für einen deutlich gesteigerten Gebrauchswert kann sich aus einem deutlichen Anstieg der erzielbaren Miete ergeben, wenn dieser nicht lediglich auf zeitgemäßen substanzerhaltenden Erneuerungen beruht. Hinsichtlich dieser Rechtsgrundsätze nimmt der Senat im einzelnen ebenfalls auf das Urteil IX R 116/92 Bezug.

2. Mit diesen Grundsätzen ist die Vorentscheidung nicht zu vereinbaren. Sie ist deshalb aufzuheben. Es kann offenbleiben, ob die strittigen Instandsetzungs- und Modernisierungsaufwendungen des Klägers als anschaffungsnahe Herstellungskosten zu beurteilen sind, obwohl die entsprechenden Maßnahmen erst unmittelbar nach Ablauf von drei Jahren nach der Anschaffung begonnen haben (vgl. Senatsurteil in BFHE 165, 253, BStBl II 1992, 30). Die Aufwendungen sind jedenfalls deshalb insgesamt Herstellungskosten i.S. von § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB, weil das Gebäude erweitert und sein Gebrauchswert deutlich gesteigert worden ist und diese Maßnahmen mit den übrigen, über eine zeitgemäße substanzerhaltende Erneuerung nicht hinausgehenden Maßnahmen bautechnisch ineinandergreifen.

Zu den durchgeführten Arbeiten hat das FG - zum Teil durch Bezugnahme auf die von den Klägern vorgelegten Sachverständigengutachten - in tatsächlicher Hinsicht folgendes festgestellt: Die Dacheindeckung wurde erneuert. Im Dachgeschoß, das nur teilweise mit Kammern ausgebaut gewesen war, wurden der Wohnraum durch zwei zuvor nicht vorhandene Dachgauben vergrößert und zwei zusätzliche abgeschlossene Wohnungen geschaffen. Die alten Ofenheizungen wurden durch eine Gaszentralheizung ersetzt. Die Wasser- und Abwasserleitungen wurden ausgetauscht, ebenso die Elektroverdrahtung, soweit nicht vorschriftsmäßig. Die auf den Treppenpodesten für jede Wohnung befindlichen Toiletten und die von den Mietern in einigen Wohnungen in Eigeninitiative eingerichteten Dusch-Naßzellen wurden entfernt; dafür wurden in allen Wohnungen zuvor nicht vorhandene Badezimmer geschaffen. Schadhaftes Mauerwerk und Fliesen wurden ersetzt, ferner Türen und Fenster, soweit nicht mehr erhaltungswürdig. Die Fußböden wurden teils ersetzt, teils neu gerichtet und erhielten neue Beläge. Innen und außen wurden Anstreicharbeiten ausgeführt. Die vorhandenen Einzelantennen wurden durch eine Gemeinschaftsantenne ersetzt.

Nach diesen Feststellungen durfte das FG nicht sämtliche Aufwendungen als sofort abziehbare Erhaltungsaufwendungen beurteilen. Vielmehr liegen insgesamt Herstellungskosten vor. Durch die Errichtung von Dachgauben und die Schaffung zweier abgeschlossener Wohnungen im Dachgeschoß ist das Gebäude erweitert worden; denn dadurch ist zusätzlicher Wohnraum entstanden. Auch wenn dieser nach Auffassung des FG unwesentlich ist, stellt die Vergrößerung der Wohnfläche eine Erweiterung i.S. des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB dar, so daß die dafür aufgewendeten Kosten als Herstellungskosten zu beurteilen sind (vgl. BFH-Urteile in BFHE 165, 355, BStBl II 1992, 73, und in BFH/NV 1986, 24, 26). Diese Erweiterungsmaßnahmen im Dachgeschoß und die übrigen Maßnahmen zur Erneuerung des Daches griffen bautechnisch ineinander. Ferner ist das Gebäude über seinen Zustand im Zeitpunkt des Erwerbs hinaus i.S. des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB wesentlich verbessert worden, indem die auf den Treppenpodesten gelegenen Toiletten entfernt und dafür in allen Wohnungen neue Badezimmer eingerichtet wurden. Durch diese Baumaßnahmen, die über eine substanzerhaltende Bestandteilserneuerung hinausging, ist der Gebrauchswert des Hauses gegenüber dem Zeitpunkt des Erwerbs deutlich gesteigert und von einem sehr einfachen auf einen mindestens durchschnittlichen Stand gehoben worden. Diese in allen Wohnungen durchgeführte Baumaßnahme ging mit der Erneuerung der Wasser- und Abwasserleitungen einher und betraf zusammen mit den Erweiterungsmaßnahmen im Dachgeschoß die Bausubstanz des gesamten Hauses. Letztlich griffen damit alle durchgeführten Maßnahmen bautechnisch ineinander, auch soweit sie, für sich allein betrachtet, noch als Erhaltungsmaßnahmen zu beurteilen sein sollten.

3. Die Sache ist spruchreif. Es ist lediglich der unstreitige Verlust aus der Erbengemeinschaft X zu berücksichtigen. Im übrigen ist die Klage abzuweisen. Das zu versteuernde Einkommen verringert sich auf ... DM. Die Einkommensteuer ist auf ... DM herabzusetzen.