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  BFH-Urteil vom 25.1.1996 (III R 137/93) BStBl. 1997 II S. 21

Stellt ein Elternteil den anderen Elternteil von der Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem gemeinsamen Kind gegen ein Entgelt frei, das den geschätzten Unterhaltsansprüchen des Kindes entspricht, und bestreitet er dann (auch) den vollen Kindesunterhalt, so liegt darin gleichzeitig eine Unterhaltserfüllung des freigestellten Elternteils. Der freigestellte Elternteil behält seinen Anspruch auf einen (halben) Kinderfreibetrag.

EStG § 32 Abs. 6 Satz 4.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und der Beigeladene sind seit dem 1. Juni 1989 geschieden. Aus ihrer Ehe sind die 1975 und 1982 geborenen Kinder A und B hervorgegangen, die während des Streitjahres (1988) im Haushalt der Klägerin lebten.

In ihrer Einkommensteuererklärung für 1989 beantragte die Klägerin die Übertragung der dem Beigeladenen zustehenden Kinderfreibeträge gemäß § 32 Abs. 6 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung, da der Beigeladene keinen wesentlichen Beitrag für den Unterhalt der Kinder geleistet hat. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) kam diesem Begehren zunächst nach. Aufgrund einer Mitteilung des für den Beigeladenen zuständigen Finanzamts X, nach der dieser sich durch eine anläßlich der Scheidung vereinbarte Sonderzahlung am Unterhalt der Kinder beteiligt habe, erließ das FA einen geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem nur zwei halbe Kinderfreibeträge berücksichtigt worden waren. Der Bescheid ist hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge vorläufig.

Die Scheidungsfolgen sind durch notariellen Vertrag vom 3. Februar 1989 geregelt, in dem es in Abschnitt C (Weitere Vermögensauseinandersetzungen, gütliche Regelungen, Unterhalt) unter IV. (Kindesunterhalt) heißt, daß die Klägerin den Beigeladenen im Innenverhältnis von jeglichen Ansprüchen der Kinder auf Zahlung von Unterhalt sowie Ausbildungskosten freistelle. Nach Abschnitt C V. (Gegenleistung, Leistungsbestimmung) verpflichtet sich der Beigeladene - unter Nr. 1 -, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von ... DM zu zahlen. Nach Nr. 3 dieses Abschnitts besteht zwischen dem Beigeladenen und der Klägerin Einigkeit darüber, daß diese Barzahlung als Gegenleistung für den wechselseitigen Ehegattenunterhaltsverzicht, die Freistellung des Ehemannes von der Zahlung von Kindesunterhalt und Ausbildungskosten durch die Ehefrau, den wechselseitigen Verzicht auf Zugewinnausgleich, den Verzicht der Klägerin, Rechte aus dem Anerkenntnisurteil des Amtsgerichts (betreffend die Unterhaltsverpflichtungen des Beigeladenen gegenüber den Kindern) herzuleiten, sowie für die Übertragung des halben Miteigentumsanteils an der Eigentumswohnung auf den Beigeladenen gezahlt werde.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) folgte gemäß § 105 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) den Gründen der Einspruchsentscheidung. Das FA hatte zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt: Eine Unterhaltserfüllung i. S. des § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG liege auch dann vor, wenn ein Elternteil vereinbarungsgemäß durch den anderen Elternteil von der Verpflichtung zum Kindesunterhalt freigestellt worden sei. Das gelte auch, wenn dies nur die Rechtsbeziehungen der Vertragsteile und nicht die Unterhaltsverpflichtung gegenüber den Kindern selbst betreffe. Durch Vertrag vom 3. Februar 1989 zur Regelung der Scheidungsfolgen sei eine Freistellung des Beigeladenen in der Weise erfolgt, daß dieser durch Einmalzahlung von ... DM u. a. auch vom Kindesunterhalt freigestellt werde. Daneben stelle diese Zahlung zwar zugleich eine Gegenleistung für den Verzicht auf wechselseitigen Ehegattenunterhalt und Zugewinnausgleich sowie die Übertragung des hälftigen Miteigentumsanteils an der Eigentumswohnung auf den Beigeladenen dar. Doch sei nach dem eindeutigen Wortlaut des Vertrages nicht anzunehmen, daß der Betrag von ... DM ausschließlich für die Übertragung des Miteigentumsanteils hingegeben werden sollte. Es sei zu vermuten, daß durch die erfolgte Regelung eine Konkretisierung der wechselseitigen Ansprüche auf Ehegattenunterhalt und Zugewinnausgleich vermieden bzw. auch diese ohne detaillierte Ermittlungen im Vergleichsweg mitberücksichtigt werden sollten.

Die vereinbarte Freistellung des Beigeladenen sei danach als dessen Unterhaltserfüllung anzusehen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.

Sie führt im wesentlichen aus: Nach dem Gesetzeswortlaut sei eine Unterhaltspflicht des jeweiligen Elternteils Voraussetzung für den Abzug des Kinderfreibetrages. Wenn eine Unterhaltspflicht bei einem der Elternteile nicht bestehe, so sei der Kinderfreibetrag bei diesem Elternteil nicht anzusetzen, sondern auf den anderen Elternteil zu übertragen. Lasse sich ein Elternteil von der Unterhaltsverpflichtung freistellen, sei er wirtschaftlich nicht mehr belastet.

Weiterhin komme es bei der Übertragung des Kinderfreibetrages auf den anderen Elternteil im wesentlichen darauf an, daß der andere Elternteil tatsächlich Unterhalt geleistet habe. Mit der Gewährung von Kinderfreibeträgen solle zur steuerlichen Entlastung von Personen beigetragen werden, die durch den Unterhalt von Kindern wirtschaftlich belastet seien. Dieser Zielsetzung des Gesetzgebers könne nur dadurch Rechnung getragen werden, daß der Elternteil, der keine Aufwendungen für den Kindesunterhalt trage, nicht auch noch durch die Gewährung eines halben Kinderfreibetrages die steuerliche Vergünstigung erhalte, die als Pendant dem anderen Elternteil, der in seiner Leistungsfähigkeit durch Tragung der vollen Unterhaltskosten beeinträchtigt sei, entzogen werde (Hinweise auf Urteil des FG Baden-Württemberg vom 12. Dezember 1990 5 K 119/90, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1991, 542). Die Zahlung von Kindesunterhalt erfolge zudem in der Regel in monatlichen Beträgen. Wenn das FG in seiner Entscheidung ausführe, ein Verzicht auf Unterhalt für die Zukunft sei nach § 1614 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht möglich, so könne auch eine Abgeltung für die Zukunft nicht erfolgen. Der aufgrund des notariellen Vertrages gezahlte Einmalbetrag stehe daher für eine Abgeltung des Kindesunterhalts nicht zur Verfügung. Denn nur wenn ein Verzicht auf Unterhalt für die Zukunft möglich sei, könne er durch Einmalzahlung abgegolten werden.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und ihr für die beiden Kinder je einen Kinderfreibetrag in voller Höhe zu gewähren.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Entscheidungsgründe

Nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG wird bei einem unbeschränkt steuerpflichtigen Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, für jedes zu berücksichtigende Kind bei jedem Elternteil ein halber Kinderfreibetrag in Höhe von 1.242 DM abgezogen. Eine Ausnahme gilt nach § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG u. a. jedoch dann, wenn ein Elternteil die Übertragung des Kinderfreibetrages des anderen Elternteils auf sich beantragt, weil dieser seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht oder nur zu einem unwesentlichen Teil nachkommt, während er selbst seine Unterhaltspflicht erfüllt.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß danach für das Streitjahr eine Übertragung der dem Beigeladenen zustehenden Kinderfreibeträge auf die Klägerin nicht in Betracht kommt. Denn der Beigeladene ist seiner Unterhaltspflicht gegenüber den beiden Kindern zu mehr als nur einem unwesentlichen Teil nachgekommen.

Die in § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG angesprochene Unterhaltspflicht richtet sich nach bürgerlichem Recht. Nach § 1602 BGB sind Kinder unterhaltsberechtigt, wenn sie außerstande sind, sich selbst zu unterhalten. Für den Unterhalt, der den gesamten Lebensbedarf des Kindes umfaßt (§ 1610 Abs. 2 BGB), haften die Eltern ihren Kindern gegenüber anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB). Die Eltern können sich im Verhältnis zueinander über die von ihnen zu leistenden Unterhaltsbeträge verständigen und grundsätzlich auch einen von ihnen von einer Unterhaltsleistung völlig freistellen (vgl. Palandt/Dietrichen, Bürgerliches Gesetzbuch, 55. Aufl., § 1606 Rdnr. 18 m. w. N.). Eine entsprechende Freistellungsvereinbarung liegt im Streitfall vor. Die Klägerin hat den Beigeladenen durch den Vertrag vom 3. Februar 1989 von jeglichen Ansprüchen der Kinder auf Zahlung von Unterhalt und Ausbildungskosten freigestellt.

Gemäß § 1614 Abs. 1 BGB kann zwar für die Zukunft nicht auf Kindesunterhalt verzichtet werden. Diese Bestimmung läßt jedoch die Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen unberührt. Andererseits sind die Kinder durch diese Vereinbarung nicht gehindert, ihre jetzigen oder künftigen gesetzlichen Unterhaltsansprüche gegenüber dem freigestellten Elternteil geltend zu machen. Eine Freistellungsvereinbarung, wie sie im Streitfall getroffen worden ist, entfaltet nur Rechtswirkungen zwischen den Eltern. Sie ist allerdings als Erfüllungsübernahme (§ 329 BGB) anzusehen; aufgrund einer solchen Abrede kann der von den Kindern auf Unterhalt in Anspruch genommene freigestellte Elternteil von dem anderen Elternteil verlangen, daß dieser den Anspruch der Kinder befriedigt (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. Januar 1986 IVb ZR 6/85, Neue Juristische Wochenschrift 1986, 1167).

Entgegen ihrer Auffassung hat die Klägerin danach den Unterhalt ihrer Kinder nicht allein getragen.

Aufgrund der Freistellungsvereinbarung vom 3. Februar 1989 war die Klägerin gegenüber dem Beigeladenen verpflichtet, zusätzlich zu ihrer eigenen Unterhaltsverpflichtung auch diejenige des Beigeladenen zu erfüllen. Soweit sie daher Unterhaltsleistungen für den Beigeladenen erbrachte, erlosch dadurch dessen Unterhaltspflicht gegenüber den im Streitjahr 14 und 7 Jahre alten Kindern, die der Beigeladene nicht in Person zu erfüllen hatte (§§ 267, 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB).

Die Übernahme der gesamten Unterhalts- und Ausbildungskosten durch die Klägerin ist nicht unentgeltlich erfolgt. Das FG hat die Scheidungsfolgenvereinbarung vom 3. Februar 1989 zutreffend dahingehend gewürdigt, daß die Beteiligten neben den Unterhaltsregelungen auch ihre gesamte Vermögensauseinandersetzung einschließlich eines Zugewinnausgleichs erledigen wollten, ohne dabei den Wert der einzelnen wechselseitigen Rechte und Verpflichtungen genau zu ermitteln. Die Beteiligten sind bei Abschluß der Vereinbarung offensichtlich davon ausgegangen, daß sich die von den Beteiligten zu erbringenden Leistungen und erklärten Verzichte gleichwertig gegenüberstanden. Eine Aufteilung und direkte Zuordnung der Zahlung des Beigeladenen kommt daher auch nicht in Betracht. Wie der in dem Vertrag erklärte Verzicht der Klägerin auf die Rechte aus dem (im Dezember 1988 erstrittenen) Anerkenntnisurteil zeigt, haben die Beteiligten der Vereinbarung einen Wert zugrundegelegt, der dem von dem Beigeladenen in den kommenden Jahren voraussichtlich geschuldeten Unterhalt entspricht.

Für die Freistellung von der Unterhaltspflicht hat der Beigeladene eine Gegenleistung in Form von Geld und dem Verzicht auf geldwerte Rechte (wie z. B. den Zugewinnausgleich) erbracht, die eine wirtschaftliche Belastung darstellen. Das hat zur Folge, daß der Beigeladene seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber den gemeinsamen Kindern dadurch erbringt, daß die Klägerin im Hinblick auf die erfolgten Leistungen (Barleistung und Verzichte) des Beigeladenen nicht nur den von ihr geschuldeten Unterhalt leistet, sondern darüber hinaus auch den des Beigeladenen (so auch FG Baden-Württemberg in EFG 1991, 542; FG Köln, Urteil vom 12. August 1994 3 K 405/93, EFG 1995, 217; Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 32 Rdnr. 67; a. A. FG Münster, Urteil vom 30. Januar 1990 XII 8737/88, EFG 1991, 127, bei freiwilliger Übernahme der Unterhaltsverpflichtung; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Juli 1994 9 K 61/93, EFG 1995, 33). Das gilt auch für das Streitjahr.