| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 24.7.1996 (I R 62/95) BStBl. 1997 II S. 115

1. Der Ausdruck "Steuerpflichtiger" i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 bestimmt sich nach § 33 AO 1977.

2. Das Wesen der Zusammenveranlagung von Eheleuten besteht in der steuerlichen Behandlung als ein Steuerpflichtiger. Die damit korrespondierende Gesamtschuldnerschaft der Eheleute bedingt, daß sich jeder das grobe Verschulden des anderen als eigenes zurechnen lassen muß.

3. Kennt ein Steuerpflichtiger die steuerliche Bedeutung einer ihm von seinem Arbeitgeber ausgestellten Bescheinigung, so trifft ihn ein grobes Verschulden, wenn er nicht dafür Sorge trägt, daß die Bescheinigung dem FA zusammen mit der Steuererklärung vorgelegt wird.

AO 1977 §§ 33, 44, 173 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 25 Abs. 3.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war im Streitjahr 1988 verheiratet. Ihr Ehemann (Kläger) war damals als kaufmännischer Angestellter bei einer inländischen Firma tätig. Sein Bruttoarbeitslohn betrug ... DM. Von diesem Betrag entfielen 5.640 DM auf einen Zeitraum, in dem der Kläger geschäftlich in Italien tätig war. Darüber stellte ihm sein Arbeitgeber unter dem 2. Januar 1989 folgende Bescheinigung aus:

"Bescheinigung zur Vorlage beim Finanzamt

Hiermit bescheinigen wir Herrn ..., wohnhaft ..., daß er während des Kalenderjahres 1988 an 5 Tagen in Italien geschäftlich tätig war.

Das anteilige Gehalt in Höhe von 5.640,03 DM wurde voll der Lohnsteuer unterworfen. "

Diese Bescheinigung ordnete der Kläger nicht, wie sonst bei seinen steuerlichen Belegen üblich, in die für die jeweilige jährliche Steuererklärung bereitliegende besondere Mappe ein.

Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger, der die Steuererklärung 1988 nach den ihm vorgelegten Unterlagen vorbereitete, erfuhr von den steuerfreien, in Italien erzielten Einkünften nichts. Deshalb machte er dieselben auch nicht geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) veranlagte die Kläger nach Erklärung. Der Einkommensteuerbescheid 1988 vom 2. März 1990 wurde bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 17. Dezember 1991 beantragten die Kläger, den Einkommensteuerbescheid 1988 unter Berücksichtigung der Bescheinigung vom 2. Januar 1989 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Der Einspruch blieb erfolglos. Die Kläger erhoben Klage. Der ursprüngliche Steuerbescheid 1988 wurde während des Klageverfahrens gemäß § 165 Abs. 2 AO 1977 am 20. April 1993 wegen weiterer nicht streitiger Punkte geändert. Die Kläger leiteten den geänderten Bescheid in das Klageverfahren über. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage der Klägerin statt. Es wies die Klage des Klägers als unbegründet ab.

Mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung von Grundsätzen der Zusammenveranlagung sowie des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 im Verhältnis zur Klägerin.

Es beantragt, das angegriffene Urteil aufzuheben, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage insgesamt (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. a) Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen und Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, daß die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die den erkennenden Senat in Ermangelung erhobener Verfahrensrügen binden (§ 118 Abs. 2 FGO), ist für den Streitfall von einem nachträglichen Bekanntwerden der Tatsache auszugehen, daß der Kläger Einkünfte aus einer in Italien ausgeübten nichtselbständigen Arbeit erzielte.

b) Das FG hat jedoch den Ausdruck "Steuerpflichtiger" i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 fehlerhaft ausgelegt und deshalb auf ein persönliches grobes Verschulden der Klägerin abgestellt. Der in der Vorschrift verwendete Ausdruck "Steuerpflichtiger" ist ein solcher der AO 1977. Er ist deshalb i. S. des § 33 Abs. 1 AO 1977 auszulegen. Danach ist Steuerpflichtiger, wer eine Steuer schuldet, für eine Steuer haftet, eine Steuer für Rechnung eines Dritten einzubehalten und abzuführen hat, wer eine Steuererklärung abzugeben, Sicherheit zu leisten, Bücher und Aufzeichnungen zu führen oder andere ihm durch die Steuergesetze auferlegte Verpflichtungen zu erfüllen hat. Ob und welche dieser Pflichten von einer Person zu erfüllen sind, wird überwiegend in den Einzelsteuergesetzen geregelt. § 149 Abs. 1 AO 1977 verweist insbesondere zur näheren Umschreibung des Inhalts der Erklärungspflichten auf die Einzelsteuergesetze. Für die Einkommenbesteuerung ist insoweit § 25 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einschlägig. Da die Kläger Eheleute sind, die die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer 1988 beantragten, hatten sie gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 EStG eine gemeinsame Steuererklärung abzugeben, die von beiden gemäß § 25 Abs. 3 Satz 5 EStG eigenhändig zu unterschreiben war. Die Kläger waren gemäß § 44 Abs. 1 AO 1977 Gesamtschuldner nicht nur für die ihnen gegenüber festgesetzte Einkommensteuer 1988, sondern ebenso für die aus dem Steuerschuldverhältnis geschuldete Einkommensteuererklärung. Mit ihrem Antrag auf Zusammenveranlagung begehrten sie die steuerliche Behandlung als ein Steuerpflichtiger. Sie mußten deshalb schon bei der Erfüllung ihrer Erklärungspflicht nicht nur zusammenwirken (vgl. BFH-Urteil vom 9. April 1987 IV R 192/85, BFHE 149, 418, BStBl II 1987, 540), sondern die Erklärungspflichten jedes einzelnen Ehegatten bezogen sich auch auf die von dem jeweils anderen Ehegatten verwirklichten Besteuerungsmerkmale. Das Wesen der Zusammenveranlagung, das in der steuerlichen Behandlung als ein Steuerpflichtiger besteht, und die damit korrespondierende Gesamtschuldnerschaft der Eheleute bedingen, daß sich jeder Ehegatte das grobe Verschulden des anderen als eigenes zurechnen lassen muß (vgl. BFH in BFHE 149, 418, BStBl II 1987, 540). Das FA weist zutreffend darauf hin, daß die Klägerin sich nicht einerseits auf bestimmte Besteuerungsmerkmale des Klägers berufen kann, ohne sich gleichzeitig dessen grobes Verschulden zurechnen zu lassen.

2. Kommt es demnach nur darauf an, ob einen der beiden Kläger ein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden der in Italien ausgeübten nichtselbständigen Arbeit trifft, so ist die Annahme eines entsprechenden Verschuldens des Klägers durch das FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Das FG hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, der Kläger habe die von seinem steuerlichen Berater vorbereitete Erklärung nicht so eingehend auf Vollständigkeit überprüft, daß er das Fehlen der zur Vollständigkeit der Erklärung erforderlichen Eintragung seiner steuerfreien Einkommensteile unter der Tz. 17 der Anlage N bemerkte. Diese tatsächliche Feststellung ist nur vor dem Hintergrund der konkludenten Annahme des FG verständlich, der Kläger habe die steuerliche Bedeutung der Bescheinigung seines Arbeitgebers gekannt und damit Kenntnis von der Steuerfreiheit der in Italien erzielten Einkünfte gehabt. Die Klägerin geht zwar in der Revisionserwiderung von einer anderen tatsächlichen Würdigung aus. Sie hat jedoch gegenüber der Würdigung des FG keine Verfahrensrügen erhoben. Auch war die Würdigung des FG eine mögliche, weil die Bescheinigung des Arbeitgebers nur vor dem Hintergrund der Steuerfreiheit nach dem Doppelbesteuerungsabkommen Italien Sinn macht. Es liegt nahe, daß der Kläger von seinem Arbeitgeber auf diese Bedeutung hingewiesen wurde bzw. sich nach ihr erkundigte. Dann aber bindet die Würdigung des FG den erkennenden Senat (§ 118 Abs. 2 FGO).

Kannte jedoch der Kläger die Bedeutung der ihm ausgestellten Bescheinigung, so mußte er dafür Sorge tragen, daß der Inhalt derselben Eingang in die Einkommensteuererklärung 1988 fand. Er mußte die Angaben tatsächlicher Art wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen machen (§ 150 Abs. 2 AO 1977; BFH-Urteil vom 30. Oktober 1986 III R 163/82, BFHE 148, 208, BStBl II 1987, 161). Er mußte insbesondere die von seinem steuerlichen Berater vorbereitete Erklärung darauf überprüfen, ob sie alle Angaben tatsächlicher Art enthielt, die nur der Kläger erteilen konnte. Dabei mußte er die in dem Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellten und auf einen ganz bestimmten Vorgang bezogenen Fragen beachten (vgl. BFH-Urteile vom 29. Juni 1984 VI R 181/80, BFHE 141, 232, BStBl II 1984, 693; vom 9. August 1991 III R 24/87, BFHE 165, 454, BStBl II 1992, 65). Die Nichtbeachtung dieser Pflichten begründet insbesondere dann ein grobes Verschulden, wenn keine Entschuldigungsgründe zu erkennen sind.

3. Die Vorentscheidung entspricht nur teilweise diesen Rechtsgrundsätzen. Sie kann deshalb keinen Bestand haben. Sie war aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Die Klage war insgesamt abzuweisen.